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Wald der Gedanken
Das Erste, was ich fühlte, war die Kälte. Danach das Wissen, dass irgendetwas passiert war. Nur was? Alle meine Glieder fühlten sich an, als wäre ich steifgefroren gewesen. Plötzlich vibrierte meine rechte Jackentasche.
„Was zum…“, begann ich aufzustöhnen.
Mein Handy. Natürlich, mein Handy, machte sich ein Gedanke ungewöhnlich langsam in meinem Kopf breit. Fast schon in Zeitlupe streckte ich meinen Arm aus, ignorierte das schmerzhafte Kribbeln und griff in meine Jackentasche. Auf dem Display stand in großen Lettern "Helen". Bevor ich meinen nächsten Gedanken fassen konnte, wurde der Bildschirm auch schon schwarz. Ich las von drei Anrufen in Abwesenheit und zwei Nachrichten. Dann vibrierte das Handy wieder. Diesmal schaffte ich es den Anruf anzunehmen, während sich das Kribbeln in meinem ganzen Körper ausbreitete.
„Silvan, bist du da? Hallo?“, hörte ich es aus dem Handy rufen. Ich drückte es ans Ohr und sagte: „Helen! Hi, wie … ähm geht‘s?“
„Wie es mir geht? Willst du mich verarschen? Wo zum Teufel steckst du? Du hättest vor fast zwei Stunden wieder im Büro sein sollen!“
Ich schaute mich um. „Im Wald.“, erwiderte ich, ohne mitzubekommen, wie unglaublich dämlich diese Antwort klingen musste.
„Wie, im Wald? Silvan, alles ok bei dir? Du warst zwei Stunden im Wald? Hallo?“
„Helen, hör zu …“, sagte ich, während mein Geist noch immer versuchte dem Schleier des Vergessens, der mich scheinbar gefesselt hatte, zu entkommen, „ … kommt ihr heute ohne mich klar? Mir …mir geht es gerade nicht so gut. Kann ich mir den Nachmittag frei nehmen?“
„Silvan, was ist los?“
„Erkläre ich dir später. Geht das klar?“
„Naja, viel Wahl lässt du mir ja nicht gerade. Aber melde dich heute Abend, ok?“
„Ja, mache ich.“, sagte ich und legte auf.
Was zum Teufel war passiert? Mein ganzer Körper kribbelte und schmerzte, aber wenigstens schien ich langsam wieder die Kontrolle über meinen Geist zu gewinnen. Ich war in der Mittagspause mit dem Auto ein Stück in den Wald gefahren und wollte mir für zehn Minuten die Beine vertreten um meine Gedanken zu sortieren. Dann habe ich abseits des Weges einen größeren Baum gesehen, dessen eine Wurzel fast schon wie eine Bank geformt war. Ich beschloss mich kurz hinzusetzten und dann … ja was dann?
Ich muss wohl irgendwie eingeschlafen sein, versuchte ich mich selbst zu überzeugen. Aber tief in mir weigerte sich etwas das zu akzeptieren. Da war noch etwas anderes. Etwas war passiert. Das chaotische Gefühl, als sich mein Geist nun die Herrschaft über meinen Körper zurückerkämpfte, riss mich aus meinen Gedanken. Hunger. Gott, hatte ich einen Hunger. Plötzlich fiel mir ein, dass ich im Auto noch etwas zu Essen hatte. Ich streckte mich und versuchte auf die Beine zu kommen. Wackelig, aber es geht, dachte ich mir und tat die ersten Schritte. Vor mir konnte ich den Weg erkennen, den ich zugunsten meiner trügerischen Bank verlassen hatte. Irgendwo da musste auch mein Wagen stehen. Das Kribbeln in meinem Körper ließ nun fast vollends nach, bis auf eine kleine Stelle in meinem Nacken. Eine Stelle, die vermutlich schon bei unseren Ur-Ahnen kribbelte, um sie vor lauernden Jägern in den Schatten zu warnen. Ein Urgefühl, das nichts mit dem Kribbeln in meinem Beinen und Armen zu tun hatte und das mir nur eins vermitteln wollte. Gefahr.
