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Warum nicht mit mir?

Kew

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26.05.2009
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Warum nicht mit mir?

Zu dritt standen sie an der Bar, jeder mit Cocktail, und tranken auf die Zukunft. Im Stroboskoplicht wurden ihre Bewegungen zu Daumenkino.
Über den Gästen stand der DJ auf einer Plattform, die an Seilen von der Decke hing, und spielte zum Tanz.
„Was machen wir eigentlich hier?“, fragte Michelle, die Metallerin war und mit der gespielten Musik nichts anfangen konnte. Auch ihre Kleidung fiel aus dem Rahmen, nicht knappes Top und kurzer Rock, sondern Armeehose und Springerstiefel.
„Frag Jonas.“ Mirco war kaum zu verstehen – er sprach immer ein, zwei Nuancen zu leise, notfalls im Flüsterton, sollte Stille um ihn herrschen. „Er hat das hier ausgesucht.“
Ein Lächeln spielte über Jonas Lippen. „Ganz einfach. Hier gibt es die schönsten Mädchen.“ Als Einziger der Gruppe passte er zum Clubpublikum, er trug ein Jackett, einen grau-weißen Schal und Schuhe aus Krokodilleder.
Michelle schüttelte den Kopf. „Du änderst dich nie.“
„Wer weiß. Wir sind jung.“
„Als würde das helfen“, sagte Michelle und winkte dem Barkeeper, während Jonas die Tanzenden musterte.
„Und hast du schon eine?“ Mircos Stimme blieb ein relatives Flüstern. Dabei gingen Emotionen verloren – Jonas brauchte immer dessen Gesicht, um zu wissen, ob sein Freund ernst war, scherzhaft oder traurig.
Jonas zeigte auf ein Mädchen im weißen Kleid, die mit ihren Freundinnen unter der DJ-Plattform tanzte.
„Die ist doch in unserer Stufe.“
Jonas grinste. „Ganz genau. Das ist Lisa.“
„Und die lässt dich ran?“
„Ich wette viel darauf. Wie wär’s mit zwei Filmen?“
Er trank noch sein Glas leer, bevor er die Theke verließ und sich an Tanzenden vorbei zu Lisa schob.
Für fast eine Minute stand er hinter ihr, spielte den Beobachter. Sie tanzte schlechter als ihre Freundinnen, aber noch immer aufreizend genug – ihr Kleid zeigte viel Bein, viel Rücken und ihre blonden Haare flogen. Jonas glaubte, zwischen Körperschweiß und Pheromonen, ihr Parfum zu riechen, Lavendelduft an einem Sommertag. Natürlich war er sich der Konditionierung bewusst: Sein erstes Mädchen hatte er am Rande eines Lavendelfeldes geküsst - gerade war ein Regenschauer vorüber gegangen, der Lavendelduft mischte sich mit dem Geruch von frisch gewaschenem Asphalt und dem Aroma ihrer sonnenheißen Haare und überall das Summen von Bienen und ihr Mund schmeckte nach Pfirsich. Er vertrieb die Erinnerung und tippte Lisa auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und lächelte, als sie ihn erkannte.
„Das ist Jonas“, stellte sie ihn ihren Freundinnen vor. Mit Lächeln und Winken aus dem Handgelenk wurde er aufgenommen.
„Lust auf Tanzen?“
Ja, sie ließ ihn ran, ließ seine Hände über ihren Bauch und ihre Hüfte gleiten. Sie tanzte mit dem Rücken zu ihm, schmiegte sich an seine Brust, lehnte den Kopf an seine Schulter. An ihrem Hals vorbei sah er in ihren Ausschnitt. Als er sie küsste, schmeckte er nicht Pfirsiche, sondern Alkohol und Zigaretten. Es störte ihn kaum, Lisa küsste besser, als sie tanzte.
„Wollen wir gehen?“
Lisa zögerte einen Augenblick, sie wusste, was Jonas meinte. Dann nickte sie. Winkend wurden ihre Freundinnen verabschiedet. Die lächelten ihnen nach.
„Ich melde mich nur kurz ab“, sagte Jonas am Ausgang und ging noch einmal zur Bar.
„Bist du eigentlich jemals gescheitert?“, fragte Michelle.
„Natürlich. Ich zwinge schließlich niemanden. Ich bin nur nett zu den Mädchen und die Mädchen sind nett zu mir.“
„Klar.“
„Bin ich nett zu dir oder bin ich es nicht?“
Er gab ihr einen Handkuss, sie ihm eine Ohrfeige und mit einem Lächeln verabschiedete sich Jonas und verließ mit Lisa den Club.
Kalt war die Nacht und Jonas war froh, dass er nicht mit nackten Beinen durch den Winter lief, er spürte Lisas Zittern durch den Mantel. „Kalt, was?“, fragte er und betrieb weiter Smalltalk, bis zum Bahnhof, wo ein Mädchen ihre Freundin hielt, die auf die Steinplatten kotzte.
Sie sahen auf zum Mondgesicht der Bahnhofsuhr, zwei Zeiger schwarz auf gelb und noch fünf Minuten bis zum nächsten Zug. Lisa schmiegte sich an Jonas, wahrscheinlich wegen der Kälte, und er streichelte unbeteiligt ihr Haar und sah der S-Bahn entgegen, die schließlich, zwei Lichter in der Dunkelheit, zischend heranrollte.
Drinnen war es warm, Alkohol und Deo füllten nebelgleich die Luft. Lisa und Jonas setzten sich nebeneinander und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen, flüsterte ihm von Zeit zu Zeit Zärtlichkeiten ins Ohr. Ein wenig den Mittelgang hinunter stand ein Mädchen im schwarzen Minikleid, ihre Beine, endlos lang und weiß. Sie trug schwarze Chucks mit hohem Schaft und losen Schnürsenkeln. In der Linken hielt sie eine Tortenform. Jonas sah die Reste des Backwerks durch den halbtransparenten Deckel. Dann schwenkte sein Blick zurück zu den Beinen des Mädchens.
Er nahm Lisa mit zu sich nach Hause und sie hatten geräuschlosen Sex, denn sein Vater schlief im Zimmer nebenan.

Mit dem ersten Sonnenlicht erwachte Jonas. Neben ihm lag ein fremder Körper, das Gesicht verquollen vom Schlaf, mit verwischtem Lidschatten und wirrem Haar. Alter Schweiß und billiges Rosenparfum klebte an der Haut. Fauler Atem strich über Jonas Mund. Er wandte sich ab und blinzelte durchs Fenster – Schnee fiel und beugte die Äste der Nachbarstanne. Im Haus war es still, als wären die Bewohner vor langer Zeit verschwunden.
Er seufzte. Er wusste, er würde nicht wieder einschlafen, also weckte er Lisa und sagte ihren traumblöden Augen, sie müsse gehen: „Mein Vater regt sich nur auf, wenn er weiß, dass ein Mädchen bei mir übernachtet hat.“
„Kann ich noch euer Bad benutzen?“
„Zweite Tür links auf dem Gang.
Nackt wälzte sie sich auf dem Bett und schien sich zu schämen dabei, denn sie wandte ihm nur den Rücken zu, und ging in die Knie um ihre Klamotten zu sammeln. Ihre Schulterblätter wanden sich unter der Haut. Jonas hörte das Rauschen der Dusche und sah aus dem Fenster, bis Lisa wiederkam, halbwegs gerichtet, im weißen Kleid, das jetzt fehl am Platz wirkte.
„Warte. Hier hast du Geld.“ Aus der Schublade seines Nachtschranks kramte er zwanzig Euro, hielt den Schein zwischen Zeige- und Mittelfinger. Lisa starrte ihn an, erstaunt, unsicher. „Ist für ein Taxi. Du musst schließlich nach Hause kommen.“ Jetzt nahm sie das Geld. Ihre Fingernägel streiften seine Hand. „Den Weg zur Tür findest du ja alleine.“
Als Lisa fort war, blieb Jonas noch eine Weile im Bett liegen, bevor er aufstand, sich duschte und rasierte und seine Hauskleidung anzog, weiter Pulli und Jogginghose.
Später, als sein Vater aufstand und sein Waschritual begann, präzise und endlos wie ein Uhrwerk, deckte Jonas den Glastisch im Wohnzimmer, kochte Kaffee und schnitt Weißbrot in Scheiben. Sein Vater kam in Anzug und Krawatte die Treppe herunter. „Morgen.“
Sie setzten sich. Jonas aß wenig, sein Vater viel, häufte Wurst und Schinken aufs Baguette oder aß Quark mit Brombeermarmelade und Käse.
„Wie war die Nacht?“
„Gut, gut.“, sagte Jonas.
„Willst du sie mir nicht mal vorstellen?“
„Das lohnt sich nicht. Ist nie die Gleiche.“
„Ach so.“
Wieder Schweigen und Jonas sah aus dem Fenster, weißer Garten, weißer Teich, die Fische schwebten jetzt in Winterstarre, reglos wie in Glas gefangen, eine Welt aus Dämmerlicht und den trägen Tentakeln der Wasserpflanzen. Sein Vater aß weiter, Honig auf Butter, Paprikaaufstrich und Camembert.
„Und was steht heute an?“
„Lernen.“
„Gut, gut. Auch wenn du schon alles kannst.“ Komplizenlächeln seines Vaters – Jonas fühlte sich immer seltsam dabei.
„Wiederholen schadet nicht.“
Nach dem Frühstück ging Jonas auf sein Zimmer, lernte Englisch und Geschichte, Wirtschaft und Mathe, und sein Vater setzte sich vor den Fernseher, sah Serien mit künstlichem Lachen und Hollywoods B-Produktionen. So verbrachten beide den Tag, bis sie abends wieder zusammentrafen, Jonas jetzt ebenfalls im Anzug, und mit dem Mercedes zu einem Nobel-Italiener fuhren, wo sie Fleisch aßen und Wein tranken.
Kurz bevor er einschlief, im Zustand kognitiver Zersetzung, erinnerte sich Jonas an Wintertage in den Bergen, an grelles Licht und klare Luft, an das Knirschen der Skier im Schnee, und die Schuhe, in denen er ging wie mit Klumpfüßen, an seinen Vater, der am Fuße eines Abhangs stand und lachte und seine Mutter neben ihm beschattete die Augen mit der Hand und winkte.

Am Montag saß Jonas in Englisch neben Michelle. Gerade wurde Shakespeare gelesen – kaum jemand verstand ein Wort, die meisten hatten abgeschaltet. Jonas fand die Kommentare der Lehrerin nichtssagend und dumm. Die Zeit zog sich wie Teer, wie Kaugummi.
Zwei Reihen vor ihm saß Lisa. Ihr Haar war zu einem Zopf gebunden und fiel über die Kapuze einer weißen Jacke. Jonas musste daran denken, wie ihr Hintern nackt ausgesehen hatte, in Jeans wirkte er erotischer. Sie sah über die Schulter, bemerkte seinen Blick und lächelte. Halbherzig lächelte er zurück. Die Lehrerin versuchte Hamlets Monolog zu erklären.
Michelle malte kleine Mädchen mit Blumenkleidern auf ihren Ordner. Sie tanzten auf einer Wiese und hatten statt Gesichtern Totenschädel, grinsende Zahnreihen und schwarze Augenhöhlen.
„Ist irgendwas?“, fragte Jonas in der Zwischenpause, als Stimmengewirr die schläfrige Halbstille unterbrach. „Du hast die ganze Stunde kein Wort gesagt.“
„Ich frag mich nur, was du an ihr findest.“ Und gab einem weiteren Blumenmädchen Haare und Schädel – präzise Umrisse, präzise Schraffur, ihr Zeichenstil hatte viel von Maschinenbau. „Meinst du nicht, dass ihre Nase zu groß ist?“
„Sie kann dich hören.“
„Ist es dir peinlich?“
„Nein. Du bist nur nicht sonderlich nett.“
„Oho. Du machst dir Sorgen um ihr Wohlergehen. Vielleicht hättest du sie nicht rausschmeißen sollen. Hast du wieder die Vaterausrede gebracht?“
„Manchmal wäre es besser, du würdest den Mund halten.“
So war auch die zweite Stunde Schweigen und Langeweile und Jonas las nebenher Canetti. Lisa lächelte nicht mehr.
In der Pause verließen Jonas und Michelle den Klassenraum. „Du müsstest dich wegen Freitag langsam mal entscheiden. Ich muss schließlich planen.“
Jonas seufzte. „Natürlich komme ich zu deinem Geburtstag.“

„Will ich mal nicht so sein und erlasse dir deine Spielschulden.“
„Danke für die Großzügigkeit.“ Sie spielten den zweiten Akt ihrer Privatvorstellung. Sie standen vor Mircos Filmregal – ein Querschnitt des Liebesfilms seit 1930, darunter etliche Pornos aus den 60er, mit zart erotischen Nackttänzen und verschämten Deflorationsfantasien. Mit dem Finger fuhr Mirco die Reihen entlang, zupfte manche Exemplare probeweise heraus. Schließlich entschied er sich für ‚Der himmlische Bretone‘.
Auf einem Ledersofa machten sie es sich vor dem Zwei-Meter-Bildschirm bequem. Der Film lief an und Jonas ließ die Handlung an sich vorbeilaufen, während Mirco ihr folgte, als wäre es sein erstes Mal. Nebenbei tranken sie Billigwein und aßen Käsenachos.
„Was lief eigentlich am Wochenende mit dir und Michelle?“ Der Abspann lief, monoton und schwarz-weiß.
„War nett.“
„Nun sag schon“, sagte Jonas und stieß seinem Freund den Ellbogen in die Seite, es war nur zur Hälfte Parodie.
„Wir haben getanzt. Nicht in dem Club, in dem wir mit dir waren. Wir haben gewechselt. War etwas kleiner und mehr Electro-Swing als dieses Mainstream-Zeug. Da hat sie mich gefragt und wir haben bis drei getanzt. Ich merk jetzt noch meine Beine.“
„Und?“
„Nichts und. Danach sind wir nach Hause gefahren.“
„Oh, Mann. Du musst doch deine Chance nutzen. Ich meine, du hast mit ihr getanzt. Da musst du was draus machen. Jetzt hat mein Plan schon funktioniert und du traust dich nicht.“
„Tut mir leid. Beim nächsten Mal.“
„Du musst dich nicht entschuldigen. Schließlich willst du Michelle haben, nicht ich.“
„Ich weiß.“
„Ich sag nur: diesen Samstag.“
Der Abspann war vorbei, Mirco wählte den nächsten Film, Jonas holte neuen Wein.

