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Wahnsinn bei Großen darf nicht ohne Wache gehn - Überarbeitet

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13.04.2003
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Wahnsinn bei Großen darf nicht ohne Wache gehn - Überarbeitet

Man könnte meinen, dass es hier wirklich ruhig ist. Und sicher. Aber ist es das wirklich? Und wenn ja, wie lange noch?

***

Ich traf Bill Jobs an einem Samstag Abend in einer Discothek. Ich erinnere mich weder an das genaue Datum, noch an den Namen der Disco. Es muss im Herbst gewesen sein, denn Bill trug einen langen schwarzen Mantel, der für Sommernächte zu warm gewesen wäre.
Die Discothek - war es das S.W.A.T., oder das AMBIENT...? Ich weiß es wirklich nicht mehr, egal - war an jenem Abend sehr gut besucht. Sie müssen wissen, ich gehe generell nicht gerne raus, aber hin und wieder sollte man seinen Freunden einen Gefallen tun und mitkommen. Ich tanze nicht, tanzen ist etwas für Frauen und junge Menschen. Meine Freunde sehen das anders, darum sitze ich an solchen Abenden oft allein rum, lausche desinteressiert der Musik, die keinesfalls meinem Geschmack entspricht, und vergnüge mich mit überteuerten Cocktails.
So auch an jenem Abend. Ich hatte mir einen Tisch im ersten Stock nahe dem Geländer gesucht, über das man auf die Tanzfläche im Erdgeschoss blicken konnte. Zu den hämmernden Tönen der überlauten Musik betrachtete ich die Menschenmassen, die sich auf der Tanzfläche in den stroboskopischen Lichtblitzen zuckend bewegten, während ich trostlos an meinem Wallstreet-Crash nippte. Ich muss zugeben, dass mich die Synchronität der tanzenden Körper beeindruckte. Ein Gleichmaß ohne Absprache oder Choreographie.
Meine Faszination muss größer gewesen sein, als ich jetzt einzugestehen bereit wäre, aber tatsächlich hatte ich Bill nicht bemerkt, bis er vor meinem Tisch stand und mich ansprach.
»Entschuldigen Sie, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich setze?«
Ich erschrak nicht, aber ich war überrascht und sagte, ohne wirklich darüber nachzudenken: »Nein, setzen Sie sich ruhig.« Bill schlug seinen Mantel geschickt um, als er Platz nahm, um das teure Stück nicht zu zerknittern.
»Vielen Dank«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln, das zwar seinen Mund, nicht aber seine Augen umspielte. Sein gepflegtes Äußeres wurde von einem sauber gestutzten schwarzen Vollbart, einem teuren Haarschnitt und ordentlich manikürten Fingernägeln unterstützt. Bill dürfte nur wenige Jahre älter sein als ich, meiner Schätzung nach so um die Mitte Dreißig. Abgesehen von unserer Vorliebe für Cocktails war die Tatsache, dass wir beide eigentlich zu alt für eine Disco waren, die einzige Egalität zwischen uns.
