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Warten

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24.01.2006
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Warten

Und wir warten wie die Psychopathen
Und wir warten in harten, harten, harten Zeiten
Warten nur, bereiten uns auf's Warten vor
(The Wohlstandskinder – Apathisch warten)


Mein Daumengelenk schmerzt vom telefonieren. Nie hätte ich gedacht, dass so etwas überhaupt möglich ist. Nach unzähligen Anrufen habe ich es erneut in die Warteschleife geschafft. Endlich darf ich wieder warten. Alles, was ich heute bisher erreicht hatte, war ein ständiges Piiiiieeeppp. Nein, nicht Verona Feldbusch! Tinitus, einseitig. Linkes Ohr, hergerufen durch das Besetzzeichen, hat mein Arzt gesagt.

Doch jetzt befinde ich mich in der Leitung und höre Phil Collins. Zuvor wurde ich mit Robbie Williams, Phil Collins, Shakira, Westernhagen, Backstreet Boys, US5 und Robbie Williams beschallt. Das Programm wiederholt sich alle 21 Minuten 37 Sekunden. Hand gestoppt. Zwischen den Liedern meldet sich immer eine weibliche Stimme, die mir zärtlich ins Ohr säuselt: „Legen Sie nicht auf, der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert.“ Da bleibt einem doch gar nichts anderes übrig, als zu warten. Außerdem bin ich schon froh, so weit gekommen zu sein. Ich gebe zu, ich klinge wie ein Kandidat, der es bei „Wer wird Millionär“ auf den Stuhl geschafft hat, aber es ist tatsächlich so. Warten ist die schönste Nebensache der Welt. Ich gehöre dem elitären Zirkel der ernstzunehmenden Kunden an. Ich bin mehr als nur Deutschland. Ich bin Wartender! Und das seit gut einer halben Stunde.

Warten hat sehr viele positiven Seiten, das glauben die meisten nicht. Ich lese viel, vor allem Zeitung, bin so über das Weltgeschehen informiert und überhaupt ziemlich ausgeglichen. Mein Herzrasen ist deutlich zurückgegangen, vom Blutdruck gar nicht erst zu sprechen. Gut ich gebe zu, es gibt auch ein paar negative Seiten, die Küchenzeile ist unter einem Berg Geschirr verschwunden und gestern bin ich auf der Staubschicht, die sich auf dem Fußboden abgesetzt hat, ausgerutscht und hätte mir fast das Genick gebrochen. Doch wer gibt sich schon mit derartigen Lappalien ab. Alles in allem hat mich das Warten zu einem besseren Menschen gemacht! Ich bin die Ruhe selbst geworden, zu einem Optimisten herangereift. Deshalb bin ich auch frohen Mutes heute durchzukommen.

Meine Kumpels meinen, ich sei verrückt geworden, den ganzen Tag zu telefonieren. Doch wenn ich mich in ein Thema hinein gesteigert habe, kann ich sehr ehrgeizig sein. Die Telefonkosten sind zwar mittlerweile in utopische Höhen gestiegen, aber das ist mir egal, ich werde zu meinem Recht kommen, egal wie lange es dauert und was es kostet.

Mittlerweile plärrt wieder Shakira in den Hörer. Das werde ich denen als erstes sagen! Wie kann man Shakira als Warteschleifenmelodie wählen. So was ist doch nicht verkaufsförderlich! Ich drehe die Lautstärke zurück, das mache ich immer wenn Shakira kommt, bei Westernhagen wird dann wieder rauf geschaltet und mitgegröhlt. Dann weiß ich wieder, was mich am Warten so fasziniert. Bis dahin entschließe ich mich ein wenig zu dösen.

Nach zwei Stunden erwache ich schweißgebadet. Ein Alptraum. Ich war in der Warteschleife, bin durchgestellt worden und wusste nicht mehr, was ich wollte. Schrecklich so was! Und noch schrecklicher. Ich bin durch gestellt worden.
Ich bin erst erleichtert, als ich das monotone Piepen höre. Davon abgesehen weiß ich sehr gut, was ich will, ich will meine 2,50 Euro, die mir auf der letzten Rechnung doppelt abgebucht wurden, zurück. Ich will Gerechtigkeit!

