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Wagen 013

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19.11.2002
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Wagen 013

Die Sekundenzeiger auf seine Armbanduhr rückten auf Mitternacht zu. Jochen Kesten, auf dem Parkplatz an der Endhaltestelle der Linien 10, 18 und 19 stehend fröstelte. Gleich würde es soweit sein. Überall würden die zahllosen Sylvesterpartys ihren Höhepunkt erreichen, den Jahreswechsel 2002 / 2003.
Er tat noch einen Zug an seiner Zigarette, genoß die beruhigende Wirkung des Nikotins, bließ genüßlich den Rauch durch die Nase und schnippte sie in den Rinnstein. Zischend verlosch die Glut in einer Wasserpfütze.
Jochen machte auf dem Absatz kehrt und schritt zu seinem Bus.
Als er gerade die Tür öffnete, in frohem Gedanken an die laufende Standheizung
schien der Himmel zu explodieren.
Raketen stiegen auf, ritten auf ihren Flammenstrahlen hinauf, detonierten mit dumpfen Schlägen in schillernde Funkenkaskaden in allen Farben.
Explosionen von Böllern zerissen die Stille, tausendfach, von überall her.
Wie im Krieg fand Jochen kopfschüttelnd.
Er verstand nicht, wieso die Leute für Böller ihr Geld so aus dem Fenster warfen.
Jammerten doch viele über Geldknappheit und sogar Armut, aber jedes Jahr Sylvester veranstalten sie ein Getöse wie an der Ostfront.

Ihn ärgerte es vor allem das er nicht bei seiner Freundin sein durfte, das man ihn stattdessen zur Nachtschicht eingeteilt hatte, um am Sylvestermorgen Bus zu fahren. Gerissen hatte sich von seinen Kollegen wahrlich niemand, und so entschied das Los, oder die Zeit der Betriebszugehörigkeit.
Alle Neuen mußten die verhassten Schichten an Weihnachten oder Sylvester übernehmen. Das eine Mal würde er es überleben, hatte der Schichtdienstleiter noch zu ihm gesagt.
Jochen war erst im Sommer eingestellt worden, war über das Arbeitsamt an die 3 monatige Ausbildung zum Linienbusfahrer gekommen, ist anschließend übernommen worden und hatte seitdem einen einigermaßen gut bezahlten Vollzeitjob, obwohl er als gelernter Bürokaufmann eigentlich etwas anderes vorgehabt hatte. Aber die Zeiten waren hart, und dann doch lieber Busfahrer sein als wieder Arbeitslos.
Und doch hatte Jochen im Laufe der Zeit Freude an seiner Arbeit gefunden.
"Hier arbeiten 300 Pferde und ein Esel" stand es auf einem vergilbten Aufkleber, der oben über seinem Kopf neben dem Funkgerät klebte. Wer ihn dort hingepappt hatte konnte niemand mehr sagen, aber ein wenig Selbstironie tut auch mal ganz gut.
Jochen mußte darüber grinsen, während er die Klapptür mit dem Fahrkartendrucker und der Kasse darauf neben sich zuschlug, nachdem er auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte. Alle Feiern, und du Esel mußt Bus fahren. Das war bittere Ironie.
Aber rund 20 andere Fahrer teilten sein schweres Los.
Er hob den Kopf, um auf dem oben über der Windschutzscheibe angeklebten Zettel die richtige Codenummer für die Linienanzeige abzulesen, die er noch einstellen mußte, damit seine jetzige Tour auch auf der Leuchtschriftmatrix "N 19 Wohnstadt Waldau" hieß. Viele Fahrer hatten die Codenummern im Kopf, aber Jochen hatte ees schon gereicht, alle Straßen und Haltestellen auswendig zu lernen. Es war eine der längsten Touren, quer durch die ganze City, und auch mit die anspruchvollste. Er mußte einst stundenlang Stadtpläne büffeln, um zu wissen wo er bei welcher Linie abzubiegen hatte. Gleich zu Beginn führte die Strecke durch ein Wohngebiet bergab mit engen Straßen, wo man mit einem elf Tonnen schweren NEOPLAN Niederflurnormalbus ganz schön zu kämpfen hatte, vor allem jetzt, wo wahrscheinlich die Leute alle auf der Straße feierten.
Sein Blick fiel vom Merkblatt auf die schwarzen Ziffern daneben "Wagen Nr. 013"
Manch einer könnte jetzt abergläubisch sein, doch Jochen tat es mit einem Grinsen ab. Einige der Fahrer mochten angeblich den 013´er nicht leiden.
"Der ist irgendwie verhext" hatte er es auch schon einmal in der Betriebswerkstatt von einem Mechaniker aufgeschnappt.
Aber wen wundert es, wenn es in Flugzeugen keine Sitzreihe 13 gab, Hotels selten ein Zimmer Nummer 13 hatten. Aberglaube ist eben alles, auch solch Blödsinn wie das mit schwarzen Katzen.
Ich fahre jetzt den Bus Nummer 13, gleich kommt eine schwarze Katze von Links und ich bin eben unter einer Leiter durchgekommen, nachdem ich einen Spiegel zerbrochen habe. Was für ein Blödsinn. Jochen tippte den Code in die Tastatur des Fahrkartendruckers, der auch eine Schnittstelle mit der Bordelektrik hatte.
Er konnte das leise Rasseln der sich zu neuen Buchstaben zusammenfügenden Matrix hören, dann drückte er auch schon den Anlasserknopf neben dem Lenkrad.
Der Diesel sprang an, Jochen hörte das leise Rattern hinter sich, griff nach hinten und justierte die Nackenstütze, eher er die Feststellbremse löste.

