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Warum es regnet

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10.01.2013
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Warum es regnet

Der Tag, an dem ich Adalbert Mitterhuber kennenlernte, war kein besonderer Tag.
Ich glaube, es war ein Mittwoch und es regnete in Strömen. Bei mir im Amt war alles wie immer. Frau Fritz aus der Personalstelle feierte mit einer Mandarinentorte ihren Geburtstag.

Als ich zur Bushaltestelle kam, stand Adalbert Mitterhuber im Bushäuschen. Er blickte in den Himmel.
„Wissen Sie, warum es regnet?“ Er sah mich kurz an, dann wieder in den Himmel.
Ich war irritiert. „Na ja, die Natur braucht es eben, um weiter zu wachsen und so.“
Adalbert Mitterhuber nickte, sagte jedoch nichts.

Ich sah mich bemüßigt, weitere Erklärungen abzugeben. „Zu meiner Tochter sage ich immer, die Engel weinen, weil Du nicht brav bist.“ Ich grinste und erwartete ein Lachen.
Doch Adalbert Mitterhuber nickte nur ein weiteres mal und schlug den Kragen seiner Jacke höher, da der Wind sehr unangenehm war.
Ich fühlte mich unwohl und mutmaßte, dass es sich um einen Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus unseres Nachbarorts handeln könnte.

Eine Weile standen wir schweigend da und warteten weiter auf die Linie 27. Dann hatte ich dieses unglaublich starke Bedürfnis, die Sache aufzuklären.
„Was denken Sie denn, warum es regnet?“ fragte ich ihn gereizt. Er zuckte die Achseln “Es regnet eben, weil es regnet.“ Ich war erbost über diese lapidare Erklärung.

Der Bus kam, wir stiegen ein. Adalbert Mitterhuber setzte sich in die dritte Reihe links auf einen freien, einzelnen Sitz. Ich ging nach hinten in die vorletzte Reihe und platzierte mich neben einer älteren, rothaarigen Dame. Hinter uns waren unangenehmerweise zwei lebhafte Mädchen im Teenageralter.
Ich starrte auf Adalbert Mitterhubers Hinterkopf und war wieder ärgerlich. Er stieg zwei Stationen vor mir aus. Ich sah ihm nicht nach, mir war egal wohin er ging.

Zuhause verbrachte ich mit meiner Frau Sonja und meiner Tochter Katrin einen angenehmen Abend. Als ich ins Bett ging, war ich sehr wütend auf Adalbert Mitterhuber. Ich bekam vor Ärger Sodbrennen und musste 20 Tropfen Iberogast einnehmen. Das war natürlich seine Schuld. Ich nahm mir vor, ihn bei einem weiteren Treffen ordentlich die Meinung zu sagen. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
Am nächsten Morgen hatte ich Adalbert Mitterhuber vergessen.

Nach einem normalen Arbeitstag traf ich ihn wieder an der Bushaltestelle. Es regnete nicht und ich wartete ungeduldig darauf, dass er zu mir herüber sah. Dann konnte ich ihm endlich seine Unverschämtheit vor Augen führen.
Doch Adalbert Mitterhuber starrte nur auf seine Wildlederhalbschuhe. Ich ärgerte mich über mich, über ihn und überhaupt.

Die Busfahrerin, eine Brünette mittleren Alters und schiefen Zähnen, forderte zum zügigen Einsteigen auf und schloss früh die Türen.
Diesmal stieg ich vor ihm ein und setzte mich auf einen freien Platz in der Mitte.
Adalbert Mitterhuber nickte mir kurz zu, ging vorbei und nahm einige Sitze hinter mir Platz.
Dann hatte ich plötzlich diese Gänsehaut und wusste, dass er mich hinterrücks fixierte.
Er verließ den Bus wieder zwei Stationen vor mir. Es war ihm nichts Besonderes anzumerken, aber ich durchschaute, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

Als ich nach Hause kam, sagte Sonja, ich wäre merkwürdig.
Vor dem Einschlafen stellte ich mir abermals vor, wie ich Adalbert Mitterhuber zur Rede stellen würde.
Am nächsten Morgen aß ich Müsli statt meiner Honigsemmel zum Frühstück.

