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Wahre Freundschaft
Wahre Freundschaft
Seit gut einer Stunde lief er in seiner Wohnung auf und ab. Mittlerweile quoll der Aschenbecher über. Er wurde von Minute zu Minute nervöser. Was soll’s? Max war ein Idiot, und er mußte ihn jetzt anrufen. Die Hand, mit der er den Hörer hielt, war naß von Schweiß. Es dauerte unendliche Sekunden bis sich Max mit seiner merkwürdigen Fistelstimme meldete, doch Rick unterbrach ihn gleich. „Max, altes Haus. Ich hab dir doch von dem Wagen erzählt, auf den du dann so scharf warst.“ „Rick, mein Freund. Sag bloß, der ist zu verkaufen!“ Kam es sofort von der anderen Seite in seiner typischen, höflichen Art.
Wie sehr Rick diese nervende, quäkende Stimme haßte.
Er war nie sein Freund und würde es auch nie werden. Vor Monaten hatten sie sich zufällig in einer Kneipe kennengelernt, als Max den Verlust seiner Freundin ertränken wollte. Klar war das blöd, daß die kurz vor der Hochzeit in ein Auto gelaufen war aber wer weiß? Vielleicht hätte die Alte ihn ja zu Tode genervt. Oder er sie. Wer weiß, wem es jetzt besser ging? Aber im Grunde war es ihm scheißegal.
„Ja. Ich habe mich für dich ins Zeug gelegt, alter Kumpel und gehandelt wie der Teufel.“ „Super!“ Max war begeistert. „Wieviel will er für den Wagen haben?“ „Wie gesagt: Ich habe gehandelt wie der Teufel.“ „Sag schon.“ Rick konnte fast hören, wie Max einen Tanz aufführte. Dieser Affe. „Zehntausend.“ „Das ist nicht dein Ernst. Der Wagen ist doch bedeutend mehr wert.“ Schon, aber der Typ ist in Geldnot und braucht die Kohle sofort. Und das ist auch der Haken. Er braucht das Geld heute noch.“ Eine Sekunde war Schweigen und Rick fürchtete schon, daß die Sache den Bach runter gehen würde, als Max sich wieder meldete. „Geht in Ordnung. Die Banken haben ja noch geöffnet. Du glaubst ja gar nicht, welche Freude du mir damit machst“ Wie konnte ein erwachsener Mann nur so eine Stimme haben. Und dann diese schmierige Freundlichkeit. Rick würde ihm am liebsten den Dank wieder in die Fresse stopfen. „Keine Ursache, Freunden tue ich gern einen Gefallen.“ Sie verabredeten sich für denselben Abend. Rick versprach, dann mit Max zum Verkäufer zu gehen und er könnte den Wagen dann sogar gleich mitnehmen. „Aber: Nur Bares ist Wahres!“
Die Stunden bis zum Treffen schlichen in nervtötender Langsamkeit dahin. Rick hatte den Fernseher angestellt, und hätte ihn Jemand nach den Sendungen gefragt, er hätte nicht sagen können, welche gelaufen waren. Je näher das Treffen heranrückte, um so nervöser wurde er. Feuchte Hände hatte er sowieso. Immer wieder wischte er über seine Hose. Sein Hauptproblem aber war sein Magen. Von Streß bekam er Sodbrennen. So schob er sich eine Tablette nach der Anderen rein. Einen Moment überlegte er, ob er vorher noch etwas essen sollte, aber das war Unsinn. Er hätte sich womöglich übergeben.
Eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit verließ Rick die Wohnung und schlenderte zum Treffpunkt. Weil er viel zu früh da war und nicht auffallen wollte, betrachtete er die Schaufenster in den Seitenstraßen. Immer wieder schlenderte er an die Straßenecke um zu sehen, ob Max schon gekommen war. Max hatte sich gut zehn Minuten verspätet und Rick wäre fast gestorben vor Angst, er könnte es sich anders überlegt haben.
