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War es das wert?

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14.09.2017
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War es das wert?

Tarik saß im Bus nach Hause und hörte Musik auf seinem Handy, als plötzlich zwei groß gebaute Männer mit kahl rasiertem Kopf auf ihn zukamen. Durch die Musik befand er sich in einem Zustand, in dem er normalerweise alles um sich herum vergessen konnte. Er fühlte sich geborgen und wohl bei den Klängen aus seiner Heimat. Mit ihr konnte er sich so gut fallen lassen und zurückversetzten, dass er sogar die Luft in den Straßen roch, die Landschaften sah und seine Familie ihm wieder nah war.
Doch in dem Moment, als er die zwei dunklen Gestalten im Augenwinkel sah, verschwand alles, als hätte sich eine Blüte vor einem gefährlichen Pflanzenfresser in Schutzposition begeben. Ihre Blicke waren leer und kühl. Sie trugen beide schwarze Jacken, schwarze Hosen und auch schwarze Stiefel. Doch ihre Haut schien für ihn blass wie Schnee.
Er fragte sich was die beiden von ihm wollten. Er konnte sich jedenfalls sicher sein, dass sie es auf ihn abgesehen hatten.
Sein Blick sank zu Boden, in der Hoffnung, die beiden würden ihr Ziel ändern. Er wollte nicht gestört werden in seiner Tagträumerei, die ihm so viel bedeutete.
Als sie beide direkt vor ihm standen, war er sich sicher, sie würden es sich nicht noch einmal anders überlegen.

„Was willst du hier? Du Dreckspack! Geh zurück in das Bergloch aus dem du gekrochen bist!“
„E-entschuldigung, ich wollen kein Stress.“
„Na guck mal, der kleine will keinen Stress. Wie wärs, wenn du dich dann einfach wieder verpisst?“
„Ich verstehe nicht.“
„Du verstehst also nicht mal Deutsch! Du scheiß Kanacke! Dir werd ich‘s zeigen!!“

Er hatte die Arschkarte gezogen. Das wurde ihm schlagartig bewusst. Die beiden waren offensichtlich zwei dieser Menschen, vor denen ihn sein Betreuer im Jugendamt gewarnt hatte. „Neo-Nazis“ hatte er gesagt, mit denen sei nicht zu spaßen und er hoffe er würde nie einem begegnen. Tarik konnte noch gerade rechtzeitig seinen Kopf mit seinen Armen umschlingen, bevor der erste Schlag auf ihn eindreschte. Er traf ihn zwar am Unterarm, doch er merkte die Erschütterung in seinem Kopf.
Er war ohne Zweifel bis zum Hals in der Scheiße gelandet und er wusste nicht wie er da wieder ohne schwere Verletzungen rauskommen würde. Auch wenn es in Mörfelden mit viel Pech verbunden war, von Neo-Nazis an helllichtem Tage verprügelt zu werden, er war augenblicklich in genau diesem Übel gelandet.
Die anderen Mitfahrer, die noch im Bus saßen taten so, als würden sie von der Sache nichts mitbekommen. Offensichtlich hatte sie die Angst paralysiert.
Der zweite Schlag traf ihn am Kiefer und ließ ein lautes knacken folgen.

Als der Bus die nächste Haltestelle anfuhr witterte er seine Chance und machte sich bereit, um der Situation gekonnt zu entkommen. Er war sehr zierlich gebaut und wartete auf den perfekten Moment, um nicht noch mehr Schläge einzustecken und einfach zwischen den beiden durch huschen zu können.
Die Haltestelle kam näher, genau wie die Schläge der beiden Glatzköpfe. Nur leider kam sie nicht so schnell wie ihre Fäuste. Der zweite, der sich bisher mit seinen Aggressionen zurück gehalten hatte und eher im Hintergrund stand, kam einen Schritt vor und zog einen Teleskopschläger aus seiner Hosentasche. Das Klicken als er den Schläger aufzog ließ Tarik glauben, es sei gleich vorbei mit ihm.
So sollte es also enden. Geflohen vor Krieg und Terrorismus, ausgebeutet, fast verhungert und verdurstet. Fünf ganze Monate auf dem Weg nach Deutschland. Nun endlich in vermeintlicher Sicherheit, vor der Gewalt in seiner Heimat und totgeschlagen von einem Paar hirnloser Extremisten im gelobten Land.

