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Warten auf die Nacht

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10.11.2001
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Warten auf die Nacht

Was sind meine Tage? Meine Tage sind Warten auf die Nacht.
Ich trage schwarze Hosen auf schwarzen Schuhen, und der Pullover mit dem hohen Rollkragen ist ebenfalls schwarz und – –
Zur Sache, ihr Lieben!
Lasst mich traurig lächeln über eure Fröhlichkeit, die ich leider eure optimistische Psychose nennen muss. Ich weiss es besser! Nein, nein, Freunde, auch wenn ihr das nicht gerne hören mögt: das Leben ist nicht schön. Man kann es nicht sinnvoll verbringen. Da gibt es kein Glück zu finden. Und die letzte mir verbliebene Leidenschaft ist es, euch eben das in die tauben Ohren zu brüllen: dass es kein Glück auf Erden gibt; dass Leben Qual ist. Damit vertreibe ich mir am Tage die Zeit. Tagsüber seht ihr mich in der Fußgängerzone unseres Städtchens auf und ab gehen, und in den Händen halte ich ein Schild, auf dem ich euch stumm die einzige Wahrheit entgegen schreie; auf dem Schild steht schwarz auf grau geschrieben: Leben ist Qual.
Hört, kennt ihr denn diese Schmerzen nicht? Ist euch denn nicht jede Lebenssekunde ein dunkel-dumpfer Bassdonner, der teuflisch in den Schädel hineindröhnt und jede Minute zu einer sechzigfach segmentierten Marter macht? Ihr kennt diese Schmerzen! Aber ihr übertönt sie, dämpft sie, tanzt und lärmt so laut, dass man den Bass nur als ein fernes Grollen spürt. Ich hasse euch dafür, dass ihr das könnt; dass ich euch hasse ist ja ganz natürlich, ist ein simpel berechenbarer Mechanismus. Ach, es ist ein elender Hass. Ich ertrage all diese hasserfüllten Tage immer schlechter. Immer, immer schlechter...

Still aber jetzt! Am Ende jedes dieser Tage kommt ja die Nacht, die kühle Trösterin! Und in diesem Augenblick liegt sie ja wieder balsamisch lindernd und ätherisch erfrischend auf mir. Das Schild mit dem stummen Schrei, dass Leben Qual sei, steht in der Ecke; ich aber stehe auf Büchern erhöht am Dachfenster und blicke in die blinkend starre Sternenflut. Was gibt es da mehr zu sagen? Still jetzt.
– die Nacht ist in jeder Hinsicht ein Außerhalb, ein Abseits und Jenseits, eine Nische und ein schwarzer, isolierter Raum, in den hinein der Bassdonner des sekündlich hämmernden Lebensschmerzes nicht dringt. In der Nacht lebt man nicht eigentlich. Man ist still erstarrt und... –
Still aber jetzt, endgültig!

 

Hi Chrysanth!

Ich tu mir etwas schwer mit Deinem Text, der stilistisch zwar ganz gut ist, aber der Inhalt...

Der Versuch einer Antwort:

Wo sind meine Tage? Meine Tage sind Leben und sie sind schön.
Ich trage bunt gestreifte Hosen, gelbe Schuhe und ein blaues T-Shirt, auf dem ein bunter Schmetterling prangt.
Laßt mich fröhlich sein über eurer Mißmutigkeit und euch damit anstecken. Ich habe es erfahren! Ja, Freunde, auch wenn ihr es nicht glauben wollt: Das Leben ist schön! Genießt es in jedem Augenblick, man muß nur hinsehen, um das Glück zu finden. Es steckt in jeder Sekunde, in jedem Grashalm, in jedem Schluck Wasser, in den Augen der Menschen, wenn sie sich freuen oder man sie freundlich anlächelt und Tränen tröstet, bis sie sich in Lachen wandeln, Liebe verschenkt.
Tagsüber seht ihr mich in der Fußgängerzone unseres Städtchens auf und ab gehen, und in den Händen halte ich einen Apfel, auf meinem Kopf habe ich einen Blumenkranz und Zeige- und Mittelfinger der linken Hand bilden ein V. So verbreite ich die einzige Wahrheit die es gibt, Frieden ist Leben!