Jonas kam erst spät zu Michelles Party - von der Straße hörte er bereits die Musik, die später die Polizei auf den Plan rufen würde, hauptsächlich Metal, mit übersteuertem Bass. Auf der Einfahrt lag zertrampelter Schnee, glitzernd im Garagenlicht. Er fügte eine weitere Fußspur hinzu und klingelte.
„Cool, dass du da bist.“ Michelle umarmte ihn und ihr Haar roch nach Lavendel.
„Alles Gute, zum Neunzehnten.“ Er gab ihr sein Geschenk, ein lila Päckchen mit Silberschleife.
Die Wangen kindlich erhitzt, zupfte sie die Schleife auf. „Wow. Wie schön die ist.“ Sie hob die Silberkette vom Futteral, eine Perle schimmerte im Licht. „Vielen Dank.“ Sie umarmte ihn wieder. „Hilfst du mir?“
Er legte ihr die Kette um den Hals, strich ihr Haar beiseite, um den Verschluss sehen zu können.
„Komm, ich stell dir ein paar Freunde vor.“
Die Meisten waren Metaller, Mitglieder von Bands und ihre Freundinnen, sie trugen Schwarz und Killernieten, saßen auf dem Boden, den Sofas und Sesseln und tranken Bier. Jonas trank mit ihnen. Das Gespräch drehte sich um Musik und Bier und wer wann wie betrunken gewesen war. Jonas erzählte, wie er, in Folge seines ersten Vollrauschs, an einem Wet-T-Shirt-Contest im Badezimmer eines Freundes teilnahm und dabei sowohl den Duschvorhang als auch das Waschbecken abriss.
„Wie lange willst du das noch machen?“ Michelles Kopf lehnte an Jonas Schulter, der Lavendelduft war betörend intensiv – ein Sommerfeld, ein heißer Tag und weiche Lippen, ein Flattern im Bauch. Mirco beobachtete die beiden von einem Sessel gegenüber.
„Was meinst du?“
„Na deine Mädchen. Jede Woche eine Andere.“
Jonas zuckte die Schultern, ihr Kopf ruckte mit. „Weiß nicht, ich hab mir keine Frist gesetzt.“
„Dir geht es bei uns wirklich nur um Sex, oder? Ein One-Night-Stand und am Morgen gibt’s Geld fürs Taxi?“
Was sollte er sagen – er schwieg und ließ sie weiter reden, trank warmes Bier dabei.
„Hast du noch nie an eine echte Beziehung gedacht? Mit vorsichtigem Kennenlernen und kleinen Zärtlichkeiten. Kinobesuche und Fummeln in der Dunkelheit. Rendezvous bei Kerzenlicht. Ich mein das volle Programm halt. Für einander Dasein und streiten, weil man vergessen hat, dass der andere keine Tomaten mag, und das Abendessen jetzt versaut ist. Und dann versöhnt man sich wieder und geht Pizza-Essen oder zum Chinesen. Man probiert Sachen aus: schnellen Sex auf einer Toilette oder im Fahrstuhl und es macht Spaß und ist geil. Aber eigentlich geht es darum, denn Anderen zu verstehen und ihm nahe zu sein, ihm zu helfen, wenn die Eltern wieder Stress machen oder der Hund gestorben ist.“
„Ja, hab ich.“
Sie sah ihn groß an. „Was meinst du?“
Jonas musste lachen. „Ich hab darüber nachgedacht, ob ich eine Beziehung will.“
Ihre Augen blieben groß und voller Erwartung. „Und?“
„Ich finde, ich kann mir noch Zeit lassen. Ich bin nicht mal zwanzig. Schließlich haben alle ihren Spaß dabei, ich und die Mädchen. Fürs Erste braucht es nicht mehr.“
„Na dann.“ Schweigend lehnte sie an seiner Schulter, dann rückte sie ab und begann mit Mirco ein Gespräch über Filme. Jonas trank Bier. Die Nacht rückte vor, die Polizei kam und ging, die Musik wurde leiser.
„Weißt du, was ich cool an dir finde?“ Ein Mädchen hatte sich neben Jonas gesetzt. Sie trug einen Rock und auf dem Sweatshirt das Abbild einer knienden Frau mit in den Unterleib gerammter Kettensäge, Blutspritzern und einem grimmig-düsteren Gesichtsausdruck, und die Beschriftung Fuck the Saw. Ihr Haar war schwarz gefärbt. Sie hieß Frani oder Franzi, Jonas wusste es nicht mehr. „Du siehst zwar total aus wie ein Streber. Aber deine Art passt überhaupt nicht dazu. Du bist ganz locker, überhaupt nicht verklemmt.“
„Nicht alle Jackettträger haben einen Stock im Arsch.“
Es gab ein Lächeln als Belohnung. „Aber ich wette, du bist gut in der Schule.“
„Ja. Aber eigentlich ist sie mir egal.“
„Genau das mein ich. Noch Lust auf Bier?“
Sie gingen in die Küche, wo drei Schlagzeuger saßen und Whisky mit Milch und Jägermeister mixten. „Der neueste Scheiß sag ich dir, der neueste Scheiß.“ „Mal probieren?“ Dass Jonas den Plastikbecher ausschlug, schien niemanden zu stören, und so blieb er mit Frani-Franzi bei der fehlbesetzten Rhythmusgruppe und kommentierte, fasziniert und belustigt, die immer wilderen Mischexperimente.
„Was ich dich vorhin schon fragen wollte, ist so ein Rock nicht zu kalt für den Winter?“ Jonas strich mit den Fingerspitzen über ihren Oberschenkel – rauer, kratziger Stoff.
„Kalt schon. Aber praktisch. Soll ich’s dir zeigen?“
Die Schlagzeuger prosteten ihnen zum Abschied zu, und Jonas ging an der Hand des Mädchens, das Frani hieß oder Franzi, die Treppe in den ersten Stock hinauf und hinein in Michelles Zimmer. Laternenlicht fiel durchs Fenster und warf harte Schatten aufs Parkett – die Umrisse des Schreibtischs, des Betts, der Gitarre samt Verstärker. Der Geruch von Michelles Leben hing in der Luft, lange Nachmittage beim Lernen, die kurzen Nächte der Schulzeit, die langen der Ferien. Sie führte ihn in den begehbaren Kleiderschrank, wo sie ihn küsste, heiße Zunge, heißer Mund, und mit den Fingern unter sein Hemd fuhr, Spinnen auf seiner Brust, zärtlich und sanft. Seine Hände wanderten ihre Schenkel hinauf, ja, der Rock war praktisch.
Michelle stand in der Tür des Kleiderschranks. Hinter ihr blendete das Deckenlicht. Ihr Gesicht lag in Schatten, aber Jonas konnte die Tränen sehen, kleine Tropfen auf den Wangen, kleine Tropfen, die zu Boden fielen.
„Tut mir leid“, nuschelte Frani, nuschelte Franzi, zupfte ihren Rock zu Recht und schob sich an Michelle vorbei.
An den Türrahmen gelehnt, rutschte Michelle in sich zusammen, bis sie am Boden hockte, den Mund in ihre Faust verbissen. Leise, wie unterdrückten Schluckauf, konnte Jonas Schluchzer hören und sah noch immer die Tränen, Schneckenspuren auf Michelles Wangen, silbern wie die Perle an ihrem Hals. Er zog seine Hose hoch, schloss seinen Gürtel, ordnete Hemd und Jackett, alltägliche Gesten, alltägliche Handlung.
„Ich …“ Und schwieg wieder und wusste nicht, was er sagen sollte, während die Laterne gelb vorm Fenster brannte und Michelles Umriss in den Kleiderschrank warf. Aus dem Erdgeschoss drang die Musik herauf, eine Stimme voller Hass.
Schließlich kam Mirco und setzte sich neben Michelle und streichelte ihr Haar, ihre Wange. Auf Jonas reagierte er kaum, ein knappes Kopfschütteln, mehr nicht. Jonas ging an den beiden vorbei, hinab ins Erdgeschoss, wo er Schal und Mantel anlegte, und verließ das Haus.
Die Kälte begrüßte ihn und der Himmel war klar und weit. Ihm war schwindelig, als fiele er aufwärts, zwischen die Sterne, die weiß blinkten in der Schwärze. Verdient hättest du es, dachte er und ein trauriges Lächeln verzog seine Mundwinkel. Der Schnee auf der Auffahrt knirschte unter seinen Füßen. Durchs Küchenfenster winkten die Schlagzeuger.
Am nächsten Morgen schlief Jonas aus.

„Wie war gestern die Party?“
Jonas saß mit seinem Vater am Frühstückstisch, trank Saft und aß einen Apfel. Sein Vater vernichtete Brötchen und Müsli und Kaffee.
„Gut. Gut.“
„Kein Mädchen diesmal?“
„Kann nicht jede Woche klappen.“
Sein Vater nickte, wischte sich mit dem Handrücken Krümel vom Mund. „Mirco hat vorhin angerufen? Du sollst dich melden.“
Später saß sein Vater vorm Fernseher und Jonas vor seinem Schreibtisch. Er rief Mirco an.
„Manchmal kannst du echt ein Arsch sein.“
„Ich weiß. Es tut mir leid.“
„Da bin ich die falsche Adresse.“ Schweigen. „Du hättest wenigstens bleiben können.“
„Was hätte es gebracht? Sie war sauer auf mich.“
„Sauer? Seit wann heult man, wenn man wütend ist?“
Ein Amselpärchen landete auf der Tanne, schüttelte Schnee von einem Ast – eine Staubkaskade, weiß und glitzernd. Jonas konnte ihr orangen Schnäbel sehen und die Glaskugelaugen. Ruckartig sondierten die Vögel ihre Umgebung, putzten ihr Gefieder. Bald flogen die sie weiter.
„Rede wenigstens mit ihr. Das bist du ihr schuldig.“
„Wir sehen uns Montag.“
Mirco seufzte. „Ja, bis Montag.“
Jonas legte auf. Mit dem Fahrrad fuhr er durch öde Straßen, vorbei an schmutzigem Schnee und zugefrorenen Scheiben.
Durchs Küchenfenster sah er Michelle beim Aufräumen. Ihr Gesicht war leer und bleich, mit Schatten unter den Augen und Spuren von Schminke. Sie räumte mechanisch Gläser in den Spüler, bemerkte ihn nicht. Eine Freundin, die Ada hieß oder Alex und die eher dicker war als groß, kam mit zwei Tüten voller Flaschen aus dem Wohnzimmer. Sie stellte die Tüten beiseite, sprach ein paar Worte zu Michelle, nahm sie in den Arm.
Jonas klingelte und die Freundin öffnete die Tür. Ihr Gesicht wurde finster wie ein wütender Mops.
„Was willst du?“
„Michelle sehen.“
„Du hast vielleicht Nerven.“
Aber sie ließ die Tür offen und ging in die Küche. Halblaute Stimmen, und Jonas wartete im warmen Luftzug des Eingangs.
Michelle kam an die Tür. Ihr Gesicht wirkte noch bleicher als durchs Fenster und ihre Haare standen traurig-wirr. Ihre Augen wirkten entzündet. Die Freundin blieb in der Küche.
„Können wir reden?“
Sie zog einen Schal und eine Jacke an und trat zu ihm auf die Ausfahrt, schloss die Tür hinter sich.
Sie gingen zum Bahnhof und fuhren in die Stadt. 16-Jährige hörten Rap über ihr Handy, diskutierten über Sänger und Kaufhäuser. Ein kleines Kind spielte mit dem Dackel einer alten Frau.
„Es tut mir leid“, sagte Jonas, als sie durch den Stadtpark liefen und Enten sahen, die zwischen Eisschollen über einen Teich paddelten. Zuckerguss klebte an den Ästen der Bäume. „Ich meine … Ich wusste nicht … Ach, Scheiße. Ich hab einen Fehler gemacht. In jedem Fall. Es war deine Party, es war dein Schrank. Wir, naja … Die Sache ist, ich wusste nicht, dass du verliebt in mich bist.“ Es klang falsch, obwohl er wusste, dass es stimmte. „Ich meine, ich wollte dich nicht verletzen. Wirklich nicht.“
Michelle weinte wieder, sie lehnte an Jonas Schulter und stumm flossen die Tränen und stumm fuhren seine Finger durch ihr Haar. Der Lavendelduft war verschwunden. Er suchte eine Parkbank, wischte den Schnee von den Brettern. Sie setzten sich. Langsam kroch die Kälte durch seine Hose.
„Und jetzt?“, frage Michelle und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. „Was wird aus uns?“
„Ich kann nicht. Ich meine Mirco steht auf dich.“
Sie lachte, mehr hysterisch als froh. „Das weiß ich doch.“
„Du weiß es?“
„Natürlich, wie sollte ich nicht. Aber was hilft das? Er ist ein süßer Kerl, aber ich will nichts von ihm.“
Sie versuchte Jonas zu küssen, tastete mit ihren Lippen nach seinen Mund. Sanft schob er sie zurück, hielt ihr Gesicht auf Abstand.
„Bitte. Es hilft Mirco doch nicht. Er ist eh außen vor. Bitte, für mich.“
Ihre Zunge war zaghaft, ihr Lippen scheu. Ihre Finger tasteten über seinen Rücken, hielten ihn fest. Jonas roch den Duft ihrer Haut, ihrer Kleidung. Er löste sich von ihr. Ein Speichelfaden, silbrig glänzend, verband ihre Münder, spannt sich und riss, und hing wie Spinnenseide an Michelles Kinn – sie wischte ihn fort. „Danke.“
Sie gingen ins Kino und ein Café, und Michelle hing an Jonas Lippen, seinen Augen, seinem Arm, verzweifelt bemüht, das Gespräch am Laufen zu halten, brachte Thema auf Thema und umschiffte dabei alles, was Mirco berührte oder Jonas Mädchen.
Es wurde Abend, sie fuhren nach Hause. Auf dem Bahnhof, unter dem blau-kalten Licht einer Laterne, fragte Michelle: „Willst du mich nicht mit zu dir nehmen?“
Im Haus brannte kein Licht, sein Vater war fort, Essen vielleicht oder auf einem Konzert in der Stadt, Mozart, Brahms, Vivaldi. Sie aßen Aufbackpizza und Jonas putzte sich die Zähne, bevor er mit Michelle auf sein Zimmer ging.
Als Schatten lehnte die Tanne an der Wand. Die Luft roch verbraucht, er hatte am Morgen nicht gelüftet. Er küsste Michelle und führte sie zum Bett. Zögernd legte sie sich hin und er öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke, schob ihre Bluse hoch. Als seine Finger ihren Bauch berührten, begann Michelle zu zittern. „Alles in Ordnung?“ Sie nickte, doch das Zittern blieb, auch als sie nackt war und er ihren Körper streichelte und zärtlich ihre Brüste biss. Ihre Liebesschreie waren spitz und hoch und als Jonas sie zum Abschluss küsste, weinte sie wieder.