Als der eine den Teleskopschläger in die Richtung seines Kopfes schwang bemerkte Tarik, dass der Bus angehalten hatte und die Türen offen standen. Er wich zur Seite aus und der Schläger erwischte ihn am Arm. Mit der einen Hand packte er seine Tasche und quetschte sich wie ein Schlangenmensch, zwischen den beiden hindurch.

Er setzte einen Fuß vor den anderen, so gut wie es ihm von Gott gegeben war und floh aus dem Stadtbus ins Freie. Er dachte an nichts anderes mehr als an das Davonrennen und wohin er laufen konnte, um sich vor den beiden zu verstecken.
Die beiden hatten sich gerade in Richtung Tür gemacht, da war Tarik schon aus dem Bus und die Türen wurden wieder geschlossen.
Er hörte die beiden noch aus der Ferne den Busfahrer anbrüllen, er solle die Tür aufmachen, doch sie blieben zu seinem Glück an diesem Tag geschlossen.
Er schleppte sich um die nächste Häuserecke und setzte sich auf die Bordsteinkante. Er atmete schwer vor sich hin und das Blut tropfte ihm aus dem Mund auf seinen grünen Rucksack.
Er konnte seinen Kiefer nicht mehr spüren. Generell konnte er kaum etwas spüren, doch er beruhigte sich allmählich und die Schmerzen wurden stärker.
Ein Passant, der aus der ferne das Blut sah rannte auf ihn zu, als Tarik bewusstlos wurde und mit dem Kopf auf den Bordstein schlug.
Im Krankenwagen kam er halbwegs wieder zu sich und hatte nur noch eine Frage im Kopf.
War es das wert?

 
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Moin Tarik,

Glückwunsch zu deiner ersten Geschichte hier! Zunächst einmal die Dinge, die mir direkt beim Lesen aufgefallen sind.

Zum Stil bzw. Ausdruck:

Doch in dem Moment, als er die zwei dunklen Gestalten im Augenwinkel sah, verschwand alles, als hätte sich eine Blüte vor einem gefährlichen Pflanzenfresser in Schutzposition begeben.
-> Die Metapher mit einem „gefährlichen Pflanzenfresser“ finde ich etwas misslungen. Ein Pflanzenfresser ist nicht unbedingt das Synonym zur Angst und da rettet es das „gefährlich“ nicht raus, sondern wirkt eher ironisch. Versuche es vielleicht mit einem Schmetterling, der vor einem breiten Stiefel (oder gleich Springerstiefel) flieht. Möglichkeiten gibt es ja viele, meine Idee ist wohl auch nicht die beste.

Er traf ihn zwar am Unterarm, doch er merkte die Erschütterung in seinem Kopf.
-> Da er sie ja nicht nur am Kopf, sondern auch da merkt (zumindest wäre das logisch), würde ich den Satz etwas erweitern, z.B. er merkte die Erschütterung im ganzen Leib, bis zum Kopf.

Und zur Rechtschreibung und v.a. zur Kommasetzung:
Zwar haben Neonazis nicht zwangsläufig die notwendigen Grammatikkenntnisse, aber als Autor sollte man so sauber wie möglich schreiben (bewusste Stilmittel wie bei dem Flüchtling ausgenommen):

„Na guck mal, der kleine will keinen Stress. Wie wärs, wenn du dich dann einfach wieder verpisst?“
-> der Kleine / wär’s

Tarik konnte noch gerade rechtzeitig seinen Kopf mit seinen Armen umschlingen, bevor der erste Schlag auf ihn eindreschte.
-> eindrosch

Der zweite Schlag traf ihn am Kiefer und ließ ein lautes knacken folgen.
-> Knacken

Nun endlich in vermeintlicher Sicherheit, vor der Gewalt in seiner Heimat und totgeschlagen von einem Paar hirnloser Extremisten im gelobten Land.
-> Das Komma muss da nicht hin.