»Schöne Musik«, sagte Bill, ohne etwas von seinem kalten, aber einnehmenden Grinsen zu verlieren. Bevor ich etwas erwidern konnte, hob er den rechten Arm und schnipste einmal mit den Fingern. Mein erster Gedanke war, dass er einen auf Cool machen, den Takt der Musik mitschnipsen wollte, doch er senkte den Arm sofort wieder, während sein Lächeln noch breiter wurde. »Finden Sie nicht?«
»Also... ich...«, stammelte ich und unterstrich meine Satzfetzen mit einem wahrscheinlich äußerst dummen Gesichtsausdruck. »Es ist nicht so mein...«
Bevor ich meinen mühsam zusammengeflickten Satz beenden konnte, tauchte eine der knapp bekleideten Barkeeperinnen an unserem Tisch auf.
»Was darf ich Ihnen bringen, Mr. Jobs?«, fragte sie mit einem kindlichen Hollywoodlächeln.
»Ich hätte gern einen Flushing Meadows, und mein Freund hier, Mr. ...?«
»Williams. Steve Williams.«
»Mr. Williams, was möchten Sie trinken?«
Bill Jobs hatte es in den wenigen Minuten, die wir uns kannten, mehrfach geschafft, mich zu verwirren. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie erlebt, dass eine von den Barkeeperinnen an die Tische kam, um eine Bestellung aufzunehmen. Hier musste man sich seine Getränke per pedes an der Theke holen. War ich an einen Prominenten geraten, ohne ihn zu erkennen? Ein Star, mit einem falschen Namen? Erst jetzt bemerkte ich seine Ähnlichkeit mit Robert De Niro in Angel Heart, nur, dass er viel schlanker war. Aber Angel Heart lag weit in der Vergangenheit, und De Niro ist -
»Haben Sie schon mal einen Flushing Meadows probiert, Steve?«, unterbrach mich Bill in meinen Gedanken. »Falls nicht, kann ich ihn wirklich empfehlen.«
»Gut«, sagte ich langsam. »Dann nehme ich auch einen.«
»Sehr schön«, beendete Bill die minimalistische Konversation mit der Barkeeperin. »Also zwei Flushing Meadows.«
Das kellnernde Hollywoodsternchen nickte bestätigend und machte sich eilig davon. Bill sah ihr kurz nach. In dem Moment entdeckte ich einen kleinen Stecker in seinem Ohr, kaum größer als ein Daumennagel. Ich hatte mir zu dem Zeitpunkt noch nicht viel dabei gedacht, ein Hörgerät ist bei einem Mann in Bills Alter ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Schwerhörigkeit ist kein Privileg der Senioren.
Mittlerweile war mir auch klar, dass es sich bei Bill Jobs nicht um Robert De Niro handelte, der inkognito versuchte, sein Blut mit ein wenig Alkohol zu verdünnen. Also, was wollte der Typ von mir? Wollte er mich anbaggern, oder war es reine Höflichkeit von ihm, mir einen Drink auszugeben, weil ich ihm einen Platz angeboten hatte? So oder so, ich musste sein steriles Lächeln, mit dem er mich nun wieder ansah, unterbrechen.
»Vielen Dank. Wie komme ich zu dieser Ehre, Mr...?«
»Bill Jobs. Nennen Sie mich Bill.«
»Wie komme ich zu dieser Ehre, Bill?«
Er lehnte sich genüßlich in seinem Stuhl zurück. »Weil es heute für mich etwas zu feiern gibt. Ich bin in meinem Programm einen wichtigen Schritt weiter gekommen.«
»Ach, Sie sind Informatiker.«, sagte ich mittelschwer interessiert.
»Nein, ich bin der Herrscher der Welt.«

