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Ware

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08.09.2002
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Ware

Der Jäger schlägt den Mantelkragen hoch während seine ledernen Schuhe in schnellem, aber nicht gehetztem, Schritt über den nassen, kalten Asphalt streifen.
Es wird Winter, denkt er bei sich, und im Winter wird es schwieriger sein, Beute zu machen. Also sind es die letzten Tage, in denen noch echter Gewinn gemacht werden kann. Zeit, die Reserven für den Winter anzulegen, wenn das Geschäft schlechter läuft.
Er hasst es, unter Druck zu stehen, und im Winter steht ein Mann mit seinen Lebensgewohnheit und seiner Branche gewöhnlich unter Druck, wenn er nicht bei Zeiten genug Geld beiseite legt, um auch im Winter nicht auf die kleinen Erfreulichkeiten des Lebens zu verzichten.
Die Beute hat ihn bereits gewittert. Man hört es an den Schritten, wie der Hall der ausgetretenen Turnschuhe lauter wird, die Abstände zwischen ihnen kürzer. Es ist schon fast dunkel in der Stadt, und die Straßen sind ziemlich leer. Wie dumm es war, um diese Uhrzeit zu dieser Jahreszeit noch alleine den Weg durch die Gassen zu wählen wird der Kleinen wohl erst klar, als sie sich umdreht und seinen Schatten sieht, an sich nicht unbedingt bedrohlich, aber inzwischen sind Gerüchte im Umlauf, zwar eher Schauergeschichten als irgendetwas anderes, aber trotzdem... Wenig Leute unterwegs, noch viel weniger, die sich um die Angelegenheiten anderer scheren, die Polizei patrouilliert schon seit Ewigkeiten nicht mehr so, dass sie als Problem zu werten wäre, dazu noch die Art, wie die Gegend aufgebaut ist.
Fast labyrinthartig schlängeln sich die Gassen zwischen den hässlichen, dunklen Häusern hindurch, die Hälfte der Laternen wurden auf die ein oder andere Weise gelöscht und haben alles in einem Halbdunkel hinterlassen.
Und, er muss es sich eingestehen, hier, und nur hier in diesem speziellen Stadtteil steigt jedes mal ein ganz besonderes Gefühl der Lebendigkeit, der Kontrolle, der Macht, der absoluten Überlegenheit auf.
Hier flüstert ihm jeder Laut der ängstliche Eilschritte auf dem Boden es ins Ohr, steht es an jeder Wand geschrieben, verdammt, es riecht sogar danach.
Er ist der Jäger und sie sind die Beute, und so soll es sein.
Nur hier mag er den Job wirklich.
Sie versucht, ihn abzuhängen, hastet von einer Seitenstraße zur nächsten. Nicht dumm, aber nicht sonderlich effektiv. Bei der Polizei würde es wohl funktionieren, aber nicht bei ihm. Er kennt die Gegend fast so gut wie die Beute, hat Tage damit verbracht, den brüchigen Asphalt und den ihn halbherzig überdeckenden Teer abzuwandern, sich jeden Winkel, jede Ecke einzuprägen.
Sie hastet weiter, einmal hört er sie stolpern, ein Platschen als ihr kleiner magerer Körper in eine Pfütze fliegt, doch sie rappelt sich auf und flieht weiter.
Er folgt ihr, seine Schritte fest und schnell, er rennt nicht, hat es nicht nötig zu rennen. Früher oder später wirst er sie schon erwischen, wenn ihr die Luft ausgeht und ihre Beine sie nicht mehr tragen können, und er hat Zeit.
Eine Linksabbiegung, zwei nach Rechts, noch einmal links, dann sieht er sie am Ende der Straße stehen, völlig außer Atem, den kleinen Körper nach vorne gebeugt, ihre knappen gedrängten Atemzüge bilden um ihren Kopf eine kleine weiße Wolke, ihr Augen suchen voller Verzweiflung nach einem Ausweg.
Seine Rechte verschwindet in einer Manteltasche, zieht ein kleines Fläschchen und ein Stofftaschentuch aus ihrem Dunkel, und übergießt das eine mit dem Inhalt des anderen.
Sie ist wohl irgendwas zwischen 7 und 8, hat schulterlange braune Haare, ihr Körper ist klein und zierlich, abgemagert, man sieht ihn durch die dünne Jeansjacke zittern.
„Keine Angst, Kleine.“ sagt er in seinem beruhigendsten Tonfall und tritt nahe genug an sie heran, um sie berühren zu können. „Dir wird nichts passieren.“
Seine Arme schießen vor, auf ihren Kopf zu, seine Linke packt ihren Kopf mit festen Griff, reißt ihn nach hinten, seine Rechte presst ihr das Taschentuch auf Mund und Nase. Sie will schreien, aber durch das Tuch kommt nur ein leises Quieken, kaum hörbar, ihr Leib wehrt sich, versucht, von dem dunklen Riesen wegzukommen, schafft es irgendwie, seinen Arm beiseite zu stoßen, sie tritt mit aller Macht gegen sein Bein, er zuckt zurück, gibt ihre Haare frei, das Taschentuch fällt auf die nasse schmutzige Straße.
Verdammt flucht er bei sich, er hasst es, die Ware zu beschädigen, man muss vorsichtig sein, darf keine Male hinterlassen oder die Bezahlung ist ganz schnell halbiert.
Er holt aus, seine offenen Hand im Lederhandschuh trifft ihr Gesicht mit einem unangenehmen Klatschen, schleudert sie gegen die Wand, sie fängt sich ab so gut sie kann, mit blankem Entsetzen in ihren Augen starrt sie in sein unbewegtes Gesicht zwischen Hut und Mantel, er springt vor, um ihr noch einen Schlag zu versetzen, doch sie wirft sich zur Seite und stürmt um ihr Leben in die nächste dunkle Seitengasse.
„Das ist eine Sackgasse, du Dummerchen!“ ruft er ihr nach, doch sie läuft unbehelligt weiter, verschwindet in den Schatten der Häuser.
Nun formen seine Lippen doch ein Lächeln, für heute ist seine Arbeit so gut wie erledigt, er steckt ein filterlose Zigarette zwischen seine Lippen und zündet sie mit einem Streichholz an, atmet tief ein und behält den Rauch lange in sich, ehe er ihn langsam zwischen seinen Zähnen hervorbläst.
Er hebt das Taschentuch auf, klopft den gröbsten Dreck ab, stopft es in seinen Mantel, holt ein zweites hervor und bereitet es vor.
Dann betritt er gemächlichen Schrittes die Sackgasse, zufrieden an seiner Zigarette ziehend.
„Du erleichterst es uns beiden wenn du einfach rauskommst.“ erklärt er in rationellem Ton ins Dunkle hinein.
Keine Reaktion.
„Hör mal, ich will dir wirklich nicht weh tun, im Gegenteil, es wird dir dort viel besser gehen, wo ich dich hin bringe. Es wird warm sein und trocken und du wirst regelmäßig eine warme Mahlzeit kriegen und gebadet werden und schöne Kleider tragen und Schminke“ Immer tiefer geht er ins Dunkle, seine Augen passen sich nur langsam an, zögerlich treten die Silhouetten von Müll, Holzplanken und Feuerleitern aus dem Schwarz hervor.
„Und viele Leute werden dich besuchen kommen und dir Geschenke mitbringen und dich lieb haben und“
Er verstummt als er realisieren muss dass er alleine ist.
Nervös kramt er das Streichholzheft hervor, schafft es auf den dritten Anlauf, ein Hölzchen anzureißen und hebt es durch die andere Hand vom Regen abgeschirmt in die Höhe.
Kein Mädchen.
Für eine Sekunde schwemmt kalte Panik über ihn hinweg, sie war ideal, und morgen muss er eine Lieferung erfüllen, dann kehrt die alte Ruhe wieder ein und das Lächeln mit ihr, als er die angelehnte Stahltür sieht.
„Da hast du dich also versteckt“ sagt er, mehr zu sich selbst.
Ein schnippt den Zigarettenstummel weg von sich, zögert für einen Moment als ihm klar wird, wie leichtsinnig das ist, aber Schwachsinn, kein Grund zur Sorge, die meisten der Kinder hier sind Ausreißer, keiner wird sie je als vermisst melden, kein Grund zur Paranoia.
Die Tür knarrt als er gegen sie tritt, langsam schwingt sie in den dunklen Raum, der Ton, den sein Schuh beim Auftreten auf den kalten Beton verursacht wird von den Wänden wiedergegeben.
Mit halb zusammengekniffenen Augen sucht er den Raum ab, hört auf das kleinste Geräusch, irgendwo überschlägt sich ein kleiner, dünner Atem.
„Komm her, Kleines, es hat doch keinen Zweck.“
Wieder keine Antwort.
„Wie du willst.“ sagt er, setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen, immer in Richtung des Geräusches.
Um Dunklen hat er sich immer unwohl gefühlt, so als ob er jeden Kontakt zur Realität verlieren würde, die Haare auf seinen Armen stellen sich auf, am liebsten würde er wieder unter die Laterne laufen und warten bis die Sonne aufgeht, aber es geht um einen Haufen Geld, dringend benötigtes Geld wenn er seinen Lebensstil nicht bald drastisch einschränken will, also beißt er die Zähne zusammen und geht weiter.
Das Atmen wird hektischer, Angst und Panik sprechen aus jedem japsenden Zug, es können nur noch wenige Schritte sein, die ihn und die Beute voneinander trennen.
Ein lautes Knallen schreckt ihn auf, lässt ihn herumfahren. Die Tür, nur die Tür, die Tür ist zugefallen wegen einem Windstoß, kein Grund zur Panik, alles in Ordnung. Er muss einfach nur die Arme ausstrecken und die Kleine packen, sie ruhig stellen, wenn es sein muss auch mit Gewalt, und sich an den Wänden entlang zum Ausgang tasten, sie zum Wagen bringen und sie so schnell wie möglich abliefern, seine Bezahlung kassieren und sich eine erholsame Woche gönnen.
Seine Hand tastet sich suchend durch die Luft, jeden Moment auf weiches Fleisch gefasst.
Dann plötzlich ein scharfer Schmerz, vor Schreck brüllt er auf, springt einen Schritt zurück, umfasst die Hand mit der anderen, ein glitschiges feuchtes Gefühl, warmes Blut sprudelt aus einem Schnitt entlang seinem Handrücken.
Zorn ergreift ihn, „Na warte, du kleines Miststück!“ brüllt er und durchfährt mit aller Wucht die ihn umgebende Schwärze, verfehlt die Beute aber, er will gerade erneut ausholen als etwas in seine Seite fährt, ein langer Spitzer Gegendstand, und ihn auf den Boden stößt.
„Was zum...“ stammelt er, drückt sich vom Grund empor, die nutzlosen Augen weit aufgerissen.
In diesem Moment geht mit einem Male das Licht an, nur eine kleine schwache Birne an der Decke des Raumes, aber sie spendet genug Licht um ihn sehen zu lassen, und das Gesehene lässt ihn zusammenzucken.
Es müssen Dutzende sein, Kinder, gekleidet in dünne Fetzen und zerrissene Decken, die Augen starr auf ihn gerichtet, ihre Hände umklammern Bretter, Stöcke und Messern.
„Was, was wollt ihr?“ stottert er, aber ihre Lippen bleiben unbewegt, sie stehen einfach nur im Kreise um ihn herum und kommen langsam näher. Dann halten sie ein, alle bis auf einen, einen Jungen von 12 oder 13, so weit der Jäger es sehen kann der Größte von ihnen, in angriffsbereiter Haltung schleicht er zögerlich an ihn heran, eine metallene Keule vor sich gehalten.
Der Junge verharrt, sieht dem Jäger in die Augen, dann reißt er den Mund auf und ein Schrei von solcher Wut ertönt, dass der Jäger zwei Schritte nach hinten tut.
Die Keule trifft ihn hart auf den Schädel, reißt seinen Kopf zur Seite, der Jäger taumelt weiter zurück, sieht den Jungen erneut ausholen, voll Panik stürmt er zur Seite, rammt einem kleinen Mädchen seine Faust ins Gesicht, tritt dem Kind dahinter ins den Magen, stößt ein drittes zu Boden, seine Augen jagen ohne jegliche Orientierung durch den Raum, suchen nach eine Fluchtmöglichkeit, etwas, irgend etwas, da, eine Tür, er hastet auf sie zu, etwas trifft seinen Rücken mit schmerzhafter Wucht, er ignoriert es, greift die Tür mit beiden Händen, zerrt sie auf, springt hindurch und schmettert sie mit aller Kraft hinter sich zu.
Wieder umhüllt ihn völlige Dunkelheit.
Es ist nicht der Ausgang muss er feststellen, über ihm ist nur kaltes Schwarz, keine Sterne, kein Mond, keine Licht von der Stadt. Er spürt wie ein stärker werdendes Zittern von ihm Besitz ergreift, durch die dicke Stahltür hört er das Geräusch von Dutzenden von Schlägen, die Tür wackelt, beinahe unmerklich zwar, aber doch.

