Wahre Liebe
Wahre Liebe/Karls Spiegel
Wahre Liebe
Karl war nie sonderlich erfolgreich beim anderen Geschlecht gewesen. Seit seinem 16. Lebensjahr war er mehr als Single und enthaltsam war eine Untertreibung. Er ging kaum aus und wenn, dann meist nur zu der kleinen Trafik unten an der Ecke, wo er eine Stange Zigaretten kaufte und ein Exemplar seiner liebsten Computerfachzeitschrift. Danach ging er immer kurz zu dem Heurigen einige Straßen weiter, trank einer Spritzer, aß ein Fleischbrot, gab großzügiges Trinkgeld und ging wieder nach Hause.
Nur an einem Abend war es anders. Er ging zwas wieder diese übliche Rote: Trafik, Heurigen und dann nach Hause. Doch auf dem Heimweg bemerkte er etwas vor sich auf der Straße. Es war ein Taschenspiegel, wie ihn Frauen immer dabei haben. Er hatte nie einen aus dieser Nähe gesehen, meistens nur bei der feinen, alten Dame, die oft beim Heurigen saß, in einiger Entfernung. Doch dieser war wundervoll. Er hatte leichte Spuren von Puder vorzuweisen und roch nach einem wunderbaren Parfum. Er glitzerte silbern im Schein der Straßenlaterne und Karl konnte sich nicht daran satt sehen. Immer wieder öffnete er ihn, sah sich darin an, schloss ihn wieder und roch daran.
Als er schon einige Minuten da gestanden war, fragte er sich, wem der Spiegel wohl gehören könne. Er sah sich um und entdeckte in einer Seitengasse ein Stückchen weiter vorne, zwischen zwei Häusern, eine Frau, die den Mund verbunden zu haben schien und aus deren Mund nur Atemzüge der Verzweiflung kamen. Ihr gegenüber stand ein Mann, ein Hühne. Er fummelte an seiner Hose herum, murmelte ihr ständig etwas zu und mit jedem Wort schien sich ihre Miene zu verfinstern und die Angst immer mehr in ihr Blut zu schießen. Schließlich ließ der Mann von seiner Hose ab und Karl erkannte, dass er seinen Penis herausgezogen hatte. Der Mann ging auf die Frau los, riss ihr zuerst die Hose von den Beinen, dann die Bluse auf um schließlich die Unterwäsche auch auf ähnlich brutale Weise zu entfernen. Karl begriff nun, was da vorging. Er hatte oft in den Nachrichten von Vergewaltigungen gelesen und war wohl im Begriff einer beizuwohnen.
Der Mann hatte seinen Spaß, schlug die Frau, während er in sie eindrang, schimpfte sie eine Hure, eine Schlampe und schien einerseits gestresst und gehetzt, andererseits nahezu erfreut über seinen "guten Fang". Karl bekam es mit der Angst zu tun. Immer lauter und schmerzhafter klangen die Atemzüge der Frau durch ihren Knebel durch. Karls Herz hielt das nicht mehr aus. Er stürmte auf den Mann zu, holte weit mit seinem rechten Arm aus und schlug den Vergewaltiger mit einem Schlag zu Boden. Doch damit nicht genug. Karl trat solange auf ihn ein, bis dieser zwar noch atmete, aber sich nicht mehr bewegte. Karl fühlte sich gut. Er nahm der Frau den Knebel aus dem Mund, legte ihr seinen Mantel um und brachte sie zu sich nach Hause, wo er ihr einen Tee machte und etwas von seinem Gewand anbot. Das einzige, dass ihr passte, war eine alte, abgetragene Arbeitshose, die Karl schon seit langem zu klein war und die er rein aus Sentimentalität behalten hatte und ein schwarzes T-Shirt, dessen Ärmeln ihr allerdings weit bis über das Handgelenk gingen. Sie durchsuchte ihre Handtasche, die auch ziemlich ramponiert gewesen war, wollte sehen ob noch alles da sei. Da fiel Hans der Taschenspiegel ein. Er hatte ihn vor seinen Rettungsaktion vorsichtig in seine Hosentasche gesteckt und zog ihn nun heraus. Er sah ihn sich noch einmal an, roch daran, betrachtete noch einmal sein Spiegelbild und legte ihn dann schließlich auf den Tisch. Die Frau steckte ihn dankbar ein.