Beim Erwachen sah Jonas Michelles Augen, katzengrün, mit großen Pupillen, in die Sonnenlicht Reflexe malte.
„Wie spät ist es?“
„Fast elf. Du hast lange geschlafen.“ Sie lächelte, streichelte seine Wange – sachtes Kratzen von zu langen Fingernägeln. „Kann ich dein Badezimmer benutzen?“
„Natürlich. Fühl dich wie zu Hause.“
Sie stand auf, nackt, ohne Scham und hüllte sich in Jonas weinroten Morgenmantel, der neben der Tür hing, bevor sie das Zimmer verließ.
Jonas blieb liegen, genoss die Wärme im Bett, das Schneeglitzern vorm Fenster, und fühlte sich als trete er aus einem Kino ins Licht, das Leben war realer denn bisher. Er stand erst auf, als Michelle wieder kam, mit frisch gewaschenen Haaren und dem Geruch seines Männer-Shampoos. Er zog seine Freizeitsachen an.
„Jetzt siehst du ganz anders aus. Weniger ernst. Aber die Sachen stehen dir.“
„Komm, wir frühstücken. Mein Vater müsste bald kommen.“
Sie deckten den Tisch, als sein Vater die Treppe hinab ins Erdgeschoss kam. Er stutze einen Augenblick, lächelte dann. „Guten Morgen.“
„Das ist Michelle.“ Sein Vater gab ihr die Hand.
Beim Frühstück sprachen sie über die Schule, das Wetter, die Party – harmloses Plaudern, glückliches Plaudern.

Sie suchten in der Stadt nach einem Jackett für Jonas – ihm schwebte ein Grauton vor, einen Nuance heller als Schiefer, den sie nicht fanden. Halb belustigt, halb genervt, stichelte Michelle: „Du bist schlimmer als die Mädchen, die ich kenne. Meinst du, wir werden bald fertig? Mir tun nämliche die Füße weh.“
„Ein Laden noch.“
Wieder tauchten sie in trockene Heizungsluft, in das Gedränge von Mänteln, Jacken und Mützen, musterten im Eildurchlauf die Regalreihen und fanden nichts. Vor dem Kaufhaus, in der Kälte, die angenehm war und erfrischend, küsste ihn Michelle. Ihre Lippen waren rissig, sie benutze keinen Balsam.
Aus dem Augenwinkel sah er Mirco, grüne Jacke mit Kunstpelzkapuze, bleiches Gesicht – es wandte sich ab, verschwand zwischen den Passanten.
„Scheiße.“
Er lief Mirco nach, zwischen Menschen hindurch, die ihm wütend hinterherriefen, überflog hastig Gesichter und Jacken, fand seinen Freund schließlich wieder, allein auf einer Treppe zur U-Bahn. Im Geruch von kaltem Stein und Bier, holte er Mirco ein.
„Es tut mir leid.“
Mirco blieb stehen, aber wandte sich nicht um – Jonas sprach mit seinem Hinterkopf, seiner Kapuze.
„Ist das alles, was du kannst? Dich nachher entschuldigen? Scheiße, was soll das?“ Er sprach zu leise, war nur ein Flüstern gegen das Gitarrenspiel eines Straßenmusikanten, gegen Absatzklackern auf Stein und dem Zischen der einfahrenden U-Bahn – blaue Wagons, gelbes Licht in den Fenster und braune Sitze.
„Ich … Sie wollte mich. Ich meine sie, weiß, was du fühlst, und sie wollte mich.“
„Ist ja nicht so, als hätte sie sich groß aufdrängen müssen.“ Er drehte sich um, Tränen in den Augen, Rotz auf der Lippe, und die Stimme noch immer ein Flüstern. „Ach, Scheiße. Ich dachte, du könntest einmal anders sein. Ich dachte, du könntest einmal nur mit einem Mädchen befreundet sein. Ich dachte, sie bedeutet dir etwas.“ Er wandte sich ab und stieg in die U-Bahn.
Jonas Handy klingelte. Es war Michelle, sie klang besorgt, fast panisch. „He, was ist los? Wo bist du?“
„An der U-Bahn, kommst du her?“
Sie rannte ihm entgegen, warf sich um seinen Hals, als hätte sie ihn ewig nicht gesehen.
„Was war denn los?“
„Mirco hat uns gesehen.“
Ihr Lächeln verblasste. „Wir hätten es ihm irgendwann sagen müssen.“
„Ja.“
„Ich meine, ich liebe nun mal dich, nicht ihn. Da ist für ihn nichts zu machen.“
„Nein, natürlich nicht.“
„Und wir haben ja noch uns.“
„Ja.“
Abends, als sie mit einander schliefen, musste Jonas an Mirco denken, seinen Hinterkopf und seine Kapuze.

Und wieder Schule: Morgens stand Michelle am Haupteingang, winkt Jonas zu, gab ihm einem Kuss und hatte dabei viel von der Glückseligkeit verliebter 15-Jähriger. Jonas kam meistens zu spät oder superknapp zur Schule, aber sie wartete auf ihn und wünschte ihm Glück für den Tag, bevor jeder in seinen Kurs verschwand. Jonas schrieb weiter gute Noten. Nur in Englisch störte „das Turteln mit Ihrer Sitznachbarin“ seine Mitarbeit. Alle lachten, alle außer Lisa.
Einmal hatten sie Sex in einer Mädchentoilette, im Keller unterm Sporttrakt. Es war Nachmittag und sie warteten auf ihre letzten Fächer des Tages – 45 Minuten Zweisamkeit. Michelle schlug die Sache vor und sah auch nach, ob die Toilette frei war. Das Ganze war mehr Kichern als ernsthaft und Jonas wusste im Nachhinein nicht recht, ob sich der Aufwand gelohnt hatte.
Mirco streifte Jonas Blickfeld nur am Rande. Wenn Jonas auf ihn zuging, wich er aus, verschwand zwischen den Schülern auf dem Pausenhof, oder in einem Klassenzimmer. Sein Gesicht blieb dabei stets ausdruckslos, als erkenne er Jonas nicht – ein Fehler und 13 Jahre Freundschaft vorbei.
Am Freitag schlief Michelle wieder bei Jonas.

Vor Tagesanbruch erwachte Jonas. Er war müde und konnte nicht schlafen. Sein Zimmer war ein Aquarium voller Schatten, die Möbel Unterwassergeröll.
Neben ihm lag Michelle – 57 Kilo Fleisch, Knochen und Organe, 15 Atemzüge pro Minute. Ihre Fingerspitzen berührten seinen Arm, Wärmepunkte auf seiner Haut. Er unterbrach den Kontakt, zog sich zurück, bis an den Rand des Bettes, spürte den kalten Lufthauch, der unter die Decke kroch.
Im Schlaf wirkte Michelles Gesicht kindlich, als treibe ihre Vergangenheit an die Oberfläche, ein Mädchen von 12 Jahren, das kicherte, wenn es über Jungs sprach. Augenblicksvorstellung – Jonas sah sich als Pädophilen, über Spielplätze streifend, vor Schulen wartend, auf der Suche nach kleinen Mädchen, Mädchen die Unterhaltung sind für ein paar Stunden.
Langsam verkümmerten die Schatten, sickerte Licht durchs Fenster, und Jonas hörte erste Vogelstimmen und Autos auf der Straße. Er stand auf, fröstelnd in der kühlen Luft. Aus dem Kleiderschrank griff er sich Boxershort und Socken und verschwand ins Badezimmer.
Auf dem Brett unterm Spiegel standen Michelles Hygieneartikel – Zahnbürste und Kamm, kaum Kosmetika. Kalt lief das Wasser über seinen Kopf und seinen Körper. Er schloss die Augen, spürte wie seine Gedanken gefroren, für einen Augenblick blieb nur die Kälte. Er seifte sich ein, wusch seine Haare. Mit blauen Händen und endlich wach, verließ er die Dusche.
Er weckte Michelle und während sie sich duschte und aus Zahlen und Fleisch wieder zum Mensch wurde, zog er sich an und machte das Bett, schüttelte Decke und Kissen aus.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte Michelle, als sie zu zweit beim Frühstück saßen – sein Vater schlief noch. „Du bist heute so still.“
„Doch, doch. Alles in Ordnung.“
Sie strahlte ihn an – niedliches kleines Puppengesicht, trotz Pulli mit Zombiepanda. „Was machen wir heute? Ich wäre für Kino. Oder Theater. Die eine Inszenierung soll doch so gut sein. Wie hieß die nochmal?“
„Ach, ich weiß nicht. Ich hab nicht wirklich Lust.“
Ihr Lächeln wurde Besorgnis.
„Ist wirklich alles okay?“
„Ja. Ich hab nur etwas Kopfschmerzen. Ich glaub, ich leg mich lieber hin und ruf dich nachher an.“
„Versprochen?“
„Ja.“
Sie wünschte ihm „gute Besserung“, als sie ging, und küsste ihn. Der Rest des Tages war Lernen.

„Du hast mich nicht angerufen.“
Jonas an seinem Schreibtisch, hielt sich das Handy ans Ohr.
„Ja. Tut mir leid.“
„Du hast es mir versprochen.“ Im Hintergrund hört Jonas Autos fahren und Menschen sich unterhalten – eine Straße in der Innenstadt.
„Wie gesagt, es tut mir leid. Kann doch mal passieren. War keine Absicht.“ Mit Daumen und Zeigefinger massierte er seine Schläfen, als hätte er Kopfschmerzen, kriechende Migräne.
„Ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Weshalb denn? Was soll passiert sein?“
Sie antwortete nicht, aber er wusste, was sie meinte.
„Hör mal, ich muss mich nicht von der kontrollieren lassen. Ich muss mich nicht ständig bei dir melden, damit du das Gefühl hast alles sei in Ordnung.“
„Das hab ich doch gar nicht gemeint.“ Ihre Stimme klang zittrig und Jonas musste an ein Reh denken, das im Wald steht, mit großen Augen und zerbrechlichen Beinen, ein Reh, das fürchtet, die Kontrolle zu verlieren – Bambi in schwarz und Killernieten.
„Weißt du, das kotzt mich an. Dieser Verdacht, ich könnte eine Andere haben. Meinst du ich könnte mich nicht zurückhalten? Meinst du ich wäre nur hinterm Sex her? Dass für mich nur die Zahl der Orgasmen zählen und die Mädchen gar nichts? Das du mir egal bist?“ Er redete sich in Rage, schrie jetzt fast, dabei wusste er selbst kaum weshalb. In seltsamer Distanz beobachtete er sich selbst dabei, wie er sich echauffiert, mit der Hand fuchtelte, als könnte Michelle ihn sehen.
„Entschuldige … Ich …“
„Sei still.“
Sie schwieg und nur das Hintergrundrauschen blieb und ihr Stoßatem, ein Schniefen.
„Ach Scheiße. Mir reicht’s.“
Jonas legte auf, sah aus dem Fenster, wo nichts passierte, nur Wolken am Himmel, watteweiß und langweilig.
Sein Handy klingelte, er ging nicht ran.

Die Zeit schien Blasen zu werfen, träge wie Schlamm, wie Sirup. Jonas wollte lernen und konnte schon alles. Im Minutentakt sah er auf die Uhr, sah auf den Himmel, der noch immer hell war und voller kleiner Wolken, fast wie im Sommer, und kein Abend in Sicht. Wieder durchblätterte er seine Hefte, seine Bücher und sah nur, was er schon wusste. Er gab es auf, setzte sich zu seinem Vater vor den Fernseher. Sie sahen Dokumentationen ohne Inhalt, Casting-Shows ohne Talent. Es wurde Abend, sie gingen Essen.
Auch in der Schule schien die Zeit von Gicht befallen, schleppte sich einem Krüppel gleich dahin. Jonas sprach mit niemandem, niemand sprach mit Jonas. Er bekam weiter gute Noten für geringen Aufwand und später sah er fern und ging früh ins Bett. Er schlief 10 Stunden am Tag.

