Was ist neu

Wahltag

Mitglied
Beitritt
30.01.2006
Beiträge
108

Wahltag

„Alles Gute zum Geburtstag!“, kreischte der Zauberstab direkt in Titus Ohr.

Gequält schlug der nun 14jährige Junge die Augen auf. Wie immer war die Nachtruhe seiner Meinung nach viel zu kurz ausgefallen.

„Danke, du elende Nervensäge, wäre das nicht auch leiser gegangen?“

Der Zauberstab, von dem ein leicht unheimliches grünes Glühen ausging, hüpfte neben ihm auf dem Stroh, das ihr Nachtlager bildete, aufgeregt auf und ab.

„Heute ist der Tag, nicht wahr? Heute darfst du mich endlich für den Wahlzauber einsetzen, ach ist das aufregend …“

Mit derlei Geplapper fuhr er noch eine ganze Weile fort, während Titus sich das Gesicht mit kaltem Wasser wusch und die Toga mit dem schmalen grünen Streifen überwarf, die ihn als Lehrling kennzeichnete.

Zugegeben – mit einem normalen „Lehrling“, wie es sie in Rom zu tausenden gab, hatte Titus herzlich wenig gemein. Während andere Jugendliche die Schmiedekunst, das Barbierhandwerk oder auch die seit Cicero im Ansehen gestiegenen Rechtswissenschaften erlernten, hatte Titus neben dem sprechenden Zauberstab, den er sich gerade trotz aller Proteste des magischen Utensils in eine Falte seiner Toga stopfte, auch noch mit anderen Verrücktheiten zu kämpfen, die ihm den Alltag als Zauberlehrling im dritten Jahr gehörig erschwerten.

Dafür standen ihm als Zauberer im antiken Rom aber auch alle Türen offen. Magie war stets sehr gefragt, sei es zur Kriegsführung, um Gladiatorenkämpfe interessanter zu machen und natürlich für private Anliegen der Reichen und Mächtigen. Wobei die Hauptaufgabe von Titus Lehrmeister Decimus dem Verrückten momentan meist darin bestand, dafür zu sorgen, dass die Zuhörer bei Kaiser Neros grauenhaften Theater- und Musikvorführungen in maßloses Entzücken verfielen.

Der Beiname des Meisters kam nicht von ungefähr, wie er Titus auch heute wieder einmal bewies:

Als Titus die Gemächer seines Lehrers in einem Flügel des weitläufigen Kaiserpalastes betrat, waberte lila Rauch über den Fußboden. Als Quelle machte Titus schnell den magischen Ofen aus, auf dem eine magische Eieruhr wie verrückt wild gestikulierend und heiser fiepend umhersprang.

Mit einem Satz war Titus beim Ofen, schaltete ihn aus und beförderte den undefinierbar verkohlten Inhalt mittels eines einfachen Wurfzaubers aus dem Fenster. Die Flüche, die daraufhin von der Straße nach oben drangen, ignorierte er geflissentlich.

Am Studiertisch entdeckte er Meister Decimus, der angestrengt in einem seltsamen Pergamentheftchen blätterte und zwischendurch wütende Blicke auf ein fremdartiges Gebilde vor ihm warf.

Titus gesellte sich zu seinem Meister und sprach ihn vorsichtig an: „Ähm, Meister Decimus? Guten Morgen.“

„Ah, Titus, guten Morgen, guten Morgen. Oder auch nur Morgen, ob er gut ist, wird sich noch zeigen. Hast du deinen Geburtstagskuchen schon aufgegessen?“

Das erklärte einiges.

„Äh, ja, vielen Dank. Meister, was ist das für ein Ding hier auf dem Tisch?“

„Diesem ‚Ding‘, wie du es bezeichnest, gehört die Zukunft, mein Junge! Die Menschen werden es in einigen Jahrhunderten verehren, sie werden ohne es nicht mehr leben können, jawohl!
Ich hatte letzte Nacht eine magische Vision …“

Titus gähnte verstohlen und ließ den minutenlangen Monolog seines Lehrmeisters über sich ergehen. Wenigstens lief er nicht wie ein Irrer mit zwei Stöcken in den Händen und einem Stofffetzen um die Stirn durch die Straßen Roms wie nach seiner letzten magischen Vision. Nordic Walking hatte er das genannt.

