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Serie Walter P. - versch(r)obene Szenen: Highnoon im Türkenschanzpark

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02.02.2003
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Walter P. - versch(r)obene Szenen: Highnoon im Türkenschanzpark

Claudia Cardinale stand in der offenen Eingangstüre von Chang’s Wäscherei. Sie fixierte Walter, der, kaum zehn Meter entfernt von ihr, in der Mitte der staubigen Hauptstraße Stellung bezogen hatte. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht und er musste die Augen mit seiner Hand beschatten, um ihren eiskalten Blick zu erwidern. Irgendwo links hinter ihm begann ein unsichtbarer Mundharmonikaspieler mit der Titelmelodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“, während Walters Augen über den perfekten Körper der Cardinale wanderten.

Sie war seine schlimmste Feindin und dieses Kaff war einfach nicht groß genug für sie beide, aber trotzdem konnte Walter nicht anders, als sie zu bewundern. Wie sie da stand, in ihren Doc Martens, ihrer blauen Arbeiterlatzhose, dem karierten Hemd und dem knallgelben Bauhelm, erinnerte sie ihn vage an irgend jemand anderen, aber er kam im Moment nicht darauf. Claudia hob jetzt langsam die rechte Hand und hielt sie über dem Griff des Hochleistungstuckers in der Schwebe, der schwer an ihrem Werkzeuggürtel hing. Instinktiv fingerte Walter nach der Büroklammermaschine, die er sich in den Hosenbund gesteckt hatte. Es sah gar nicht gut für ihn aus.

„Ich tue das für den alten Bob, den du gestern so heimtückisch abgeschaltet hast“, presste Claudia zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor.
„Ähem.“ Mehr fiel Walter dazu im Moment nicht ein.
„Falsche Antwort, Fremder!“ Die Hand der Cardinale zuckte viperngleich zu ihrem Werkzeug hinab. Das ist das Ende, schoss es Walter durch den Kopf, als er das scharfe Sirren der Tuckernägel hörte. A Bullet with my name on it, war Walters letzter Gedanke, als ihm jemand vorsichtig auf die Schulter klopfte: „Verzeihung, aber ist dieser Platz noch frei?“

„Claudia?“ Walter gähnte herzhaft, streckte sich und blinzelte in einen Sonnenstrahl, der ihn durch das Blätterdach über ihm blendete.
„Eigentlich heiße ich Carmen, aber netter Versuch.“ Endlich bequemte sich Walters Gehirn auf Autofokus zu schalten, und der Anblick, der sich ihm bot, ließ seinen Puls rascher gehen. Eine Carmen sollte doch eher wie Maria Callas aussehen, dachte er, oder wenigstens wie Jennifer Lopez. Vor ihm stand aber eine Blondine, das lange Haar streng nach hinten gekämmt und dort zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das bemerkte Walter aber nur am Rande, denn der Rest seines Universums wurde von ihren graugrünen Augen ausgefüllt, in deren heiterer Sanftmut er jetzt recht gerne ein Vollbad genommen hätte.

Einige Sekunden vergingen, in denen sich er und Carmen nur ansahen, und Walter fragte sich, ob jene Engel, die dafür zuständig waren, in besonderen Augenblicken durch anderer Leute Zimmer zu latschen, auch Jobs auf überfüllten Kinderspielplätzen annahmen. „Erde an Pechmann, Erde an Pechmann“, beendete Carmen das Schweigen. Walter runzelte die Stirn. „Sie kennen mich?“, fragte er.
„Die Kurzvita in deinen Büchern reicht für ein Kennen eigentlich nicht aus“, antwortete Carmen mit einem Lächeln. Ihren Übergang zum vertraulichen Du konnte Walter ja gerade noch hinnehmen, aber dass sie das Wort Kurzvita verwendete, irritierte ihn ganz gewaltig. Dieses Wort roch nach Verlagsmief und Lektorenschweiß. „Mhm“, brummte er, und hoffte damit nicht all zu viel über sich preis zu geben.