Während meiner Arbeit wartete ich auf meine Rückfahrt mit dem Bus. Die Sonne schien, es war warm und Adalbert Mitterhuber war nicht an der Haltestelle.

Auf meiner Terrasse konnte ich mich nicht auf mein Sudoku konzentrieren. Ich überlegte, ob er möglicherweise nach Australien ausgewandert sei.
Am Dienstag nach Ostern fuhr Adalbert Mitterhuber wieder mit dem Bus und ich glaube, er war nicht in Australien gewesen.
Obwohl es nicht meine Haltestelle war, stieg ich mit ihm aus. Ich hatte spontan die Idee, ihn zu verfolgen. Er bog nach rechts in eine Hochhaussiedlung ab und war dann verschwunden.

Sonja kochte zuhause ein ungarisches Gulasch. Ich hatte keine Zeit zum essen, da ich im Internet surfte. Ich wollte wissen, warum es regnet.

Dann lag ich mit Grippe im Bett und konnte nicht busfahren. Ich schickte Katrin, sie sollte Adalbert Mitterhuber beschatten. Sie konnte nichts Neues berichten. Ich glaube, er hat sie bestochen.
Sonja reagierte hysterisch auf meine Vermutung. Sie sagte mir, ich sei schräg.

Adalbert Mitterhuber ist mein Feind. Ich habe das während meiner Grippe erkannt. Niemand kann mich verstehen, aber ich weiß, dass es so ist. Und ich weiß, warum es regnet. Morgen werde ich das alles Adalbert Mitterhuber mitteilen.

Leider lassen sie mich derzeit nicht raus. Aber ich schicke einen Brief an die Busfahrerin.
Die kann diesen Adalbert Mitterhuber beim Einsteigen geben.

Natürlich nur, wenn er nicht in Australien ist.

 

Hallo und willkommen aufnkg.de :)

Ja, das ist ein wirklich feiner Einstieg, trifft genau meinen Geschmack. Ich mag so Wahn-Stories eh und erwische mich dabei, wie ich immer wieder selbst dieses Thema auf die eine oder andere Weise bediene.
Wie du das aufbereitest, das kommt so frisch und unschuldig daher, wirft keine große Wellen, sondern viele kleine fiese unterschwelligen. Im Grundgedanken musste ich an den alten Witz denken: "Ein Geisterfahrer, sagen die im Radio? Hunderte!" Aber Glücklicherweise kommst du hier nicht mit dieser Posaune, sondern baust das fein sensibel auf.
Rein formal würde ich überlegen, ob du wirklich nach fast jedem Satz einen Absatz brauchst. Irgendwie macht das immer so "badam! Neuer Satz! Badam!"

Gerne gelesen
Viel Spaß noch hier im Forum beim Lesen, Schreiben und Kommentieren :)

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo,

auch mir gefällt dieser Text richtig gut.

Neben den von Nora schon erwähnten Kleinigkeiten, hätte ich hier noch einen Vorschlag:

In der Arbeit wartete ich auf meine Rückfahrt mit dem Bus.
Statt "In der" würde aus meiner Sicht ein "Während der" oder "Während meiner" besser passen.

Liebe Grüße

Andreas

 

Hallo ihr lieben,

vielen Dank für Eure Rückmeldungen. :)
Es freut mich, dass Euch mein "Erstbeitrag" doch soweit gefallen hat.
Wie ihr zurecht bemerkt habe, habe ich "im Eifer des Gefechts" einige Details nicht so passend formuliert.
Jetzt im Nachhinein kann ich Euch nur zustimmen und ich werde meine Geschichte dahingehend überarbeiten.

Danke fürs lesen und viele Grüße von
Diana

 

Hallo mamamauzi,

der lapidare Tonfall, die alltäglichen Details und das Skurrile an der Geschichte haben mir sehr gefallen! Der Wahnsinn geht ja schon früh los: Warum ärgert sich der Ich-Erzähler hier:

Dann hatte ich dieses unglaublich starke Bedürfnis, die Sache aufzuklären.
„Was denken Sie denn, warum es regnet?“ fragte ich ihn gereizt.
Er zuckte die Achseln “Es regnet eben, weil es regnet.“
Ich war erbost über diese lapidare Erklärung.

Außerdem: Woher kennt er den Namen Adalbert Mitterhuber?

