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Warten

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03.05.2002
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Warten

Vier Wände, eingezwängt darin – Kleidung, eingesperrt in ihr. Aus den Boxen tönt Musik, Glockenklänge, Pianos, einer zitternden Stimme Gesang formt Worte – diese dringen in seinen Geist, erfüllen ihn mit Rhythmus, Stimmung und Gefühl. Herzschlag. Schnell. Schweiß auf der Stirn und Erregung, innerlich unsichtbar kribbelnd und, äußerlich sichtbar, lustvoll das Gewissen quälend.

Auf dem Tisch Blätter, Farben, Wassergläser. Pinsel, Stifte und Papier. Ein Wischlappen. Ein Messer, eine Kerze. Fotos. Ein Laken, weiß und ordentlich zusammengelegt. Blasses Licht, dringt von außen durch das Fenster.

Wenn er nur endlich allein wäre, endlich tun könnte, wonach es ihn seit Stunden schon verlangt. Die Hüllen abstreifen, sich der Empfindungen nicht mehr erwehren müssen. Sie auskosten können, die Erregung ausleben, nicht mehr länger Masken malen, die das Wirkliche verbergen sondern Wahrheit, seine Wahrheit, die aus ihm dringen will, und die immer stärker wird. Nicht nur hören, sondern selbst mitsingen, laut und hemmungslos, und tanzen, tanzen, tanzen, und niemand kümmert es.

Wild mit Farben spielen, Formen schaffen, Worte finden, sein Innerstes nach außen kehren – sich selbst als Leinwand sehen, Arme, Beine, Oberkörper, das Gesicht, er selbst das Kunstwerk, doch nicht für andre zum Betrachten, nur für sich für diese Nacht. Endlich den Fesseln entrinnen und sich nackt sich selbst hingeben.

Sich beschmutzen, künstlich und natürlich, Kerzenmesserfarben schwarz und rot, und weiß aus seinem Leben. Den Schweiß seinen Körper entlangrinnen sehen. Sekundenlangen Schmerz aushalten, dann Erlösung, doch bald schon neuer Schmerz. Beobachten, wie Farben und Säfte sich vereinen. Daran riechen, daran schmecken. Ekel aufkommen lassen und den mit lautem Lachen abtun.

Und dazu tanzen, tanzen, tanzen, um unsichtbare Flammen, im Kreis, rasendschnell, der Erschöpfung und der Leere entgegen, der Stille und dem Frieden und dem Glück.

 

Hi Mario, ich hab dir ja gestern schon gesagt, die Geschichte ist sehr schwierig zu verstehen.
Naja , heute beim zweiten lesen und vorallem durch die Absätze ist sie verständliche, aber immernoch schwierig, was ja durchaus absicht sein mag.

Erst mal zum Stil: Selbiger gefällt mir gut . Er erinnert an den Expressionismus, mit seinen aneinanderreiungen von Gedankenfetzen und wirkt sehr stark und beklemmend.

So jetzt zum Inhalt: Drei Begriffe schieße mir durch den Kopf: Künstler, Freiheit und Selbstmord.
So wie ich es verstehe sucht der Künstler nach schöpferischer Freiheit die nur für ihn und nicht für die Masse gedacht ist. Er will sich entfalten und kann es aufgrund der Gesellschaft nicht. Der Einzige ausweg ist der Selbstmord.
Geht das ungefähr in die richtige Richtung?

 

Hallo Mario!

Erst mal nur ganz kurz, weil ich weg muß: Ich sehe hier keinen Selbstmord, sondern das Warten darauf, endlich mit sich allein zu sein. Nicht das tun zu müssen, was andere verlangen, erwarten, wünschen, sondern der eigenen Fantasie freien Lauf lassen zu können, alle Empfindungen, Gefühle zulassen zu dürfen.

Hab aber jetzt nur mal schnell drübergelesen und komme wieder. ;)

Alles liebe
Susi

 

Also für mich klingt das ganze ziemlich nach "Schweinkram" ;). Wenn das so wäre dann, wäre das aber gar nicht so schlecht. Mich erschreckt es zwar irgendwie und stößt mich ab, aber ist trotzdem irgendwie gut geschrieben. ich glaube es steckt bedeutend mehr drin, als in Häferls Interpretation.
Ich glaube es geht darum sich ganz gehen zu lassen und dabei irgendwie neben sich selbst zu treten. Also einerseits so subjektiv wie möglich zu werden. Andererseits aber auch die Position des Betrachters von Außen einzunehmen ("sich selbst als Leinwand sehen").
Insgesammt toll komponiert, stößt mich aber irgendwie ab. Naja, is auch ein Qualitätsmerkmal. :)

Sal

 

Hi ihr!