Wie ein kleines Kind kam Max strahlend, mit einer Aktentasche winkend, auf ihn zugelaufen. Dieser Idiot. Noch auffälliger ging es überhaupt nicht. Dreißig Jahre alt und so ein kindisches Benehmen.
„Hallo Max.“ Rick umarmte ihn kumpelhaft. „Hast du alles regeln können?“ „Natürlich.“ quäkte Max und klopfte auf die schwarze, lederne Mappe. „Zehntausend in kleinen Scheinen.“ Und als hätte er den Witz des Jahrhunderts gemacht, schüttete er sich aus vor Lachen und klopfte Rick dabei auf die Schulter. „Wo ist der gute Mann?“ „Wir müssen nur hier die Straße runter, dann rechts und in einer halben Stunde ist die Sache erledigt.“ „Auf geht’s alter Freund.“
Max legte Rick freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und dieser mußte sich zusammenreißen, sie nicht abzuschütteln. Der -alte Freund- juckte ihn in den Fäusten. Der ist nicht nur naiv, seine Blödheit ist unerträglich, dachte er. Aber Rick lächelte und gemeinsam gingen sie die Straße hinunter. „Jetzt hier rechts.“ Rick deutete in eine dunkle Gasse, die so voll mit Mülltonnen stand, daß sicher kein Auto hindurchkommen konnte. „Wir müssen durch eine Hintertür.“ Max wirkte verwirrt und begleitete Rick in die Gasse hinein.
Unrat lag vor den überfüllten Mülltonnen. Zwei Katzen machten sich in einem umgekippten Karton zu schaffen und ließen sich von den beiden Männern nicht stören. Rick und Max mußten aufpassen, wohin sie traten. Eine Straßenbeleuchtung gab es hier nicht. In den zerbrochenen Glaskuppen an den kahlen Masten hatten schon lange keine Lampen mehr gebrannt. Das schwache Licht von der Hauptstraße drang nicht weit in die Gasse hinein. Die wenigen Fenster in den tristen, dunklen Fassaden waren blind.
„Wo soll das denn sein?“ Max quiekte nicht mehr. Seine Stimme hatte einen so sonderbaren Klang angenommen, wie Rick ihn noch nie gehört hatte. „Hier.“ Rick deutete auf eine Tür hinter einem Müllcontainer. Max griff nach der Klinke und zog die Hand angewidert zurück. Durch Spinnengewebe hindurch hatte er an nassen, schmierigen Rost gegriffen. Erstaunt sah er Rick an. „Hier kann das unmöglich sein.“ Dabei hob er die Stimme dermaßen, daß Rick sich der Magen zusammenkrampfte. Als wollte Max seine Feststellung untermauern, hielt er seine schmutzige Hand hoch.
Dann trieb ein gewaltiger Ruck seinen Körper fast ein kleines Stück in die Höhe und sein Gesicht zeigte urplötzlich ein Wechselspiel aller Gemütsregungen zu denen die winzigen Muskeln unter der Haut in der Lage waren. Ungläubig und stumm glotzte er Rick an, der ihn fest in den Armen hielt. „Warum?“ röchelte Max und sonderbarerweise hatte seine Stimme einen völlig normalen Klang, wohl das einzige und letzte Mal in seinem Leben. „Weil ich die Kohle brauche. Tut mir leid. Ehrlich.“ Mit einem mächtigen Ruck rammte Rick das Messer noch tiefer in den Körper. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Max seinen Freund an, als wolle er ihn in sich aufsaugen. Dann kippte urplötzlich sein Kopf zur Seite. Rick ließ den erschlafften Körper hinabgleiten auf den nassen Asphalt zwischen aufgeweichte Pappe und den anderen Dreck, der herumlag.