Er steht auf etwas, bemerkt er, er tastet danach, ein großes Holzbrett. Weiterhin mit vollem Gewicht gegen die Tür gelehnt hebt er es auf, klemmt es zwischen Tür und Boden, es wackelt unter den Schlägen von außen, aber es hält.
Erleichtert sinkt er neben der Tür zu Boden, gönnt sich einen Moment Ruhe, in der er einfach nur die Augen schließt und auf sein sich langsam beruhigendes Atmen lauscht. Sein Kopf ist in feuchte Wärme gehüllt, etwas fließt ihm tropfenweise ins Auge, er wischt es von seiner Stirn, fängt an, seine Taschen zu durchsuchen, zieht das Streichholzheft und das schmutzige Taschentuch hervor.
Er versucht, ein Streichholz anzureißen, es bricht mit trockenem Knacken, ein zweites, ein drittes, dann endlich hellt der Raum mit leisem Zischen auf. Nicht sonderlich groß, 2 auf 4 Meter vielleicht, der Boden ist voll mit alten Brettern, eine zweite Tür führt aus dem Raum, noch eine schwere Stahltür, von der Decke hängt eine nackte Glühbirne. Er schafft es, den Lichtschalter zu finden bevor die Flamme sich zu seinen Fingern vorgefressen hat, entgegen seiner Befürchtung funktioniert er.
Noch ein Moment Pause, er begutachtet seine Verletzungen, der Schnitt auf seiner Hand ist nicht sonderlich tief, erstreckt sich aber bis zum Handgelenk, er umwickelt es mit dem Tuch. Der Schlag in die Seite wird einen blauen Fleck hinterlassen, eine kleinere Prellung, aber die Rippen sind alle intakt. Auf seinem Kopf ist die Haut aufgerissen, direkt unter seinem kurz geschnittenen Haar, es blutet.
Die Tür ist verstummt und erstarrt, er weiß nicht ob das gut oder schlecht ist.
Keine Illusionen, er weiß nicht, was los ist. In einem Moment ist es ein einfach Job, im nächsten...
Er weiß nicht, wie er aus der Baracke rauskommen soll, er hat sie immer nur als eine von Hunderten gesehen, sie nie studiert.
Eines aber weiß er: es geht jetzt nicht mehr nur um seinen Lebensunterhalt, um die Raten für sein hübsches zweistöckiges Haus in der Vorstadt, wo die Luft noch etwas besser ist und die Straßen ruhiger, es geht nicht mehr nur um die Raten für seinen BMW und auch nicht um die teuren Geschenke für die Geliebte. Nein, es geht um sein Leben.
Er schluckt einmal schwer, dann steht er wieder auf, zieht sein Klappmesser, er hat es bisher nur zwei mal gebraucht und hasst es, es zu benutzen, er ist kein Berufsmörder, kein Schläger, aber außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, dann geht er auf die zweite Tür zu und öffnet sie zögernd.
Ein langer Gang, unbeleuchtet, auf jeder Seite vier Türen wie offene Wunden in den Wänden, aus einer flackert Licht. Er tastet sich langsam voran, seine Augen jagen in nervöser Erwartung von einem Rahmen zum anderen, seine Hand umklammert das Messer mit aller Kraft, der Arm angespannt von sich gestreckt.
Im hellen Raum brennt ein Haufen Lumpen vor sich hin, der Gestank beißt stark in seiner Nase, er wendet sich ab und will zum Ende des Ganges gehen, plötzlich hört er in seinem Rücken ein hastiges Getrappel von Füßen, aus einem der dunklen Zimmer, er schnellt herum, die Kleine, in ihrem Gesicht steht nicht mehr Angst, in ihrem Gesicht steht nichts, eine unbewegliche Maske, die springt auf ihn zu, ihre Arme holen aus, ein harter Schlag trifft den Jäger quer über das Gesicht, er reißt seine Hand hoch, spürt wie das Messer auf Widerstand stößt und weiterschneidet, hört den schwachen Ton, der aus ihrer Kehle hervorkriecht, sieht sie gegen die Wand fallen, ihre Augen immer noch kalt und starr auf sein Gesicht gerichtet, ihre Arm presst sie gegen ihre schnell rot werdende Seite.
Jede Faser seines Körpers will weg, weg von ihr und diesen Augen, er rennt ohne Nachzudenken auf das Ende des Ganges zu, reißt die Tür auf, eine größere Halle, spärlich beleuchtet, er stürmt in ihre Mitte, dreht sich um sich selbst auf der Suche nach einem Ausgang. Viele Türen, zwei große Tore, er versucht angestrengt sich zu erinnern in welcher Richtung es aus dem Gebäude gehen sollte und scheitert.
platsch, irgendwo schlägt ein Tropfen auf den Boden auf, das Platschen hallt weit nach.
In welcher Richtung ging es noch mal nach Norden?
platsch, noch ein Tropfen.
Da!
platsch
Oder?
Platsch
Der Ton schwillt an, scheint lauter zu werden, der Hall gleicht dem eines Erdbebens, sein gesamter Kopf zittert zu jedem Aufschlag.
PLATSCH
Ein Loch im Dach vielleicht? Es können nicht mehr als 6 Meter zur Decke sein, er könnte doch...
PLATSCH
Keines zu sehen...
PLATSCH
Wo nur...? Dann sieht er sein Messer, wie das Blut langsam die Klinge hinabrinnt und dann fällt.
Mit einem Gefühl des grenzenlosen Ekels wischt er die Klinge an seinem Mantel ab, es schimmert immer noch rot, er wischt noch einmal darüber...dann bemerkt er die Blicke.