Sie setzte sich jetzt neben ihn, einfach so, und gemeinsam betrachteten sie das chaotische Treiben, das sich um sie herum abspielte. Carmens Aufmerksamkeit wurde von einem Zwillingspaar gefesselt; zwei rothaarige, sommersprossige Mädchen, die gerade fünf Jahre alt sein mochten. Die beiden waren gerade damit beschäftigt, mit viel Hingabe und Geduld einen Dreijährigen in der Sandkiste zu vergraben. Ihr Opfer genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, sichtlich und sah den Zwillingen andächtig dabei zu, wie sie den Sand um seine Hüften festklopften.
„Was für schreckliche Gören“, ließ sich Carmen vernehmen. Und Walter machte wieder „Mhm.“ Er nickte bedächtig und rückte dabei seine Brille zurecht. „Meine Nichten.“ Carmen lief rot an. „Entschuldige bitte“, brachte sie schließlich hervor. „Kein Problem“, sagte Walter. „Erstens gibt es Tage an denen ich sehr geneigt bin, dir zuzustimmen und zweitens werden die beiden ja mit keinem Wort in meiner Kurzvita erwähnt.“ Er grinste Carmen jetzt breit an.

„Einmal im Jahr nehme ich die beiden meiner Schwester für eine Woche ab“, erklärte Walter. „Vielleicht schreibe ich mal ein Buch über die Erfahrungen, die ich dabei sammle. So eine Art Überlebensratgeber für Leute, die von Kindern keine Ahnung haben.“ Sein Grinsen wurde breiter, als er Carmen bei diesem Satz anschaute. Sie fühlte sich wenig wohl in ihrer Haut und versuchte, wieder ein wenig Smalltalk zu machen: „Wie heißen die beiden?“
„Penelope und Iokaste“, antwortete Walter, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er bemerkte Carmens ungläubigen Blick. „Meine Schwester hat Archäologie studiert und ist ganz vernarrt in griechische Mythologie. Wir konnten sie nach der Geburt gerade noch davon abhalten, die Mädchen Troja und Schliemann zu nennen.“
„Du verarscht mich jetzt, oder?“, fragte Carmen.
„Darauf kannst du wetten!“, lachte Walter. Jetzt konnte sich auch Carmen ein Grinsen nicht mehr verkneifen.
„Ich sehe, du bist im wirklichen Leben genau so witzig, wie deine Bücher.“ Walter verzog das Gesicht. „Also, meine Bücher wurden schon mit allen möglichen Attributen versehen, aber witzig steht auf dieser Liste ziemlich weit unten. Die Kinder heißen übrigens Konstanze und Olivia.“

Er sah wieder nach den Zwillingen. Inzwischen hatte die Mutter ihres Opfers den Schauplatz betreten, schimpfte mit den beiden Mädchen und sah sich dabei nach einem Erwachsenen um, den sie zur Schnecke machen konnte. Walter bemühte sich um einen möglichst unbeteiligten Gesichtsausdruck und raunte Carmen aus dem Mundwinkel zu: „Im Film würde Cary Grant jetzt Grace Kelly bitten, ihn leidenschaftlich zu küssen, um nicht von den Geheimdienstleuten entdeckt zu werden.“ Carmen konnte jetzt nicht mehr an sich halten und prustete los.
„Mir scheint, dass die beiden bei dir eine Menge Freiheiten genießen“, sagte sie, immer noch lachend.
„Das täuscht.“ Walter machte jetzt ein ernstes Gesicht. „Ich kann ein ganz schön strenger Onkel sein. Nicht, dass mir das etwas nützen würde, aber immerhin kann ich behaupten, dass ich es wenigstens versucht habe.“