***

War das gerade ein Geräusch? Man hat mir versichert, dass der Raum absolut Schallisoliert ist! - Hmm, nein, nichts. Ich habe mich geirrt.

***

Bill sah mich ernst an, nicht ohne sein Lächeln zu verlieren. Hätte ich damals gewusst, auf was unser Gespräch hinauslaufen würde, hätte ich ihn umgebracht, bevor er mir seine Geschichte erzählt hatte. So aber musste ich selbst ein wenig lachen.
»Sie wirken nicht gerade wie der große Diktator.«
»Sehe ich denn für Sie aus, wie ein toter schwarz-weiß Komiker?«
»Natürlich nicht, aber -«
»Ich bin - war - Wissenschaftler. Meine Fachgebiete waren die Psychoakustik, Phonetik und Schwingungstechnik. Später kamen die Psychologie und die Neurologie hinzu.«
Später, dachte ich, wie viele Fachgebiete kann man in seinem Alter schon gehabt oder studiert haben? Der Kerl ist ganz eindeutig verrückt. Herrscher der Welt - klar.
Ich sah mich vergeblich nach meinen Freunden um. Ich hatte keine Lust, den eh schon beschissenen Abend mit einem Geisteskranken zu verbringen. Statt dessen erblickte ich die Barkeeperin, die mit zwei grünlichen Cocktails zu unserem Tisch eilte.
»So, zwei Flushing Meadows. Bitte schön.«
Sie stellte unsere Drinks auf den Tisch und verschwand, ohne zu kassieren. Freudig griff Bill zu seinem Glas.
»Ich hoffe, er schmeckt Ihnen, Steve.«
»Das hoffe ich auch«, sagte ich. »Nochmals, vielen Dank.« Der Cocktail war ausgezeichnet und ich entspannte mich ein wenig.
»Wie ich sehe, habe ich Sie erschreckt«, sagte Bill, während er an seinem Drink nippte. »Das war nicht meine Absicht. Ich habe nicht viele Freunde, aber heute Abend war mir einfach nach Feiern zumute.«
»Kein Problem.«
»Ich weiß selbstverständlich, dass sich das alles fantastisch anhört. Aber ich bin weder geisteskrank noch betrunken. Lassen Sie es mich erklären. Hatten Sie niemals den Drang, sich zu stark rhythmischer Musik zu bewegen?«
»Sie meinen Tanzen? Nur, wenn ich genug Alkohol intus habe.«
Bills Lächeln wurde erneut breiter. »Aha, einer von der ganz harten Sorte. Alkohol verstärkt die Freisetzung von ß-Endorphin-ähnlichen Peptiden. Das hat eine psychomotorisch stimulierende Wirkung.«
»Wenn Sie es sagen.«
»Entweder glauben Sie mir nicht, Steve, oder Sie wissen nicht, wovon ich rede, richtig?«
Mir war tatsächlich schleierhaft, wovon Bill sprach, aber ich war weder bereit, noch betrunken genug, das zuzugeben. Er nahm erneut einem Schluck von seinem Cocktail.
»Sehen Sie nach unten, dann werden Sie es verstehen.«
Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, etwas auf dem Fußboden unter unserem Tisch zu entdecken - und genau so war es auch.
»Nichts«, sagte ich, den Blick noch immer nach unten gerichtet. »Da ist nichts.«
»Oh, aber natürlich. Ihr Fuß, sehen Sie doch. Sie wippen.«
»Tatsächlich«, antwortete ich genervt, während ich mir vorstellte, zu welch anderen schmerzhaften Aktionen mein Fuß bezüglich seines Hinterteils noch fähig wäre.
Als hätte Bill meine Gedanken gelesen, verwandelte sich sein klinisch sauberes Lächeln in ein herzhaftes Lachen.
»Sie wippen mit Ihrem Fuß zum Takt der Musik. Wir haben hier den klassischen Fall der audio-muskulären Stimulation. Ihr Gehör nimmt Töne war, leitet diese Information an Ihr Gehirn weiter, welches seinerseits den Befehl an die Beinmuskulatur gibt, sie zu dehnen und zusammen zu ziehen. Dieser simple Vorgang war die Basis meiner Forschungen.«
»Und für diese Erkenntnis bekommt man den Nobelpreis, oder was?«
»Nein, keinen Nobelpreis«, sagte Bill, während er sich wieder zu mir vorbeugte. Sein Blick wurde stechend. »Dafür bekommt man Macht!«

Ich hatte genug. Der ganze Abend nahm einen für meinen Geschmack zu seltsamen Verlauf. Ich leerte mein Glas in einem Zug, knallte es so heftig auf den Tisch, dass beinahe der Stiel abgebrochen wäre und schaute demonstrativ auf meine Uhr, da sich demonstratives Umsehen nach meinen Freunden bislang nicht als besonders wirksam erwiesen hatte.
»Es hat mich sehr gefreut, sie kennen zu lernen, Bill«, sagte ich, ohne mir viel Mühe mit einem höflichen Tonfall zu geben.
»Haben Sie schon einmal bei einem Musikstück geweint?« fragte Bill, meine Aufbruchgesten ignorierend. »Vielleicht bei einem klassischen Stück oder bei einer Oper?«
Bill hatte - gewollt oder nicht - einen wunden Punkt getroffen. Kurz bevor wir jenen Abend zur Disco aufgebrochen waren, hatte ich unter der Dusche den Song Set It Off im Radio gehört. Das Original von Organized Noize, nicht die unerträgliche Cover-Version. Dabei habe ich immer das Bild meiner Ex-Freundin Corinna vor Augen, eine dunkelhäutige Schönheit, die mich nach drei wundervollen Jahren grundlos verlassen hatte. Der gleichnamige Film war der erste, den wir zusammen gesehen hatten. Ich habe ihn mir danach nie wieder angekuckt. Aber noch heute weine ich bei dem Song in Erinnerung an die schöne Zeit und den Verlust derselbigen.
»Ich sehe es Ihrem Gesicht an, Steve. Sie wissen genau, wovon ich rede. Akustik besitzt die Fähigkeit, uns zu manipulieren. Unseren Geist, unsere Gefühle, unseren Körper mit all seinen Funktionen. Sie kann uns zum Lachen oder zum Weinen bringen, kann eine Gänsehaut erzeugen, uns verängstigen oder anspornen. Es ist nur eine Frage der Frequenz, Wellenlänge und Kombination.«
Wieder riss er seinen Arm nach oben, schnipste und deutete mit Zeige- und Mittelfinger eine Zwei an. Ich nahm es nicht bewusst wahr - meine Gedanken kreisten noch immer um das gerade Gesagte. Bill nutzte meinen Zustand, um weiter zu reden.
»Es ist mir gelungen, die elektrischen Impulse, die von den Haarzellen im Innenohr über die Nervenfasern und den Hirnstamm an die seitlichen Schleifenkerne und die primären auditorischen Kortex im Schläfenlappen des Großhirns geleitet werden, zu entschlüsseln. Mit Hilfe -»
»Moment, Moment«, unterbrach ich ihn. »Wenn schon, dann so, dass ich Sie verstehen kann.«
»Bestimmte Geräusche manipulieren Mensch und Tier auf bestimmte Weise. Ich kann mit besonderen Tönen das Verhalten von Lebewesen gezielt beeinflussen.«
Mein Interesse wuchs, wenngleich ich noch immer nicht alles begriff. Bevor ich erneut ansetzen konnte, kam die Barkeeperin mit zwei weiteren Flushing Meadows. Nachdem sie wieder verschwunden war, sagte ich: »Sie reden von einem Experiment wie dem mit dem Pavlovschen Hund?«
»Nein, ganz sicher nicht. Obwohl die klassische Konditionierung hilfreich ist. Aber ich arbeite nicht mit billigen psychologischen Tricks, wie zu großen Einkaufswagen, um den Kunden zu animieren, mehr einzupacken, als er wirklich benötigt. Oder riesigen Öffnungen bei Shampoo-Flaschen, um den Verbrauch zu erhöhen und die nächste Flasche schneller zu kaufen. Das sind Kinkerlitzchen. Zum Wohl.«
Bill griff nach seinem Glas und führte es mit einer eleganten, zuprostenden Bewegung zum Mund. Bei mir blieb die Eleganz auf der Strecke. Ich hatte plötzlich das Gefühl, die ganze Tragweite seiner bisherigen Ausführungen langsam begreifend, eine ganze Menge Alkohol zu benötigen, und trank mein Glas in einem Zug fast leer. Wurde sein Lächeln etwas freundlicher? Oder war es für Bill nur eine Genugtuung, das stetig wachsende Entsetzen in meinem Gesicht zu sehen?
»Meine Kombinationsaufschlüsselung ist ähnlich komplex wie die der DNS. Es hat viele Jahre und die Rechnernetze der größten Universitäten der USA und Europas gebraucht, bis ich soweit war. Aber vor einigen Jahren war ich bereit für meine ersten Feldexperimente.«
»Feldexperimente?«
»Experimente außerhalb meiner Laboratorien. In der freien Wildbahn, wenn Sie so wollen.«
»Sie reden hier von Versuchen an Menschen?«
»Ja. Und Sie, Steve, haben auch daran teilgenommen.«