Quer über die Halle verteilt stehen sie wieder da, wie viele es sind kann er nicht schätzen, in allen Richtungen positioniert, Blicke und Gesichter genau so leer wie bei der Kleinen.
„Verdammt, was wollt ihr?!?“ brüllt er ihnen entgegen, niemand reagiert.
Einen Moment lang steht er noch unbeweglich da, dann gewinnt die Angst überhand, er beginnt zu laufen, auf eines der offenen Tore zu.
Wie auf Knopfdruck setzen sich Dutzende von Kinderfüßen in Bewegung, auf ihn zu, die Waffen erhoben.
Es können höchstens 20 Meter sein.
Ein langes Brett mit einem Nagel verfehlt knapp seine Brust.
15 Meter.
Ein paar der Kinder scheinen zu begreifen, was er vorhat, laufen nicht mehr auf ihn zu sondern auf das Tor.
10 Meter.
Eine lange Glasscherbe fliegt an seinem Kopf vorbei, schlitzt seinen Mantel an der Schulter auf und zerbricht auf dem Boden in Tausend Splitter.
7 Meter
Das erste Kind, ein Junge von etwa 8, ist am Tor, drückt einen aus der Wand ragenden Knopf.
5 Meter.
Das Tor kriecht langsam auf den Boden zu, die Kinder sehen dass es nicht schnell genug ist um ihn aufzuhalten, springen und zerren an dem Tor, ruckartig wandert es nach unten.
Er ist noch etwa 3 Meter entfernt als sich etwas in seine Wade bohrt, tief hinein, er meint es auf seinem Knochen kratzen zu hören. Er stürzt, rudert im Fall mit den Armen, trifft mit der Schulter zuerst auf, überschlägt sich, nur noch ein halber Meter, das Tor ist noch hoch genug, mit einem heftigen Ruck des ganzen Körpers gelangt er in eine weitere Halle, nur noch ein paar Zentimeter und sie könne ihn nicht mehr erwischen...
Drei k eine Hände packen seine Rechte und reißen sie zurück in den Raum, panisch zieht er an mit all seiner Kraft, das Rattern des Tores wird langsamer, durch den Spalt hört er sie erschöpft atmen, dann ein lautes Scheppern des Tores, ein Schmerz in seinem Gelenk und er ist alleine.
Seine Hand ist am Gelenk zwischen Boden und Tor festgeklemmt, von der anderen Seite regnen Schläge, Tritt und Schnitte auf sie herab, der Jäger brüllt laut auf.
Ein Nagel durchschlägt seinen Handrücken.
Eine Scherbe wandert in seinen Daumen und zerbricht erst als sie das Knochengelenk erreicht, zersplittert, die einzelnen Stückchen bohren sich weiter in das Fleisch und die Sehnen.
Er schreit und schreit, er wimmert, er bettelt durch das geschlossene Tor „Hört auf.“
Eines der größeren Kinder springt mit vollem Gewicht auf seine Hand, etwas bricht.
„Bitte nicht mehr“
Doch sie machen weiter, unerbittlich.
Er kauert auf dem Boden, seine Linke fest gegen den Kopf gepresst, schreit, wimmert.
Er kann nicht weg, Gefangener seiner eigenen Hand.
Dann sieht er das Messer und weiß, was zu tun ist, die einzige Möglichkeit.
Ungeschickt umfasst seine Linke es, er ist, Nein, war bisher, Rechtshänder, sie zittert irrsinnig, dann holt sie aus so weit sie kann und rammt die Klinge bis zum Anschlag in das Fleisch unterhalb seines Gelenkes, ein weitere schmerzerfüllter Schrei, er bewegt es durch das Fleisch, Blut schießt aus dem Arm, er schneidet weiter.
Er versucht, es abzustreifen, aber es geht nicht, die blutige Masse hängt immer noch an seinem Arm, er reißt, doch nichts hilft. Leicht schimmert es weiß aus dem Haufen heraus, der Knochen.
Er schluckt schwer, wischt Schweiß und Tränen mit dem Ärmel seiner Linke aus seinem Gesicht, legt das Messer beiseite, umklammert den rechten Arm, rollt sich auf den Bauch, verlagert sein Gewicht auf die Knie, legt diese auf den liegenden rechten Unterarm, umklammert die Wunde mit der linken Hand, atmet tief durch und reißt. Reißt und zerrt so fest er kann, mit aller Kraft, hört das leichte Knacken, zieht weiter, dann endlich ein lautes Brechen, er fällt nach hinten auf den Rücken, wimmernd und weinend, aber frei.
Es schießt unglaublich viel Blut aus der Wunde, er weiß, er wird verbluten wenn er nichts dagegen tut, den rechten Ärmel des Mantels wird er eh nicht mehr vollständig brauchen, er reißt ihn mit Hilfe der Knie ab, wickelt ihn ungeschickt um den Arm, schnürt so fest er kann.
Es tut viel weniger weh als er gedacht hätte, alles fühlt sich an wie durch eine dicke weiße Wolke hindurch gesehen, er spürt die eigenen stolpernden Schritte kaum, die kleiner Halle um ihn herum kommt ihm unwirklich vor, wie ein Traum. Die Tränen aus seinen Augen schmecken leicht salzig auf seinen sich taub-anfühlenden Lippen, sein Schluchzen klingt nicht echt, eher wie die alte Aufnahme eines Kinderweinens mit einem billigen Kassettenrecorder.