Und ein verwandter Instinkt griff nun ebenfalls schlagartig nach meinem mühsam zurückerkämpften Geist. Angst. Ich wollte plötzlich einfach nur weg hier, konnte aber nicht einmal genau sagen warum. Als ich auf dem Weg angekommen war sah ich in ungefähr 300m Entfernung mein Auto stehen. Auch wenn es nur eine so kurze Strecke war, so kam mir deren Überwindung fast unmöglich vor.
Ich fühlte mich plötzlich wie eine Maus, die einer Katze direkt ins Gesicht blickt, starr vor Furcht.
Das rettende Mauseloch war so nah und doch wusste ich, dass es nur einer falschen Bewegung bedarf und der Jäger würde zuschlagen. Wie seit Millionen von Jahren gab es für die Beute nur zwei Möglichkeiten. Fight or flight. Meine Beine nahmen mir die Entscheidung ab und ich erreichte keuchend und hustend mein Auto. Ich schloss auf, setzte mich hinein, startete den Wagen und hätte beim hastigen Einbiegen auf die Landstraße fast noch eine Leitplanke gerammt. Genau wie damals wagte ich es nicht über meine Schulter zu sehen, geschweige denn mich umzudrehen.
Aber mein Gefühl sagte mir, dass der Jäger immer noch hinter mir war und meine Flucht höhnisch begutachtete. Die Jagd war spaßiger, wenn man die Beute etwas hetzen konnte.
Ungefähr eine Stunde später kam ich bei meiner Wohnung an. Nachdem die Panik nachgelassen hatte, machte sich ein unglaublich starkes Gefühl der Erschöpfung in mir breit. Fast schon automatisch öffnete ich die Tür, schloss sie hinter mir, zog meine Schuhe und Jacke aus und schlurfte die letzen paar Schritte ins Schlafzimmer. Ich fiel mit verschwitzten und dreckigen Klamotten aufs Bett und war eingeschlafen, bevor ich dort landete.
Ich wachte in einem Schwarzweißfilm auf. Aber eigentlich war das nicht wirklich korrekt. Ich war es gewohnt die Umwelt mit meinen Augen wahrzunehmen, sie feinsäuberlich nach Farben und Strukturen einzuteilen und sie mir dadurch zu erschließen. Aber so wie es beispielsweise in einem Stummfilm keinen Ton gab, sondern nur Wörter, die einem die Geräusche beschrieben, so sah ich meine Umgebung in Schattierungen von schwarz und weiß, allerdings ohne meine Augen zu benutzen. Ich fühlte sie eher. Ich fühlte mich, als gäbe es keine Farben. Als könnte ich mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen. Dafür konnte ich plötzlich Dinge spüren, die ich als Mensch nie so genau wahrgenommen habe. Ich durchdrang die Beschaffenheit des Bodens. Ich spürte den leichten Sand, den feuchten, torfigen Boden darunter, das harte Gestein zu meiner linken und den klebrigen Lehm zu meiner rechten. Als ich meine Aufmerksamkeit nach oben richtete, fühlte ich einen warmen Regen, als würde ich mein Gesicht an einem Sommertag in die Sonne halten. Und ich merkte die unglaubliche Kraft, die ich dadurch bekam. Aber das seltsamste, was ich spürte, war die Grenzenlosigkeit. Der Boden war mit einem dichten Netz durchsetzt, welches es mir erlaubte mich in jeder Richtung auszubreiten. Ich schlug völlig zufällig einen Weg ein und merkte plötzlich, dass seltsame Informationen meinen Geist füllten. Bilder von einer Packung Salz. Das Bild von einer großen Schale Eis, die ich unbedingt haben wollte. Alles so als würde mein Gehirn versuchen mit Bildern etwas zu verarbeiten, was ich in seiner Reinform einfach nicht verstehen konnte. Und dann fühlte ich Kälte. Kälte und eine Dunkelheit, die weit davon entfernt war einfach nur eine Abwesenheit von Licht zu sein. Eine Dunkelheit, die stofflich war. Eine Dunkelheit, in der sich etwas versteckte, und diese etwas hatte mich nun bemerkt beobachtete mich. Urplötzlich griff sie nach mir.