„… und Arbeit wird ohne das Getränk, welches das Gerät erzeugt, nicht mehr möglich sein! Dies hier ist eine Kaffeemaschine, junger Titus! Aber du weißt nicht zufällig, was eine Steckdose ist, oder?“

Noch bevor Titus verneinen konnte, meldete sich der Zauberstab aus den Tiefen seiner Toga zu Wort.

„Meister Decimus, ihr vergesst ja das Geschenk! Titus muss heute noch vor der Mittagsstunde mit mir den Wahlzauber vollführen!“

„Warum sprichst du denn in der dritten Person von dir, Junge?“

Titus verdrehte gequält die Auen und zog seinen vorlauten Zauberstab hervor.

„Ach so. Ich verstehe. Ich sollte mir für meinen nächsten Schüler merken, dass sprechende Zauberstäbe eine schlechte Idee sind.“

Der Zauberstab glühte noch ein wenig intensiver als sonst, verkniff sich jedoch einen Kommentar.

„Nun gut, er hat nicht so ganz Unrecht,“ brummelte Decimus in seinen grauen Zottelbart, in dem noch die Reste des gestrigen Festgelages hingen. Dann räusperte sich und sprach so würdevoll wie nur möglich:
„Titus, du warst bisher ein ganz hervorragender Zauberlehrling, wenn man einmal von diesem kleinen Zwischenfall im ersten Lehrjahr absieht.“

Titus erinnerte sich mit Schaudern an die Besen und das viele Wasser.

„Wie es nun schon seit ewigen Zeiten Brauch ist, erhält ein Zauberschüler mit Vollendung des 14. Lebensjahres einen magischen Gefährten, der ihm sein Leben lang treu zur Seite steht. Ich werde dich nun in die Höhlen von Lhawuas entsenden, damit du dir diesen Gefährten mit Hilfe des Wahlzaubers, den ich dich das letzte halbe Jahr üben ließ, aussuchen kannst. Wähle weise, denn du und das magische Geschöpf werden auf ewig untrennbar verbunden sein.“

Der Meister warf einen vorsichtigen Blick in Richtung der Sitzstange in einer Ecke des Zimmers. Trotz der Abwesenheit von Elaria flüsterte er nur verschwörerisch: „Nimm keine Eule! Bloß keine Eule! Die wissen immer alles besser.“

Dann zückte er seinen Zauberstab und sprach die Formel, auf deren Worte Titus nun drei Jahre lang gewartet hatte: „Hau ab und such dir was aus!“

Zauberei war eben früher eher praktisch veranlagt.

Zuerst schien es Titus, als würde nichts geschehen, dann jedoch erfasste ihn der Strudel der Magie und ehe er sich versah, schlug er mit den Knien hart auf einen unebenen Gesteinsboden auf. Sein Meister und auch seine geliebte Heimatstadt Rom waren nun weit von ihm entfernt.

„Los, komm schon! Vielleicht gibt es hier ja sogar eine Fee!“

Sein Zauberstab war leider noch bei ihm.

Vorsichtig begann Titus, sich umzusehen. Er stand in einer Art erloschenem Krater, hoch über ihm zogen Wolken über einen trüben Herbsthimmel. In den Kraterrand waren Höhlen eingelassen, manche winzig klein, manche von gigantischem Ausmaß und von ihnen allen ging eine unglaubliche magische Präsenz aus. Neugierig näherte sich Titus einer mittelgroßen Höhle.

Der Zentaur darin sah ihn gleichgültig aus seinen dunkelbraunen Augen an.
„Oh, toll! Da könnten wir durch die Straßen reiten wie die hohen Herren, Titus!“, quiekte der Zauberstab aufgeregt.

Das Mischwesen preschte an die unsichtbare Barriere, die es in der Höhle gefangen hielt und Titus stolperte erschrocken auf sein Hinterteil.
„Wenn du reiten willst, dann besorg dir ein Pony, du Wurm!“, giftete das stolze Wesen und starrte Titus wütend an.