Danke, dass sich doch noch jemand dieses Textes erbarmt hat, und danke, dass ihr mich nicht niedermacht sondern lieber über den Sinn nachdenkt! *freu* Und das geniale ist, ihr alle seid auf dem richtigen Weg (es zu verstehen), und da ihr es höchstens abstoßend (was auch durchaus beabsichtigt ist) aber nicht unbedingt schlecht findet, freue ich mich noch mehr!

Liebe Grüße,
Mario

 

hallo mario, bis auf "schweinkram" kann ich mich der meinung von Salinger ganz gut anschließen, was die aussage deines textes betrifft. manchmal ist der gesellschaftliche zwang so groß und stark, dass die lust auszubrechen eine unbändige wird - und somit auch über das ziel hinaus schiesst.

was mich aber fasziniert hat ist dein stil. du schaffst es, ein atemberaubendes tempo hinzulegen. dieser text greift wie mit riesigen fangarmen nach dem leser und lässt ihn nicht mehr los - ganz unabhängig davon, ob dem leser der inhalt gefällt, oder nicht. hat mir gut gefallen. beste grüße. ernst

 

Hallo Mario!

Ein etwas verwirrender Text. Nicht leicht nachzuvollziehen bzw. verstehen. Gerade das ist reizvoll.

Ist es eine Überzeichnung des Wunsches aus der Rolle zu fallen und man selbst zu sein? Steht er vor dem Wahnsinn? Geht es um den komprimisslosen Ausbruch von Zwängen? Geht es um Kunst? Ist er zurechnungsfähig?

Ziemlich viele Fragen tauchen auf beim Lesen des Textes, die vielleicht gar nicht beantwortet werden sollen.

klara

 

Hallo Klara und Ernst,

auch eure Kritiken freuen mich. So langsam komme ich zu dem Schluss, dass der Text tatsächlich einer meiner besseren ist, wovon ich (wie eh und je) zunächst gar nicht überzeugt war. :)

LG,
Mario

 

Hallo Mario!

für mich ist das, was du beschreibst 'Ekstase'.
Lust/Hingabe, Ekel/Ablehnung - ist dazwischen nicht sowieso nur eine hauchdünne Grenze?

Gruß
Murron

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Murron,

Auch dir danke für's Lesen. Freiheit, Selbstmord, Schweinkram, Wahnsinn und jetzt Ekstase - bedingt sich das nicht teilweise gegenseitig? Schön, dass du auf diese dünne Grenze zwischen den zwei Extremen hingewiesen hast. Ich denke nämlich, wenn der Mensch in der Geschichte später merkt, was er da in diesem Zeitraum getan hat, wird er nach der Ekstase des "sich-selbst-hingebens" ganz schnell über sich den Kopf schütteln, vielleicht nicht wirklich Ekel empfinden, aber doch Unverständnis, Verwunderung und evt. sogar ein wenig Stolz - bevor er wieder "normal" wird und erneut wochen- oder monatelang einen Stau an Bedürfnissen verschiedenster Art in sich aufbaut, die er nicht ausleben darf.

cu
Mario

 

Hi Mario!

Bin Deine Geschichte jetzt, nach meinem ersten Flug darüber, durchwandert und kann genauer darauf eingehen.

Im ersten Absatz habe ich fast das Gefühl, Dein Protagonist befindet sich in einer Peep-Show, aber das ist vielleicht gar kein so schlechter Gedanke - er betrachtet vielleicht auch das Leben wie aus einer Peep-Show-Kabine. Eingezwängt, bis hierher und nicht weiter, keine richtige Befriedigung.

Nur wenn er alles das ablegen kann, niemand anderer außer ihm selbst, seine Gefühle sieht, kann er aus sich heraus. Sich, wenn er denn will, in den Farben, Schweiß und anderem sulen. (Nein, der Ausdruck Schweinekram liegt mir nicht...)
Ekstase ist der richtige Ausdruck. Und ich denke auch nicht, daß es ihm danach, wie Du in Deinem Posting schreibst, seltsam oder sonstwas vorkommt. Es wird ihm gut gehen, wenn er sich so gehen lassen kann. Und er hat es ja offenbar in nüchterner Stimmung vorbereitet, sonst wäre nicht alles so auf dem Tisch gelegen. Und ist es schlecht, sich zu sagen "Heute laß ich mich mal richtig gehen?".