Als ich schweißgebadet in meinem Bett aufwachte fühlte es sich an, als wäre ich von hunderten Ranken umschlungen und durchdrungen, die gnadenlos jedes bisschen meines Seins erforschten. Ich begann zu schreien.
„Was zur Hölle schreist du denn so hier?“. Helens Stimme riss mich aus meiner Horrorvorstellung und brachte mich schlagartig in die Gegenwart zurück.
„Helen? Was … was machst du hier?“, erwiderte ich in einer Mischung aus Überraschung und Erleichterung.
„Was werde ich wohl hier machen? Nachdem du dich gestern nicht mehr gemeldet und heute auch nicht im Büro aufgetaucht bist, habe ich mir gedacht ich nutze meine Mittagspause kreativ und schaue mal bei dir vorbei. Ich hab dich in voller Montur im Bett gefunden und wollte dir gerade einen Zettel schreiben, dass du das nächste Mal bitte deine Feiern auf das Wochenende beschränkst“. Der bittere Ton in Ihrer Stimme schnitt wie ein Messer.
„Ich habe mir echt Sorgen um dich gemacht und du feierst die Nacht durch. Meine Güte Silvan, wie alt bist du denn? Naja, schlaf deinen Rausch aus. Es ist fast schon halb eins. Ich schließ hinter dir ab. Gut, dass ich `nen Zweitschlüssel hab. Ach ja, und vor deiner Tür lag ein Briefumschlag. Ich habe ihn dir auf die Küchentheke gelegt.“
Mit diesen Worten war sie aus dem Zimmer verschwunden und ich verwirrt mit meinen Gedanken alleine ohne ihr noch eine Antwort hinterherrufen zu können.
Großer Gott, warum immer ich, dachte ich mir und kämpfte mich, noch benommen von meiner dunklen Vision, aus dem Bett und in die Küche. In meiner Panik gestern hatte ich den Hunger ganz verdrängt, der mich nach meinem Unsanften Erwachen geplagt hatte. Als ich in der Küche angekommen war sah ich den Brief, von dem Helen gesprochen hatte. Kein Absender, keine Briefmarke. Das machte mich dann doch neugierig. Ich öffnete den Umschlag und fand darin eine Karte und mehrere, aneinander gebundene DIN A4 Seiten. Auf der Karte stand:
„Silvan, du hast eine gefährliche Schwelle übertreten. Ruf mich schnellstmöglich unter dieser Handynummer an“
Darunter stand eine Handynummer. Ansonsten nichts.
Ich schaute mir die gebündelten Zettel an. Der Titel lautete „Wood wide web - wie Pilze die Bäume vernetzen“.
Aha, dachte ich mir. Naja, da ich heute offensichtlich sowieso ungewollt frei hatte, beschloss ich mir den Text einmal in Ruhe bei einem Kaffee durchzulesen.
Zehn Minuten später holte ich mir meinen Laptop aus dem Wohnzimmer und stellte ihn neben den mittlerweile kalten Kaffee. Eine Stunde später war ich immer noch am Lesen. Die Thematik faszinierte mich.
Ich lernte, dass jeder Baum in einem Wald durch seine Wurzeln mit einem Geflecht von Pilzen unglaublicher Größe vernetzt ist. Durch dieses Netzwerk können Bäume untereinader kommunizieren, ähnlich wie mein Laptop es gerade mit einem Server am anderen Ende der Welt tat.