„Ähm, nichts für ungut, ich schau dann mal weiter.“

Schnell näherte sich Titus einer anderen Höhle, die allerdings auf den ersten Blick völlig leer zu sein schien. Titus wollte sich schon abwenden, als ein Flüstern sein Ohr erreichte: „Bleib doch noch ein wenig, mein Lieber. Oder hast du Angst vor dem Unsichtbaren?“

Erstaunt wandte sich Titus wieder der Höhle zu. Für einen kurzen Augenblick meinte er, aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrgenommen zu haben. Angestrengt blickte er ins Dunkel der Höhle. Wie tief sie wohl war? Sie musste ein mächtiges Wesen beherbergen.

„Wer bist du? Und: Was bist du?“

Die Dunkelheit schien jedes einzelne Wort des Zauberlehrlings zu verschlingen.
„Ich bin alles, was du dir wünscht“, flüsterte die Stimme verführerisch. „Was soll ich für dich sein? Vielleicht ein Drache?“

Der Schatten eines gewaltigen Drachen wuchs an der linken Höhlenwand in die Höhe. Die Schattenkreatur schien Titus anzustarren. Dann öffnete sie ihr grässliches Maul: „Oder lieber eine zarte Elfe?“

Der Schatten verschwamm und kurz darauf war der zierliche Körper einer Elfe zu sehen, die aufgeregt mit ihren Flügeln schlug.

„Was bist du?“, fragte Titus erneut, verblüfft von dem großartigen magischen Schauspiel, dass ihm hier geboten wurde.

„Ich bin das Wesen, dass für dich bestimmt ist, Titus!“

Die Stimme schien nun direkt in Titus Kopf zu sprechen.

„Wähle mich und du wirst einen mächtigen Freund gewinnen. Unsichtbar, doch mit großer Stärke, ein uraltes magisches Wesen, das jeden anderen Zauberer vor Neid erblassen lässt, Titus!“

Unbewusst hob Titus seinen Zauberstab, völlig gefangen von den Worten des Wesens, das tief in seine nach Anerkennung hungernde Seele zu blicken schien.

„Nein!“, schrie der Zauberstab noch, der eindeutig ein besseres Gespür für magische Wesen hatte als Titus, aber da war es schon geschehen. Titus hatte seine Wahl getroffen.

Einige Tage später

Keuchend rettete sich Titus auf den Hügel und blickte zurück auf das brennende Inferno, das einmal seine geliebte Heimat Rom gewesen war.

„Ich hab es ja gewusst!“, nörgelte der Zauberstab in seiner Hand, „Von all den magischen Geschöpfen musst du dir ausgerechnet einen Feuerdämon aussuchen.“

„Ach, halt die Klappe!“, sagte Titus gleichzeitig mit der Stimme des Dämons in seinem Kopf. Er grübelte eine Weile vor sich hin.

„Wir schieben es einfach Nero in die Schuhe“, sagte er schließlich, ließ sich ins Gras sinken und besah sich zusammen mit dem zufriedenen Dämon in seinem Inneren den rotgefärbten Abendhimmel.

 

Hej penny_lane,

in den Grundzügen erinnert es mich an den Disney-Film "Die Hexe und der Zauberer".

Wenigstens lief er nicht wie ein Irrer mit zwei Stöcken in den Händen und einem Stofffetzen um die Stirn durch die Straßen Roms wie nach seiner letzten magischen Vision. Nordic Walking hatte er das genannt.

„… und Arbeit wird ohne das Getränk, welches das Gerät erzeugt, nicht mehr möglich sein! Dies hier ist eine Kaffeemaschine, junger Titus!

Das ist zweimal dicht hintereinander der gleiche ... äh ... Trick.

Titus erinnerte sich mit Schaudern an die Besen und das viele Wasser.
Wieder Disney :) Ich mag beide Filme, aber für Deine Geschichte müsste das gar nicht sein.

Zauberei war eben früher eher praktisch veranlagt.
Diese Erklärung ragt irgendwie aus der Geschichte heraus.

ich fand die Geschichte ganz kurzweilig, was vor allem an der netten Idee mit dem nervigen Zauberstab liegt. Nach meinem Gefühl trägt der die Geschichte über weite Strecken.

LG
Ane

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom