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Warum ist der Mensch nicht schön?

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01.10.2003
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Warum ist der Mensch nicht schön?

Ein sibirischer Tiger. Seine Jäger sind erbarmungslos. Schnell rennt er, so schnell, dass alle seine Muskeln schmerzen. Es schneit. Er weiß, dass er es nicht mehr lange durchhält, aber das Wissen, dass er andernfalls stirbt, treibt ihn zusätzlich an. Blut färbt seine Spur rot.
Natürlich hat er keine Chance. Das weiß er. So wie sie davor seinen Sohn getötet haben, so wie sie ihn erschossen und dann geschlagen haben, so werden sie auch seinem Leben ein Ende setzte. Er wünschte, er hätte seinem Sohn helfen können. Er wünschte, er hätte sie töten können. Er hätte sie in Fetzen gerissen, er hätte sie getötet, so wie sie es mit ihm und seinen Artgenossen tagtäglich tun.
Warum tun sie mir das an? Warum tun sie uns das an?
Diese Fragen hatte er sich schon so oft gestellt. Abends, wenn er neben seiner Familie gelegen hatte, wenn er seinen Sohn und seine zwei Töchter angeschaut hatte, waren ihm immer wieder dieselben Gedanken gekommen.
Ungefähr 450 von seiner Rasse leben noch. Und es werden jeden Tag weniger. Er hatte es immer gewusst, er hatte immer gewusst dass es eines Tages auch ihn treffen würde. Aber er hatte es nie glauben wollen. Stets war er davongelaufen, davongelaufen vor seinen eigenen Ängsten.
Blitzschnell sieht er sein Fell durch seine Gedanken flitzen. Sein Fell auf einem russischen Markt, sein Fell um die Schultern eines Menschen, sein Fell als Bettvorleger. Seine Leiche im Schnee. Eine dunkelrote Blutlache darum, die sich unaufhörlich ausbreitet.
Sein Sohn. Tot und blutig auf einem Tisch. Ein weißer Mensch steht davor. Er hält etwas in der Hand, lang, ein gerader Stock mit etwas silbernem, blitzendem an der Spitze. Ein Schlag, zwei Schläge, drei Schläge. Er sieht die Haut seines geliebten Sohnes, er sieht wie sie langsam abgezogen und in eine große Tonne geworfen wird. Die Knochen zerstückelt, das Herz herausgerissen. Die Seele zerstört.
Ich bin die größte Katze der Erde, es gibt keinen Tiger der größer ist als ich! Und trotzdem können wir uns nicht wehren. Wir könnten sie töten, wir könnten sie alle töten hätten sie nicht diese Waffen. Aber sie haben sie. Und das ist unser Untergang.
So oft hat er darüber nachgedacht.
Immer hatte sein Weibchen ihn getröstet. Es trifft nicht uns, hatte sie gesagt. Es trifft nicht uns…
Ihre Augen, ihre wunderschönen Augen gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Lauf, hatte sie geschrieen. Er wollte nicht. Was hätte er darum gegeben, bei ihr bleiben zu können. Aber da war noch ihre Tochter. Er musste sie beschützen.
Eine kleine Träne kullerte ihm in seine Schnurrhaare. Er hatte in die Augen seines Weibchens geschaut und eine so unglaublich heftige Traurigkeit hatte ihn übermannt, dass es kaum noch auszuhalten war. Ihre Augen waren tot. Sie hatten sie getötet.
Dann waren sie losgelaufen. Und hier waren sie nun. Alleine. Verfolgt von gut zehn weißen und schwarzen Menschen, die ihre gesamte Familie ausgelöscht hatten.
Ein lautes Plumpsen löst ihn aus seinen Gedanken. Schnell hält er an und dreht sich um. Seine Tochter ist gefallen. Erschöpft, müde, traurig, zerstört. Sie kann nicht mehr weiter. Er kann laufen, er kann um sein Leben laufen und sie hier lassen. Wenn er Glück hat schafft er es. Für dieses Mal.
Aber was für ein Tier wäre er würde er so etwas tun?!
Langsam dreht er sich um. Ihr kleiner Körper liegt am Boden, zitternd, schwach, frierend.
Es tut gut, ihr warmes Fell an seinem zu spüren. Es zu spüren, für das allerletzte Mal. Er würde alles geben, nur um sie zu retten, aber er kann es nicht. Er ist kein Mensch.
Der kleine Körper neben ihm fängt heftiger an zu zittern als die Stimmen kommen. Die Schritte und das laute Geschrei der Menschen.
Sie rufen etwas, aber er kann es nicht verstehen. Die Menschen lachen. Sie verhöhnen sie. Sie amüsieren sich an ihrem Leid und ihrem Tod. Warum?
Schnell streicht er mit der Nase über die seiner Tochter.
Ich liebe dich.
Ein schneller Biss, und sie ist tot. Er hat ihr das Genick gebrochen. Sie starrt ihn aus ungläubig aufgerissenen Augen an. Aber sie sind tot. Er ist froh, dass sie tot ist. Er freut sich für sie.
Als sie beginnen, mit ihren Stöcken auf ihn einzuprügeln und seinen Körper zu zerstören schaut er nach oben. Zum Himmel.
Er ist schön. Alles auf dieser Welt ist schön. Wieso nicht auch die Menschen?
Der sibirische Tiger atmet seinen letzten Atemzug. Und denkt dabei seinen letzten Gedanken : Warum?