Und wieder war Wochenende. In der Nacht war Schnee gefallen, aber jetzt war der Himmel blau und leer. Jonas verließ sein Zimmer, nahm die Leiter zum Boden. Helles Holz unter seinen Händen, seinen Füßen. Unterm Dach roch es kalt, nach Moder und Staub und Jahre alten Erinnerungen. Schatten hingen wie Wolken zwischen den Dachsparren. Nur durch ein Fenster fiel Licht. Ganz am Ende stand ein Schrank aus Nussbaum, sonst wirkte der Boden leer – ein paar Kisten an der Seite, eine vergoldete Lampe, der Rest war poröser Beton. Jonas ging zu dem Schrank, kramte seine Skiausrüstung hervor, letzten Winter gekauft und nie benutzt. Fast schnitt er sich an den Kanten der Ski.
„Was machst du?“ Die Stimme seines Vaters klang seltsam weit entfernt.
„Ich fahr morgen in die Berge.“
„Okay.“ Die Stimme verschwand und wieder herrschte Stille.
Jonas zog sein Handy aus der Tasche, wählte Mircos Nummer. Monotones Tuten, laut und anhaltend.

 

Hallo Kew,
ich habe deine Geschichte schon gestern gelesen und wollte sie nicht kommentieren, weil sie mich so eigentümlich ratlos hinterlassen hatte.

Ich finde sie nämlich auf der einen Seite sehr, sehr schön. Und ich habe echt nicht mehr aufgehört zu lesen. Die ganze Zeit.

Aber am Anfang haben mich die Figuren, besonders der Jonas genervt.
Die drei, wie sie da in der Disco stehen, sie sind wie aus dem Bilderbuch. Der Vorabendserienschnösel (nimms bitte nicht so tragisch, aber daran hat mich besonders der Jonas am Anfang erinnert). Die Metalerin. Einzig der Mirco war für mich auch da schon ein bisschen anders mit seiner leisen Stimme.
Das nicht so gefallen der Figurenzeichnung geht dann bis zu der Stelle, wo du schreibst:

Kurz bevor er einschlief, im Zustand kognitiver Zersetzung, erinnerte sich Jonas an Wintertage in den Bergen, an grelles Licht und klare Luft, an das Knirschen der Skier im Schnee, und die Schuhe, in denen er ging wie mit Klumpfüßen, an seinen Vater, der am Fuße eines Abhangs stand und lachte und seine Mutter neben ihm beschattete die Augen mit der Hand und winkte. Das war vor der Scheidung gewesen.
Alles ein bisschen zu sehr überfrachtet und nach einem Muster: Reicher Typ, kaltes Elternhaus, gut in der Schule, coole Kleidung, behandelt die Mädchen wie Dreck und sehnt sich dennoch nach Liebe. Und natürlich: die Eltern geschieden. Ach deshalb ist eer so. Das war mir ein bisschen zu viel alles. Zu überladen. Schau doch mal, was andere dazu schreiben, vielleicht ists ja auch einfach nur mein persönlicher Geschmack.

Ab dann fand ich es klasse. Du wolltest den Jonas ja unangenehm mit ein paar rosa Einsprengseln zeichnen und das ist dir auch gelungen. Er kommt, auch wenn man ihn nicht aburteilen mag, weil er auch zu traurig, zu gebrochen wirkt, negativ beim Leser an. Kotzbrocken mit Romantik. Ja, das hast du auf jeden Fall geschafft, der Junge ist wirklich ein Arsch, dem man ein bisschen Chili in die Boxershort schmuggeln möchte. Auch wie er dann später das Metal-Mädchen abwehrt. Das hast du übrigens aus meiner Sicht toll gemacht. Hier wirkt er immer noch fies in dem, was er tut, aber er selbst wirkt dann schon anders als am Anfang, nicht so klischeehaft. Er sieht ja auch das, was er anrichtet. Die ganze Wandlung, die Jonas durchläuft, weg von dem hohlen Verhalten ganz am Anfang hin zu dem Entschluss, Skifahren zu gehen und seinen Freund wieder haben zu wollen. Das ist dir gut gelungen und das hat mich permanent am Lesen gehalten. Dafür ein Komliment.

Stilistisch hast du mich im Übrigen schon von Anfang an dabei gehalten.
Du malst manchmal wirklich sehr schöne Sprachbilder. Schon allein, wie du die Zeit beschreibst, das gefällt mir allermeistens sehr gut. Oder wie du mit den Düften spielst, das ist sehr schön und so ein bisschen anfassmäßig.

Ich habe übrigens noch jede Menge Anmerkungen zu speziellen Stellen. Ich fang mal vorne an, wo auch sonst, wenn du Lust hast, später mehr. Viel werd ich nämlich jetzt nicht mehr schaffen, die Arbeit ruft leider ziemlich laut.

Zu dritt standen sie an der Bar, jeder mit Cocktail, und tranken auf die Zukunft. Im Stroboskoplicht wurde ihre Bewegungen zu Daumenkino.
Über den Gästen, den halbnackten Frauen, den männlichen Männern, stand der DJ auf einer Plattform, die an Seilen von der Decke hing, und spielte zum Tanz.
entweder wurden ihre Bewegungen oder wurde ihre Bewegung.
Ich plädiere hier für den Singular, klingt vom Takt her besser.
männlichen Männern:D
Cool, find ich gut hier die Verdopplung.Auch das Daumenkino gefällt mir.

„Was machen wir eigentlich hier?“, fragte Michelle, die Metalerin war und mit der gespielten Musik nichts anfangen konnte. Auch ihre Kleidung fiel aus dem Rahmen, nicht knappes Top und kurzer Rock, sondern Armeehose und Springerstiefel.

Das Fette würde ich hier streichen. Das erfährt man aus der Tatsache, dass sie die Musik nicht mag und ihrer Kleidung. Dass sie vom Schnöseljonas absticht, wird absolut deutlich. Außerdem schreibst dus später nochmal bei ihrem Geburtstag.

Ein Lächeln spielte über Jonas Lippen, halb Schalk, halb Frivolität
Das ist so ne Stelle, wos mich schüttelt. Das ist mir too much. Aber wie gesagt so eine Einzelheit, das kann auch Geschmack sein.

Und hast du schon eine?“ Mircos Stimme blieb ein relatives Flüstern. Dabei ging auch der Emotionsgehalt verloren – Jonas brauchte immer dessen Gesicht, um zu wissen, ob sein Freund ernst war, scherzhaft oder traurig.
Das klingt für mich wie aus dem Reagenzglas, zu distanziert.

Für fast eine Minute stand er hinter ihr, spielte den Beobachter. Sie tanzte schlechter als ihre Freundinnen, die, ihrem Können nach, wohl einem Verein angehörten, aber noch immer aufreizend genug
Ich weiß, du willst damit zeigen, dass die Lisa recht ordentlich tanzt, aber das hast du schon gesagt. Ist hier überpräzise, ist überflüssig. Als Info auch nicht weiter nötig, was ihn anzieht, ist deutlich.

Jonas glaubte, zwischen Körperschweiß und Pheromonen, ihr Parfum zu riechen, Lavendelduft an einem Sommertag. Natürlich war er sich der Konditionierung bewusst: Sein erstes Mädchen hatte er am Rande eines Lavendelfeldes geküsst - gerade war ein Regenschauer vorüber gegangen, der Lavendelduft mischte sich mit dem Geruch von frisch gewaschenem Asphalt und dem Aroma ihrer sonnenheißen Haare und überall das Summen von Bienen und ihr Mund schmeckte nach Pfirsich. Er vertrieb die Erinnerung und tippte Lisa auf die Schulter. (...) Als er sie küsste, schmeckte er nicht Pfirsiche, sondern Alkohol und Zigaretten. Es störte ihn kaum, Lisa küsste besser, als sie tanzte.

Das ist hier so eine Stelle, wo du mit den Düften spielst. Der Jonas, der Lavendel will und Alkfahnen kriegt. Schön, Daumen hoch.
Doch eine Stelle gebe ich zu bedenken: die Fette mal wieder.

.... der Konditionierung bewusst, das ist mir wieder so ein bisschen methodisch. So labormäßig. Sicherlich willst du ja die ständige Distanz, die der Jonas spürt, deutlich machen, und das finde ich ja auch gut, aber du bist sprachlich so versiert, kannst du das vielleicht anders machen? Hihi, ich kling echt grad anspruchsvoll. Wie immer bei solchen Stellen, ich weiß oft selbst nicht, ob das jetzt nicht doch auch Geschmack ist.

So und falls du noch nicht die Schnauze von mir voll hast, kriegst du noch einen Nachschlag im guten :thumbsup:wie im schlechten Sinne :baddevil: zum Resttext. Wenn du das möchtest.

Ich habe deine Geschichte insgesamt gesehen auf jeden Fall sehr genossen. Selbst das Kommentieren macht richtig Spaß.
Tschüs
Novak

 

Hey Kew,

ich kann mich da Novaks Kommentar in weiten Teilen anschließen, nicht nur aus Bequemlichkeit. In vielen Punkten müsste ich einfach wiederholen, was sie geschrieben hat. Also dass es schön geschrieben ist, ich habe den Eindruck, dass du nach neuen Bildern für altbekannte Themen suchst, und dass es dir meistens gut gelingt, manchmal sogar sehr gut und relativ selten habe ich das Gefühl, irgendwas geht gar nicht.
mit der Figurenzeichnung bin ich hin- und hergerissen. allein vom Setting hast du dir die Latte schon mal ziemlich hoch gehängt: Ein Discoabend mit Strobo-Licht. Da werden einige schon ein Gähnen unterdrücken müssen, bevor sie den ersten Absatz überhaupt gelesen haben. das gehört in der Kombi wahrscheinlich zu dem meistbeschriebenen Umwelten der letzten Jahre in einem bestimmten Alter. ich glaube daran, dass man auch aus abgegriffenen Szenen und Charakteren noch neues Leben ziehen kann, dass man sie mit den richtigen Mitteln zum Leben erwecken kann. aber es ist natürlich viel schwieriger, als wenn man etwas relativ Neues auftut, wo die Leser schon aus Interesse dranbleiben, weil sie davon noch nichts gehört haben, oder ein Bisschen und jetzt mehr erfahren wollen. du hast hier den schwierigen Weg gewählt. und ich hatte hier den Eindruck, dass der Text immer mal wieder ins Klischee abdriftet, das ist so ein großes, immer wieder zitiertes Wort - bei mir bedeutet das, dass es mir beim Lesen schwerfällt zu folgen, Interesse und Aufmerksamkeit beizubehalten, wenn zu viele solcher Stellen auftauchen, ob jetzt stilistisch, inhaltlich, dann erwische ich mich beim Lesen der Absätze, ohne überhaupt den Inhalt aufzunehmen. hier habe ich noch mal zurückgelesen, und schöne Sequenzen gefunden, um die es schade gewesen wäre. ich weiß nicht - ist es dir nicht aufgefallen, dass du die Themen anfasst, die vom Klischee bedroht sind? oder dachtest du, deine Verarbeitung wäre so, dass es hier nicht zutrifft? oder hast du festgestellt, dass es in der Realität genau so aussieht, und - Klischee hin oder her - du willst das Leben beschreiben, wie es ist, und dich nicht vom Klischee vom Klischee aufhalten lassen?
sehr gut gefiel mir die Besonderheit des Mirko, dieses leise Sprechen. in positiver Erinnerung ist mir noch die Beschreibung des Zusammenlebens von Vater und Sohn, der Gespräche. überhaupt hat Jonas im Laufe der Zeit Profil gewonnen, nachdem ich zu Beginn fürchtete, der würde als Pappkamerad enden, das ist jetzt nicht so. das stellenweise zu deutlich gemachte Thema ist ja eins, das in der einen oder anderen Maskierung bei mir auch immer mal wieder auftaucht, daher bin ich da sicherlich ungewollt noch subjektiver als üblich. dieses Thema in dieser Umwelt mit diesen Figuren, das ist schon eine Mischung, Novak hat das gut zusammengefasst:

Reicher Typ, kaltes Elternhaus, gut in der Schule, coole Kleidung, behandelt die Mädchen wie Dreck und sehnt sich dennoch nach Liebe. Und natürlich: die Eltern geschieden.
wobei ich mir in dem Punkt, dass er sich nach Liebe sehnt, gerade nicht so sicher bin. den Eindruck hatte ich gestern nicht. aber diese Zusammenstellung an sich ist als literarischer Steinbruch natürlich schon
schwer ausgebeutet. das soll ja niemanden aufhalten, wenn man der Meinung ist, dazu noch was zu sagen zu haben, und in der Lage ist, etwas kreatives oder originelles beizufügen oder im besten Fall eine komplett neue Sichtweise auf etwas scheinbar Altbekanntes zu generieren, sodann!
das braucht ja auch Zeit, ich rede jetzt gerade von mir, weil ich solche Mischungen auch habe und hatte, und mir häufig da ebenfalls Klischees angekreidet wurden. vielleicht muss man da mal durch, sich an denen abgearbeitet haben, bevor man an die schönen Steine kommt, die tief im Berg verborgen sind, bei denen die Formen schon im Stein liegen, und wo man nur noch drum herum meißeln muss, um das Überflüssige abzutrennen.
sehr gut gefiel mir mal wieder der Titel, die gelingen dir gut, denke ich. und gelesen habe ich es trotz des bisweilen lähmenden Klischee-Gefühls sehr gern, weil das sind ja auch so sprachliche Haltungen und Themen, die mich sehr interessieren, weißt du ja.