Pervers sind nicht die menschlichen Bedürfnisse,
sondern daß wir Menschen sie als pervers bezeichnen.

Alles liebe
Susi

 

da fällt mir was ein - hoffentlich nicht zu weit hergeholt!
Hier gehts um Freiheit - allerdings welche? Der Protagonist, nennen wir ihn Künstler, wenn schon kein echter, dann immerhin Künstler des Lebens (frei nach Daisetz Teitaro Suzuki), möchte sich befreien: von der Hülle des Alltags! Was bestimmt den Alltag? Der Urgrund alles Lebens: die räumlichen Dimensionen, Zeit und Kausalität. Um eben dieser Gefangenschaft zu entrinnen gibt es nur ganz ganz wenige Möglichkeiten: die Kunst.
Ein anderer Ansatz geht in die Richtung Befreiung vom Alltag, Befreiung aus der Selbstverständlichkeit - sich selbst zu verletzen und dabei Schmerz zu verspüren (o, das erinnert mich an Le Pianiste, bzw. Die Klavierspielerin) ist etwas, das einer Klärung bedarf, also keineswegs: selbstverständlich. Diese Selbstverständlichkeitsdenken ist eines der Probleme der Gesellschaft und das anzuprangern ist mitunter Aufgabe (neuer) Kunst.

 

Hallo Häferl und linjus,

ich habe eben nochmal den Anfang gelesen und das, was du, Häferl, über die "Peepshow" sagst, kann ich total nachvollziehen. Es klingt wirklich so, als ob. Genial, wenn man als Autor auf solche unbewusst geschriebenen Dinge hingewiesen wird. Und deine Interpretation, die Betrachtung des Lebens aus einer Kabine trifft sogar den Punkt. Schön, dass Ihr mich besser versteht als ich mich selber ;)

Linjus! Suzuki? Ist das nicht dieser große Lehrer vom Zen-Buddhismus, der mal sone Art "Standardwerk" dazu geschrieben hat? Insbesondere den Schluss der Geschichte habe ich ein wenig im buddhistischen Sinne gesehen, denn am Ende geht er in die Lehre. Das Nirvana hatte ich dabei durchaus im Kopf. Nun... es sind allerdings andere Methoden als im Zen, um das zu erreichen...

Wobei ja ALLES Zen ist...

Viele Grüße,
Mario

 

Hallo Mario,

von deinem Werk ist sofort ein Funken auf mich übergesprungen. Und das ist selten! Dein "Brainstorming" (die einzige Kritik von mir: es ist für mich keine Geschichte) hat mich hochgewirbelt und durch die Luft geschleudert. Es wurde ja schon einiges gesagt. Für mich geht es einfach darum wirklich intensiv zu leben, fern aller Konventionen, einfach nach den innersten Bedürfnissen, seien sie noch so "merkwürdig" für aussen stehende.

Habe ein wenig an Jack Kerouacs "On the road" gedacht, in dem der Protagonist einmal sagt, dass er eine Schwäche für diese Verrückten hat, die immer nur das Bedürfnis haben zu burn, burn, burn.

Warum muss es hierbei um Künstler gehen? Warum nicht einfach um Menschen, die sich vollkommen dem Leben verschrieben haben? Im Übrigen würde ich hier auch keine Story drüber stülpen, sondern die Ausführungen allgemeiner sehen.

Liebe Grüße

Jan

 

Hi PeterPan,

mich freut auch bei dir, dass es dir gefallen hat, und dass der Text dich "durch die Luft geschleudert" hat, fasse ich als ziemlich großes Kompliment auf. Natürlich muss es nicht um Künstler gehen, allerdings war diese Assoziation schon beabsichtigt, durch die Farben z.B.

Es ist klasse, wenn ihr euch darüber soviel Gedanken macht, hab ich bisher so nicht erlebt.

Aber ich find's fair, einfach mal zu sagen, dass die Geschichte in Wahrheit purer Seelenstrip ist. Nachdem ich in ihr mein Empfinden niedergeschrieben hatte, fühlte ich mich viel viel besser.

Liebe Grüße,
Mario

 

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