Es fällt nicht mehr schwer, sich eine Tür auszusuchen, einfach die, in deren Richtung man läuft, er stößt sie einfach auf, wankt in den Gang, es ist dunkel, er zieht das Streichholzheft, nach einem Dutzend erniedrigender Fehlversuche schafft er es, eines anzureißen, damit zündet er das letzte Stofftaschentuch an, hält es hoch mit der Linken und geht dann vorwärts.
Die Geräusche hier sind unheimlich, es ist fast still, aber eben nur fast, knapp darüber liegt ein anderes Geräusch, nicht genau einzuordnen. Nach ein paar Metern Gang steht er wieder in einem Raum, anders als die vorigen, vor ihm und rechts sind Wände, nach links geht es im eine Ecke weiter. Ein komischer Geruch in der Luft, entfernt bekannt, aber nicht genau bestimmbar. Die Glühbirne über ihm ist zerschlagen, aber das Licht eines großen Feuers spielt auf der Wand. Er wankt um die Ecke, die alte Vorsicht wie amputiert.
Dünne zerschlissene Decken.
Kleine nackte Körper, die Rippen einzeln zählbar.
Starre Gesichter.
Verkrampfte Finger.
Es müssen Dutzende sein, vielleicht 50, vielleicht auch mehr.
Dicht ans Feuer gedrängt liegen sie da, die Lippen blau gefärbt, die Brustkörbe vollständig unbewegt. Einige klammern sich immer noch aneinander, andere sind alleine gestorben, ein Junge sieht aus als könnte er höchstens 5 sein, ein paar der größeren haben wohl noch ihren zweistelligen Geburtstag gehabt.
Der Jäger steht da, wie lange kann er danach nicht mehr sagen, starrt die einzelnen Gesichter an, starrt den großen Haufen an, starrt auf die aus dem Feuer ragenden Hände, manchmal regt sich vereinzelt noch eines der Kinder, aber nur selten und nie mehr als eine kleine Bewegung, auch die, die jetzt noch leben werden in ein paar Stunden erfroren sein.
Die Töne aus seiner Kehle klingen kaum menschlich, am ehesten erinnern sie an ein Schluchzen.
Er wendet sich ab von dem Haufen, geht weiter, in eine Ecke, dort lässt er sich fallen, kriecht mit dem Rücken zur Wand und umarmt sich selbst, vergräbt sein Gesicht in seinen Armen.
Schritte, direkt vor ihm. Er hebt langsam den Kopf.
Die Kleine steht da, ihre Arme nach unten hängend, ihr Hemd in der linken Seite feucht und rot, ihr Gesicht bleich. Sie geht in die Knie, direkt vor ihm, ihre Hand streicht über sein Gesicht, wischt eine Träne von seiner Wange. Ihre Arme schließen sich um seinen Kopf und ziehen ihn zu sich.
Er fühlt sich geborgen in ihrem Armen, das Blut, das langsam durch ihr Hemd sickert stört ihn nicht mehr.
Sie hebt seinen Kopf an, ihrer und seiner sind auf einer Höhe, und als sich ihr Gesicht dem seinen nähert streckt er seines entgegen, öffnet die Lippen genau wie sie den ihren, schließt seine Augen.
Seine Zunge gleitet in ihren Mund, zaghaft, ängstlich, stößt auf die ihre.
Für diesen einen Moment fühlt er alle seine Fehler von sich abfallen, spürt, wie sich die Taten seiner Vergangenheit in Nichts verwandeln, sie zählen nicht mehr, alles was vor diesem Moment war ist unwichtig geworden.
Dann ein Geräusch.
Dann, nur eine Sekunde später, eine wohlige, sich ausbreitende Wärme in seinem Mund.
Dann der Geschmack von Blut, und, fast gleichzeitig, neuer Schmerz.
Sein Kopf ruckt nach hinten, trifft mit einem Donnern gegen die Wand, kurz weiß vor Augen, er will schreien aber es ist kein Schrei der seinen Mund verlässt, eher ein Gurgeln.
Sie springt auf, spuckt etwas aus, eine seltsame rote Maße, dann trifft ihr Bein ihn gegen die Schläfe, er stößt sie fort, in Richtung des Feuers, sie fällt auf die Leichen, er rappelt sich auf, läuft auf den Gang zu, durch den er gekommen ist, aus seinem Mund tropft es, Speichel und Blut, er springt um die Ecke, da trifft ihn etwas, er geht zu Boden.
Viele kleine Hände fassen seinen Körper, heben ihn an, er spürt, wie sein Rücken auf etwas metallisches gelegt wird, seine Arme und Beine werden festgebunden, er könnte sich nicht einmal mehr bewegen wenn er könnte.
Der Junge steht vor ihm, der, der ihn geschlagen hat, der Älteste, seine Hand hält eine Spritze.
Er will fragen, so vieles fragen, aber alles was er hervorbringt sind diese Gurgellaute.
Jemand packt seinen Kopf und dreht ihn zur Seite, schnallt ihn fest, noch mehr Blut fließt aus seinem Mund auf die Bahre unter ihm, etwas sticht in seinen Arm ein und etwas kaltes breitet sich dort aus.
„Du willst wissen was wir mit dir tun werden?“ fragt der Junge, seine Stimme ist noch hell und hoch.
Der Jäger weint wieder.
„Du magst ein Stück Scheiße sein, aber“ er klopft ihm auf den Bauch, „was du hier hast ist Geld wert. Viel Geld. Hast du irgendeine Idee, was man für eine Leber kriegt. Oder eine Lunge? Irrsinnige Summen...habe ich gehört.“
Ein lautes Rattern, sie fangen an, die Bahre zu schieben.
Er weint und schluchzt vor sich hin bis die Spritze beginnt zu wirken und sich langsam Dunkelheit über ihn legt.