Er sah auf die Uhr. „Wir müssen noch in den Videoladen“, meinte er. „Ich habe mir gestern die Frechheit herausgenommen, die beiden für das Schwimmbad fertig zu machen, während im Fernsehen noch ‚Bob der Baumeister’ lief. Das muss ich heute büßen.“ Er runzelte die Stirn. „Du hast nicht zufällig eine Idee, wie ich die beiden für ‚Der englische Patient’ begeistern könnte?“ Carmen schlug die Beine übereinander. „Gegenfrage“, sagte sie, „hast du nicht zufällig eine Idee, wann wir uns mal auf einen Kaffee treffen könnten?“ Walter atmete tief ein. Nur jetzt nicht die Fassung verlieren, dachte er.
„Gegenfrage auf die Gegenfrage“, erwiderte er schließlich, „Bist du rein zufällig hier, oder steckt hinter deinem Auftauchen doch noch etwas mehr?“ Carmen legte den Zeigefinger an die Nasenspitze, so als müsse sie sorgfältig über eine Antwort nachdenken. In dieser Pose hätte Walter sie mehrere Menschenleben betrachten können.
„Es war die Kurzvita, oder?“, sagte sie schließlich.
„Gut beobachtet, Watson“, brummte Walter.

„Dann schätze ich, dass ich dir ein Geständnis schuldig bin“, sagte Carmen. Walter schloss die Augen und wappnete sich gegen etwaige Unschönheiten, die jetzt auf ihn zukommen mochten.
„Ich bin hier wirklich rein zufällig vorbeigekommen“, fuhr sie fort, „Auf dem Weg vom Büro nach Hause gehe ich immer durch diesen Park.“ Walter blinzelte und hoffte, dass Carmen seine Erleichterung nicht all zu deutlich mitbekam.
„Für welchen Verlag arbeitest du?“, fragte er unvermittelt.
„Ich bin Lektorin bei Spanndorf.“
„Ach. Was du nicht sagst“, murmelte Walter und beugte sich vor, „Gutes Haus. Tolles Programm. Ich erinnere mich noch gut an euch.“ Walter fixierte jetzt einen imaginären Punkt, der mehrere Lichtjahre entfernt zu sein schien und Carmen entwickelte plötzlich ein gewaltiges Interesse für den Inhalt ihrer Handtasche. Schließlich förderte sie eine Schachtel Tic-Tac ans Tageslicht und bot Walter eines an. Er lehnte mit einem ungeduldigen Wink ab und bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte.
„Hab ich noch eine Frage frei?“, fragte er. Carmen nickte. „Dein Vorname – Carmen – das ist nicht vielleicht der Name, für den das ‚C.’ in ‚C. Spanndorf’ steht, jenem aufgeblasenen Arschloch, das seinen Namen unter das süffisante Ablehnungsschreiben zu meinem allerersten Romanmanuskript gesetzt hat?“ Carmen wandte sich wieder ihrer Handtasche zu, möglicherweise auf der Suche nach einem Fluchtfahrzeug.

„Hör mit dem Gekrame auf und gib mir eine Antwort!“ Walter hatte die Schärfe in seiner Stimme eigentlich gar nicht geplant, aber er konnte sich einfach nicht beherrschen.
„Entschuldige, dass ich dich gestört habe“, brauste Carmen jetzt ebenfalls auf. „Es war ein Fehler dich einfach so anzuquatschen.“
„Es war ein Fehler meinen Roman abzulehnen“, antwortete Walter und versuchte dabei ein Höchstmaß an Schadenfreude in seinen Tonfall zu packen.
„Das weiß ich heute auch, du arroganter Schnösel!“, fuhr Carmen ihn an.
„Na das will ich aber auch stark hoffen, du menschgewordene Literatenguillotine!“
„Du kannst dir ja nicht vorstellen, was mir mein Vater erzählt hat, als dein Roman auf den Markt gekommen ist!“, zischte Carmen.
„Und du kannst dir hoffentlich vorstellen, dass sich mein Mitleid jetzt aber in engen Grenzen hält. Da hat Papas Liebling ja ganz schön tief in die Scheiße gegriffen!“
„Oh, du Ekel. Du hast ja nicht die geringste Ahnung was es heißt, die Tochter vom Alten zu sein. Und jetzt gehe ich wohl besser.“ Carmen klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und stand auf. Ihr Pferdeschwanz beschrieb einen eleganten Bogen, als sie sich zornig von Walter wegdrehte, um energisch den Kriegsschauplatz zu verlassen. Ihr Vorhaben wurde aber abrupt von der Zwillingsbarrikade unterbrochen, die sich unmittelbar hinter ihr aufgebaut hatte, und die ganze Szene aufmerksam beobachtete.
„Bist du Onkel Walters Freundin?“, fragte Konstanze.
„War Onkel Walter ekelig zu dir?“, erkundigte sich Olivia.
„Kennst du ‚Bob der Baumeister’?“, wollten beide im Chor wissen.