Die Beiden kamen ins Reden. Sie erzählte Karl wie alles passiert war und er hörte ihr zu. Sie erzählte ihm von ihr, ihrer Arbeit, ihrem Ex-Mann, der die Kinder bei der Scheidung bekommen hatte, ihren beiden Kindern und von ihren Depressionen. Im Gegenzug erzählte ihr Karl aus seinem Leben, was nicht sehr lange dauerte, da er nicht viel erlebt hatte. Sie fragte ihn, ob er denn nie mit einer Frau zusammengewesen wäre, was er verneinte. Sie fragte ihn nochmals, fragte ihn ob er es ernst meine. Karl erzählte es ihr nochmal, worauf sie aufstand , auf ihn zuging und ihn küsste. Sie meinte, er habe ihr das Leben gerettet und er könne alles von ihr haben was er wolle, worauf sie das T-Shirt auszog und ihm die Hose öffnete. "Dann hätte ich gern den Spiegel", sagte Karl, hob sie von sich herunter, hielt ihr das T-Shirt hin, schloß den Reißverschluß seiner Hose, nahm den Spiegel aus ihrer Handtasche, rief ihr ein Taxi und begleitete sie die Stiegen hinunter vor das, wo das Taxi bereits wartete.
Epilog:
Karls Spiegel
Karl war ein langweiliger Mensch. Die einzige Freude in seinem Leben war der Taschenspiegel einer Frau, die er einst kennen gelernt hatte. Karl saß oft in seinem großen Couchsessel und betrachtete sein Gesicht in dem kleinen Spiegel, dessen Spiegelfläche kaum großgenug war um Karls gesamtes Gesicht zu spiegeln. Karl verzichtete auf seine täglichen Ausflüge, ging nicht mehr zum Heurigen, er saß nur mehr die ganze Zeit in seinem Couchsessel und betrachtete den Spiegel.
Nach einigen Monaten war Karl richtig untersetzt, hatte enorm stark abgenommen, so dass ihm bereits die Haut von den Knochen hing. Er ernährte sich von trockenem Brot und Wasser, wie ein Gefangener, der er im Grunde auch war, gefangen im Anblick des Spiegels. Er konnte sich selbst darin sehen, bis er ihn schloß, da war sein Bild verschwunden und obwohl ihm bewusst war, dass er noch da sein musste, fasste er sich jedesmal auf die eingefallenen Wangen um ganz sicher zu sein, dass mit seinem Spiegelbild nicht auch er verschwunden sei. Er hatte zwar auch einen Spiegel im Badezimmer, aber darin war er immer zu sehen, wenn er davorstand, da gab es kein schließen des Deckels, kein Verschwinden des Spiegelbilds, das einzige was verschwand waren die Fettpölsterchen, die sich, auf Grund seiner nicht ausreichenden Ernährung, eher in Hautstellen unter den deutlich erkennbaren Rippen verwandelten, und die Haare, die zu immer größeren Mengen ausfielen, sodass er schon nach einem dreiviertel Jahr Glatze trug, was ihn aber nicht weiter störte, weil er eigentlich nie aus dem Haus ging. Er gefiel sich ganz gut, denn die Glatze schimmerte leicht im Sonnenlicht, das durch das Zimmerfenster hereinschien und in seinem Taschenspiegel schimmerte die Glatze seines Spiegelbruders zurück und hatte sichtlich Spaß daran so von der Sonne umspielt zu werden.
Schließlich fand Karl, dass es sehr schön wäre, sich nackt auszuziehen und seinen ganzen Körper, der inzwischen nurmehr aus Haut und Knochen bestand, im Taschenspiegel zu bewundern.
Er zog sich aus und versuchte sich zu betrachten, aber in einem Stück war das nicht möglich. Karl schloss den Spiegel, fühle ob er noch da war, wie er es ja immer tat und überlegte. Schließlich fiel ihm ein, dass je weiter er sich von dem Spiegel entferne, desto mehr von seinem Körper zu sehen war. Karl stellte den Spiegel auf den kleinen Fernsehtisch und entfernte sich rückwärts. Er stand schon an der Wand, als er sich endlich sah und es was wunderschön. Er betrachtete sich ganz genau, auch wenn es nur ein kleines, verschwommenes Bild seiner Selbst war, konnte er sich nicht daran satt sehen. Er blieb einen Tag so stehen, einen zweiten, am Schluss sogar über eine Woche ohne seinen Platz zu verlassen.
Eines Tages, Karl stand noch immer an seinem Platz an der Wand und betrachtete sich selbst, kroch eine Ratte, die wahrscheinlich durch den verwahrlosten Zustand von Karls Wohnung angezogen worden war und es sehr gemütlich empfand, auf den Fernsehtisch. Sie kroch hinter dem Spiegel vorbei, daneben, aber komischerweise nie davor. Karl registrierte sie gar nicht, er betrachtete sich noch immer im Spiegel. Doch plötzlich bewegte sich der Spiegeldeckel, die Ratte musste angekommen sein, und der Spiegel schloss sich. Doch diesmal prüfte Karl nicht ob er noch da sei. Denn Karl war verschwunden.