 

Hallo Maledictus,
hier einige Anmerkungen zu Deiner Geschichte:.
Der Aufbau: Jäger geht auf Jagd, tappt selbst in die Falle, und wird als Organspender selbst als Ware verkauft, birgt Überraschungen. Zuerst habe ich gedacht, er jagt junge Frauen oder ist ein Vampir, dann war ich überrascht, dass es sich um ein kleines Mädchen handelt. Und die nächste Überraschung war, dass der Jäger selbst in eine Falle getappt ist, deren Bedeutung erst am Ende der KG aufgeklärt wird. Von der Struktur her gut.
Zitat:
Der Jäger schlägt den Mantelkragen hoch während seine ledernen Schuhe in schnellem, aber nicht gehetztem, Schritt über den nassen, kalten Asphalt streifen.

Bereits der erste Satz zeigt, dass Du die Kommasetzung und die Punkte dringend noch einmal überarbeiten solltest. Solche einfachen Kommafehler wie in diesem Satz lassen vermuten, dass Du die Geschichte zügig geschrieben und dann ohne intensive Nachbearbeitung eingestellt hast.
„aber nicht gehetztem“ – diese Einfügung bringt den Lesefluß ins stocken und wäre wohl als eigener Satz gut geeignet gewesen. Derartige Einschübe hast Du häufiger benutzt. M.E. ist es besser, eigene Sätze daraus zu bauen.

