Wake Up Boo
Kopfschmerzen. Eine Galaxis von Schmerzen die in meinem Hirn explodiert, sich ausbreitet wie ein Vakuum und gegen meine Schädeldecke brandet kaum das ich die Tiefen des Schlafes verlasse. Pelziger Geschmack liegt auf meiner Zunge. Ich öffne die Augen. Fühlt sich so an als hätte jemand versucht sie zu zu kleben. Die Welt stürzt auf mich zu. Mulder und Scully starren mich von der Wand an. „The truth is out there“. Welche Wahrheit? Keine Ahnung. Aber trotzdem, morgen Mulder, morgen Scully.
Bestandsaufnahme: Ich liege im Bett. Ich habe ein grünes T-Shirt mit undefinierbaren Flecken und Shorts an. Ich liege alleine im Bett. Freut mich das jetzt oder nicht? Das Bett ist sauber. Zumindest dem Anschein nach. Ich habe also nicht versucht heute Nacht mein gebrauchtes Abendessen zurück zu geben. Jedenfalls nicht in meinem Bett. Um mein Bett herum breitet sich ein Chaos von Büchern, CDs, Klamotten, zwei Pizzakartons, leeren Chippstüten und Getränkebehältern aller Art, aus. Ein wirklich faszinierendes Mosaik, resultierend aus der Tatsache das ich mittlerweile schon eine Woche sturmfrei habe.
Es stinkt. Verdammt, ich brauche frische Luft und eine Kippe. Und Hunger habe ich auch. Irgendwie riecht es ganz in meiner Nähe nach Erdnussflips. Ich angele neben meinem Bett eine Tüte hervor. Der heilige Gral! Es sind sogar noch ein paar Flipse drin. Rein damit. Lecker, lecker. Pappgeschmack mit Salz. Die Dinger haben ihre besten Tage auch schon hinter sich. Mir wird schlecht. Irgendwie muss ich diesen Scheißgeschmack loswerden. Ohne groß hinzu sehen lasse ich meine Hand neben dem Bett auf Wanderschaft gehen. Leer... leer... leer... ja! Diese Flasche fühlt sich an als wäre noch was drin. Es ist eine Colaflasche. Koffein hilft zwar nicht gegen Katerkopfweh, das haut eher doppelt rein, aber ich brauch jetzt was flüssiges um den Pappflipsgeschmack los zu werden. Ich setze die Flasche an und nehme einen tiefen Schluck. Es geht doch nichts über lauwarme Coke ohne Kohlensäure.
Grundbedürfnisse gestillt, Nahrungsaufnahme abgeschlossen. Zumindest bin ich jetzt wieder in einem Zustand, in dem ich nicht mehr bereit bin alles zu essen, sondern meinen Hunger soweit unter Kontrolle habe, dass eine Nahrungsselektion möglich ist. Jetzt zum nächsten Punkt meiner to do Liste: Aufstehen. Schwieriger als gedacht. Sobald ich meinen Körper aus der horizontalen bringe, dreht sich alles, und mein Kopfweh nimmt zu. Aber was soll’s, was mich nicht umbringt, macht mich hart. Auf die Ellenbogen stützen. Geschafft. Füße über die Bettkante schwingen... ich stoße gegen etwas. Es fällt um. Mein rechter Fuß wird nass. Scheiße! Ich habe die Bong umgeworfen. Gelb-grün schimmernder Kiff-Siff ergießt sich über den Teppich und mein Telephon. So was treibt einen aus dem Bett. Schnell, ich brauche was zum abwischen. Zu den anderen Wohlgerüchen gesellt sich jetzt auch noch der Geruch von Bongwasser, in dem die Asche von mindestens drei Kippenmischungen war. Hastiger Blick durchs Zimmer. Neben der Stereoanlage liegt ein T-Shirt. Keine Zeit was anderes zu suchen. Ich beuge mich nach vorne, schnappe mir das T-Shirt... mein Kopf zerplatzt fast aufgrund dieser hastigen Positionsänderung. Solche Gewaltakte kurz nach dem Aufstehen sind nichts für eine halbe Alkleiche. Ich ignoriere die Kopfschmerzen und versuche mich in Schadensbegrenzung bezüglich meines heißen Drahts zur Außenwelt. Gierig schlürft das T-Shirt das Bongwasser vom Telephon. Bitte, bitte funktionier noch. Ich hebe den Hörer ab. „Tuuuuuuuuuuuut“. Ich falle wieder nach hinten aufs Bett. Es geht doch nichts über den beruhigenden Sound des Freizeichens. Doch, Afro vielleicht. Wo ist die Fernbedienung? Vorsichtig drehe ich den Kopf. Nach meiner T-Shirt-Greif-Aktion spüre ich immer noch den Typen, der meinen Kopf grade als Buschtrommel missbraucht. Ich habe keine Lust dem Kerl einen Grund zu geben eine Taktart höher zu gehen. Direkt