Trotz der Tatsache, dass mich die Thematik fesselte, war ich allerdings immer noch nicht schlauer, was es mit der Karte auf sich hatte. Nachdem ich den Text noch einmal gelesen hatte, sah ich mir die Nummer genauer an.
Ich hätte es hier auf sich beruhen lassen können. Hätte mir noch etwas zu essen machen, vielleicht noch etwas spazieren gehen und mich gut ausschlafen können. Ich wäre morgen im Büro aufgetaucht, hätte mich entschuldigt und mein Leben weitergelebt. Aber das tat ich nicht. Stattdessen holte ich mein Handy.
Knapp zwei Stunden später war ich in einem Café am Marktplatz. Hier sollte ich die geheimnisvolle Stimme vom Telefon treffen. Viel hatte er nicht gesagt. Ich sollte mich um 16 Uhr an einen Tisch im Café Bravo vor einer großen Linde setzen . Als ich nach seinem Namen fragte, legte er auf. Und hier saß ich nun, vor mir eine fast leere Tasse Kaffe und mir gegenüber ein leerer Stuhl, für den ich ebenfalls schon Kaffee bestellt hatte. Ich hatte keine Lust mehr zu warten und drehte mich in Richtung Café, um einer Bedienung zu signalisieren, dass ich zahlen wollte, als plötzlich…
„Schon keine Geduld mehr?“
Ich drehte mich erschrocken zurück und da, wo mich eben noch ein leerer Stuhl stoisch ansah, saß nun ein Mann, etwa Mitte dreißig mit kastanienbraunem, kurzem Haar.
„Woher…? Ich meine, ich nehme an, wir haben telefoniert?“ stammelte ich durch den Schreck unbeholfen.
„Ja, Silvan, das haben wir.“
„Woher kennen Sie meinen Namen?“, antwortete ich, bis mir einfiel, dass der ja schon auf der Karte gestanden hatte.
„Ich weiß mittlerweile mehr über dich, als du ahnst. Aber hör zu, ich habe nicht viel Zeit um Höflichkeiten auszutauschen. Hast du den Artikel gelesen, den ich dir geschickt habe?“
„Ja.“
„Und wie fandest du ihn?“
„Interessant?“, gab ich misstrauisch zurück.
Mein Gegenüber schien das zu amüsieren.
„Du machst dir ja keine Vorstellung. Ich weiß, dass das alles für dich unglaublich seltsam wirken muss. Normalerweise würden wir dieses Gespräch auch nicht so führen. Normalerweise wärest du seit gestern einem von unserer Gemeinschaft unterstellt worden und hättest jetzt Jahre anstrengenden Trainings vor dir. Aber leider sind dies keine normalen Zeiten, daher die Kurzfassung. Du hast gestern etwas über das Netz gelernt, was Bäume untereinander verbindet. Eine Verbindung, die ganze Wälder miteinander kommunizieren lässt."
Bei diesen Worten ging ein leichter Windhauch durch den Baum hinter meinem Besuch. Irgendetwas an dem Rascheln der Blätter war seltsam ... fast schon vertraut.
"Und jetzt stell dir vor, du könntest dich in diese Verbindung einklinken. Ähnlich wie ein Computer, der sich mit dem Internet verbindet."