Mit der einen Hand packte er seine Tasche und quetschte sich wie ein Schlangenmensch, zwischen den beiden hindurch.
-> Jetzt bin ich mir gerade nicht ganz sicher, aber das Komma nach Schlangenmensch kann meines Erachtens nach weg.

Er setzte einen Fuß vor den anderen, so gut wie es ihm von Gott gegeben war und floh aus dem Stadtbus ins Freie.
-> Komma nach war

Ein Passant, der aus der ferne das Blut sah rannte auf ihn zu, als Tarik bewusstlos wurde und mit dem Kopf auf den Bordstein schlug.
-> Ferne großgeschrieben.

Das sind jetzt doch schon recht viele Fehler, zumal Flüchtigkeitsfehler, die du beim eigenen Korrekturlesen bestimmt schon gesehen hättest. Daran kannst du am besten beim nächsten Text denken, bevor du ihn veröffentlichst.
Jetzt aber zur eigentlichen Geschichte:

War es das wert?
Nun frage ich mich: was genau war was wert? Die Handlung deiner Kurzgeschichte dreht sich um den brutalen Übergriff auf Tarik. Da gibt es Nichts, dem Wert beigemessen werden kann.
Die Frage bezieht sich, so denke ich mir jetzt, wohl viel eher auf die Frage, ob es sich für Tarik gelohnt hat, aus seinem zerstörten Heimatland zu fliehen, wenn er auch in Deutschland zusammengeschlagen wird. Das lässt sich aber nur aus einer Passage heraus konstruieren - das ist viel zu wenig.
Ich würde dir empfehlen, den Anfang deutlich auszubauen: schreibe nicht nur von den guten Erinnerungen an die Heimat, erwähne auch den plötzlichen Tod und das Chaos überall, die beschwerliche Reise. Bau die Hoffnungen auf, die Tarik nun hat! Diese Hoffnungen müssen dem Leser gegenüber erst beschrieben werden, damit ihre Zerstörung durch die Neonazis überhaupt einen emotionalen Effekt erzielen kann. Und nicht nur die direkten Täter zerstören Tariks Hoffnungen, sondern auch die übrigen Mitfahrer, die Nichts tun. Beschreibe sie genauer, ihre Hin- und Hergerissenheit. Bisher wirken sie mir einfach nur unglaubwürdig passiv. Beschreibe ihre Angst vor den beiden Schlägern oder, vielleicht noch eine Stufe härter, wie vielleicht der eine oder andere feixt, weil sein eigener Rassismus von anderen ausgelebt wird.

Also: an der Geschichte kannst du noch viel verbessern und ich hoffe, ich konnte dir dafür ein paar Ideen liefern. Wichtig ist vor allem, dass du den eigentlichen Konflikt (War es das wert?) in den Mittelpunkt rückst und entsprechend stärker Hoffnungen und Träume ausdrückst.
Zum Abschluss verbleibt mir eine Frage aus Neugier: Hat es einen bestimmten Grund, dass dein Nickname der gleiche wie des Protagonisten dieser Geschichte ist?


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Hallo Vulkangestein,

erstmal danke, für deine doch ziemlich ausführliche Kritik!
Sie hilft mir weiter und ich werde beim Schreiben daran denken. Ich bin noch ziemlich am Anfang und nehme jede Kritik dankend an.

Der Nickname ist deshalb der selbe, da ich mir dachte der Name des Protagonisten meiner ersten Kurzgeschichte hier, soll auch mein Pseudonym sein. Nichts weiter. ;-)

Liebe Grüße,
Tarik

 

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