neben mir erspähe ich die länglichen Konturen der Fernbedienung. Stereoanlage an, Sound an, Corrado an. Herrlich. Meinem Kopf geht es schon wieder viel besser. Ein definitives Zeichen dafür, das der Mensch ursprünglich für ein Leben in der vertikalen vorgesehen war. Aber ich brauche immer noch frische Luft und eine Kippe. Ich schaue in Richtung meines Schreibtisches. Buntes Farbwirrwarr. Langsam klärt sich meine schlierige Sicht. Zwischen den leeren Bierflaschen, Mischblättern, CD-ROM’s, Zeitschriften und Blättern lacht mich eine Kippenschachtel an. Manchmal muss man auch Glück haben. Allerdings, was heißt Glück? Um an diese Kippenschachtel zu kommen, muss ich mich erneut in die horizontale begeben. Zumindest sind meine Füße bereits auf dem Boden, ich brauche also bloß meinen Oberkörper hoch zu wuchten. Ungeachtet dem Rumpeln das dieses mal mein Magen von sich gibt, setze ich mich auf. Allerdings war das nur der erste Schritt. Als nächstes muss ich von meinen Afterballen auf die Laufwarzen umschalten. Also stehe ich vom Bett auf. Oh Gott, oh Gott. Bad Idea. Mein Zimmer fängt an um mich herum zu rotieren. Nie wieder werde ich Alkohol trinken, ich schwöre es. Langsam kommt mein Zimmer wieder zur Ruhe. Auch wenn sich der Boden immer noch nicht davon abbringen lässt, sich unter meinen Füßen zu bewegen, fühle ich mich in der Lage, den ersten Schritt zu tun. Ich bewege mich zum Schreibtisch. Mein Kopf tut weh. Ich habe das Gefühl gleich sprengt sich die Schädeldecke ab, mein Hirn fliegt raus und furzt Beethovens neunte. Ein Schritt... Wumm. Zweiter Schritt... Bumm. Dritter Schritt... meine Wirbelsäule wird von der Erschütterung beim Aufsetzen meines Fußes schier aus der Verankerung gerissen. Ich lasse mich in meinen Schreibtischsessel fallen und ruhe mich von den Anstrengungen des Aufstehens aus. Jetzt weiß ich zumindest, woher der Spruch „so nah und doch so fern“ kommt. Endlich der Griff nach der Kippensschachtel. Kaum das ich sie in der Hand halte, weiß ich das sie leer ist. Reflexartig ziehen sich meine Sehen zusammen, nach wenigen Millisekunden habe ich das bisschen Wiederstand das mir diese armselige Kippenschachtel bieten konnte überwunden. Ein weiteres Zusammenspiel meiner Muskulatur beschleunigt den zerknautschten Ball in meinen Fingern in Richtung Papierkorb. Voll vorbei. Ich hatte noch nie ein gutes Verhältnis zu Bällen. Verdammt, ich brauche jetzt ne Kippe. Der nächste Kippenkasten ist fünf Minuten weit weg, in meinem Zustand könnte er allerdings auch auf dem Mond stehen. Ich glaube ich habe noch Restalkohol im Blut. Was heißt ich glaube? Ich weiß, nein, ich fühle es.
Gestern Abend war ich mit Michi und Andy weg. Mit dem festen Ziel uns so richtig die Kante zu geben. Andy weil seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hat, Michi aus existenzieller Langweile, und ich habe mich solidarisch dem „Das Leben ist so scheiße“ Trip angeschlossen. Solche Trips kann ich manchmal richtig genießen. Dieses Gefühl der letzte Typ in einer Kneipe zu sein. Draußen regnet es, man hält sich an seinem Bier fest und will nicht wieder nach draußen, sondern sich weiter im alkoholgestützten Selbstmitleid suhlen. Langsamer Blues aus den Lautsprechern. Zumindest sieht man so was immer im Fernsehen. Solange man diesen Zustand freiwillig wählen kann ist er sehr gut zu ertragen. Aber wie dem auch sei. Ich weiß nur noch dass wir uns ins „Blue Note“ verdrückt habe und mit Screwdrivern losgelegt haben. Irgendwann sind wir dann zu Vodka pur übergegangen. Und dann... keine Ahnung. Irgendwie bin ich wohl nach Hause gekommen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen wie. Ich kann mich an Heimwege erinnern, auf denen ich alle fünf Minuten ein Päuschen einlegen musste, weil ich kaum noch laufen konnte. Und wenn ich mich so tierisch betrunken habe wie gestern, so dass ich mich kaum noch erinnern kann... obwohl, doch, ein bisschen ist da noch.