Grüße,
Kubus

PS: Daumenkinoprosa - so hat man in einem Aufsatz Bolanos Prosa bezeichnet, die ihre Wirkung erst bei einer gewissen Lesegeschwindigkeit entfaltet ... viel mir ein wegen deines Daumenkinos. :)

 

Mit dem ersten Sonnenlicht erwachte Jonas. Neben ihm lag ein fremder Körper, das Gesicht verquollen vom Schlaf, mit verwischtem Lidschatten und wirrem Haar. Alter Schweiß und billiges Rosenparfum klebte an der Haut. Fauler Atem strich über Jonas Mund,
allein schon dieser kleine Abschnitt,

lieber Kew,

zeichnet das für mich entscheidende Bild Deiner kleinen ethnologischen Studie von elf Seiten (darum kann ich dergleichen nicht unter Bedingungen eines von Söhnen Osmans geführten Internetcafés beackern), die ich nicht nacherzählen werde, wohl aber die verborgene, vielleicht Dir gar nicht bewusste Zivilisationskritik im Hier & Jetzt der modern und jugendlich, vor allem aber elitär sich gebenden Schichten der mehr als Wohlhabenden & Schönen darstellen:

Es ist Ekel und Langeweile gegenüber natürlichen Erscheinungen, wie dem eigenen und darum natürlichen Geruch - man kann sich uneingestanden selbst nicht riechen - der durch künstliche Düfte übertüncht werden muss und dann doch nur den Jäger und Sammler in uns verbergen soll, der hier durch Jonas & friends verkörpert wird, den schon die Vorstellung schweißtreibender produktiver Arbeit ekelt.

So etwas kann Dir auch nur einer sagen, der einen regennassen, muffig stinkenden Wolfabkömmling immer noch als seinen besten Freund ansieht und es für natürlich hält, dass dieses Derivat der Zivilisation sich zur Tarnung in Scheiße (vom Schaf bis zum Durchfall des Joggers, der wohl seine Bein- & Armmuskulatur, nicht aber seine Schließmuskeln im Griff hat und damit einen Zivilisationsbruch sich gestattet, den er dem Hund verweigert, zumindest aber erwartet, dass der Hundeführer dafür sorge, dass seinesgleichen nicht in dergleichen mit seinem edlen Schuhwerk gerate).

Aber erschreckend find ich eher, dass Du formal auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückgefallen bist – was zu einer endlosen Auflistung führen würde, dass ich mich auf einiges beschränke, denn selbst der Kleinkrämerseele wurd’s zu viel!

In der Reihenfolge ihrer Erscheinung:

Zu dritt standen sie an der Bar, jeder mit Cocktail, und tranken auf die Zukunft. Im Stroboskoplicht wurde ihre Bewegungen zu Daumenkino,
worauf Novak meint
entweder wurden ihre Bewegungen oder wurde ihre Bewegung./ Ich plädiere hier für den Singular, klingt vom Takt her besser.

Liebe Novak,

da geht’s gar nicht anders als im Plural – schon allein wegen des vorherigen Satzes. Natürlich ließe der sich auch abändern … aber warum?

…, den männlichen Männern, …
Klingt wie Stottern oder Stolpern. Wie wär’s mit „kernigen Männern“ oder „männlichen Kerlen“ oder kürzer und ohne schmuckem Adjektiv auf den Begriff gebracht: „Machos“.

Selbst wenn heavymetal korrekt ist -

Metal[l]erin
ist Denglish, kein Englisch mehr!, wie später auch
Metal+l+er
!
Schreibt sich nicht sogar Metallica mit doppeltem l?

„Als würde das helfen.“, sagte Michelle …
Punkt zum Abschl. D. wörtl. Rede entbehrlich … Kommt öfters vor, als nächstes mit
Nun sag schon.“, sagte Jonas …,
was auch nur wegen der entlaufenen einleitenden Gänsefüßchen hier außer der Reihe aufgeführt wird.

„Bin ich nett zu dir, oder bin ich es nicht?“
Komma wäre entbehrlich …

Er gab ihr einem Handkuss, …
Akkusativ!

„Kalt, was?“, fragt er und betrieb …
Zeitsprung? Ein e entlaufen? Oder nur der Apostroph?

Small-Talk
Inzwischen eingedeutscht & auf gut Denglish: Smalltalk

Hamlets-Monolog
Immerhin kein Genitiv Apostroph, aber warum der Bindestrich?

…, zupfte manche Exemplare probeweisen heraus.
Probeweise schafft’s auch ohne n.

„Tut mir leid. Beim nächsten Mal.
Da fehlt was … Diesmal am Ende der wörtl. Rede.

„Hilft du mir?“
Hilf+s+t

Er legte ihr die Kette um den Hals, strich ihr Haar beiseiteKOMMA um den Verschluss sehen zu können

„Weiß nicht, ich hab mir keine Frist.“
Was mag das für ein Satz sein?

… eigentlich geht es darum, denn Anderen zu verstehen und …
mein ich auch, doch mag's für heute genügen. Da gibt’s nur eins:

Durchsehen!

Korrigieren!

Als Ethnostudie könnt ich gar die Schnitzer als Beleg ansehen, dass Konzentration jungen Leuten abhanden kommt durch kulturindustrielle Ablenkung.

Ich weiß, dass es besser geht!

Trotzdem & trotzdessen
Gruß vom

Friedel

 

So, will ich mal anfangen:

@Novak

Ich finde sie nämlich auf der einen Seite sehr, sehr schön. Und ich habe echt nicht mehr aufgehört zu lesen. Die ganze Zeit.
Das freut mich natürlich. Dann ist ja das Hauptziel erreicht.

Aber am Anfang haben mich die Figuren, besonders der Jonas genervt.
Die drei, wie sie da in der Disco stehen, sie sind wie aus dem Bilderbuch. Der Vorabendserienschnösel (nimms bitte nicht so tragisch, aber daran hat mich besonders der Jonas am Anfang erinnert). Die Metalerin. Einzig der Mirco war für mich auch da schon ein bisschen anders mit seiner leisen Stimme.
Ja, da du es sagst, muss ich dir Recht geben. Der Jonas kann nerven. Ist am Anfang sehr einseitig dargestellt: rein über seine Baggerei und noch seine Kleidung. Bei Metalerin ist das Problem, dass sie zu gewohlt als Gegensatz erscheint? Nachdem Motto hier ist der eitle Clubgänger und hier die Satanistin?
Das Mirco mit der leisen Stimme funktioniert freut mich. Bei dem hatte ich Sorge, dass er mir zu unbedeutend gerät, da er ja vergleichsweise wenig Raum im Text hat bzw. wenig Dialog. Schön also, dass es dazu wohl nicht kommt.

Alles ein bisschen zu sehr überfrachtet und nach einem Muster: Reicher Typ, kaltes Elternhaus, gut in der Schule, coole Kleidung, behandelt die Mädchen wie Dreck und sehnt sich dennoch nach Liebe. Und natürlich: die Eltern geschieden. Ach deshalb ist eer so. Das war mir ein bisschen zu viel alles. Zu überladen. Schau doch mal, was andere dazu schreiben, vielleicht ists ja auch einfach nur mein persönlicher Geschmack.
Die Anderen geben dir Recht. Und ich dir auch. Ist zuviel, ist zu dick. Aber ich kann nicht viel ändern, ohne, dass die Geschichte für mich eine andere wird. Was ich aber rausnehme ist die explizite Scheidung. Die Mutter ist jetzt einfach nicht da. Kann gestorben sein, oder geschieden, oder auf Weltreise.

Ab dann fand ich es klasse.
Was dann ja der größere Teil der Geschichte ist. :) Problem natürlich, dass gerade der Anfang wenig einladend ist. Also viele wohl gar nicht bis hierher kommen.

Du wolltest den Jonas ja unangenehm mit ein paar rosa Einsprengseln zeichnen und das ist dir auch gelungen. Er kommt, auch wenn man ihn nicht aburteilen mag, weil er auch zu traurig, zu gebrochen wirkt, negativ beim Leser an. Kotzbrocken mit Romantik. Ja, das hast du auf jeden Fall geschafft, der Junge ist wirklich ein Arsch, dem man ein bisschen Chili in die Boxershort schmuggeln möchte. Auch wie er dann später das Metal-Mädchen abwehrt. Das hast du übrigens aus meiner Sicht toll gemacht. Hier wirkt er immer noch fies in dem, was er tut, aber er selbst wirkt dann schon anders als am Anfang, nicht so klischeehaft. Er sieht ja auch das, was er anrichtet. Die ganze Wandlung, die Jonas durchläuft, weg von dem hohlen Verhalten ganz am Anfang hin zu dem Entschluss, Skifahren zu gehen und seinen Freund wieder haben zu wollen. Das ist dir gut gelungen und das hat mich permanent am Lesen gehalten. Dafür ein Komliment.
Toll, das das geklappt hat. Ich hab wirklich versucht, Jonas so etwas wie zwei, vielleicht drei Dimensionen zu geben. Mir ist nämlich aufgefallen, dass meine Perspektivträger meistens die Figuren sind, die am uninteressantesten sind. Die stehen mehr am Rande und ihre "Gegenspieler" sind die, die die Handlung voranbringen, die aktiv sind und komplex. Da hab ich versucht rauszukommen oder zumindest den Anfang zu machen. Dazu gehört auch die Entwicklung. Ach, ich freu mich.

Stilistisch hast du mich im Übrigen schon von Anfang an dabei gehalten.
Du malst manchmal wirklich sehr schöne Sprachbilder. Schon allein, wie du die Zeit beschreibst, das gefällt mir allermeistens sehr gut. Oder wie du mit den Düften spielst, das ist sehr schön und so ein bisschen anfassmäßig.
Und wieder bin ich froh. Vielleicht setzte ich zuviel darauf und vergesse darüber andere Dinge, aber die Sprache ist mir sehr wichtig.

Deine Detailanmerkungen hab ich eigentlich alle übernommen. Nur bei den Sachen mit der Distanz muss ich noch überlegen. Die sind eben gewollt. Vielleicht fällt mir noch was ein, was ein Mittelweg ist.

Und falls du möchtest, hätte ich natürlich gerne mehr.

Vielen Dank dir fürs Lesen und Kommentieren.

Gruß,
Kew

PS.: Später/die Tage mach ich weiter. Jetzt muss ich los.

 

Hey Kew,

der Anfang hat mir gefallen, darum lese ich weiter und schreibe mal mit.

Zu dritt standen sie an der Bar, jeder mit Cocktail, und tranken auf die Zukunft. Im Stroboskoplicht wurden ihre Bewegungen zu Daumenkino.

Das ist ein schönes Bild und es wirkt wie ein Versprechen auf eine hübsche Geschichte.

Über den Gästen, den halbnackten Frauen, den männlichen Männern, stand der DJ auf einer Plattform, die an Seilen von der Decke hing, und spielte zum Tanz.

Die männlichen Männer mag ich nicht. Weil es eine Wiederholung ist, und weil du damit auch die halbnacken Frauen (spiegelbildlich) wiederholst. Das wirkt wie Plastik - so bisschen unsolide.

„Als würde das helfen.“, sagte Michelle und begann ein Gespräch mit dem Barkeeper, während Jonas die Tanzenden musterte.

Kein Punkt am Ende der Rede, wenn der Satz danach weitergeht.

Mir ists zu schnell, dass sie da ein Gespräch beginnt, das passt nicht zum Ton. Du berichtest das, ganz objektiv, das ist der falsche Ton. Zu berichtend. Sie könnte ihm ja zuzwinkern, whatever. Aber nicht ... ein Gespräch beginnen.

Jonas grinste. „Ganz genau. Das ist Lisa. Ich hab Englisch und Geschichte mit ihr.“
„Und die lässt dich ran?“
„Ich wette viel darauf. Wie wär’s mit zwei Filmen?“
„Ich verliere doch eh.“
„Deshalb wette ich ja.“ Ein gewinnendes Lächeln, die Handgeste des Nonchalant – Jonas spielte sein Theaterrepertoire.
„Gut, abgemacht. Zeig mir, was du kannst.“

Das ist wohl der Punkt, an dem die Geschichte losgeht. Mir ist der Dialog zu schwach. Da liest man so drüber und denkt sich, jaja, bla bla. Ich habe schon das Gefühl, dass die zwei das sagen, aber ich empfinde es wie Sprechblasen an Leuten ohne Mimik. Da ist kein Pfeffer drin. Als würden sie die Sätze nachsprechen.

Jonas glaubte, zwischen Körperschweiß und Pheromonen, ihr Parfum zu riechen, Lavendelduft an einem Sommertag.

Alle Kommas raus und das letzte durch einen Doppelpunkt ersetzen. Oder du lässt da das Komma. Die ersten beiden sind jedoch überflüssig.

Die Szene im Zug gefällt mir, sie zeig, dass Jonas einfach scharf auf alles Mögliche ist. Vielleicht hätte er sie gerne mit dazu heimgenommen. Dass er dann recht geräuschlosen (und vielleicht langweiligen) Sex hat, weil sein Vater nichts mitbekommen darf, passt gut rein. Es geht ihm nicht um den Sex an sich, er will nur erobern.

„Mein Vater regt sich nur auf, wenn er weiß, dass ein Mädchen bei mir übernachtet hat.“
„Kann ich noch euer Bad benutzen?“
„Zweite Tür links auf dem Gang.

Das ist dagegen ein schöner Dialog. Mit wenigen Sätzen viel erzählt. Er ist routiniert in seiner Absage, das hat er schon öfter so gesagt. Und wo man Protest von ihr erwartet, etwas Mutiges vielleicht, fagt sie nüchtern und sachlich nach dem Bad. Auch sie hat das schon oft so erlebt. Der Hinweis, wo das Bad ist, kommt spontan, ohne Zögern. Man spürt die Distanz zwischen beiden.

Nackt wälzte sie sich auf dem Bett und schien sich zu schämen dabei, denn sie wandte ihm nur den Rücken zu, und ging in die Knie um ihre Klamotten zu sammeln. Ihre Schulterblätter wanden sich unter der Haut. Jonas hörte das Rauschen der Dusche und sah aus dem Fenster, bis Lisa wiederkam, halbwegs gerichtet, im weißen Kleid, das jetzt fehl am Platz wirkte.