Ich war zu perplex, um darauf zu antworten.
»Das Problem, das ich zu lösen hatte, bestand darin, dass die von mir entwickelten Ton- und Frequenzkombinationen - wie soll ich sagen - unangenehm für das menschliche Gehör waren. Die Natur bringt solche Geräusche natürlich nicht hervor, sonst würden wir alle unkoordiniert herumzappeln oder die wildesten Gefühlsausbrüche haben. Ich musste also meine Schallwellen in ein normales Umfeld integrieren, ohne dass sie auffallen.«
Bill machte eine theatralische Pause.
»Steve, haben Sie jemals House-Musik gehört?«
»Sicher«, antwortete ich tonlos.
»Sehen Sie, dann gehören Sie tatsächlich zu einer meiner ersten Testgruppen.«
»Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes weismachen, dass Sie House erfunden haben?«
»Nein, aber ich habe es mir zu Nutzen gemacht. In dieser Musik ließen sich meine ersten künstlich geschaffenen Audiowellen bestens integrieren. Es war ein voller Erfolg. Ich habe gezielt audiohypnotische Botschaften ausgesendet. Es sollte nur ein einfacher Test werden, aber das Resultat hatte meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Haben Sie einen Videorecorder, Steve?«
»Was? Äh, ja.«
»Beta oder VHS?«
»VHS natürlich.«
»Warum nicht Beta? Es ist ganz eindeutig das bessere System.«
»Weiß nicht. Weil jeder VHS hat, denke ich.«
Bill grinste. »Sehen Sie?«
»Sie meinen - ?«
»Wie gesagt, es sollte nur ein erster einfacher Test werden. Aus, sagen wir, sentimentalen Gründen, habe ich diesen Versuch bei jeder Verfeinerung meiner Töne und jedem nachfolgenden Test mit in das Programm aufgenommen. Betamax ist tod, weil ich es so wollte.
Und nun, nach all den Jahren, bin ich so weit, dass ich jedes Zucken mit dem Finger, jeden Gedanken und jeden Wunsch beliebig formen kann. Und das bei jedem Menschen, der ein Radio oder einen Fernseher besitzt, egal, welche Musikrichtung er bevorzugt. Sie müssen nicht einmal Musik hören, ich kann die Frequenzen sogar unter die Sprache mischen. Sie muss dafür nur ein wenig lauter sein, achten Sie das nächste Mal darauf, wenn ein Werbeblock auf einem Privatsender läuft.
Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, war es durch meine Errungenschaft für mich ein Leichtes, an bestimmte Aktien zu kommen, Scheinfirmen zu gründen und große Konzerne zu übernehmen. Mir gehören mittlerweile ungefähr fünfundachtzig Prozent der weltweiten Medienindustrie und fast achtzig Prozent der Nahrungsmittelindustrie. Die anderen Industriezweige werde ich nicht aufzählen, ich will Sie schließlich nicht langweilen, aber denken Sie einmal darüber nach, warum die Kids heutzutage wie wild Cellphones kaufen. Bestimmt nicht, weil sie so gern telefonieren.«
Ich starrte Bill ungläubig an. Zähflüssige Sekunden verrannen. »Warum«, sagte ich endlich und räusperte mich. Meine Kehle war schon wieder trocken. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Warum nicht? Ich erwähnte bereits zu Anfang, dass ich heute Feiern möchte. Und es ist uns beiden wohl klar, dass mir von Ihnen keine Gefahr droht. Niemand würde Ihnen diese Geschichte abkaufen. Abgesehen davon könnte ich ohne weiteres dafür sorgen, dass Sie dieses Gespräch schon morgen früh wieder vergessen haben. Sie sehen, ich gehe kein Risiko ein.«
Zögern. Der Irrsinn dieser Situation wirbelte wie ein Tornado durch meinen Kopf. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht die kleinste Unstimmigkeit in dem, was er mir erzählt hatte, entdecken. Kann ein Mensch soviel Macht haben? Darf ein Mensch soviel Macht haben? Was, wenn es wahr ist? Was, wenn er eines Tages durchdreht?
»Das tun Sie doch.«
Ich sprang auf, warf dabei meinen Stuhl um und packte Bill am Kragen seines Mantels. In seiner Überraschung stieß ich auf keine Gegenwehr, als ich ihn mit aller Kraft hochriss und um unseren Tisch herum schleuderte. Mit Wucht drückte ich seinen Oberkörper über das Geländer. Er ruderte hilflos mit den Armen, streifte mein Gesicht mit seinen Fingernägeln und hinterließ blutige Kratzer.
»Steve! Nicht!«
Seine Augen waren vor Panik geweitet und für einen kurzen Moment der Befriedigung stellte ich fest, dass sein penetrantes Lächeln einer angstverzerrten Grimasse gewichen war.
»Ich kann das nicht zulassen, Bill. Das müssen Sie verstehen. Kein einzelner Mensch darf über so viel Macht verfügen.«
Er bekam das Geländer zu fassen und versuchte, sich wieder zurück zu ziehen. Mit meiner rechten Hand umklammerte ich seinen Hals.
»Nie wieder, Bill!«
Er ließ das Geländer los um meinen Arm zu fassen. Mit einem Ruck schob ich ihn noch ein Stück weiter vor, bis sein Schwerpunkt meine Arbeit übernahm. In dem Stroboskoplicht sah es so aus, als fiele er in Zeitlupe. Der kurze Moment mutierte zur Ewigkeit. Nachdem er auf der Tanzfläche aufgeschlagen war, sah es so aus, als würde er wieder lächeln.

Er war sofort tot.

Die Musik in der Disco erstarb.