Das Gefälle zog den Bus nach unten zwischen geparkten Autos durch.
An Sylvester sollte man seine Karre eigentlich in der Garage haben, dachte er, nach dem er sich über eine ausgebrannte Rakete erschrocken hatte, die direkt vor ihm auf die Straße geklatscht war.
Das Teil war bestimmt noch heiß, und wenn es auf ein Autodach prallte vertrug sich das bestimmt nicht mit dem Lack.
Immer wieder sah er tanzende, sich zuprostende Menschen auf der Straße, Nachbarn, die sich ein frohes neues Jahr wünschten.
Auch ihm rief man diesen Gruß hinterher.
Bestimmt würde er es heute noch hundert mal zu hören bekommen.
Und eigentlich muß es ja dann auch klappen, wen es einem so viele Leute sagten, oder nicht? Ein Böller explodierte unter dem Bus, einige Jugendliche lachten und gröhlten.
Jochen hupte erschrocken .Der reinste Spießroutenlauf. Endlich erreichte er die erste Haltestelle, sah jemanden dort stehen und bremste ab. "Prost Neujahr!" kam es ihm auch schon entgegen, als der Fahrgast einstieg und nach hinten durch ging, um sich auf der Heckbank nieder zu lassen.
Er wartete, bis sich der Mann gesetzt hatte und fuhr an.
Laute Musikfetzen drangen durch die Motorgeräusche , immer wieder sprangen Leute zur Seite, wenn der Bus sich näherte, Jochen hatte immer den Fuß auf der Bremse.
Und immer wieder "Prost Neujahr!"

Das Feuerspektakel am Himmel hatte nachgelassen, als Jochen den Bus endlich aus dem Wohngebiet heraus hatte und nun auf der breit ausgebauten Straße in Richtung Stadtzentrum fuhr. Der Bus war voll, und die Leute feierten.
Einmal hörte er sogar das Schnalzen eines Sektkorkens,
die Munition war verschossen, aber der Alkohol noch lange nicht.
Eben war ihnen auch schon der erste Rettungswagen entgegen gekommen.
An Sylvester ist Hochbetrieb in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Abgesprengte oder verletzte Finger, Verbrennungen und Alkoholvergiftungen. So sah Sylvester in der Klinik aus, dachte er sich.
Jemand kam nach vorn und bot Jochen einen Pappbecher mit Sekt an.
Doch selbstverständlich mußte er dankend ablehnen, der Fahrgast verstand es auch auch und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. "Schon gut, Meister, fahr du mal!"
In der Innenstadt war auf dem Königsplatz eine große Sylvester - Discoparty, die vom Hessischen Rundfunk veranstaltet wurde.
Dorthin wollen wohl alle.
Jochen war auch froh darüber, die feucht fröhliche Partygesellschaft loszuwerden, als sie schließlich allesamt am Königsplatz ausstiegen.
Laut plärrende Musik, tausende Menschen bevölkerten den Platz, die schweren Reifen des Busses fuhren über leere Pappbecher und Flaschen.
Hier würde es später aussehen wie nach der Loveparade.
Niemand stieg hier ein, und das würde auch bei den nächsten Touren so sein.
Weiß der Himmel, wann sich das hier auflöst, aber wenn, dann würden die rund zwanzig Busse, die heute im Einsatz, waren an die Grenzen ihres Fassungsvermögens stoßen.
Aber Jochen hatte ja seinen festen Sitzplatz. Er lachte kurz bei dem Gedanken daran, das sie sich nachher hier drin stapeln würden. Ob seine Freundin auch hier irgendwo war? Sie feierte mit ein paar Leuten aus ihrer Clique, und hundertprozentik würde sie hier zu finde sein. Sehnsüchtig wanderte sein Blick über die Menschenmenge, doch nirgends sah er ihren hellen Blondschopf.

