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Warten auf Winnie

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30.05.2002
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Warten auf Winnie

Ich war wütend, und ich war verzweifelt. Ich schnappte mir meine Sporttasche, packte schnell ein paar Kleidungsstücke hinein, warf noch mein Tagebuch und den Rechtschreib-Duden dazu und schlich mich aus der Wohnung.

Wo hingehen? Ich entschied mich für den "Pub", die Schüler- und Studentenkneipe in unserer kleinen Stadt. Dort bestünde die vage Hoffnung, Winnie zu treffen und sich noch einmal mit ihm zu besprechen, die ganze Sache noch einmal gut zu durchdenken, die weiteren Schritte zu planen.

Niedergeschlagen schlich ich mich durch die kleinen stillen Nebenstraßen zum "Pub". Es war noch recht früh am Abend, der Wirt hatte gerade geöffnet, ich kaufte mir ein Bier, mümmelte stundenlang daran herum.

Allmählich füllte sich das Lokal. Schüler kamen, Studenten, aber wer nicht kam, das war Winnie. Winnie, mein Schulfreund, der mir die ersten brauchbaren Tipps zum Thema "Mädchen" und "Sexualität" gegeben hatte. Winnie, mein Mentor. Winnie, der Lebens-Experte. Zumindest kannte er sich damals um Einiges besser aus, was die "Feinheiten" des Lebens anbetraf, als ich selber.

Er würde mir sicherlich irgend einen guten Rat geben können... - wenn er erst einmal käme, wenn er endlich gekommen wäre...

Ich wartete. Stundenlang. Vielleicht war ich doch ein wenig zu naiv. Wer sagte denn, dass Winnie ausgerechnet an diesem Abend in den "Pub" kommen würde? Wo war das garantiert, mit Brief und Siegel? Nirgendwo...

Ich saß rum, in meiner verklemmten, unsicheren Art, guckte mir die anderen Leute an, die wussten alle genau, was sie wollten, die hatten alle Ziele und Lebensrichtlinien... - und ich? Wo stand ich, wo kam ich her, wo ging ich hin? Wozu lebte ich überhaupt auf diesem total verrückten Planeten? Warum passierten mir diese komischen Dinge mit meiner Familie? Warum gab es unentwegt Streit, wegen Nichtigkeiten: wegen meiner musikalischen Interessen und Vorlieben, wegen der Länge meiner Haare, wegen diesem und jenem? Warum? War das in irgendeiner Form konstruktiv? Warum schlugen Menschen mit derartigen Dingen unentwegt ihre kostbare Lebenszeit tot?

Ich wartete. Wo steckte Winnie? Warum kam er nicht?

Er würde mir sicherlich einen guten Rat geben können... - wenn er erst einmal käme, wenn er endlich gekommen wäre...

 

Hallo Murmeltier,

ich fand deinen Text interessant. Für mich ist das die Beschreibung eines ziemlich unsicheren Menschen, dessen Sprach- und Denkstil du annimmst, um ihnzu charaktersieren. Die vielen Anführungszeichen zum Beispiel, die ja das Wort dazwischen immer ein bisschen in Frage stellen. Der "Pub". Das ist ja kein wirklicher Pub, der Ich-Erzähler hinterfragt die Einrichtung. Die "verklemmte, unsichere Art", die er sichselbst attestiert. Die vielen Fragen am Ende. All das zeigt, dass dieser Typ (oder diese Frau, gesagt wird es ja nicht) ohne einen Experten wie Winnie nicht leben kann, ohne einen, der ihm sagt, wo's lang geht. Der Titel, Warten auf Winnie spielt auf Beckett an, dessen Godot ja eine Umschreibung für Gott ist. Das passt zu der Funktion, die Winnie für den Ich-Erzähler hat.

Oder missverstehe ich den Text?

Ein bisschen betrogen fühle ich mich allerdings auch. Ich hab am Anfang gleich angenommen, da verlässt ein Mann seine Freundin oder Frau. Er haut überstürzt ab, vielleicht hat er sich mit der Frau gestritten und verlässt sie auf dem Höhepunkt des Streits. Oder die Frau war gar nicht in der Wohnung, er hat vielleicht irgendwie von ihrer Untreue erfahren. Wenn du mich gleich am Anfang mit der Nase darauf stößt, nehm ich natürlich an, es geht um den Grund des Schlussmachens. Ich beginne mich dafür zu interessieren. Aber dann drängt sich der Gedanke an Winnie dazwischen und ich bekomm den Grund am Ende nicht genannt. Vielleicht solltest du den Anfang daraufhin überarbeiten? So, dass der Leser nicht in die falsche Richtung denkt? Ich glaube, bei Geschichten kommt es darauf an, dass sich der Leser von Anfang an die richtigen Fragen stellt.

Grüße,
Stefan

 

Hallo Murmeltier

Ich schliesse mich gleich leixoletti an. Auch ich dachte an eine "Ich ruf dich an" Geschichte und war auf ein dickes Ende gespannt, wenn es dann käme, aber doch nicht kam. Was am Schluss bleibt, sind Selbstzweifel und (zu) viele offene Fragen. Auch für den Leser.
Interessant ist allerdings, wie die Geschichte mit weiblichem, wie männlichem Prot funktioniert. ;)

Er würde mir sicherlich einen guten Rat geben können... - wenn er erst einmal käme, wenn er endlich gekommen wäre...
- die Wiederholung ist gut, drückt sie doch die Verzweiflung des Prot aus.
Meiner Meinung nach solltest du aber "endlich" durch "schlussendlich" oder "überhaupt" o.ä. ersetzen.

*nichtbösemein* Mach was draus, weiter so.

Lieben Gruss .\ robi

 

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