***

Der Richter hat mir meine Geschichte nicht geglaubt. Vielleicht, weil ich sie nicht so überzeugent rüberbringen konnte wie Bill. Selbst mein Anwalt hatte Zweifel. Kann ich es ihm verdenken.
Man hat mich nicht in ein Gefängnis gesteckt, sondern in diese Klinik. Ich gebe zu, dass ich den besagten Abend vorschnell war. Nicht, weil ich Bill umgebracht habe. Nur halte ich es jetzt für möglich, dass ich zwar den Kern, aber nicht das ganze Problem beseitigt habe. Würde jemand wie Bill ohne Helfer arbeiten?

Wenn mich die Pfleger das nächste Mal zum Duschen bringen und mir die Zwangsjacke abnehmen, werden sie eine Überraschung erleben. Obwohl die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Trakt sehr hoch sind, habe ich es doch geschafft, eine Plastikgabel vom Mittagessen in meiner Unterhose zu verstecken. So bald meine Arme frei sind, werde ich mir damit die Trommelfelle zerstechen. Woll?n doch mal sehen, wer zuletzt lacht...

 
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Hallo Xenomurphy!

Der Titel in seiner Umständlichkeit (nicht im negativen Sinne) hat mich an die Wahl derer von Cerberus erinnert. Ist ein Aufhänger, bevor man ein Stück gelesen hat.

Diese Story ist wohl keine Story oder wenn es eine ist, dann ist sie unfertig. Zumindest hat sie diesen Eindruck auf mich gemacht. So schön rund und ausgefeilt, wie sie begonnen hat, zwar ein wenig konservativ, alles ganz genau erklärend, aber angenehm zu lesen und ziemlich professionell.
Du bist im Aufbau recht penibel. Du beschreibst, wie gesagt, sehr viel. Das ist angenehm, birgt aber die Gefahr, die Fantasie des Lesers abzuwürgen. Aber ich habe kein Recht das zu kritisieren, ich handele oft ebenso. Aber, ich bin auf dem Weg, ich kürze und versuche, mit möglichst wenigen Worten auszukommen.
Einige Wendungen sind überflüssig, um die Geschichte zu verstehen, brauche ich nichts zu wissen über die Art der Diskothek, den Zeitpunkt oder ähnliches.

erwiderte ich dem Robert-de-Niro-Clon

wem denn sonst, möchte man dir zurufen. Ohne den Zusatz funktioniert das ebenso.

Aber der Schluss eben. H.G. Wells hat seine Ideen und Visionen sehr oft in spannende Erzählungen verpackt, aber auch welche mit vernünftigem Ende! Ich war sehr enttäuscht, nachdem der Text so viel versprechend begonnen hat, dass du auf diese Art und Weise dich daraus verabschiedest. Einfach runtergeschubst und fertig. Die Frage ist natürlich, was nun wahr ist, wer verrückt, aber das ist eine ziemlich ausgelutschte, klischeehafte. Du hast dich davongestohlen!

Ich hatte angenommen, das ganze, nachdem ich erfuhr, dass die Leute manipulierbar sind, läuft auf eine Konsumsatire hinaus – erzeugen von Bedürfnissen nach Handys zum Fotografieren oder anderen unnützen Dingen.

Wenn der Schluss stimmt, lass es auch einen etwas längeren Kampf sein, eine Disskussion, in der die Motivation mehr rüberkommt, dann ist das eine spannende, coole Geschichte. Zumal du Ahnung zu haben scheinst (oder es sehr gut verstehst, so zu tun, als ob). So jedenfalls wirkt das Ganze etwas abgebrochen - Interruptus.

Viele Grüße von hier!

 

Hi Hanniball,

vielen Dank für dein Lob und ebenfalls besten Dank für deine konstruktive Kritik.

Der Titel in seiner Umständlichkeit (nicht im negativen Sinne) hat mich an die Wahl derer von Cerberus erinnert. Ist ein Aufhänger, bevor man ein Stück gelesen hat.
Dem König von Dänemark sei gedankt.

Tja, da hast du mich genau an meinem wunden Punkt erwischt. Normalerweise lasse ich eine Geschichte erst ein wenig liegen und knöpfe sie mir zwecks Endkorrektur noch einmal vor. Dieses Mal hat mich die Euphorie gepackt und ich habe sie sofort auf KG.de gestellt. Nach meiner langen Pause wollte ich auch mal wieder etwas schreiben und nicht nur die anderen Schreiberlinge kritisieren.