Schön!

„Wie war die Nacht?“
„Gut, gut.“, sagte Jonas.
„Willst du sie mir nicht mal vorstellen?“
„Das lohnt sich nicht. Ist nie die Gleiche.“
„Ach so.“

Streich doch das "Ach so", es wirkt so abschwächend. Da geht Spannung weg. Ich denke nicht, dass du hier das Gefühl von Frieden erzeugen wolltest, oder? Das denke ich, weil sie danach schweigen.

Die Zeit zog sich wie Teer, wie Kaugummi.

Zu doppelt.

Zwei Reihen vor ihm saß Lisa. Ihr Haar war heute zu einem Zopf gebunden und fiel über die Kapuze einer weißen Jacke.

Das heute könnte raus.

„Ich frag mich nur, was du an ihr findest.“

Ah, sie will was von ihm? Schön gemacht. Da passt auch dieses Detail rein mit den tanzenden Mädchen mit Totenschädel.

„Ich sag nur diesen Samstag.“

Da würde ein Doppelpunkt gut passen.

Jonas kam erst spät zu Michelles Party - von der Straße hörte er bereits die Musik, die später die Polizei auf den Plan rufen würde, hauptsächlich Metal, mit übersteuertem Bass.

Dieses Foreshadowing kommt überraschend. Da kommt nochmal die Polizei? Ich weiß nicht, ob es mir gefällt. Viele Horrorgeschichten haben das, damit man gespannt wird auf etwas.
Mir würde es etwas subtil besser gefallen. So: Die Musik war so laut, dass man sie noch im nächsten Block hören konnte, und manche Nachbarn schoben schon den Vorhang zur Seite, um zu sehen, woher sie kam.
Erfüllt den gleichen Zweck und man weiß: Hoppla. Aber es erinnert nicht so an Horrorschinken.

„Wie lange willst du das noch machen?“ Michelle saß neben Jonas. Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, der Lavendelduft war betörend intensiv – ein Sommerfeld, ein heißer Tag und weiche Lippen, ein Flattern im Bauch. Mirco saß den beiden auf einem Sessel gegenüber.

Ich mag nicht, dass sie sitzen. Das ist so ... statisch. Da ist doch Spannung! Michelle sitzt neben Jonas, weil sie ihn geil findet. Und Mirco sitzt gegenüber. Alle sitzen.

Inkooperiere das doch: Michelles Kopf lehnte an Jonas' Schulter. Und Mirco könnte die beiden beobachten. Oder so.

Ich bin nicht mal zwanzig.

Schweigend lehnte sie an seiner Schulter

Sie trug einen Rock und auf dem Sweatshirt das Abbild einer knienden Frau mit in den Unterleib gerammter Kettensäge, Blutspritzern und einem grimmig-düstereren Gesichtsausdruck, und die Beschriftung Fuck the Saw.

zupfte ihren Rock zurecht

Die Kleiderschrankszene ist wunderschön. Vor allem, weil du fast ohne Dialog auskommst, sondern nur mit Bildern beschreibst. Die Stimmung ist greifbar, und obwohl du von Schneckenspuren und weinenden Mädchen schreibst, finde ich es nicht schnulzig oder melodramatisch. Das ist auch kein Kitsch, wenn der Mond ihren Schatten in den Schrank wirft, das ist schön, wie so die Kontur ihres Körpers im Schrank ist wie ihre Kleidung, ihr Schatten ist an der Stelle, an der Jonas, den so gerne hätte, gerade eine Freundin von ihr vernascht hat.

den Reißverschluss

und dem Geruch seines Männer-Shampoos

Die Versöhnungsszene ist recht farblos. Ich weiß nicht, weshalb das so wirkt. Vielleicht deshalb, weil die Szene davor zu stark ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass es wirklich einen Austausch, eine Berührung gibt. Ich sehe das alles zwar: Dass er sich wohl fühlt, dass er ihr sagt, sie solle sich fühlen wie zu Hause, aber es knallt nicht. Vielleicht ist jetzt auch die Spannung weg, weil ich nicht weiß, wie die Geschichte weitergeht, und darum schwindet mein Interesse.
Ich denke, es ist nicht wirklich echt, was er da tut. Er empfindet nichts oder nur wenig. Mir ist es nur auf der falschen Ebene zu dumpf. Ich hätte es gern emotionaler, diese Fadheit.

Abends, als sie mit einander schliefen, musste Jonas an Mirco denken, seinen Hinterkopf und seine Kapuze.

Schön! Da wird er greifbar, dieser Spalt zwischen dem Freundschaft zu seinem Kumpel - und der Liebe zu seinem Mädchen.

im Keller unterm Sporttrakt

als treibe ihre Vergangenheit an die Oberfläche, ein Mädchen von 12 Jahren, das kicherte, wenn es über Jungs sprach.

auf der Suche nach kleinen Mädchen, Mädchen, die Unterhaltung sind für ein paar Stunden.

Schöne Szene, auch wenn irgendwie ein Durchhänger ist gerade. Diese traute Zweisamkeit, die du beschreibst, ich weiß nicht so recht, wohin es geht. Gib mir eine Richtung, einen Hinweis aufs Ende, zeig mir den Faden, den roten, oder den springenden Punkt. Spanne den Bogen wieder.

Er schloss die Augen, spürte, wie seine Gedanken gefroren

Jonas sprach mit niemandem, niemand sprach mit Jonas.

Das Ende, da will er ja zurück irgendwie, gleich auf zwei Ebenen. Das ist schön. Allerdings ist mir diese Mutterebene in der Geschichte zu blass. Was ich gut finde, ist: Sie ist da. Die Geschichte hat zwei Konflikte. Und er muss sich auf jeder Ebene mit der Ist-Situation abfinden und damit klarkommen. Was ihm bis zum Ende nicht gelingt.

Er hat ja dieses Scheidungsproblem. Und ich denke, er kann sich nicht von seiner Mutter lösen. Das ist sein Problem. Da ist er nicht frei, was man auch gut an der Skiausrüstung auf dem Dachboden sehen kann. Sie ist da, aber er benutzt sie nicht. Wie eine Verbindung an eine verlorene Vergangenheit. Daher hat er auch die Angst, in seiner Beziehung kontrolliert zu werden, weil er kontrolliert wird. Und anstatt seine Mutter (endlich) aus seinem Leben zu werfen, wirft er immer wieder die Mädchen raus. Und wenn eines bleibt, oder wenn er es versucht, fühlt er sich eingeengt. Dabei ist es die Nähe zu seiner Mutter, die ihn fesselt. Ausfechten tut er den Konflikt aber ganz konkret mit den Mädchen, die er kennenlernt.

Was ich schön fand an deiner Geschichte, das sind die Charaktere. Ich finde, dass sie leben und ich habe nie an ihren Motiven gezweifelt. Sie machen, was sie machen müssen, sie werden durch die Geschichte getrieben bzw. treiben sie im Fall von Jonas selbst voran.

Was mir nicht so gut gefallen hat, war der Aufbau. Manchmal hast du Längen drin, gerade am Ende. Etwas Spannung könnte da helfen. Eine Aussicht auf eine Wende.

Eine schöne Geschichte, die ich sehr gerne gelesen habe.

Einen lieben Gruß,
yours

 

@Kubus

Auch dir vielen Dank für Lesen und Kommentieren.

Also dass es schön geschrieben ist, ich habe den Eindruck, dass du nach neuen Bildern für altbekannte Themen suchst, und dass es dir meistens gut gelingt, manchmal sogar sehr gut und relativ selten habe ich das Gefühl, irgendwas geht gar nicht.
Ja das versuche ich, teilweise wohl etwas zwanghaft, wobei dann die schlechten Sachen rauskommen, die die nicht funktionieren bzw. ich vergesse was anderes.

ich weiß nicht - ist es dir nicht aufgefallen, dass du die Themen anfasst, die vom Klischee bedroht sind? oder dachtest du, deine Verarbeitung wäre so, dass es hier nicht zutrifft? oder hast du festgestellt, dass es in der Realität genau so aussieht, und - Klischee hin oder her - du willst das Leben beschreiben, wie es ist, und dich nicht vom Klischee vom Klischee aufhalten lassen?
Ja, ich und das Klischee. Das hör ich öfter. Wobei das lustige, jedenfalls für mich, ist, dass ich es gar nicht merke, bevor es mir nicht jemand sagt. Denn dass ich glaube, ich könnte gegen Klischees anschreiben, dafür bin ich nicht gut genug. Mit dem Schreiben wie das Leben ist, kommt schon eher hin, aber der Hauptgrund bleibt, ich merke es nicht.
Das Setting, was die Geschichte enthält, beruht auf Sachen, Begegnungen und Ideen, die mich fasziniert haben. Oder einfache Pragmatik. Zum Beispiel ist die Mutter weg, weil ich sie als Figur dann nicht einfügen muss. Solche Sachen tauchen noch öfter auf.

Fazit für mich also: Ich muss meine eigenen Idee stärker hinterfragen. Was eigentlich die Hauptlehre bisher aus dieser Geschichte ist.

sehr gut gefiel mir die Besonderheit des Mirko, dieses leise Sprechen. in positiver Erinnerung ist mir noch die Beschreibung des Zusammenlebens von Vater und Sohn, der Gespräche. überhaupt hat Jonas im Laufe der Zeit Profil gewonnen, nachdem ich zu Beginn fürchtete, der würde als Pappkamerad enden, das ist jetzt nicht so.
Zum Glück haben dir ja auch Sachen gefallen. Und vorallem die, auf die ich diesmal geachtet habe. Was mir Hoffnung macht: Wenn ich meine Fehler/Probleme bemerke und diese versuche zu lösen, kann das auch klappen.

vielleicht muss man da mal durch, sich an denen abgearbeitet haben,
Da hat Nabokov glaube ich etwas zu gesagt: Der erste Roman ist ein Abarbeiten des eigenenen Lebens, erst danach ist man künstlerisch frei.

sehr gut gefiel mir mal wieder der Titel, die gelingen dir gut, denke ich. und gelesen habe ich es trotz des bisweilen lähmenden Klischee-Gefühls sehr gern, weil das sind ja auch so sprachliche Haltungen und Themen, die mich sehr interessieren, weißt du ja.
Vielen Dank dafür. Ermutigt immer, weiter zu machen.
Das mit dem Titel wurde mir schonmal gesagt, ich weiß gar nicht vorher das kommt. Aber ist natürlich schön.

Und ich habe ja das Gefühl, du willst mich drängen, Bolano zu lesen. Werd ich mich bald mal an den "Lumpenroman" machen.

Gruß,
Kew

 

ich will nicht drängen, wofür denn? :-) und wenn Bolano, dann 2666 oder die wilden Detektive, bloß nichts von seinen schmalen Büchern, die sind so mittelmäßig, das ist bei einem Schreiber, der echtes Format bisweilen hat, noch fiel schlimmer als totaler Mist.

 

Nach kleiner Verzögerung geht's weiter.

@Friedrichard

Vielen Dank auf dir für Lesen und Kommentieren.

Deine Interpretation habe ich mit Interesse und Freude gelesen. Ich werde mich wohl nie satt freuen, über die verschiedenen Sichtweisen auf eine Geschichte - zumindest hoffe ich das. Es ist jedesmal von Neuem eine Überraschung für mich.

Das mit der Regression ist natürlich ärgerlich, aber wohl von Zeit zu Zeit unumgänglich (vielleicht auch nur eine Ausrede).

Und auch danke fürs Rausschreiben. Nach dem Urlaub werde ich hoffentlich auch die restlichen Fehler finden.

@yours truly

der Anfang hat mir gefallen, darum lese ich weiter und schreibe mal mit.
Cool, den anderen gefällt er ja nicht so. Aber wenn er dir gefällt, freut mich das.

Die männlichen Männer mag ich nicht. Weil es eine Wiederholung ist, und weil du damit auch die halbnacken Frauen (spiegelbildlich) wiederholst. Das wirkt wie Plastik - so bisschen unsolide.
Hm, dann kommen die raus.

Das ist wohl der Punkt, an dem die Geschichte losgeht. Mir ist der Dialog zu schwach. Da liest man so drüber und denkt sich, jaja, bla bla. Ich habe schon das Gefühl, dass die zwei das sagen, aber ich empfinde es wie Sprechblasen an Leuten ohne Mimik. Da ist kein Pfeffer drin. Als würden sie die Sätze nachsprechen.
Ich sehe das Problem. Vielleicht kürze ich das Ganze. Bringe das Kleid als Beschreibung. Versuche mich im Verdichten.

Ah, sie will was von ihm? Schön gemacht. Da passt auch dieses Detail rein mit den tanzenden Mädchen mit Totenschädel.
Das freut mich. Ich bin mir immer unsicher, was der Leser merkt, was nicht. Ich hoffe das wird im laufe der Zeit besser. Aber das der Leser die Sachlage versteht, bevor es Jonas tut, war genau mein Ziel.

Dieses Foreshadowing kommt überraschend. Da kommt nochmal die Polizei? Ich weiß nicht, ob es mir gefällt. Viele Horrorgeschichten haben das, damit man gespannt wird auf etwas.
Das hängt damit zusammen, dass ich etwas an meinem Sprachstil schrauben wollte. Und der Satz bleibt erstmal drin, den mag ich so.