Der Weg zum Wahnsinn führt wie eine gerade Linie bis zum Ende. Erst hier war ich sicher, dass der Protagonist nicht alle Tassen im Schrank hat:

Ich schickte Katrin, sie sollte Adalbert Mitterhuber beschatten.

Wirklich sehr gut gemacht! Für die Lesefreundlichkeit online wäre es angenehm, dem Text ein paar Absätze zu verpassen.

Sehr gern gelesen!

Berg

 

Hallo mamamauzi,

und Willkommen bei KG.de.
Das ist ein kleiner, schöner, kurzweiliger Text, der Spaß macht.

Frau Fritz aus der Personalstelle feierte mit einer Mandarinentorte ihren Geburtstag.

Diese 0-8-15 Infos dazwischen, ich mag die gern. Im Verlaufe des Textes wachsen die ja zu einem schönen Kontrast. Normaler Alltag, gegen Neurose. Da haben die tatsächlich mal eine Funktion.

„Na ja, die Natur braucht es eben, um weiter zu wachsen und soPUNKT“

„Zu meiner Tochter sagte ich immer, die Engel weinen, weil Du nicht brav bist.“

„Zu meiner Tochter sage ich immer, die Engel weinen, weil du nicht brav bist.“

Ich fühle mich unwohl und mutmaßte, dass es sich bei Adalbert Mitterhuber um einen Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus unseres Nachbarorts handeln könnte.

fühlte - Präteritum

Und hier eine Frage, die mich aus der Bahn warf - Er kennt den Mann mit Namen. Woher eigentlich? War er bei ihm auf dem Amt?

„Was denken Sie denn, warum es regnet?“KOMMA fragte ich ihn gereizt.

Er zuckte die AchselnPUNKT “Es regnet eben, weil es regnet.“

Als ich ins Bett ging, war ich sehr wütend auf Adalbert Mitterhuber und nahm mir vor, ihn bei einem weiteren Treffen zu konfrontieren.
Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
Am nächsten Morgen hatte ich Adalbert Mitterhuber vergessen.

Sehr schön :)

Es war ihm nichts Besonderes anzumerken, aber ich durchschaute, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
Als ich nach Hause kam, sagte Sonja, ich wäre merkwürdig.

Auch sehr schön auf den Punkt gebracht. Dieses Verquere, in Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Am nächsten Morgen aß ich Müsli statt meiner Honigsemmel zum Frühstück.

Ja, die Persönlichkeitsänderungen werden greifbar :D. Cool gelöst.

Auf meiner Terrasse konnte (...) mich nicht auf mein Sudoku konzentrieren.

in die Klammer ein ich einfügen

Feiner kleiner Text. Mehr kann man eigentlich gar nicht sagen.

Viel Freude Dir hier.
Beste Grüße Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo mamamauzi,

auch von mir erst einmal: Willkommen auf KG.de.

Ich finde es schon erstaunlich, was "Neue" hier manchmal abliefern.
Eine wirklich amüsante Geschichte hast Du da geschrieben.

Dass der Unbekannte von der Bushaltestelle gleich zu Beginn
"Adalbert Mitterhuber" genannt wurde, hat mich gar nicht irritiert.
Für mich wirkte das eher so, als habe ihn Dein durchgeknallter
Erzähler mal eben gerade - an Ort und Stelle - auf diesen Namen
"getauft" , wie es zur allgemeinen Skurrilität seiner Denkungsweise
auch passen würde.

Ziemlich schnell war eigentlich klar, dass der unauffällige Adalbert
hier nicht das Problemkind ist. Schon die Fragestellung ganz am
Anfang und seiner damit verbundenen, plötzlich auftretenden und
unerklärlichen Wut (wegen nichts!) ließ mich doch gleich vermuten,
wer da wohl eher einer Psychiatrie entsprungen ist.

Langsam hast Du es mehr und mehr gesteigert, bis es für den Leser ganz
deutlich wurde, wer da nicht alle Latten am Zaun hat. Der Bekloppte
lief immer mehr zur Höchstform auf und seine abstrusen Gedankengänge
hast Du in prägnanten Sätzen zum Ausdruck gebracht ... herrlich!

Gerne gelesen und ... sind wir nicht alle ein bisschen "bluna" ? :D

Liebe Grüße

Darkeyes

 

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