Walli
Hallo, darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Walli, ein Stofftier in Form eines Walrosses. Ich besitze ein hellbraunes Fell, bin etwa so groß wie ein Meerschweinchen, habe schwarze Knopfaugen, lange weiße Stoßzähne und um den Mund einen Zottelbart und das ist meine Geschichte:
Der Kauf
Ich erwachte eines Tages in der Kuscheltierabteilung eines Spielzeugladens. Wie ich dort hin kam und was zuvor passiert war kann ich nicht sagen.
Als ich mich umschaute erblickte ich überall um mich herum in den Regalen ebenfalls dutzende von Kuscheltieren in allen Farben und Formen. Ich konnte Giraffen, Ponys, Dinosaurier, Löwen, Kätzchen, Pinguine, Hasen und Delphine ausmachen.
Das müsste schon ein paar Wochen her sein.
Seitdem sitze ich hier.
Im Endeffekt sind wir alle nur aus einem Grund hier: Wir warten darauf, dass uns Menschen mitnehmen, uns ein schönes Zuhause geben und wir diese glücklich machen. Denn dazu sind wir da. Um Menschen glücklich zu machen, sie zu trösten und ihnen so lange wir können und dürfen ein Freund zu sein.
Niemand von uns möchte in diesem Laden lange verweilen. Das Spielzeuggeschäft ist schon etwas in die Jahre gekommen, wie auch sein Besitzer. Es riecht ähnlich wie in einem Keller oder auf einem Dachboden, alt irgendwie. Der Besitzer ist ein um die 70 jähriger Mann mit weißem Schnäuzer der an beiden Seiten spitz zuläuft. Oft hängen noch kleine Mengen seiner zuletzt gegessenen Mahlzeit in ihm fest was uns alle ein wenig anekelt. Ansonsten trägt er eine kleine, runde Hornbrille die ihm immer wieder von der Nase rutscht. Er ist von stattlicher Figur, fast dick könnte man sagen. Die meiste Zeit sitzt er vorne hinter seiner Theke und liest in der Zeitung. Drei mal am Tag macht Willi – so ist sein Name- jedoch seinen Rundgang durch das Geschäft, schaut, ob noch alles an seinem Platz ist.
Manche von uns stehen schon Monate hier in den Regalen, andere hingegen werden bereits am ersten Tag verkauft. Besonders gut gehen die knuffigen Kuscheltiere wie Hunde, Katzen oder Häschen über den Ladentisch.
Ich als Walross hingegen, habe es ein bisschen schwerer. Durch meine Stoßzähne bin ich bei Kindern oder aber Großeltern die ihren Enkeln ein Geschenk machen wollen nicht erste Wahl. In der Regel betrachten mich potenzielle Käufer, gehen dann aber doch weiter und kaufen etwas Goldigeres.
Da ertönt sie. Die Ladenglocke.
An der großen Holztür des Geschäftes hängt eine gusseiserne Glocke die jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wird, ein helles Klingeln auslöst. Dieses Klingeln bedeutet für uns: Kundschaft! Wir müssen uns von unserer besten Seite zeigen.
Ein junges Paar – Mitte zwanzig – betritt den Laden.
Er ist hoch gewachsen von sportlicher Statur, trägt einen Dreitagebart und besitzt ein freundliches, gutmütiges Gesicht.
An ihr fällt mir sofort ihr riesengroßer Babybauch auf den sie immer wieder liebevoll streichelt. Ansonsten ist sie kleiner als er, hat blonde Locken die ihr spielerisch immer wieder ins Gesicht fallen und ein liebenswertes Lachen mit kleinen Grübchen.
Alle Tiere versuchen sich bestmöglich in Pose zu stellen, ihr Fell schön glänzen zu lassen, oder versuchen besonders knuffig und niedlich auszuschauen.
Das Paar geht langsamen Schrittes den Gang hinunter wobei die Frau immer wieder ihren Bauch streichelt.
Beide bleiben stehen und schauen sich die Pinguine an. Jedoch nehmen sie keinen von ihnen aus dem Regal sondern gehen gemächlich weiter.
Vorbei an den Nilpferden, den Ponys, den Löwen und den Teddybären.
Nur noch ein paar Schritte dann sind sie bei mir.
Innerlich zittere ich vor Unruhe und Spannung. Dies sind Käufer die sich jedes Kuscheltier wünscht.
Auf meiner Höhe angekommen krümmt sich die Frau auf einmal leicht nach vorne. „Aua. Fuzzi hat mich in die Rippen getreten“ sagt sie lachend zu ihm. „Meinst du das ist ein Zeichen?“
Sie und ihr Mann grinsen sich an und blicken in das Regal. Und da stehe ich.
„Ein Walross?“ bemerkt er überrascht und kräuselt ein wenig die Nase „ich dachte eher an etwas Niedlicheres.“
„Das Baby hat es ausgesucht also wird es genommen. Niedlich liegt außerdem im Auge des Betrachters! Der Tritt war bestimmt ein Zeichen“ erwidert die Frau bestimmt. „Du immer mit deinen Zeichen! Aber in diesem Zustand kann ich dir sowieso nicht widersprechen“ feixt der Mann und nimmt sie lachend in den Arm.
So hat das Baby sich für mich entschieden und ich habe meine Familie gefunden.
Am Verkaufstisch angekommen runzelt der Besitzer verdutzt die Stirn „Ich dachte schon, den werde ich gar nicht los. Schön, dass sie sich für Walli entschieden haben.“ „Walli“ die Frau schaut mich liebevoll an. „Ja, sein Name ist Walli. Ob sie den Namen behalten oder ihn umbenennen ist natürlich ihre Sache. Ich wünsche ihnen besonders viel Freude mit ihm“.
„Vielen Dank. Er ist das Geburtsgeschenk für unser Baby“ strahlt die Frau den Besitzer an.
Es wird sich verabschiedet und ich höre das Klingeln der Ladenglocke ein letztes Mal.