Etwas übertrieben hast Du weiter hinten als von vielleicht vielen Kindern die Rede ist. Solche großen Gruppen sind sehr auffällig und in der Regel für Kinder nicht typisch. 10 bis 15 Kinder hätten auch gereicht, um mit einem Erwachsenen fertig zu werden.

Zitat:
"Sie hebt seinen Kopf an, ihrer und seiner sind auf einer Höhe, und als sich ihr Gesicht dem seinen nähert streckt er seines entgegen, öffnet die Lippen genau wie sie den ihren, schließt seine Augen.
Seine Zunge gleitet in ihren Mund, zaghaft, ängstlich, stößt auf die ihre.
Für diesen einen Moment fühlt er alle seine Fehler von sich abfallen, spürt, wie sich die Taten seiner Vergangenheit in Nichts verwandeln, sie zählen nicht mehr, alles was vor diesem Moment war ist unwichtig geworden."

Damit willst Du vermutlich andeuten, dass der Jäger ein Pädophiler ist. Was er aber nicht unbedingt sein muss, wenn er Kidnapping geschäftlich betreibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine unterernährte achtjährige ihren Jäger küssen oder nahe kommen will. Erscheint mir unwahrscheinlich, ebenso wie die große Zahl der Leichen maßlos übertrieben ist. :susp:

Gruß JR

 

Hallo JR.
vielen Dank für die kommentare, ist einiges sehr Relevantes dabei. Wie du richtig erraten hast, hab ich die Geschichte in recht kurzer Zeit runtergeschrieben, wie ich das generell tue, und keinerlei Nacbearbeitung betrieben, da das bei mir meist damit endet, dass ich das ganze als Murks deklariere und lösche.

Dass ich das ganze geschirbene hab ist schon fast ein Jahr her und einiges ist auch mir nicht mehr ganz klar, ich schätze, ich hocke mich demnächst wirklich noch mal drüber und erledige ein paar deiner Kritikpunkte.

Der Kuss am Ende allerdings war so gemeint, dass zwei unter recht fiesem Schock stehende ehemalige Feinde auf Leben und Tod sich im Sterben nur anneinander wenden können, um ein wenig letzte Wärme zu kriegen (zumindest beim Jäger).
Cheers und nochmal Danke,
Bene

 

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