Seltsam verkrümmt lag Max da, die Augen geöffnet, als betrachte er das schmale Stückchen Himmel zwischen den Dächern. Rick sah sich um. Niemand war da und niemand hatte etwas gesehen. Hastig untersuchte er alle Taschen in Max Kleidung und nahm Brieftasche und noch einige Papiere ebenso an sich, wie die Armbanduhr. Einen Ring versuchte er, vom Finger zu ziehen, doch der saß zu fest. Einen Moment überlegte er, ob er das Messer aus dem Toten ziehen sollte aber das traute er sich nun doch nicht mehr. Fingerabdrücke waren nicht dran, da war er sicher. Zum Schluß hob er die Ledermappe auf, die neben Max halb in einer Pfütze lag, klemmte sie sich unter den Arm und versuchte, so ruhig wie möglich die Gasse zu verlassen.
Zwei Stunden später war er das Geld wieder los.
Der Typ saß in einer Bar, mit seinem Kumpel, so breit wie ein Schrank und lächelte Rick wohlwollend an, nachdem er das Geld gezählt hatte. „Solltest du mal wieder etwas knapp sein, wende dich ruhig an mich.“ Wir brechen dir auch gern die Knochen, ergänzte Rick in Gedanken und wie zur Bestätigung zog ein heftiger Schmerz durch seine Rippen als Erinnerung an das letzte Zusammentreffen am Tag zuvor.
Seine Hand glitt an der Jackentasche entlang, durch deren Stoff er das neue Messer spürte, das er sich besorgt hatte. Heute hätte er sich teurer verkauft.
Tausend Euro waren ihm geblieben und ein paar Scheine, die er in der Brieftasche gefunden hatte.
Während der nächsten Tage ging es ihm gut. Mit dem Geld hatte er gespielt und sogar reichlich gewonnen. Seine Laune war blendend.
Als er am dritten Abend die Kneipe betrat, in der er im Hinterzimmer seine Spiele machte, winkte der Wirt ihn zu sich heran. Sie gingen ans Ende des Tresens, wo sie ungestört waren. Der dicke Mann schob sich nah an Rick heran und raunte: „Es ist besser, wenn du heute nicht spielst.“ Seine kleinen Schweinsaugen zuckten nervös und er ließ seine Blicke durch den Raum wandern. Mit seinem Taschentuch wischte er über die schweißnasse Glatze und sah immer wieder zum Fenster hinaus. „Was soll der Scheiß? Ich hab dir nie Ärger gemacht und im Moment läuft es prima. Was hast du für ein Problem, Mann?“ „Vor ein paar Stunden waren zwei Typen hier und haben nach dir gefragt.“ „Wer waren die?“ „Bullen. Sie hatten ein Bild von dir und wollten wissen, ob du hier warst und wo jetzt deine Bleibe ist.“
Als Rick das Lokal verließ blieb er zunächst im Halbdunkel des Eingangs stehen, beobachtete die Straße, musterte alle verdächtigen Autos und die Schatten der Häuser.
Auf Umwegen kehrte er in seine Wohnung zurück.
Eilig stopfte er seine wenigen Habseligkeiten in Koffer und Taschen und wandte sich zum Gehen.
Das Klopfen an der Tür durchzog ihn wie ein elektrischer Schlag. Erstarrt blieb er stehen. Mit mächtigen Hieben trieb sein Herz Blut durch die Adern. Sein Atem setzte aus und er mußte sich zwingen, Luft in die Lungen zu saugen. Wieder das Klopfen, noch energischer. „Polizei, machen sie die Tür auf!“ Rick murmelte leise Flüche. Jetzt mußte er Ruhe bewahren und konzentriert handeln. Er versuchte, seine Stimme so harmlos wie möglich klingen zu lassen.„Ja, einen Moment bitte.“ Es war eher ein panisches Krächzen, das er hervorbrachte.
Mit zitternden Händen griff er die kleinste Tasche mit seinen wichtigsten Sachen. „Öffnen die jetzt, oder wir kommen so rein!“ Das war für Rick das Signal. Er riß die Tür auf und stürmte hinaus.
