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Wald
WALD
Ich saß an meinem Schreibtisch und machte irgendeneine sinnlose Tätigkeit, für die mich mein Chef bezahlte. Ich ließ den Blick aus dem Fenster schweifen, über die Wiese und den Wald dahinter. Dieser beschissene Wald, so friedlich und natürlich wie er da hinten lag. Und ich war hier, eingesperrt in Stahl und Beton und atmete künstliche Luft.
Also ging ich los und kaufte diese Axt. Ich hatte hundertemale in Männermagazinen Anzeigen von Äxten gesehen deshalb konnte ich gezielt nach dem Testsieger greifen. Ich ging also an den Waldrand und fällte den ersten Baum. Das war erstaunlich leicht und gleichzeitig ein echt gutes Gefühl. Etwas war Jahrzehnte gewachsen und ich haute das Teil einfach in der Mittagspause um.
Und gleich noch einen.
“Alter, machstn da?”
Jonny hatte mich wohl vom Fenster aus gesehen und war runtergekommen.
“Ich holz den Wald ab.”, sagte ich und hackte schon am nächsten Baum rum. Langsam ging mir aber die Puste aus und ich drückte Jonny die Axt in die Hand.
“Geil” meinte er, und so hatten wir bis zur Dämmerung schon einiges umgehauen.
“Morgen bringen wir was zu essen mit, Sägen und noch anderen Kram.”
sagte ich, bevor wir heim gingen.
Am nächsten Tag waren noch zwei andere Typen aus dem Büro mit Äxten und Sägen dabei. Wir hauten ordentlich rein und Mittags hatten wir eine längere Schneise in den Wald
gehackt und machten uns gerade daran, eine quadratische Lichtung zu schaffen, als ein paar Typen von der Stadtverwaltung auftauchten.
“Machtn ihr da?” , fragte der Eine.
“Ham ne Schneise gehackt!” sagte Jonny, vor Stolz grinsend.
“Was seidn ihr für Typen?” fragte der andere Typ von der Stadt.
“Ich bin Jonny.”, sagte Jonny.
Die Typen von der Stadt standen noch ne Weile rum und schauten uns zu und wussten nicht so recht, was sie machen sollten. Schließlich zogen sie irgendwann ab. Später, gegen Abend hatten wir einen Unterstand gebaut, es kamen noch paar Jungs aus dem Büro vorbei, brachten ihre Frauen und Kinder mit, wir machten ein großes Feuer und grillten.
Mittlerweile hatten auch ein paar Medientypen von der Sache Wind
bekommen, und versuchten sich einen Reim daraus zu machen, was da abging. Immerhin schafften wir es in die Lokalnachrichten, was dazu führte, das am nächsten Morgen noch ein paar mehr Leute mit Äxten aufkreuzten.
Auch die Typen von der Stadt checkten nicht, was da eigentlich los war. Wenn der Wald irgendeinem Privatmann gehört hätte, wären wahrscheinlich längst die Bullen aufgetaucht und hätten uns niedergeknüppelt. Aber der Wald gehörte wohl der Stadt oder dem Land, und man wollte einen Skandal vermeiden, weil es waren ja bald Wahlen und niemand wollte in die Nachrichten kommen, weil er im Grunde friedliche Zivilisten niederknüppeln lässt. Also gründeten sie einen Arbeitskreis und wollten unabhängige Experten aus der Hauptstadt dazuholen, jedoch bestand Uneinigkeit über das Budget, sodass die Entscheidung erstmal vertagt wurde.
Mittlerweile war Montag und wir gingen nicht mehr ins Büro, sondern bauten Hütten auf der Lichtung. Irgendeiner hatte ein Pferd besorgt, sodass wir sogar richtig roden konnten. Unser Chef kam vorbei und drohte uns mit Kündigung, wenn wir nicht sofort zur Arbeit kämen. Als
wir nicht reagierten, stand er noch eine Weile rum und sah uns zu, versuchte noch ein paar Mal uns anzuschreien, aber kam nicht mehr so richtig in seine Rolle. Schließlich zog er ab.
Wir hatten uns ganz gut häuslich eingerichtet, die Stadtverwaltung hatte beschlossen unser Dorf zu dulden, unter der Auflage keine Bäume mehr zu fällen, den Müll zu entsorgten und Chemieklos aufzustellen. Da wir nicht reagierten, fassten sie es als Zustimmung auf, und ließen sich in der Presse für ihre diplomatische Lösung feiern.
Inzwischen hatten wir es zu landesweiter Berühmtheit geschafft, und täglich kamen Leute zu uns, um sich von uns inspirieren zu lassen. Wir erhielten Geld und Sachspenden und wurden mit gesponsorten Kochtopfen, Campingkochern und Isomatten überschüttet. Die Leute liebten uns, wollten Fotos mit uns machen und Ratschläge, wie sie ihr eigenes Leben ändern könnten. Wir hätten wohl ewig so weiterleben können, doch irgendwann begannen im ganzen Land Leute ihre
Äxte zu schwingen und in den Wald zu ziehen. Die Politik musste handeln, schließlich waren bald Wahlen und jetzt musste Stärke und Entschlossenheit demonstroert werden, in diesen unsicheren Zeiten.
Eines nachts kreuzten also doch die Bullen auf, schlugen alles kurz und klein und trieben uns wieder nach Hause. Dabei geriet wohl ein Feuer außer Kontrolle und der Wald brannte nieder. Es gab einen Toten.
Am nächsten Montag saßen wir wieder im Büro. Unser Chef war
erleichtert, dass alles wieder normal war und beließ es bei Abmahnungen und unbezahltem Urlaub für die letzte Zeit. Ich schaue aus dem Fenster auf den frisch geteerten Parkplatz und fühle mich mit meiner Umwelt in Einklang.