Ich beginne Schach gegen mich selbst zu spielen. Ich habe mal ein Buch gelesen, genauer gesagt eine Novelle, in welcher der Charakter vor lauter Ein-Mann-Schach schizophren geworden ist und komplett den Bezug zur Realität verloren hat. Das könnte mir nie passieren.
Ich konzentriere mich auf den nächsten Zug, ziehe den schwarzen Springer auf C5 und bedrohe so gleichzeitig den König und die Dame von Weiß. Gabelangriff, nennt man das, meine Spezialität. Doch ich kann mich nicht lange an meiner Genialität erfreuen, schließlich muss ich mit Weiß die teuflische Attacke parieren. Als ich gerade fieberhaft überlege, wie ich kontern kann, meldet sich wieder die Stimme zu Wort. Aber dieses Mal ist es nicht der freundliche Computer, sondern eine tiefe, maskuline Stimme, die sagt: „Kundenservice, Schlink. Was kann ich für Sie tun?“
Ich bin total perplex, sage: „Ähhh ... ich ruf später noch mal an“ und lege auf.

Minuten später drücke ich die Wahlwiederholungstaste und lausche erleichtert US5.

 

Hallo neukerchemer

Wirklich hervorragend!
Ich konnte mich auf Anhieb in Deine Story fallen lassen!
Auch wenn ich :lol: musste und jetzt noch schmunzel, hat Deine Geschichte doch auch viel Wahres an sich.:D

Ich habe mal ein Buch gelesen, genauer gesagt eine Novelle, in welcher der Charakter vor lauter Ein-Mann-Schach schizophren geworden ist und komplett den Bezug zur Realität verloren hat. Das könnte mir nie passieren.

Und das Müsste doch die Schachnovelle von Stefan Zweig gewesen sein!!
Wirklich ein tolles Buch wie ich meine, eben wie deine kleine Kg!

Immer wieder gern :read: ,

Belvar

 

Hallo Belvar,

vielen Dank für deine Kritik.

Wirklich hervorragend!
Ich konnte mich auf Anhieb in Deine Story fallen lassen!
Auch wenn ich musste und jetzt noch schmunzel, hat Deine Geschichte doch auch viel Wahres an sich.
Danke, das freut mich.

Ja, das ist die Schachnovelle. Kann man ruhig etwas Werbung dafür machen. Tolles Buch.

Also danke nochmal.

lg neukerchemer

 

Hallo,

auch ich finde die Geschichte im Großen und Ganzen gelungen, wenngleich ich meine, man könnt noch einige Stellen klarer konturieren. Insbesondere der Schluss könnt forcierter sein. Das einfache AHHH-Geschrei und auflegen war mir .. zu wenig. Hier wär noch Platz für mehr.

Was wär, wenn das Gegenüber selbst grad durchgekommen wär, und der Prot in gespiegeltem Autismus endet ;-) ?


VG,
Flic

 

Hallo FlicFlac,

auch dir vielen Dank.

Freut mich, dass du sie gelungen findest. Sicherlich könnte man sie noch ausbauen, möchte ich aber eigentlich gar nicht. Der Schluss gefällt mir so ganz gut.

lg neukerchemer

 

Hi neukerchemer!

Schönes Geschichtchen. :thumbsup:

Für meinen Geschmack fast noch nicht übertrieben genug, da der ein oder andere sicherlich schon mal sein besonderes Warteschleifenerlebnis hatte. (Ich persönlich bevorzuge die Drohbriefvariante, aber naja.)

Aber der Aufbau und der Stil sind wirklich gut.:)

Beste Grüße

Nothlia

 

Hi Nothlia,

auch dir vielen Dank fürs Lesen und natürlich auch fürs Gut finden.

Für meinen Geschmack fast noch nicht übertrieben genug, da der ein oder andere sicherlich schon mal sein besonderes Warteschleifenerlebnis hatte. (Ich persönlich bevorzuge die Drohbriefvariante, aber naja.)
Irgendwie kann man die Übertreibung doch immer weiter spinnen, ich mag es nur ganz gerne,wenn noch ein paar realistische Ansätze drinnen sind.

