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Wann bin ich?
–Plop–
Mir ist schlecht. Und schwarz vor Augen. Wo bin ich?
Langsam klärt sich mein Blick. Ich bin Zuhause. Glaube ich. Ganz sicher bin ich mir nicht. Irgendwas ist anders. Es ist… älter? So langsam dämmert es mir. Es hat geklappt!
Die richtige Frage wäre gewesen: Wann bin ich?
Ich wollte doch nur ein Tag in die Zukunft reisen um den Gürtel zu testen. Um mich herum sieht es aber viel älter aus. So verbraucht. Mir ist immer noch schlecht. Mein Sichtfeld ist immer noch stark eingegrenzt. Langsam, viel zu langsam kann ich mehr als zwei Meter meiner Umgebung wahrnehmen.
An der Tür steht jemand. Mustert mich mit verschränkten Armen. Es ist eine Frau. Es ist… Meine Frau! Glaube ich. So könnte sie später mal aussehen. Falsch! So sieht sie aus. Wie weit bin ich gesprungen? Zwanzig Jahre? Dreissig Jahre? Oh mein Gott. Genau das wollte ich verhindern. Ich will doch nichts aus der Zukunft wissen. Ich wollte doch nur testen, ob der Gürtel funktioniert.
“Hallo”, sagt sie und schaut mich mit müden Augen an. Ihre Stimme klingt so traurig.
“Hallo”, krächze ich. Ich räuspere mich.
“Du weißt Bescheid?”, richtet sie ihre traurige Stimme an mich.
“Über was?”, Frage ich zurück. Ihr schießen Tränen aus den Augen. Sie dreht sich herum und ruft: “David! Kommst du mal? Er ist wieder da. Bitte erklär’s ihm. Ich kann nicht mehr.” Sie dreht sich ganz rum und verlässt den Raum.
David? Mein Gott! Mein Sohn muss ja jetzt erwachsen sein! Mindesten 25. Oder so.
Ein junger Mann betritt den Raum. David? In meiner Erinnerung ist er ein fröhliches, aufgewecktes Kind von fünf Jahren. So also sieht mein Sohn als Erwachsener aus. Er wirkt so selbstsicher. Souverän.
“Hi Dad”, spricht er mich einfach an.
“Hallo David” stottere ich zurück.
Er schaut mich prüfend an. “Du weißt von gar nichts?”.
Ich schau wohl ziemlich verwirrt drein.
“Wie alt bist du?”, hauche ich mehr als dass ich spreche.
“Ich verstehe, du weißt gar nichts!“. Er schaut mich prüfend an. „Ich bin 27“, fügt er hinzu.
Er schaut mich durchdringend an und fährt fort: “Hör einfach kurz zu. Niemand weiß, wie lange du da bleiben wirst. Manchmal Minuten, manchmal Stunden. selten Tage. Manchmal erinnerst du dich an alles, manchmal an gar nichts, als wärst du das erste Mal hier”.
“Ich war schon mal hier? In dieser Zeit?”, unterbrach ich ihn.
“Hör zu”, fährt er fort, “du springst seit mehr als 22 Jahren durch die Zeit. Niemand kann vorhersagen, wann du auftauchst. Es gibt kein Muster. Du alterst nicht sichtbar. Du erinnerst dich manchmal an vorhergegangene Sprünge. Manchmal kommst du aus der Zukunft. Erinnerst dich an irgendwas Bruchstückhaftes. Jetzt zum Beispiel erinnerst du dich nur an den ersten Sprung. Ich habe damit leben gelernt. Aber Mama schafft das nicht mehr. Sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass sich das jemals ändern wird. Du bist manchmal mehrere Wochen weg. Dann für ein paar Stunden hier. Dann wird dir schlecht. Plötzlich hört man nur noch ein „plop“. Das Geräusch wenn du Luft in das entstandene Vakuum schießt, das du beim Verschwinden hinterlässt. Verstehst du?”.
Ich schaue ihn entsetzt an und beginne zu begreifen, welches Leid ich über meine Familie gebracht habe. Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Was hat David gelernt? Studiert er? Ist er verheiratet?
“David?”.
“Ja Dad?”
Er hat mich früher nie Dad genannt.
“Kannst Du Mama holen? Ich würde sie gerne sprechen”.
Er schaut mich zweifelnd an.
Mir wird schlecht.
—plop—