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Walter P. - versch(r)obene Szenen: Vom Schreiben und vom Lieben
Walter starrte wie hypnotisiert auf den leeren Bildschirm vor sich. Das tat er bereits seit fünf Zigarettenlängen, aber die Worte wollten nicht kommen. Sein Blick fiel auf den Briefstapel neben sich. Schreiben seines Verlegers, in denen der sich nach den Fortschritten von Walters neuem Roman erkundigte. Anfangs noch höflich, später dann mit mehr Ungeduld und veröffentlichungsgeilem Nachdruck. Walter hatte ihn immer wieder beruhigt. Er sei am Ball und es liefe phantastisch, wurde er nicht müde zu betonen. In Wahrheit lief gar nichts. Seit der Veröffentlichung seines letzten Buches im vergangenen Jahr hatte er kein einziges Wort geschrieben. Nicht ein einziger Absatz, noch nicht einmal eine Silbe hatte es auf die Festplatte seines Laptops geschafft.
Das Telefon läutete ihn aus seinen Gedanken.
„Hallo Walter“, meldete sich seine Mutter am anderen Ende der Leitung. Er stöhnte innerlich auf.
„Hallo Mutter“, sagte er schließlich.
„Wieviel hast du heute geschrieben?“
„Nicht ein einziges verficktes Wort“, antwortete Walter wahrheitsgemäß.
„Na immerhin hältst du deinen Schnitt. Und ich mag es nicht, wenn du so ordinäre Worte benutzt.“ Er seufzte.
„Ich weiß, Mutter.“
„Dein letzter Roman war voll damit.“ Walter kannte jede Zeile dieses Dialogs bereits auswendig.
„Die Leute mochten das, Mutter. Sie haben das Buch wie die Verrückten gekauft.“
„Ich habe es nicht gekauft“, erwiderte seine Mutter stolz.
„Das mag daran liegen, dass ich dir zwei Exemplare geschenkt habe. Du erinnerst dich?“
„Ich hab sie beide weiterverschenkt, ohne auch nur einen Blick hineingemacht zu haben.“
„Woher weißt du dann, was drinnen stand?“ Walter nahm sich jedesmal vor, das nicht zu fragen, aber er wusste, dass er der Erklärung seiner Mutter ohnedies nicht entkommen konnte.
„Die alte Ziege hat es mir erzählt!“
„Tante Hildegard ist keine alte Ziege. Sie ist fünf Jahre jünger als du. Und ich mag sie.“
„Sie ist ein ordinäres Flittchen“, ereiferte sich seine Mutter.
„Mutter! Sie ist zweiundsiebzig!“
„Das ändert gar nichts! Sie kleidet sich wie ein Flittchen, sie hat ein loses Mundwerk und sie flirtet mit dem Briefträger.“ Mutter war jetzt ganz in ihrem Element. „Ich habe über dich nachgedacht, Walter.“ Hoppla. Das war neu.
„Tatsächlich, Mutter?“ Walter fühlte sich plötzlich so unbehaglich wie ein Fallschirmspringer, den ein ungnädiger Windstoß direkt über ein Minenfeld getragen hatte. Die Landung stand unmittelbar bevor.
„Ja, tatsächlich. Frau von Fürndick und ich haben deinen Fall besprochen.“ Mine Nummer eins explodierte.
„Meinen Fall? Sind du und deine Nachbarin jetzt unter die Seelenklempner gegangen?“ Walter hatte plötzlich das Bild zweier alter Hexen vor sich, die mit langstieligen Schöpfkellen in einem riesigen Kupferkessel herumrührten, in dem einsam und verlassen sein eigenes Gehirn schwamm. Er beschloss, sich diesen Gedanken zu notieren, bevor sein wertvollstes Organ mit Schnepfendreck gewürzt wurde.