 

hier noch ein kleiner kommentar von mir:

ich war mir nicht sicher ob es in die kategorie kurzgeschichte passt, immerhin ist es ja aus der sicht eines tiers. vielleicht kann mir jmd etwas dazu sagen.
und ich wäre dankbar über ein paar kommentare ob ich es geschafft haben die traurigkeit dieses themas gut widerzuspiegeln.

lg,
joni

 

Hej joni!

Die Kategorie Kurzgeschichte ist schon richtig, keine Sorge.

Zum Inhalt:
Die Idee, aus der Sicht eines Tieres zu schreiben, ist nicht neu. Es ist aber auch gar nicht so leicht, denn man läuft Gefahr, dem Tier allzu menschliche Züge zu geben. Genau das ist Dir auch passiert: Der Tiger denkt, als sei er ein Mensch. Die Tatsache an sich, dass ein Tier in einer Geschichte denkt, ist schon umstritten, wenn man das aber als Stilmittel wählt, sollte man darauf achten, das Tier nicht zu vermenschlichen.
Dein Tiger denkt über russische Märkte nach, er weiß, wieviele seiner Art noch leben, er weiß, dass der russische Tiger die größte Raubkatzenart der Welt ist - all dies und noch viel mehr machen die Geschichte leider unglaubwürdig. Versuch doch, sie noch mal umzuschreiben und den Tiger wirklich Tiger sein zu lassen.
Liebe Grüße

chaosqueen

 

hi.
danke für den tip.
wenn du mir noch eklärst warum man das nicht machen darf wäre ich supi zufrieden:))
versteh das nämlich nicht so ganz.

 

ach und gerade das wollte ich ja. hätte ich blos aus seiner sicht geschrieben wäre das gar nicht so rüber gekommen wie ich wollte:(
immerhin wäre diese problematikmit dem aussterben nicht aufgekommen.
oder?

 
Zuletzt bearbeitet:

Warum man das nicht machen sollte: Naja, Du willst ja aus der Sicht eines Tieres schreiben. Ein Tier denkt nunmal nicht wie ein Mensch, alleine schon deswegen, weil es keine Sprache im eigentlichen Sinne besitzt. Wenn Du überzeugend aus der Sicht eines Tieres schreiben willst, solltest Du mehr mit Emotionen arbeiten, weniger mit komplexen Gedankengängen. Es wirkt einfach nicht echt, wenn das Tier so menschlich ist.
Anders ist es natürlich bei Fabeln, in denen Tiere menschliche Züge tragen, dort ist dieses Stilmittel aber bewusst gewählt, um den Menschen im Tier sich selber erkennen zu lassen, also eigentlich sind die Tiere in Fabeln Menschen... Verwirr ich Dich gerade? :shy:

Das mit dem Aussterben hättest Du vielleicht nicht direkt erwähnen können, aber Du hättest die Problematik trotzdem rüberbringen können. Das ist die Kunst am Schreiben! ;)

 

*verwirrtbin*

ja ich versteh schon was du meinst.
vielen dank für deine hilfe =)

 

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