Aber der Aufbau und der Stil sind wirklich gut.
Vielen Dank :-)

lg neukerchemer

 

Hi Daniel,

irgendwie wirft deine Geschichten Fragen auf, die du dir glaube ich nicht richtig überlegt hast bei der Ausgestaltung.
Warum zum Beispiel, stapelt sich der Abwasch in der Küche, wenn dein Prot verheiratet ist und mit seiner Frau zusammenlebt?
Die Idee, jemanden zwischen dem eignene Fanatismus und der globalen Warteschleife verhungern zu lassen, ist grundsätzlich sehr gut, deine Pointe wurde mir in dieser oder ähnlicher Form allerdings schon sehr häufig bemüht und im Falle deiner Geschichte ist das Warten dabei leider nicht konsequent ausgereizt und übertrieben. Ich hätte es mir ja drastischer gewünscht, den Prot am Ende vielleicht tot.
Okay, das wäre eine andere Geschichte ... ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Florian,

vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren.
Der Einwand mit der Frau ist ziemlich gut. Habe jetzt geschrieben meine Kumpels.

Das Problem bei der Länge ist halt, dass wenn ichs noch mehr ausreize sie entweder langweilig ist, oder sie zu absurd wird. Hatte sie erst länger und fand sie dann zu überspitzt und zu unglaubwürdig, weil ich schon noch etwas realen Bezug haben wollte.

Ich hätte es mir ja drastischer gewünscht, den Prot am Ende vielleicht tot.
Ich schreib doch keine Suizidgeschichten. Spinnst du? :-)

Vielen Dank auf jeden Fall für deinen Kommentar. Werde mir überlegen sie vllt doch wieder zu strecken und mehr zu pointieren.

lg neukerchemer

 

Hi Klaus,

vielen Dank auch dir fürs Lesen und Kritisieren.

Der Kern meiner Satire ist das Warten bei irgendwelchen Telefonzentralen. Der Witz besteht ja gerade darin das der Typ total begeistert vom Warten ist, obwohl sich jeder ander, so auch du, darüber aufregt. Er sieht nur die positiven Seiten des Wartens, dadurch ziehe ich ja die sinnlose Warterei ins Lächerliche. Die zwei von dir zitierten Stelle wirken genauso, meine Satire ist nicht ins negative überzeichnet, ich denke das hast du vergeblich gesucht, sondern ins positive.

Vielleicht schreibst Du dann aber auch eine Geschichte mit dem Titel „Wie ich damals noch ein glücklicher Mensch war, bevor ich mit der Telekom telefonierte“, oder so ähnlich.
Eben das wäre ja dann keine Satire, weil ich es einfach nur so wiedergeben würde und mich darüber aufregen, das macht ja noch lange keine Satire aus.

lg neukerchemer

 

lso so habe ich das wirklich nicht verstanden. Würde mich mal interessieren, ob die anderen das so verstanden haben, wenn ich mir die Kritiken ankucke, glaube ich aber eher nicht.
Doch denke ich eigentlich schon.
Vllt kommen diesbezüglich ja noch ein paar Kommentare.

lg neukerchemer

 

Hi Daniel,

nein, die Begeisterung für das Warten ist bei mir so nicht angekommen. Eher ein entstehender Fanatismus für die Reklamation für die er wartet, eine Art Prinzipienreiterei, aus der heraus er das Warten in Kauf nimmt und zur Manie steigert - Um der Sache, nicht um des Wartens willen.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi sim,

schön, dass du dich noch mal meldest. Diese Prinzipenreiterei sollte schon auch rauskommen, aber daraus resultierend, auch eine Begeisterung fürs Warten, natürlich auch um der Sache willen, aber nicht nur. Werd mich bei Gelegenheit nochmal ran setzen.

EDIT: Ich denke jetzt ist die Begeisterung fürs Warten deutlicher.

 

Hallo Daniel,

mir hat deine kleine Satire ganz gut gefallen, zumindest musste ich bei der ein oder anderen Stelle schön schmunzeln :)

und höre Phil Collins. Zuvor wurde ich mit Robbie Williams, Phil Collins, Shakira,
Ist es Absicht, dass hier Phil Collins zweimal erwähnt wird? Würde wenn vor das zweite Phil Collins "nochmal" oder sowas schreiben...


Insgesamt liest es sich in einem Flutsch und darauf kommt es bei diesen kleinen Schmunzel-Satiren ja an ;)

Schöne Grüße,
Sebastian


PS: Zitat von sim:

Warum [...]stapelt sich der Abwasch in der Küche, wenn dein Prot [...] mit seiner Frau zusammenlebt?

:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup: :D

 

hi daniel

Mir hat die Geschichte auch gefallen. Auch wenn ich sie für Satire zu brav finde. (ist aber geschmackssache!!!)
Du willst die Geschichte also realer haben? Kannst du mir dann sagen, wo es Menschen gibt, die sich das Warten zum Hobby gemacht haben?
Oder wo hört man Shakira und Co als 'Wartemelodie'. Das ist dann wohl die satirische Seite deíner Kg.
Das Ende hat mir nicht so gefallen. Ich hab einen großen Knall erwartet. Aber okay. Schön wäre es, wenn er gleich nachdem Auflegen wieder anrufen würde, und sich beruhigt in seinem Sessel setzt und die Musik von US5 lauscht. ;)

Doch jetzt befinde ich mich in der Leitung und höre Phil Collins. Zuvor wurde ich mit Robbie Williams, Phil Collins, Shakira, Westernhagen, Backstreet Boys, US5 und Robbie Williams beschallt. Das Programm wiederholt sich alle 21 Minuten 37 Sekunden.
Hier habe ich mich auch gefragt, warum Phil collins doppelt vorkommt. Aber das Ganze wiederholt sich ja. Dann ist der Groschen aber auch gefallen.
sich immer ein weibliche Stimme, die mir zärtlich
eine
Außerdem bin schon froh, so weit gekommen zu sein.
Das liest sich nicht so gut. Lass das 'schon' weg und ersetz es mit einem 'ich'
Und das seit gut einer halben Stunde.
Und das seit einer guten halben Stunde - liest sich schneller.
schweißgebadet. Ein Alptraum. Ich war in der Warteschleife
Nach zwei Stunden erwache ich schweißgebadet. Ein Alptraum. Ich war in der Warteschleife, bin durchgestellt worden und wusste nicht mehr, was ich wollte. Schrecklich so was! Und noch schrecklicher. Ich bin durch gestellt worden.
Ich bin erst erleichtert, als ich das monotone Piepen höre. Davon abgesehen weiß ich sehr gut, was ich will, ich will meine 2,50 Euro, die mir auf der letzten Rechnung doppelt abgebucht wurden, zurück. Ich will Gerechtigkeit!
Die beste Passage in deiner Geschichte.:thumbsup:

cu J:baddevil:

 

Hi Sebastian,

vielen Dank fürs Lesen.

freut mich, dass sie dir gefallen hat. Die Passage war schon Absicht und soll die ständige Wiederholung nochmal unterstreichen von daher würde ich sie gerne drinnen lassen.

Hi Jo,

auch dir vielen Dank fürs Lesen und natürlich auch fürs Gutfinden

Ja natürlich geht es noch satirischer, aber ich mag es nicht zu absurd, ein gewisser Bezug zur Realität soll schon noch vorhanden sein.

Du willst die Geschichte also realer haben? Kannst du mir dann sagen, wo es Menschen gibt, die sich das Warten zum Hobby gemacht haben?
Oder wo hört man Shakira und Co als 'Wartemelodie'. Das ist dann wohl die satirische Seite deíner Kg.
Bingo.

Die Fehler habe ich ausgessert. Danke fürs raussuchen.

lg neukerchemer

 

Hallo Neukerchemer !

Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Endvarianten sind bestimmt verschiedene möglich, die gewählte finde ich aber ok. Eine schöne Satire auf die "Dienstleistungsgesellschaft" in der vor lauter Einsparungen an Arbeitsplätzen -
niemand von den "Dienstleistern" mehr zu erreichen ist.

Mit freundlichem Gruß
Ogni

 

Hallo Ogni,

freut mich dass dir die Geschichte so gut gefällt.

Danke für deinen Kommentar.

lg neukerchemer

 

Hi neukerchemer,

wie oft haben wir hier im Büro eine ganz bestimmte Warteschleifenmusik, die zwar nicht halb so bekannt, dafür aber mindestens doppelt so langweilig ist ...

Dass Deinem Prot das Warten Spaß macht ist mir zugegebenermaßen auch erst beim zweiten Lesen wirklich aufgegangen. Die Manie (oder sollte mensch vielleicht eher Manieriertheit schreiben?) allerdings schon beim ersten. Da fand ich es dann etwas schwierig zu verstehen, dass er trotz seiner Manie auflegt, als er endlich durchkommt. Doch nur angerufen, um die Warteschleifenmusik zu hören?

Fazit: mein Grinsen wurde im zweiten Lesen breiter - und möchte mein Gesicht noch nicht verlassen ;);)

Ich find sie klasse!
Liebe Grüße
Tamlin

 

Hi Tamlin,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Freut mich, dass sie dir so gut gefallen hat.

lg neukerchemer

 

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