„Wenn du dich erinnerst ist Frau von Fürndick selbst Mutter von zwei Söhnen mit denen sie ihre liebe Not hat. Sie ist also durch und durch kompetent.“
„Ja Mutter, das fürchte ich auch. Ich weigere mich allerdings einzusehen, dass du mit mir deine liebe Not hast. Es geht mir gut. Ich habe genug Geld, um bequem zu leben, und ich sitze nicht im Gefängnis, wie Frau von Fürndicks Ältester.“ Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, dachte Walter. Schön blöd von ihm.
„Aber du schreibst nichts mehr“, sagte seine Mutter. „Du bist mitten in einer Schaffenskrise. Seit über einem Jahr tust du nichts anderes, als herumzuhängen und halbgare Microwellengerichte in dich hineinzuschlingen.“ Die Stimme von Walters Mutter bebte jetzt und Radio Weinerlich ging voll auf Sendung.
„Aber ich mag Microwellengerichte, Mutter“, erwiderte Walter lahm und seine ganze rhetorische Potenz war drauf und dran, vom Strudel seines schlechten Gewissens verschlungen zu werden. „Und das, was du als ‚Schaffenskrise’ bezeichnest ist doch bloß eine längere schöpferische Pause. Da ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.“
„Nichts, außer deinem Leben, meinst du, oder?“ Seine Mutter lief jetzt zur Hochform auf. „Soll ich dir sagen, was dein Problem ist?“
„Kann ich es irgendwie verhindern?“, fragte Walter und war sich gleichzeitig der Sinnlosigkeit dieser Frage bewusst. Seine Mutter tat so, als hätte sie ihn gar nicht gehört.
„Du brauchst endlich eine Frau!“ Mine Nummer eins hatte nur leichte Schäden an Walters Nervenkostüm hinterlassen, aber das saß. Walters Kopf knallte auf die Schreibtischplatte und er gab ein bühnenreifes Ächzen von sich.
„Hör auf, dich selbst zu verstümmeln“, ermahnte ihn seine Mutter. „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Glaub deiner Mutter was.“
„Hör auf mit dem Quatsch! Ich habe eine Freundin.“ Böser Fehler!, meldete sein Verstand eine Nanosekunde zu spät. Walter schloss die Augen.
„Ach ja. Die.“ Sie legte eine demonstrative Pause ein. „Ist sie schon geschieden?“ Treffer, versenkt. Ein Ozean mütterlicher Fürsorge war bereit, Walter als Schiffbrüchigen aufzunehmen. Haie schwammen darin.
„Ich glaube nicht, dass ich das jetzt mit dir diskutieren möchte, Mama.“ Oh Schreck! Er hatte Mama gesagt. Ihr Gespräch ging eindeutig in eine Phase über, in der Walter nicht mehr vierzig, sondern vierzehn war, und in der er nun zu erklären hatte, was denn die Sexhefte in seiner Kommode verloren hätten.
„Sie ist es also nicht“, konstatierte seine Mutter ruhig. „Und wie lange gedenkst du noch, den Aushilfs-Don Juan zu spielen?“
„Mutter, bitte! Wir lieben uns!“
„Und ich liebe Malakofftorte. Aber glaubst du, dass die verdammte Torte sich auch nur eine Sekunde Sorgen um meinen Blutzucker machen würde?“
Walter versuchte verzweifelt den Wind aus den Segeln der mütterlichen Fregatte zu nehmen. „Lilly lebt bereits getrennt von ihrem Mann.“
„Das bedeutet gar nichts, glaub mir.“
„Mir bedeutet es sehr viel. Es ist alles nur noch eine Frage der Zeit.“
„Na dann kannst du deine alte Mutter ja wieder anrufen, sobald ihr zusammengezogen seid. Falls ich dann noch lebe!“
„Ich will keinen Druck auf sie ausüben, Mutter. Es muss von ihr kommen. Sie muss eine Entscheidung treffen.“ Walters Augen begannen zu tränen und er schluckte heftig.
„Und du musst schreiben, Junge.“ Ihre Stimme war jetzt wieder sanft, fast zärtlich.
„Ich weiss.“
„Dann tu’s auch.“
„Ich bin am Ball, Mutter.“
„Nein, Junge. Du sitzt auf der Ersatzbank.“
Sie legte auf.