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Warum es regnet
Der Tag, an dem ich Adalbert Mitterhuber kennenlernte, war kein besonderer Tag.
Ich glaube, es war ein Mittwoch und es regnete in Strömen. Bei mir im Amt war alles wie immer. Frau Fritz aus der Personalstelle feierte mit einer Mandarinentorte ihren Geburtstag.
Als ich zur Bushaltestelle kam, stand Adalbert Mitterhuber im Bushäuschen. Er blickte in den Himmel.
„Wissen Sie, warum es regnet?“ Er sah mich kurz an, dann wieder in den Himmel.
Ich war irritiert. „Na ja, die Natur braucht es eben, um weiter zu wachsen und so.“
Adalbert Mitterhuber nickte, sagte jedoch nichts.
Ich sah mich bemüßigt, weitere Erklärungen abzugeben. „Zu meiner Tochter sage ich immer, die Engel weinen, weil Du nicht brav bist.“ Ich grinste und erwartete ein Lachen.
Doch Adalbert Mitterhuber nickte nur ein weiteres mal und schlug den Kragen seiner Jacke höher, da der Wind sehr unangenehm war.
Ich fühlte mich unwohl und mutmaßte, dass es sich um einen Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus unseres Nachbarorts handeln könnte.
Eine Weile standen wir schweigend da und warteten weiter auf die Linie 27. Dann hatte ich dieses unglaublich starke Bedürfnis, die Sache aufzuklären.
„Was denken Sie denn, warum es regnet?“ fragte ich ihn gereizt. Er zuckte die Achseln “Es regnet eben, weil es regnet.“ Ich war erbost über diese lapidare Erklärung.
Der Bus kam, wir stiegen ein. Adalbert Mitterhuber setzte sich in die dritte Reihe links auf einen freien, einzelnen Sitz. Ich ging nach hinten in die vorletzte Reihe und platzierte mich neben einer älteren, rothaarigen Dame. Hinter uns waren unangenehmerweise zwei lebhafte Mädchen im Teenageralter.
Ich starrte auf Adalbert Mitterhubers Hinterkopf und war wieder ärgerlich. Er stieg zwei Stationen vor mir aus. Ich sah ihm nicht nach, mir war egal wohin er ging.
Zuhause verbrachte ich mit meiner Frau Sonja und meiner Tochter Katrin einen angenehmen Abend. Als ich ins Bett ging, war ich sehr wütend auf Adalbert Mitterhuber. Ich bekam vor Ärger Sodbrennen und musste 20 Tropfen Iberogast einnehmen. Das war natürlich seine Schuld. Ich nahm mir vor, ihn bei einem weiteren Treffen ordentlich die Meinung zu sagen. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
Am nächsten Morgen hatte ich Adalbert Mitterhuber vergessen.
Nach einem normalen Arbeitstag traf ich ihn wieder an der Bushaltestelle. Es regnete nicht und ich wartete ungeduldig darauf, dass er zu mir herüber sah. Dann konnte ich ihm endlich seine Unverschämtheit vor Augen führen.
Doch Adalbert Mitterhuber starrte nur auf seine Wildlederhalbschuhe. Ich ärgerte mich über mich, über ihn und überhaupt.
Die Busfahrerin, eine Brünette mittleren Alters und schiefen Zähnen, forderte zum zügigen Einsteigen auf und schloss früh die Türen.
Diesmal stieg ich vor ihm ein und setzte mich auf einen freien Platz in der Mitte.
Adalbert Mitterhuber nickte mir kurz zu, ging vorbei und nahm einige Sitze hinter mir Platz.
Dann hatte ich plötzlich diese Gänsehaut und wusste, dass er mich hinterrücks fixierte.
Er verließ den Bus wieder zwei Stationen vor mir. Es war ihm nichts Besonderes anzumerken, aber ich durchschaute, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
Als ich nach Hause kam, sagte Sonja, ich wäre merkwürdig.
Vor dem Einschlafen stellte ich mir abermals vor, wie ich Adalbert Mitterhuber zur Rede stellen würde.
Am nächsten Morgen aß ich Müsli statt meiner Honigsemmel zum Frühstück.
Während meiner Arbeit wartete ich auf meine Rückfahrt mit dem Bus. Die Sonne schien, es war warm und Adalbert Mitterhuber war nicht an der Haltestelle.
Auf meiner Terrasse konnte ich mich nicht auf mein Sudoku konzentrieren. Ich überlegte, ob er möglicherweise nach Australien ausgewandert sei.
Am Dienstag nach Ostern fuhr Adalbert Mitterhuber wieder mit dem Bus und ich glaube, er war nicht in Australien gewesen.
Obwohl es nicht meine Haltestelle war, stieg ich mit ihm aus. Ich hatte spontan die Idee, ihn zu verfolgen. Er bog nach rechts in eine Hochhaussiedlung ab und war dann verschwunden.
Sonja kochte zuhause ein ungarisches Gulasch. Ich hatte keine Zeit zum essen, da ich im Internet surfte. Ich wollte wissen, warum es regnet.
Dann lag ich mit Grippe im Bett und konnte nicht busfahren. Ich schickte Katrin, sie sollte Adalbert Mitterhuber beschatten. Sie konnte nichts Neues berichten. Ich glaube, er hat sie bestochen.
Sonja reagierte hysterisch auf meine Vermutung. Sie sagte mir, ich sei schräg.
Adalbert Mitterhuber ist mein Feind. Ich habe das während meiner Grippe erkannt. Niemand kann mich verstehen, aber ich weiß, dass es so ist. Und ich weiß, warum es regnet. Morgen werde ich das alles Adalbert Mitterhuber mitteilen.
Leider lassen sie mich derzeit nicht raus. Aber ich schicke einen Brief an die Busfahrerin.
Die kann diesen Adalbert Mitterhuber beim Einsteigen geben.
Natürlich nur, wenn er nicht in Australien ist.