Hört, kennt ihr denn diese Freude nicht? Jede Sekunde ist ein Freudenfeuerwerk, ein Kinderlachen, das mein Herz zum Hüpfen bringt, es federt auf und ab, immer höher werdend. Hört, schaut hin, in jeder Sekunde wächst die Erde, läßt junges Grün austreiben, Menschen und Tiere das Licht der Welt erblicken, Wasser seinen Kreislauf gehen - ich liebe euch und die Erde! Und es ist ja ein ganz natürlicher, berechenbarer Mechanismus: Hass macht Krieg - Liebe macht Frieden!

Und wenn die Nacht kommt, fürchte dich nicht. Sie breitet mit ihrer Finsternis eine schützende Decke über uns, beleuchtet die Himmelskörper, damit wir uns ganz klein vorkommen, näher zusammenrücken und neues Leben wachsen kann oder wir uns bewusst werden, welch Glück wir haben, dass es morgen wieder hell wird. Hell und freundlich. Das Pulsieren der Nacht ist die Bewusstwerdung des Tages. In ihrer Stille kann man in sich gehen. - - Still jetzt. ;)

***

Gut, Du siehst, Deine Geschichte hat mich beschäftigt... ;)

Alles liebe
Susi

 

Erinnert mich irgendwie an Zarathustra, wie er zu den Menschen spricht, nur ist dieser Text hier bei weitem nicht so asozial im Inhalt.
Ich denke, der Charakter möchte seine einst aufgestellte Theorie vom unendlich schlechten Leben schützen und nicht wahrhaben, daß die Nacht ebenso zum Leben gehört wie die Nacht, die dem Protagonisten offensichtlich zu gefallen scheint. Es ist, denke ich, die Geschichte aller Menschen, die ihren Haß zwanghaft zu begründen versuchen und alles, was sie an einer Sache doch mögen, als etwas anderes zu bezeichnen versuchen.

 

Hi Chris

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich selbst manchmal ein hoffnungsloser Pessimist, Menschen- und Welthasser bin.
Häferl hat schon nicht unrecht mit dem was er sagt, aber aus welcher Lebenslage heraus kann er so reden? Ich für meinen Teil kann so eine Gefühlslage, wie Du sie in Deiner Geschichte beschreibst sehr gut nachvollziehen.
Sicherlich ist sie sehr negativ und hoffnungslos, doch wenn einem das Glück im Leben nicht gerade hinterherläuft, dann sind solche Momente der Resignation nur natürlich.
Danke für Deinen Beitrag, Deine Geschichte hat mich sehr bewegt.

Gruß Katrinchen

 

@Katrinchen, ich wollte eigentlich nur den Blick in die andere Richtung wenden, denn die Richtung in die man geht, ist die, wo man am meisten hinschaut... ;)

 

Das weiß ich Häferl, und ich bin auch wirklich dankbar dafür, dass es noch Leute wie Dich gibt, die in diese Richtung verweisen, denn was wären wir ohne diese Menschen...sicher verloren.
Also das sollte kein Vorwurf an Dich sein, wollte Chris nur etwas Mut zusprechen und ihr sagen, dass ich ihre Geschichte sehr gut nachempfinden kann.

Liebe Grüße
Katrinchen

 

Hallo chrysanth,

Deine Geschichte hat mich berührt, sie könnte eine Komplementär- Geschichte zu meiner `Einsicht` sein. Du beschreibst erschreckend treffend die Gemütslage vieler Menschen der `ersten Welt´ , die sich mit aller Kraft bemühen, sich der Frage des Lebenssinn zu entziehen . Der Protagonist ist unheimlich ehrlich in seiner Erkenntnis, bezahlt diese Einsicht aber mit seiner Transformation zum Menschenhasser. Was soll aus unserer Gesellschaft werden wenn sie dieses Problem nicht in den Griff bekommt?
Immerhin lindert die Nacht die Qual... und hoffentlich setzt sich Häferl`s Ansatz letztlich durch...
Deine Geschichte ist auch der Beweis dafür, daß man solche Themen ohne vulgäre oder gar sadistische und gefühlsverletzende Begriffe treffend schreiben kann.

Tschüß... Woltochinon

 

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