Carmen war auf Situationen wie diese eindeutig nicht vorbereitet. Sprachlos sah sie auf die beiden Mädchen hinunter. „Äh, äh, nein“, war alles was sie schließlich herausbrachte. Sie wandte sich zu Walter um und wurde den Eindruck nicht los, dass der sich prächtig amüsierte. „Lasst mich durch Kinder“, sagte sie lahm zu den Zwillingen. „Ich muss jetzt wirklich los.“
„Ich glaube du hast noch eine Kleinigkeit vergessen“, ließ sich Walter in diesem Augenblick aus dem Hintergrund vernehmen.
„Wenn du glaubst, ich würde mich jetzt bei dir entschuldigen, bist du noch arroganter, als ich dachte“, zischte Carmen ihn an.

„Eigentlich wollte ich nur deine Telefonnummer. Ich gehe schon davon aus, dass die Sache mit dem Kaffee noch steht, oder? Und weil du in der Vergangenheit so böse zu mir warst, wirst du bezahlen.“ Das breite Grinsen war wieder auf Walters Gesicht zurückgekehrt. Er genoss Carmens Anblick, wie sie da stand, die Hände in die Hüften gestemmt, die Beine leicht gespreizt. Sie funkelte ihn an.
„Wie heißt es in unserer Branche so schön? Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an! Also her mit deiner Nummer!“ Walter rückte wieder seine Brille zurecht, bevor er Zettel und Schreiber aus seiner Jackentasche hervorfischte und Carmen seine Handynummer aufschrieb. Ein winziges Lächeln hatte sich um ihre Lippen eingenistet als sie den Fetzen Papier in ihrer Tasche verstaute. „Na mal sehen“, war alles was sie noch zu ihm sagte, ehe sie sich umdrehte und quer über den Spielplatz zum Ausgang ging. Walter sah ihr nach, bis sie aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war. Dann sah er nach den Zwillingen, die sich nicht vom Fleck gerührt hatten und ihn groß ansahen.
„Was denkt ihr, Mädchen?“, fragte er, „Soll Onkel Walter endlich wieder mal sein Handy aufdrehen? Ich meine, man kann ja nie wissen, oder?“

 

hallo journey2heaven,

treibst du dich oft im türkenschanzpark rum?

nein, im ernst: hat mir sehr gut gefallen, göttlich finde ich die schilderung des dreijährigen sandkistenopfers ...

meine lieblingsstellen:

"Eine Carmen sollte doch eher wie Maria Callas aussehen, dachte er, oder wenigstens wie Jennifer Lopez."

"Carmen wandte sich wieder ihrer Handtasche zu, möglicherweise auf der Suche nach einem Fluchtfahrzeug."


noch eine verständnisfrage:
woher weiss er, dass sie bei einem verlag arbeitet? könnte sie nicht nur einfach ein literaturgroupie sein und seine kurzvita aus einem buchcover kennen?

und:
wer zum teufel ist schliemann??

alles liebe,

hilde

ps.: du weisst eh, wer vor solcher unbill mit verlagen schützt ... eine gute AGENTIN :cool:

 

huhu hilde,

hab dank fürs lob. freut mich, wenns dir das lesen ein bissl spaß gemacht hat. im türkenschanzpark bin ich eher selten bis nie - ist irgendwie am anderen ende der stadt. *g*

woher weiss er, dass sie bei einem verlag arbeitet? könnte sie nicht nur einfach ein literaturgroupie sein und seine kurzvita aus einem buchcover kennen?

gute frage. er weiss es nicht, sondern vermutet es nur. das ganze ist ein schuss ins blaue ... du verstehst?

und zu schliemann: das ist m. E. der kerl der sich als erster ernsthaft damit beschäftigt hat, das antike troja auszubuddeln - und das mit gutem erfolg.

und die sache mit der agentin: sobald ich mein erstes romanmanuskript fertig habe wende ich mich vertrauensvoll an dich :D

lg p.

 

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