Eine Rolltreppe... vermutlich zur S- oder- U-Bahn runter. Allerdings sehe ich die Rolltreppen hinauf, während ich herunterfahre. Mein Kopf liegt tiefer als meine Füße. Von oben schauen Michi und Andy auf mich herunter, lachen sich den Ast ab, weil ich grade die Rolltreppe heruntergefallen bin. Die S-Bahn, auf dem Weg nach Hause. Ich kämpfe mit meinem Magen, der dringend den Rückwärtsgang einlegen will. Der Weg nach Hause, quer über den Acker. Ich kann kaum noch laufen, so übel ist mir. Irgendwo, mitten auf dem Feld, ich hocke auf allen vieren und gebe dem Drang meines Magens nach. Erleichterung.
Das ist aber auch schon alles woran ich mich noch erinnere, mit Ausnahme der Rechnung. Wir haben es zu dritt auf die exorbitante Summe von 240,- Mark gebracht. Ich glaube mir wird schon wieder schlecht. 240,- Mark für Kopfschmerzen, flaues Gefühl im Magen und einen Zustand der sich der Bewegungsunfähigkeit nähert. Bin ich denn bescheuert? Nie wieder Alkohol. Na ja. Zumindest bin ich noch nach Hause gekommen. Und was dann? Wahrscheinlich habe ich noch ein paar Töpfe gesaugt und bin dann ins Bett gefallen. Und war zu blöde die verdammte Bong weg zu stellen. Neben meinem Telephon befindet sich jetzt eine Sifflache. Ein etwas dunklerer Fleck mit kleinen schwarzen und grünen Flecken auf blauem Grund. Sehr schön. Irgendwie muss ich den noch beseitigen, bevor meine Eltern zurück kommen. Frage: Wie mache ich das? Antwort: Keine Ahnung. Trotzdem will ich jetzt eine verdammte Zigarette. Vielleicht ist beim Mischen was übrig geblieben. Ich greife nach meiner Kiffdose. Eine kleine rote Plastikdose aus der Prinzenrolle. So eine Pseudo-Spardose. Oben ist ein Aufkleber drauf: „Dope-Dimension“. Keine Ahnung wo ich den her habe. Ich mache sie auf uns schaue rein. Zwei mit Teer verdreckte Schrauben mit denen ich den Topf freimache wenn er wieder einmal zu ist. Ein kleines Stück Piece. Ich sollte mich mal um Nachschub bemühen. Und, Hurra, Gott sei es getrommelt und gepfiffen, zwei halbe, getoastete Kippen. Ich schaue mich nach einem Feuerzeug um. Sehr schön, auch das ist vorhanden. Ich setze meinen Daumen auf das Rädchen und nichts passiert. Verdammt noch mal, in diesem verfluchten Feuerzeug befindet sich kein Feuerstein mehr. Das darf doch nicht wahr sein. Ich glaub’ ich häng’. Bevor mir etwas in die Hände fällt, das ich durch die Gegend schmeißen kann, fällt mein Blick auf mein Andenkenregal. Neben einigen leeren Schnapsflaschen, teils mit, teils ohne Unterschriften, Bechern, leeren und vollen Dosen, Papierschiffchen, kleinen Überraschungsei-Figuren, einer leeren Packung Tabak, Fotos, einem Nummernschild und ähnlichem sentimentalen Krimskrams liegt ein Feuerzeug. Eines von dem ich wirklich hoffe, das es noch funktioniert. Ich stemme meinen protestierenden Körper aus meinem Sessel und wanke zum Regal. Zumindest sind meine Systeme jetzt langsam am booten. Ich spüre nicht mehr jeden Schritt als würde er mir mit einem Presslufthammer in die Schädeldecke gemeißelt. Her mit dem Feuerzeug, und zurück in die Stand By Position, sprich meinen Sessel. Nächster Versuch. Ja, eine Flamme. Zumindest etwas an diesem Morgen, das mich nicht im Stich lässt. Ich fummel mir den Kippenstumpen zwischen die Lippen, und gebe Gas. Und verbrenne ich mich fast beim Anzünden der Zigarette, weil irgendein Komiker das Ding voll aufgedreht hat. Eine riesige Flamme schießt hervor. Traut man diesem kleinen Plastikding kaum zu. Und da die Kippe nur noch halb so lang ist wie sie eigentlich sein sollte (die andere Hälfte ist einer Mischung zum Opfer gefallen) ist die Flamme um einiges näher an meinem Gesicht als es meiner Planung entspricht. Fast fällt mir die Kippe aus dem Mund, dann raffe ich mich doch noch dazu auf, kurz zu ziehen, und dann erste das Feuerzeug quer durchs Zimmer zu schmeißen. Es riecht nach verbrannten Haaren. Na ja, ich muss mich wohl mal wieder rasieren. Und jetzt endlich, welch eine Wohltat. Ein tiefer Zug. Ich spüre wie der trockene Rauch tief in meinen Lungenflügeln verschwindet. Rauchen gefährdet ihre Gesundheit. Aber was soll’s, irgendwann werde ich schon aufhören zu rauchen, spätestens wenn ich mein Abi gemacht habe. Ich schaue auf die Uhr... 11.35. Der Tag hat ja gut angefangen
[Beitrag editiert von: b2d am 01.03.2002 um 16:29]