„Moment mal. Eine Sekunde.“, platzte es aus mir heraus. „Ich fand den Artikel ja wirklich interessant, aber mich mit diesem….diesem Netzwerk zu … verbinden? Ist das ein schlechter Scherz? Seh ich aus wie ein Baum?“
„Keineswegs. Hast du gelesen, dass die Signale in dem Netzwerk auch elektrisch übertragen werden?“
„Ja, und?“
„Was glaubst du denn, wie dein eigenes Gehirn funktioniert, Silvan? Viele kleine Teile, die elektrisch miteinander kommunizieren. Neuronen, die feuern. Elektrische Signale, die sich auf vorgefertigten Bahnen durch das ganze System bewegen und dabei Reaktionen auslösen. Klingt vertraut, nicht?“
„Ja, aber… aber“, stotterte ich. „Was wollen Sie mir da erzählen? Das der Wald ein einziges Gehirn ist? Das ich jedesmal, wenn ich im Wald spazieren gehe, eigentlich im Kopf von einem riesengroßen Organismus rumlaufe? Das ist doch verrückt.“
„Nein, so ist es nicht, das ist alles etwas komplizierter als du denkst. Stell dir vor…“
Da war plötzlich das Rauschen der Blätter wieder. Diesmal allerdings anders, fordernder, drängender. Ohne Vorwarnung brach mit einem lauten Krachen ein größerer Ast der Linde hinter uns ab und schlug keine fünf Meter neben unserem Tisch auf dem Boden auf.
Das Hintergrundrauschen des Marktplatzes, das Gerede und Getümmel und die Gespräche an den Cafétischen verstummten abrupt. Für eine Sekunde starrten alle gebannt zu dem Baum. Alle, bis auf mein Gegenüber. Der war so unvermittelt verschwunden, wie er aufgetaucht war. Nur der leere Stuhl starrte mich erneut an.
So plötzlich, wie die Stille begann, endete sie auch wieder. Neugierige Passanten begutachteten den Ast, aufgeregte Gäste griffen zum Handy und machten Fotos. Die Welt hatte mit einem Klicken wieder in Ihre geschäftige Normalität zurückgefunden. Nur in meinem Kopf hallte noch das Geräusch der Blätter nach, als mein Geist versuchte zu verstehen, was daran so seltsam gewirkt hatte.
„Meine Güte, die Stadt kümmert sich auch nicht um die Bäume hier, meinen Sie nicht auch?", hörte ich plötzlich eine Stimme von hinten.
"Die ganzen morschen Äste, irgendwann erschlägt es hier nochmal jemanden und dann ist das Geschrei wieder groß. Kann ich abräumen, oder kommt ihr Besuch noch?"
„Besuch? Ja…Nein.", erwiderte ich, während die Sätze der Kellnerin vergeblich versuchten einen Teil meiner Aufmerksamkeit zu beanspruchen.
"Ich würde dann gerne zahlen, bitte“, sagte ich etwas verwirrt und zog meine Brieftasche. Ich hatte gehofft Antworten hier zu finden. Was ich gefunden hatte waren verschwindende Leute, die mir von denkenden Wäldern erzählten. Was für ein Tag.
Zur Abwechslung war der Weg nachhause tatsächlich einmal ereignislos. Ich fand mich nicht in einer fremden Welt wieder, niemand löste sich vor meinen Augen in Luft auf und keiner steckte mir geheimnisvolle Briefe zu. Meine Wohnung sah noch aus wie immer, wobei hier ordnungstechnisch tatsächlich Änderungsbedarf bestanden hätte, und der Kaffee von heute Nachmittag stand immer noch auf der Küchentheke. Und trotzdem fand ich keine Ruhe.
Wären die letzten zwei Tage vollkommen normal verlaufen, dann hätte ich vermutlich nicht einen Gedanken an meine „Unterhaltung“ aus dem Café verschwendet. Nicht einmal das Verschwinden meines Gegenübers hätte mich nachhaltig beeindruckt. Ich hätte irgendeinen Trick vermutet und es achselzuckend abgetan. Aber so. Die gestrigen Ereignisse waren noch zu präsent, auch wenn ich sie mit einiger Mühe in meinem Geist hinter Schloss und Riegel anketten konnte. Aber ich erinnerte mich nur zu gut an die Angst, an die Panik. Und an das übermächtige Gefühl beobachtet, nein, belauert zu werden. Etwas hatte mich betrachtet, genau wie eine Katze aus einem Gebüsch eine Maus betrachtete um abzuschätzen, ob sich der Aufwand lohnt. Ich schaute auf die Uhr. Mittlerweile war es fast schon sieben Uhr. Eigentlich keine Zeit, um sich schlafen zu legen, aber ich wollte diesem Tag einfach einen Abschluss gönnen und mich mal wieder richtig ausschlafen. Als ich dann schließlich in mein Bett kroch dauerte es nicht lange, bis sich in meinem Kopf angenehme Leere ausbreitete.
