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Warum immer ich?
Als das Telefon klingelte, lag ich noch im Bett und ich begriff erst gar nicht, was eigentlich los war. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es grade erst halb neun war. Diese unmenschliche Zeit konnten sich eigentlich nur zwei Menschen aussuchen, um mich anzurufen und das auch noch auf einem Samstag. Entweder war es meine Mutter oder meine beste Freundin, die zum tausendsten Mal wieder mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte.
Ich wühlte mich aus dem Bett und ging ins Wohnzimmer, wo mir das Chaos von vergangener Nacht entgegen schlug.
„Egal“, dachte ich mir.
Das Telefon entdeckte ich schließlich unter einem leeren Pizzakarton. Er war zwar leer, dass hieß aber nicht, dass er nicht noch vor Fett triefen konnte. Ich nahm den Telefonhörer ab und sofort schrillte mir die Stimme meiner Mutter entgegen: „Hab ich Dich geweckt, Schätzchen?“
Also musste ich mir den klebrigen Hörer wenigstens nicht ans Ohr halten und konnte mich in sicherer Entfernung mit meiner Mutter unterhalten.
„Ja“, sagte ich mit meiner tiefen, sexy Morgenstimme, „du hast mich geweckt, wie immer Mutter!“
Der kleine Vorwurf in meiner Stimme hielt meine Mutter jedoch nicht davon ab, mich gleich mit einem ihrer Redeschwälle zu überfallen. Eine ganze Zeit nickte ich nur brav, bis mir einfiel, dass mich meine Mutter gar nicht sehen konnte. Aber das ich nicht antwortete, hielt sie nicht davon ab, einfach weiter zu reden. Ich versuchte, einhändig, ohne den Hörer zwischen Kopf und Schulter einzuklemmen, Kaffee zu machen.
Der Redeschwall meiner Mutter ebbte ein wenig ab und sie sagte: „Was hältst Du davon, Schätzchen?“ Ich überlegte, was sie gesagt haben könnte und beschloss, dass es wahrscheinlich um irgendein Nachbarpärchen ging, dass sich mal wieder so laut gestritten hatte, dass es die ganze Nachbarschaft mitbekommen hatte und an erster Stelle natürlich meine Mutter. Also sagte ich: „Das ist ja einfach unglaublich!“
„Nicht wahr?“, erwiderte meine Mutter, „also komm doch einfach mit deinem neuen Freund vorbei und wir werden es ihnen zeigen!“
„Wo?“, fragte ich jetzt ganz verwirrt. Hätte ich mal besser doch zugehört.
„Na, zum Barbecue heute abend!“, sagte meine Mutter so laut, als ob sie mit einer Schwerhörigen telefonieren würde.
Jetzt musste ich ihr irgendwie klar machen, dass ich nicht konnte oder dass zumindest mein neuer Freund nicht konnte. Seine „Dienstreise“ war nämlich heute vorbei und er musste wieder nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern.
„Mutter, ich kann ihn nicht mitbringen!“, sagte ich.
„Natürlich kannst Du, Schätzchen.“, war die Antwort, die ich eigentlich schon voraus geahnt hatte.
„Nein, kann ich nicht.“, ließ ich mich auf dieses dusselige Spielchen ein.
Nach mehrerem hin und her, fing die Stimme meiner Mutter so langsam an, einen weinerlichen Touch zu kriegen. Und ich wusste, was jetzt kam. Nie würde ich etwas für sie tun, ich würde die Familie durch meine Sturheit entzweien, weil mein Vater natürlich zu mir halten würde und nicht zu ihr und das gäbe wieder einen Riesenkrach zu hause und dann bekäme sie wieder ihr Magengeschwür.
Ich konnte diese Geschichte inzwischen schon rückwärts pfeifen, aber trotzdem ließ ich mich immer wieder darauf ein und ließ mich von meiner Mutter weich klopfen.
„Darum geht es nicht!“, unterbrach ich also bei der Stelle, dass mein Vater immer zu mir halten würde.
„Ich kann ihn nicht mitbringen, weil er gar nicht mir gehört!“, sagte ich, um meiner Mutter einen kleinen Happen hin zu werfen, der sie zumindest mal von ihrer Heultour runter bringen würde.
„Was soll das bedeuten?“, fragte sie schon wieder total gefasst.
„Naja“, sagte ich, „er ist noch verheiratet.“
Endlich war es raus. Drei Monate lang hatte ich sie hingehalten. Drei Monate lang hatte sich die Nachbarschaft nicht über mich das Maul zerrissen. Drei Monate lang hatte ich etwas, was nur mir gehörte und nicht der halben Stadt.
„Was?“, hörte ich da meine Mutter atemlos in den Telefonhörer hauchen.