Die Versöhnungsszene ist recht farblos. Ich weiß nicht, weshalb das so wirkt. Vielleicht deshalb, weil die Szene davor zu stark ist.
Tja. Da habe ich mir wohl ein Eigentor geschossen. Du schreibst ja später noch, dass gegen Ende die Spannung fehlt. Und ich verstehe das jetzt auch, weil der eigentliche Konflikt ja erstmal kolabiert. Sie will ihn, er hat andere Mädchen, dann bekommt sie ihn. Dass es dann doch nicht so ausgeht, hat ein wenig was von Nachtrag und Epilog. Aber da kann ich glaube ich bei dieser Geschichte nicht viel ändern. Das ist nur was zum Lernen und hoffentlich beim nächsten Mal beachten. Überhaupt hab ich ein Problem mit Spannung und Aufbau bzw. ich hab nicht wirklich einen Begriff davon. Das gehört sicher zu den Dingen, die ich mir noch aneignen muss. Nicht umbedingt, weil ich klassisch spannend schreiben will, sowas lese ich auch nicht, sondern weil ich verstehen will, was ich mache.

Dann Interpretation hat mich gefreut. Schön, dass es dir mit der Mutter nicht zu viel war, schön, dass es für dich zur Geschichte gepasst hat.

Aber die größte Freude ist:

Was ich schön fand an deiner Geschichte, das sind die Charaktere. Ich finde, dass sie leben und ich habe nie an ihren Motiven gezweifelt. Sie machen, was sie machen müssen, sie werden durch die Geschichte getrieben bzw. treiben sie im Fall von Jonas selbst voran.
Genau das wollte ich schaffen.

Auch dir vielen Dank.

@Kubus Dann ist ja gerade jetzt die einzige Zeit, die dünnen Dinger zu lesen. Vom Mittelmaß zu fernen Höhen oder so ähnlich. Zu 2666 komme ich vorm Sommer nicht. Erstmal steht Unendlicher Spaß an.

Gruß,
Kew

(Ich habe das Gefühl in meinen Antworten immer das gleiche zu schreiben, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Trotzdem sind mir die Kommentare eine große Hilfe.)

 

Nix zu danken,

lieber Kew.

Ich werde mich wohl nie satt freuen, über die verschiedenen Sichtweisen auf eine Geschichte - zumindest hoffe ich das.
Mehrdeutigkeit ist immer ein Qualitätsmerkmal und ich habe zwar keine Abscheu gegen Mathematik (die ja i. d. R. präzise und eindeutig ist), aber schon gegen einfach zu deutende literarische Werke wie Gebrauchsanweisungen und Lebensberatung (die - selbstverständlich - in einer guten Erzählung sich nicht ausschließen lässt). Du musst mich mal mit den jüngsten Nichten erleben, wie ich regrediere, ohne ein Anpassungskünstler zu sein, oder wenn mit einem Hund rumgetollt wird ... Also: nicht ärgern, passiert schon mal, wobei ein bisschen unterschieden werden muss zwischen dem bewussten und dem ungewollten ...

Aber schön wäre, wenn Du auf Änderungswünsche (wie zum männlichen Mann) vorsichtig reagierst. Ist immer wieder schön, wenn man sich selbst zitieren kann und sich selbst quasi historisch wird: am 14. d. M. schrieb ich & schlug vor:

Klingt wie Stottern oder Stolpern. Wie wär’s mit „kernigen Männern“ oder „männlichen Kerlen“ oder kürzer und ohne schmuckem Adjektiv auf den Begriff gebracht: „Machos“.
Im Endeffekt muss nix raus ... Spiegelbildlichkeit hin oder her, was spricht dagegen? Ich erinnere an meinen Text zur Katastrophe in Duisburg zur Loveparade: da spiegeln sich Anfang und Ende und auch die Mitte. Anakreon hatte sogar den Fugencharakter entdeckt, und wer wollte dem Meister der Fuge (J. S. Bach) die Musik verändern, vielleicht sogar zum Klingelton "regredieren"?

Gruß aus'm frühlingshaften Pott vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo kew,

Jonas wollte lernen und konnte schon alles. Im Minutentakt sah er auf die Uhr, sah auf den Himmel, der noch immer hell war und voller kleiner Wolken, fast wie im Sommer, und kein Abend in Sicht. Wieder durchblätterte er seine Hefte, seine Bücher und sah nur, was er schon wusste.
Ja, es ist alles so langweilig und was man auch versucht: Es bleibt sich doch alles gleich. Die Dinge halten nicht, was sie versprechen. Das scheint mir so das Problem deines Protagonisten zu sein. Er hat schon viel erlebt, aber da war wenig Erleben dabei, er ist erfolgreich, aber er fühlt sich nicht so. Darein passt auch die Beziehung zum Vater: Man verheimlicht sich nichts - auch keine Mädchen - ist sehr abgeklärt, cool, hat keine Geheimnisse und doch ist die Beziehung nicht intim: Am Ende, wo sich Jonas in eine echtere Welt zurückwünscht, lässt sich der Vater abspeisen und will es lieber nicht so genau wissen.

Das spricht mich vom Thema her sehr an und du hast es sprachlich gekonnt umgesetzt, in diesen kurzen, sehr klaren Stimmungsbildern. Alles sehr schnörkellos, sehr auf den Punkt.

Gleichzeitig, bei den Figuren, da bin ich den leichten Beigeschmack des soaphaften auch nicht ganz losgeworden. Die sind schon sehr klar, auf bestimmte Eigenschaften hin angelegt, auch Mirco: Das mit der leisen Stimme, die anzeigt, dass er eben nicht so der Überflieger und der große (Weiber-)Held ist wie Jonas. Und Michelle hat mich irgendwann extrem genervt, wurde zumindest unsympathisch (was ja Absicht sein kann): Die ist so auf Jonas fixiert und versklavt sich so sehr an ihn, dass es schon wieder was abstoßend Egoistisches hat. Insbesondere weil ihr Mirco - mit dem sie ja scheinbar auch befreundet ist - von da an vollkommen wurscht ist. Etwa hier:

„Mirco hat uns gesehen.“
Ihr Lächeln verblasste. „Wir hätten es ihm irgendwann sagen müssen.“
„Ja.“
„Ich meine, ich liebe nun mal dich, nicht ihn. Da ist für ihn nichts zu machen.“
„Nein, natürlich nicht.“
„Und wir haben ja noch uns.“
„Ja.“
Tja, dann ist die Freundschaft halt vorbei, "wir haben ja noch uns". "Da ist für ihn nichts zu machen." Pech gehabt. Das klingt irre abgebrüht. Da ist sogar Jonas deutlich skrupulöser. Wenn ich so drüber nachdenke, ist das so herum schon wieder ziemlich gut. Entgegen der reinen Außenansicht verkörpert sie plötzlich, was man, bei flüchtiger Betrachtung, Jonas anhängen müsste: dieses ich-fixierte, empathiefreie Etwas. Fragt sich nur, ob du das gewollt hast.

Am Ende steht Jonas, glaube ich, wieder ziemlich am Anfang. Nur dass ihm die Sache bewusster ist und ein gutes Stück Naivität weg ist, was es schwerer macht. Das ist auch ein recht leises Ende. Eventuell wäre da etwas Stärkeres wünschenswert gewesen. Aber konsequent ist es schon.

Insofern: gut gemacht das Teil, gern und mit Spannung gelesen. Kleinere Bedenken bleiben. (Vielleicht komm ich noch mal zurück.)

Grüße,
Meridian

 

Hallo Meridian,

danke dir für Lesen und Kommentieren.

Ja, es ist alles so langweilig und was man auch versucht: Es bleibt sich doch alles gleich. Die Dinge halten nicht, was sie versprechen. Das scheint mir so das Problem deines Protagonisten zu sein. Er hat schon viel erlebt, aber da war wenig Erleben dabei, er ist erfolgreich, aber er fühlt sich nicht so. Darein passt auch die Beziehung zum Vater: Man verheimlicht sich nichts - auch keine Mädchen - ist sehr abgeklärt, cool, hat keine Geheimnisse und doch ist die Beziehung nicht intim: Am Ende, wo sich Jonas in eine echtere Welt zurückwünscht, lässt sich der Vater abspeisen und will es lieber nicht so genau wissen.
Mir gefallen deine Figurenanalysen. Auch später über Michelle.

Das spricht mich vom Thema her sehr an und du hast es sprachlich gekonnt umgesetzt, in diesen kurzen, sehr klaren Stimmungsbildern. Alles sehr schnörkellos, sehr auf den Punkt.
Na das freut mich natürlich.

Gleichzeitig, bei den Figuren, da bin ich den leichten Beigeschmack des soaphaften auch nicht ganz losgeworden.
Ja, so komplex sind die noch nicht. Da ist noch viel Spielraum. Aber fürs erste reicht es mir. Aber bleibt sicher eine Baustelle.

Eventuell wäre da etwas Stärkeres wünschenswert gewesen. Aber konsequent ist es schon.
Joa. Bist ja nicht der einzige, der das anmerkt, das mit dem Ende. Ist leise, bricht ein wenig den Spannungsbogen, aber für die Geschichte bleibt es so, da will ich nicht viel ändern. Nächstes Mal wird's vielleicht besser.

Gruß,
Kew

 

Hallo Kew,

im großen "Wer meine Geschichte kommentiert hat, kriegt als Dankeschön einen Kommentar zurück"-Spezial hat es nun dich getroffen. Und was soll ich sagen: Bereut habe ich es nicht!

Wobei - zugegebenermaßen hat es eine Weile gedauert, bis mich deine Geschichte zu fesseln begann. Genauer gesagt bis zu dieser Stelle:

„Wie war die Nacht?“
„Gut, gut.“, sagte Jonas.
„Willst du sie mir nicht mal vorstellen?“
„Das lohnt sich nicht. Ist nie die Gleiche.“
„Ach so.“

Da wird Jonas plötzlich interessant, denn zum ersten Mal wird meine Erwartung gebrochen: Papa ist es ziemlich egal, was Jonas am Wochenende macht, Jonas hat einfach nur keine Lust darauf, mehr Zeit als absolut notwendig mit den Mädchen zu verbringen. Er bezahlt sie also nicht für den Sex, weil er sich dabei wie ein Sugardaddy vorkommt, sondern weil er sie schlicht und ergreifend loswerden möchte.

Dann kommt die Geburtstagsparty - leichtes Spiel, mich hier zu kriegen, denn etwas ähnliches ist mir auch schon mal passiert.

Und dann kommen Michelle und Jonas zusammen, aber so richtig ist das nichts für Jonas. Seinen einzigen richtigen Freund verliert er auch noch deswegen und am Ende wächst ihm das alles über den Kopf, bis er merkt, dass es so nicht weitergeht. Das finde ich super! Hier wurde zwar schon eingewandt, dass das ja nicht wirklich spannend ist und du hast auch schon selbst kritisch angemerkt, dass der Konflikt, auf den die Geschichte am Anfang ausgelegt ist, in der Mitte plötzlich verschwindet, aber dann nichts Neues dafür im Raum steht. Mich stört das allerdings nicht, denn im Leben gibt es nicht nur den großen Knall oder die Pointe, auf die alles hinausläuft, sondern manchmal entgleitet einem eben alles, bis man irgendwann erschrocken feststellt, dass man vor einem Scherbenhaufen steht, obwohl es nie richtig geklirrt hat. Und man sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren muss. In Jonas Fall ist das "Bros before Hos", was mit dem Charakter stimmig ist.

Als Fazit bleibt also: Ich habe mich gut unterhalten gefühlt und sehe eher den Anfang denn das Ende als den Schwachpunkt. Was man mit dem Anfang machen könnte, das hat yours truly eigentlich schon sehr gut zusammengefasst, da muss ich gar nicht mehr so viel zu sagen. Aber bei ein paar Szenen, da kann ich vielleicht doch noch einen neuen Sichtpunkt einbringen bzw. habe ich Fehlerchen entdeckt, die, man mag es kaum sagen, von Friedrichard übersehen wurden:

„Was machen wir eigentlich hier?“, fragte Michelle, die mit der gespielten Musik nichts anfangen konnte. Auch ihre Kleidung fiel aus dem Rahmen, nicht knappes Top und kurzer Rock, sondern Armeehose und Springerstiefel.

Eine der Stellen, die laut Kommentaren vorher leicht anders waren. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob es so gut war, das "Metallerin" rauszunehmen, denn aufgrund der Klamotten und dem später erwähnten Umstand, dass sie mit Mirco noch in der Elektro-Disco war, hatte ich Michelle als Raverin abgestempelt und war dann ein wenig überrascht, als sie ihre Nachbarschaft plötzlich mit Gitarren erfreute. Vielleicht könntest du als Kompromiss zwischen Novak und mir die Kleidung etwas deutlicher auf Metal trimmen?

„Bin ich nett zu dir oder bin ich es nicht?“
Er gab ihr einen Handkuss, sie ihm eine Ohrfeige und mit einem Lächeln verabschiedete sich Jonas und verließ mit Lisa den Club.

Ich schätze, du willst uns hier etwas sagen. Allein, es kommt nicht bei mir an.

Schnee fiel wie Asche und beugte die Äste der Nachbarstanne.

Dies ist die Stelle, an der du mich fast verloren hättest. Das wirkt mir zu gewollt poetisch für diesen Text. Zumal mich das Bild auch etwas ratlos zurücklässt, da ich mir nicht genau vorstellen kann, wie denn nun Schnee so fallen kann, dass man sich denkt: "Ah, fällt genauso wie Asche."

Als Lisa fort war, blieb Jonas noch eine Weile im Bett liegen, bevor er aufstand, sich duschte und rasierte und seine Hauskleidung anzog, weiten Pulli und Jogginghose.

Hier müssen entweder Artikel vor Pulli und Jogginghose oder es muss "weiteR Pulli" heißen.

Die Zeit zog sich wie Teer, wie Kaugummi.

Hier schließe ich mich yours truly zu 100% an.

Sie hob die Silberkette vom Futteral, eine Perle schimmerte im Licht.