Was den Schluss angeht, hatte ich die gleiche Befürchtung, andererseits wollte ich die Leser nicht langweilen. War wohl inkonsequent...
Es gab schon mal Diskussionen um ein offenes Ende einer meiner Geschichten hier. Da gingen die Meinungen sehr auseinander.

Zumal du Ahnung zu haben scheinst (oder es sehr gut verstehst, so zu tun, als ob).
Ich bin ein absoluter Laie, was Akustik angeht. Daher besten Dank.

Fazit: Wenn ich den nötigen Abstand habe, werde ich die Story wohl noch mal überarbeiten.

Viele Grüße, Murphy.

 

Ja, ein Zitat aus Shakespears Hamlet (Dritter Akt - Erste Szene). Als Hamlet den König glauben macht, dass er verrückt sei, aüßert dieser Polonius gegenüber den besagten Satz.

Grüße von mir. :)

 

Hi Hanniball,

ich habe mir ein Herz gefasst (und meine Tastatur) und deine Änderungsvorschläge umgesetzt. Das kommt davon, wenn ich mich schnell aus der Affäre ziehen will. Nächstes Mal wieder mit Reifungsprozess.

 

Xeno, mein Bester!
Habe mir die Story noch mal ausgedruckt und bin ziemlich gespannt, was du geschafft hast. Meine Zeit ist allerdings dieser Tage sehr bemessen.

Melde mich später!

Grüße!

 

'nAbend aber auch!

Einige Zeit abgezwackt und schnell was geschrieben.:D

Ich habe mir die Geschichte noch mal durchgelesen und mir kommt die Sache jetzt runder vor, zwar nicht ganz so leichtläufig wie ich dachte, aber runder und abgeschlossen.

Die ganze Story läuft auf die Macht des Einzelnen hinaus und das Einschreiten dagegen durch den Tod. Ganz einfach. Der Strang mit der Methode zur Machterlangung(der mich nebenbei so fasziniert hat), ist nur Beiwerk, schmückend, doch nicht entscheidend. Ich denke, das kriegt man nur dadurch geändert, indem man eine vollkommen neue Geschichte schreibt (solltest du jemals unter Ideenmangel leiden, aber unbedingt etwas schreiben wollen, dann nimm dich dieses Themas an, ich bitte dich! es kam mir so vor, als hättest du Ahnung - oder war alles nur Verarsche? :susp: ).

Abschließend bleibt zu sagen, dass ich es nicht verstehen kann, dass sich niemand sonst hierher verirrt, an dem Text kann es nicht liegen. Auch wenn er nicht ganz die Tragweite und Tiefe des Dänenkönig besitzt:cool: , so handelt es sich doch hier um ein Stück der besseren Unterhaltung.

In diesem Sinne und weiter so!

Viele Grüße von hier!

 

Hi Hanniball,

vielen Dank dass du dir noch mal die Zeit genommen hast. Das rechne ich dir hoch an.:)
Ich denke, du hast recht. Diese Geschichte weiter zu "flicken" ist vergebene Liebesmüh. Sie ist durch deine Vorschläge bestimmt besser geworden, aber ich glaube nicht, dass ich noch mal darüber schreiben werde (naja, vielleicht in zwanzig Jahren oder so :rolleyes: ).

es kam mir so vor, als hättest du Ahnung - oder war alles nur Verarsche?
Keine Verarsche nur Reschersche, äh, Recherche. Die Idee dazu spukte mir schon seit Jahren durch den Kopf. Ich finde es immer wieder schön, wenn man fiktive Ereignisse mit dem Tatsächlichkeiten des Lebens belegen kann. Ansonsten gelobe ich hoch und heilig, ich hatte zuvor weder Ahnung von Akustik, noch bin ich in irgendeiner Form musikalisch. Brachland.
Abschließend bleibt zu sagen, dass ich es nicht verstehen kann, dass sich niemand sonst hierher verirrt, an dem Text kann es nicht liegen.
Nochmals Dank. Leider kann man nicht ersehen, wieviele KGler die Seite besuchen und die Story lesen, ohne sie zu kommentieren. Ein Counter wäre schön, ist aber bestimmt nicht umsetzbar. Jedenfalls freue ich mich immer über Kritik, positive wie negative, und Kritiker wie du tragen dazu bei, dass ich nicht die Lust am Schreiben verliere.

Viele Grüße, Xeno.

 

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