Dann hörte ich nur ein sehr komisches Geräusch, das so klang, als wenn ein junges Schwein quieken würde. Und dann hörte ich gar nichts mehr.
„Mutter?“, sagte ich zum Telefonhörer. Aber es kam keine Antwort.
Ich legte meine Haare hinter mein Ohr und führte den Telefonhörer so nah wie möglich an mein Ohr heran, ohne es wirklich zu berühren. Am anderen Ende hörte ich nur wildes Gekreische. Aber Worte konnte ich dem nicht entnehmen.
„Schätzchen?“, hörte ich dann auf einmal meinen Vater am Apparat.
„Ja?“, sagte ich, „was ist mit Mutter los?“
Am anderen Ende wurde jetzt geflüstert und das einzige, was ich dem entnehmen konnte war irgendwas mit einer hysterischen Ziege.
„Ich soll dir von deiner Mutter ausrichten, dass du enterbt wirst, wenn du nicht sofort aufhörst mit diesem Mann rumzumachen!“, sagte mein Vater dann vom anderen Ende.
Ich war auf alles gefasst, aber auf so was nicht.
Dann hörte ich meine Mutter wieder rumkreischen und meinen Vater übersetzen: „Sie meint, du wärst eine Ehebrecherin und das wäre in der Bibel schon schwer bestraft worden.“
„Moment mal“, erwiderte ich, „sag ihr, dass zu einem Ehebruch immer zwei Leute gehören. Ich hab ihn doch nicht dazu gezwungen!“
Mein Vater vermittelte.
„Sie sagt, dass du heute abend nicht kommen bräuchtest. Sie könne dir nicht in die Augen sehen.“
„Okay“, sagte ich, „dann komm ich eben nicht.“
Leise Stimmen im Hintergrund. Dann höre ich eine Tür ins Schloss knallen.
„Jetzt ist sie ins Schlafzimmer gegangen, aber ich kann sie noch hören!“, sagte mein Vater und ich konnte mir das Grinsen auf seinem Gesicht sichtlich vorstellen.
Wir plauderten noch ein wenig und mein Vater versicherte mir, dass meine Mutter sich schon wieder beruhigen würde und dass ich auf jeden Fall zum Barbecue kommen dürfe. Ansonsten würde er mir einen Hamburger zurück legen und ihn mir morgen höchst persönlich vorbei bringen.
Ich konnte meinen Vater gerade noch davon abhalten und musste ihm zum hundertsten Mal erklären, dass ich ja Vegetarier war und den Hamburger nicht essen würde. Dann beendete er das Gespräch mit den Worten, dass ich auch wenn ich kein Fleisch essen würde immer noch seine Tochter sei.
Wenn ich mit meinem Vater redete, dann wurde mir immer ganz warm ums Herz und ich beschloss, heute abend wirklich zum Barbecue zu gehen, alleine aus dem Grund, um meine Mutter zu ärgern.
Als ich zurück ins Schlafzimmer kam und dabei schon mal ein paar Kleidungsstücke aufsammelte, die wir gestern abend wild von uns gerissen hatten, saß mein Liebster aufrecht im Bett und telefonierte mit seiner Frau.
Als das Gespräch beendet war, nahm er sich seine Sachen und verschwand im Badezimmer.
Ich mümmelte noch gemütlich im Bett rum, als er wieder rein kam und sich dabei sein Hemd zuknöpfte.
Er setzte sich zu mir und gab mir einen Guten-Morgen-Kuss. Dann erzählte ich ihm von dem Gespräch mit meiner Mutter und wie übertrieben ich ihre Reaktion fand und wie toll mein Vater reagiert hatte.
Er guckte die ganze Zeit ziemlich komisch und sagte danach einfach nur: „Weißt du, ich habe darüber nachgedacht. Deine Mutter hat irgendwie recht. Es ist nicht fair meiner Frau gegenüber.“
Und dann war er auf einmal weg.
Und ich saß immer noch wie gelähmt auf meinem Bett und versuchte, diese Worte zu begreifen. Hatte er da gerade mit mir Schluss gemacht, ohne dass ich es gemerkt hatte?
Ich musste schon einige Zeit da gesessen haben, als das Telefon klingelte. Völlig paralysiert ging ich zurück in die Küche und nahm ab, vergaß dabei, dass der Hörer immer noch vor Fett triefte und lauschte mit fettigem Ohr der aufgewühlten Stimme meiner Mutter: „Wer von euch frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“
„Was?“, fragte ich völlig perplex.
Meine Mutter antwortete kurz und bündig, wie es gar nicht ihre Art war und wie als wenn mein Vater mit geladener Pistole hinter ihr stehen würde: „Du kommst heute abend zum Barbecue und du wirst einen netten jungen Mann kennenlernen.“
Dann legte sie auf.
Warum immer ich?