Sie waren zu zweit, in Zivil und standen nebeneinander. Aus dem Lauf heraus rammte Rick den ersten Polizisten an die gegenüberliegende Wand. Als der Zweite festgestellt hatte, daß sein Kollege nicht schwer verletzt war, hetzte er hinterher.
Auf der Treppe nahm Rick zwei Stufen auf einmal. Eine halbe Etage über sich hörte er die Schritte seines Verfolgers. Er stieß die Tür zum Erdgeschoß auf und sprang hindurch. Ein Schmerz, wie er ihn noch nie zuvor gespürt hatte, explodierte in seinem Bein. Ein Putzeimer aus Blech flog scheppernd durch den Flur. Rick schlitterte bäuchlings bis zur gegenüberliegenden Wand.
Als er sich aufzurichten versuchte, durchzog die Qual erneut sein Bein. Er belastete das Andere, richtete sich auf und wurde augenblicklich wieder niedergeworfen.
Das volle Gewicht des massigen Polizisten hatte Rick erneut zu Boden gerissen. Der Schmerz trieb ihm wieder Tränen in die Augen. Sein Gegner war viel stärker als er. Wie eiserne Ringe umschlangen kräftige Arme seinen Körper. Rick versuchte, sich zu entwinden. Mit einer Hand erreichte er seine Jackentasche und spürte gleich den kühlen Griff seines Messers. Er zog es unter Mühe hervor und ließ die Klinge aufspringen. Er brauchte nur noch ein wenig Raum, um zustoßen zu können. Mit einem Ruck gelang ihm eine Drehung und der eiserne Griff lockerte sich urplötzlich. Die Klinge blitzte auf und......
Und dann spürte er diesen Schlag. Merkwürdig dumpf, ohne Schmerz, doch er durchzog seinen Körper sofort mit einem Gefühl der Lähmung. Da war keine Panik, eher Erstaunen. Es war ihm, als käme der Knall Minuten später. Hätte er sich je dafür interessiert, hätte er jetzt eine Vorstellung davon gehabt, daß Zeit relativ ist. Sein Blick ging zur Seite. In der Tür sah er den zweiten Polizisten mit einer Pistole in der Hand. Es war ihm egal. Alles war weich und dumpf, die Geräusche und alle Konturen. Die Farben der Umgebung vermischten sich miteinander. Für einen Moment erschien das Gesicht eines der Polizisten vor ihm. Er sprach,.... seine Lippen bewegten sich merkwürdig langsam. Rick hörte nichts. Hinter dem Polizisten wurde es heller. Jemand mußte eine Tür geöffnet haben, aber die Helligkeit nahm zu. Stetig und stetig wurde das Licht intensiver. Gleißende Strahlen überdeckten das Gesicht, das sich eben noch über ihn gebeugt hatte, bis es nicht mehr zu erkennen war. Alles war hell, weiß, leicht. Alles war gut. Rick wußte, was das war.
Er hatte sich oft über den Tod Gedanken gemacht, er hatte nie Angst davor gehabt. Jetzt wußte er warum. Das Leben ist zuende aber nicht die Existenz. Alles war friedlich und gelöst.
Aber dann kam langsam und stetig dieser Schmerz, von dem er nicht wußte, wo er ihn peinigte. Sein Körper war nicht bei ihm aber diese Qual war um ihn. Er schwamm in einem Licht aus Liebe und Hoffnung, umgeben von einem Kokon aus Leid, das seine Seele krümmte und ihn mit ausweglosem Entsetzen füllte. Hätte er gewußt wie, hätte er geschrien. Hätte er Tränen gehabt, hätte er geweint.
„Hallo Rick, mein Freund.“
Der Klang einer Fistelstimme drang wie eine Flamme durch den Nebel aus Schmerz.
„Schön, daß du da bist.“