Ich wurde durch Blätterrauschen geweckt und öffnete meine Augen. Um mich herum erstreckte sich eine farbenlose Weite. Ich drehte mich und konnte in jede Richtung nur Dunkelheit erkennen, als plötzlich…
„Silvan, wie zum Teufel kommst du hierher!?“
Die Stimme aus dem Café, wie ich träge feststellte. Mein Geist schien irgendwie im Standby Modus zu laufen, jeder meiner Gedanken dauerte mindestens doppelt so lang. Dann auf einmal wieder die Stimme aus dem Café, wie ein knistern im Unterholz.
„Mach, dass du hier wegkommst. Wie hast du überhaupt hierher gefunden!? Ich habe dir doch gesagt halte dich von Wäldern fern!“
„Ich…ich habe mich doch nur Schla…“, wollte ich mich rechtfertigen, als unvermittelt eine Art Schrei durch meine neue Welt hallte.
Ein Schrei, der mit keinem Geräusch vergleichbar war, das ich je gehört habe. Ein Ton, der nicht den langen Umweg durch meine Gedanken und mein Bewusstsein nahm, sondern sich direkt an den Primaten in mir wandte, den wir Menschen sonst so gut verstecken wollen. Die Reaktion folgte prompt. Trotz der Tatsache, dass ich das Gefühl hatte meine Gedanken wären aus Kaugummi, spürte ich rasend eine Ur-Angst in mir aufsteigen, die mit kalten Tentakeln nach mir Griff.
„Verdammt, es hat uns gefunden. Seh zu, dass du den Neuen hier rausschaffst, bevor…!“, hörte ich eine Stimme aus weiter Ferne, die mir unbekannt war.
Dann veränderte sich die Dunkelheit um mich herum. Plötzlich war sie nicht mehr einfach nur dunkel. Etwas hatte sie gefüllt. Dieses etwas umhüllte und beobachtete mich, fast schon neugierig. Die Katze war wieder da, ging es mir durch den Sinn. Dann ging alles ganz schnell. Ich spürte, wie sich die Dunkelheit um mich zuschnürte und mich begann einzuspinnen.
„Na, was haben wir denn hier?“, dröhnte eine fast schon höhnisch klingende Stimme plötzlich in meinen Geist.
„Du bist ein seltsames kleines Wesen. Du scheinst hier zu sein, aber bist es doch nicht wirklich. Auf jeden Fall bist du keiner von den lächerlichen, kleinen Schatten, die denken sie würden diesen Ort hier verstehen. Nein, du bist etwas anderes. Lass dich anschauen…“
Nein.
Ein einfaches Wort, das plötzlich tief aus meinem Geist herausdrang und sich wie ein weißer Lichtstrahl blitzartig in mir ausbreitete . Etwas zischte wie ein Wassertropfen, der auf eine heiße Herdplatte fiel, während sich die Finsternis um mich herum schlagartig lichtete.
„Unmöglich“ war das letzte, was ich hörte bevor ich wieder schweißgebadet in meinem Bett aufwachte. In meinem Zimmer war es kalt, dunkel, und still.
„Was, bei allen guten Geistern, bist du“, hörte ich auf einmal die verblüffte Stimme meines Cafébesuchers, der am Bettende stand und mich ansah.
„Ich fürchte, es gibt doch noch einiges, was ich nicht über dich weiß…“, hörte ich echte Überraschung in seiner Stimme.
„Mein Name ist übrigens Corvanius.“, war das letzte, was ich hörte, bevor ich in Ohnmacht fiel.