Das Geschenk ist jetzt aber schon ein bisschen übertrieben für eine Frau, mit der Jonas nicht einmal schlafen möchte. Bestenfalls hat er da nicht drüber nachgedacht, schlimmstenfalls war sich Jonas sehr wohl bewusst, was Michelle eigentlich als Geburtstagsgeschenk haben wollte.

Sie trug einen Rock und auf dem Sweatshirt das Abbild einer knienden Frau mit in den Unterleib gerammter Kettensäge, Blutspritzern und einem grimmig-düsteren Gesichtsausdruck, und die Beschriftung Fuck the Saw.

Es ist zwar klar, was gemeint ist, aber ich finde es etwas unpräzise. "mit einer in deren Unterleib" hat die gleiche Aussage und hilft dabei, an der Stelle nicht hängen zu bleiben. Allerdings müsste man dann den grimmig-düsteren Gesichtsausdruck vorziehen...

Weißt du was, je mehr ich darüber nachdenke, umso besser gefällt mir die von dir gewählte Variante.

„Aber ich wette, du bist gut in der Schule.“
„Ja. Aber eigentlich ist sie mir egal.“

Na, da lügt Jonas sich aber selbst was vor - wer den ganzen Sonntag lernt, dem ist die Schule nicht egal!

Ich dachte du könntest einmal anders sein. Ich dachte, du könntest einmal nur mit einem Mädchen befreundet sein. Ich dachte sie bedeutet dir etwas.

Entweder in allen Sätzen ein Komma nach dem "dachte" oder in gar keinem.

Weißt du, das kotzt mich an. Dieser ständige Verdacht, ich könnte eine Andere haben.

Ja, Menschen sind unfair und nutzen Wörter wie "nie", "immer" und "ständig", wenn sie sich streiten. Aber hier wirkt Jonas arg überzogen, denn es ist das erste Mal, dass Michelle überhaupt den Verdacht hegt. Ohne das Wort "ständige" ist der Satz noch immer stark.

Die Zeit schien Blasen zu werfen, träge wie Schlamm, wie Sirup.

Du scheinst gerne einmal doppel zu moppeln. Wie schon vorher beim Teer, der sich wie Kaugummi zieht, reicht auch hier eine Metapher vollständig aus.

Die Nacht war Schnee gefallen, aber jetzt war der Himmel blau und leer.

Das geht so nicht, da "Schnee gefallen" kein Adjektiv ist. Möglichkeiten wären "In der Nacht was Schnee gefallen" oder "Die Nacht über war Schnee gefallen".

Jonas zog sein Handy aus der Tasche, wählte Mircos Nummer. Monotones Tuten, laut und anhaltend.

So muss eine Kurzgeschichte enden!

Also, alles in allem merkst du, dass ich hier eher Kleinigkeiten aufgeführt habe. Die Geschichte ist eben gut strukturiert und sprachlich musst du dir auch keine großen Gedanken machen. Denn deine Sprache sitzt und wirkt dank deiner vielen Adjektive sehr lebhaft und bunt, ohne dabei zu sehr ins gekünstelt-geschwollene abzudriften. Davon gerne mehr!

 

Hallo Kew,


„Tut mir leid.“, nuschelte Frani,

„Es tut mir leid.“, sagte Jonas

Kein Punkt. Also: "Es tut mir leid", sagte

Das für mich nur die Zahl der Orgasmen zählen und die Mädchen gar nichts? Das du mir egal bist?“

Dass mit zwei S .. oder?

Zur Geschichte:


Gut gefallen hat sie mir nicht. Mir sind die Charaktere zu blass und einfach auch ein bisschen egal. Jonas übt keinen Charme auf den Leser aus, aber auf alle Mädels hier im Text. Er sieht gut aus und hat Geld und gibt sich keine Mühe in der Schule und ist locker … ist aber auch ziemlich langweilig. Zumindest das, was man von ihm mitbekommt. Also so richtig nachempfinden, warum alle Mädels auf den abfahren, kann man nicht. Das mag in der Realität auch manchmal so sein … aber das macht den Text nicht interessanter. Man hat eher das Gefühl, es sei irgendwie ungerecht, dass die Frauen ihn mögen, dass der ganze Text in diesem Sinne geschrieben wurde, auch der Titel, den ich nicht mag, lässt das vermuten.
Es ist halt ein kalter Text. Mirco sagt nichts, und Michelle … die ist halt so ne Gegenfigur zu Jonas, kein richtiger Mensch in dem Sinne, sondern nur eine, die dazu da ist, Jonas zu charakterisieren, Objekt der Begierde zu sein, und an den richtigen Stellen zu weinen und sich zu beschweren und fragen zu stellen. Das gilt auch für Mirco eigentlich.

„Wie lange willst du das noch machen?“ Michelles Kopf lehnte an Jonas Schulter, der Lavendelduft war betörend intensiv – ein Sommerfeld, ein heißer Tag und weiche Lippen, ein Flattern im Bauch. Mirco beobachtete die beiden von einem Sessel gegenüber.
„Was meinst du?“
„Na deine Mädchen. Jede Woche eine Andere.“
Jonas zuckte die Schultern, ihr Kopf ruckte mit. „Weiß nicht, ich hab mir keine Frist gesetzt.“
„Dir geht es bei uns wirklich nur um Sex, oder? Ein One-Night-Stand und am Morgen gibt’s Geld fürs Taxi?“
Was sollte er sagen – er schwieg und ließ sie weiter reden, trank warmes Bier dabei.
„Hast du noch nie an eine echte Beziehung gedacht? Mit vorsichtigem Kennenlernen und kleinen Zärtlichkeiten. Kinobesuche und Fummeln in der Dunkelheit. Rendezvous bei Kerzenlicht. Ich mein das volle Programm halt. Für einander Dasein und streiten, weil man vergessen hat, dass der andere keine Tomaten mag, und das Abendessen jetzt versaut ist. Und dann versöhnt man sich wieder und geht Pizza-Essen oder zum Chinesen. Man probiert Sachen aus: schnellen Sex auf einer Toilette oder im Fahrstuhl und es macht Spaß und ist geil. Aber eigentlich geht es darum, denn Anderen zu verstehen und ihm nahe zu sein, ihm zu helfen, wenn die Eltern wieder Stress machen oder der Hund gestorben ist.“
„Ja, hab ich.“
Sie sah ihn groß an. „Was meinst du?“
Jonas musste lachen. „Ich hab darüber nachgedacht, ob ich eine Beziehung will.“
Ihre Augen blieben groß und voller Erwartung. „Und?“
„Ich finde, ich kann mir noch Zeit lassen. Ich bin nicht mal zwanzig. Schließlich haben alle ihren Spaß dabei, ich und die Mädchen. Fürs Erste braucht es nicht mehr.“


„Cool, dass du da bist.“ Michelle umarmte ihn und ihr Haar roch nach Lavendel.
„Alles Gute, zum Neunzehnten.“ Er gab ihr sein Geschenk, ein lila Päckchen mit Silberschleife.
Die Wangen kindlich erhitzt, zupfte sie die Schleife auf. „Wow. Wie schön die ist.“ Sie hob die Silberkette vom Futteral, eine Perle schimmerte im Licht. „Vielen Dank.“ Sie umarmte ihn wieder. „Hilfst du mir?“
Er legte ihr die Kette um den Hals, strich ihr Haar beiseite, um den Verschluss sehen zu können.
„Komm, ich stell dir ein paar Freunde vor.“

Das ist allein ein bisschen fad, finde ich.
Und ich weiß, du legst viel Wert auf diese leise Tönen, und da sind auch viele nette Sachen dabei, sprachlich. Viele schöne Beschreibungen, gibt auch viel zu loben, ich hab den Text in einem Rutsch gelesen, aber er kam jetzt insgesamt einfach nicht so an bei mir. Die Dialoge und die Charaktere vor allem, und Jonas, dann sitzt er immer da und raucht eine Zigarette, und draußen rauscht ein Zug vorbei oder ein Vogel zwitschert und der Dunst von weiß was ich hängt in der Luft. Und dann Punkt. Neuer Absatz. Tiefsinn eingetroffen. Leiser Ton.

Jonas legte auf, sah aus dem Fenster, wo nichts passierte, nur Wolken am Himmel, watteweiß und langweilig.
Sein Handy klingelte, er ging nicht ran.

Ist vielleicht einfach nicht mein Ding.

MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MuGo.

Das ist mal ein toller Service

Und dann kommen Michelle und Jonas zusammen, aber so richtig ist das nichts für Jonas. Seinen einzigen richtigen Freund verliert er auch noch deswegen und am Ende wächst ihm das alles über den Kopf, bis er merkt, dass es so nicht weitergeht. Das finde ich super! Hier wurde zwar schon eingewandt, dass das ja nicht wirklich spannend ist und du hast auch schon selbst kritisch angemerkt, dass der Konflikt, auf den die Geschichte am Anfang ausgelegt ist, in der Mitte plötzlich verschwindet, aber dann nichts Neues dafür im Raum steht. Mich stört das allerdings nicht, denn im Leben gibt es nicht nur den großen Knall oder die Pointe, auf die alles hinausläuft, sondern manchmal entgleitet einem eben alles, bis man irgendwann erschrocken feststellt, dass man vor einem Scherbenhaufen steht, obwohl es nie richtig geklirrt hat. Und man sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren muss. In Jonas Fall ist das "Bros before Hos", was mit dem Charakter stimmig ist.
Ja, dass hängt sicher von den eigenen Vorlieben beim Lesen ab. Dir kann ich ja versichern, dass es so bleibt. Bei der Anmerkung mit dem Konflikt ging es mir auch viel darum, meine eigenen Geschichte im Aufbau zu verstehen. Von solchen Selbstanalysen bin ich noch ziemlich weit weg - also, dass ich solche Sachen von allein erkenne.

Als Fazit bleibt also: Ich habe mich gut unterhalten gefühlt

Die Geschichte ist eben gut strukturiert und sprachlich musst du dir auch keine großen Gedanken machen. Denn deine Sprache sitzt und wirkt dank deiner vielen Adjektive sehr lebhaft und bunt, ohne dabei zu sehr ins gekünstelt-geschwollene abzudriften. Davon gerne mehr!
Das freut mich natürlich sehr.

Vielen Dank dir.

@JuJu

Hallo und Dank auch dir.

Gut gefallen hat sie mir nicht. Mir sind die Charaktere zu blass und einfach auch ein bisschen egal. Jonas übt keinen Charme auf den Leser aus, aber auf alle Mädels hier im Text. Er sieht gut aus und hat Geld und gibt sich keine Mühe in der Schule und ist locker … ist aber auch ziemlich langweilig. Zumindest das, was man von ihm mitbekommt. Also so richtig nachempfinden, warum alle Mädels auf den abfahren, kann man nicht. Das mag in der Realität auch manchmal so sein … aber das macht den Text nicht interessanter. Man hat eher das Gefühl, es sei irgendwie ungerecht, dass die Frauen ihn mögen, dass der ganze Text in diesem Sinne geschrieben wurde, auch der Titel, den ich nicht mag, lässt das vermuten.
Es ist halt ein kalter Text. Mirco sagt nichts, und Michelle … die ist halt so ne Gegenfigur zu Jonas, kein richtiger Mensch in dem Sinne, sondern nur eine, die dazu da ist, Jonas zu charakterisieren, Objekt der Begierde zu sein, und an den richtigen Stellen zu weinen und sich zu beschweren und fragen zu stellen. Das gilt auch für Mirco eigentlich.
Das ist natürlich übel. Aber ich kann's nachvollziehen. Das ist ein bisschen eine abgeschwächte Version von Edward.


Und ich weiß, du legst viel Wert auf diese leise Tönen, und da sind auch viele nette Sachen dabei, sprachlich. Viele schöne Beschreibungen, gibt auch viel zu loben, ich hab den Text in einem Rutsch gelesen, aber er kam jetzt insgesamt einfach nicht so an bei mir. Die Dialoge und die Charaktere vor allem, und Jonas, dann sitzt er immer da und raucht eine Zigarette, und draußen rauscht ein Zug vorbei oder ein Vogel zwitschert und der Dunst von weiß was ich hängt in der Luft. Und dann Punkt. Neuer Absatz. Tiefsinn eingetroffen. Leiser Ton.
O.o Es wird nicht besser. Und wieder: Ja, ich kann's nachvollziehen. Werd in Zukunft versuchen darauf zu achten. Vielleicht klappt es ja. Mein nächster Text soll etwas lauter werden.

Ist vielleicht einfach nicht mein Ding.
Passiert. Aber es ist immer gut auch eine solche Gegenstimme zu haben. Da schläfert das Lob der anderen nicht ein. ;)

Jedenfall frohen Gruß,
Kew

 

Hey Kew,

ich habe Deine Geschichte gerade in einem Schwung gelesen, so sehr hat sie mich gefesselt.
Ich finde, durch sie führt die ganze Zeit ein Faden, dem man einfach und "bequem" beim Lesen folgen kann.

Auch das Thema Deiner Geschichte ist ein sehr, für viele, bekanntes und wahrscheinlich wohl auch selbst erlebtes.
"Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen funktionieren nicht."
Der Meinung sind sehr viele und in Deiner Geschichte wird das auchnochmal deutlich.
Vor allem bei dieser dreier Freundschaft ist es schwer, es allen Recht zu machen, wodrunter am Ende alle leiden.
Ich persöhnlich finde es schön, dass er sich am Ende gegen die Beziehung mit ihr und für die Freundschaft zu Mirco entscheidet, auch wenn ja offen bleibt, ob Mirco Jonas verzeihen kann.

Mir gefällt Deine Geschichte sehr gut und ich habe sie mit Freude gelesen!

Lieben Gruß,
Saiana

 

Hallo Saiana,

schön, dass du die Geschichte mochtest. Das ein Text von mir zu fesseln weiß, ist toll zu hören.

Dank und Gruß,
Kew

 

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