Der Bus fuhr durch sich auflösende Menschenmengen, die jetzt außerhalb des Stadtzentrums zurück in ihre Wohnungen gingen, weil es doch etwas kühl ist.
DerBus war wieder leer, und Jochen genoß die Ruhe.
Schon von weitem sah er, das die Haltestellen leer waren, und er fuhr auch einfach daran vorbei. Er würde einen guten Vorsprung zum Fahrplan herausfahren auf dieser Tour, und das würde auch für eine extra Zigarette an der Endhaltestelle reichen. Die Tachonadel stand bei konstant fünfzig, und kaum ein Auto war unterwegs. Die meisten Ampeln waren abgestellt und blinkten gelb.
Trotz Sylvester wirkte die Stadt trostlos, nachdem die Leute wieder rein gegangen waren. Kaum noch jemand war unterwegs.
Die Straße verlief jetzt in eine langezogene Kurve, Jochen drehte das Lenkrad leicht nach rechts, um die Spur zu halten.
Doch plötzlich merkte er in der Lenkung einen starken Widerstand.
Das sich sonst butterweich drehen lassende Lenkrad lag ihm schwer entgegen,
ja ließ sich beinahe kaum noch bewegen, als wenn die Lenkstange blockiert wäre.
Jochen wurde nervös, er zerrte an dem Lenkrad, doch es ließ sich mitlerweile gar nicht mehr bewegen. War jetzt die Servolenkung ausgefallen?
Aber selbst wenn, dann sollte es sich dennoch bewegen lassen, oder?
Schnell nahm er den Fuß vom Gaspedal und griff zum Hörer des Funktelefons.
Er mußte jetzt anhalten, so konnte er auf keinen Fall weiterfahren. Die Leitstelle mußte informiert werden, ein Ersatzwagen für ihn mußte raus und auch ein Wagen vom Reparaturtrupp, der ständig in Bereitschft war. Jochen sah eine günstige Stelle mitten zwischen den Straßenbahngleisen, wo er den Bus abstellen konnte und ohne das er zu lenken brauchte. Hier konnte nichts pasieren, es würde für den Verkehr gunügend Platz bleiben.
Der linke Fuß drückte die Bremse.
Drückte sie bis zum Boden durch.
Doch der Bus reagierte nicht.
"Scheiße" zischte er erschrocken, während es ihm siedendheiß über den Rücken lief. Die Tachonadel stand noch immer auf 50 KmH.
Jochen trat so fest er konnte auf die Bremse, trat sie förmlich in den Fußraum hinein.
Eigentlich müßte jetzt der Bus langsamer werden, im Leerlauf ausrollen, weil beim Bremspedal treten die Antriebswelle automatisch auskuppelt.
Doch der Motor lief weiter auf niedrigem Gas, hielt das Tempo konstant.
Der Drehzahlmesser zitterte bei 2.000. Er sah sich gegen eine Hauswand rasen, wie die Wand sich immer größer vor ihm aufbaute,
Seine Hand griff zur Motorbremse, doch auch der Hebel ließ sich nicht bewegen.
Jochen bekam es mit der Angst zu tun. Unweigerlich mußte er an den Film "Speed" denken. "Mit meinem Bus stimmt was nicht!" schrie er panisch in den Sprechfunk.
"Wer meldet dort?" kam es schroff zurück
"Wagen 013! Die Lenkung und die Bremse gehen nicht mehr, ich kann nicht lenken und nicht anhalten!" Seine Stimme überschlug sich. Verzeifelt ließ er die Bremse springen und trat sie erneut durch.
"Bleiben sie ganz ruhig, wo ist ihr momentaner Standort?"
"Nähe Kreisel!" Jochen trat immer wieder auf die Bremse, ohne Erfolg.
"Die Motorbremse geht auch nicht?"
"Nein"
Jochen spürte, wie es hektisch in der Leitstelle wurde.
"Stellen sie den Motor ab, versuchen sie´s mit der Feststellbremse!" kam die hektisch gewordene Stimme aus dem Lautsprecher.
Jochen versuchte den Ausschaltknopf rechts neben dem Lenkrad zu drücken, doch so fest er auch drückte, es tat sich nichts. "Scheiße, Scheiße Scheiße!". Seine Bewegungen wurden fahrig, hastig legte er den kleinen Feststellbremshebel um, doch die Tachonadel schien ihn förmlich zu verhöhnen. Nichts reagierte.
"Geht nicht, geht nicht geht nicht!" Jochen war der Verzweiflung nahe, drücke immer wieder die Bremse, sah, das der Bus nun von der Straße abkam, auf den Bürgersteig ud die Schaufensterfront eines Teppichladens zuhielt. Gleich würde er in die Schaufensterfront rammen
Wütend zerrte er am Lenkrad, immer wieder trat er auf die Bremse, die Schaufensterfront kam immer dichter. Das Lenkrad war wie angeschweißt, Jochen traten die Adern auf der Stirn hervor, er biss die Zähne zusammen.
Nichts ging. Nun würde es gleich vorbei sein, er riß die Arme vor das Gesicht, drehte dabei den Kopf von der Windschutzscheibe ab, bereitete sich auf den unweigerlich folgenden Aufprall und die Schmerzen vor.
In kurzen Gedankenblitzen hörte er schon das Glas bersten.
Sekunden verannen zur Ewigkeit. Der Aufprall blieb aus.
Und dann hörte er den Motor plötzlich aufheulen, spürte eine Lenkbewegung.
Hastig riß er den rechten Fuß vom Gas weg, doch er wußte plötzlich auch, das sein Fuß nicht darauf gestanden hatte.
Er nahm die Arme vom Gesicht, und sah, wie der Bus wieder auf der Straße fuhr, Wie sich das Lenkrad von allein bewegte, sah vor sich unten das Gaspdeal, das von unsichtbarer Hand nach unten gepresst wurde.
Das Getriebe schaltete hoch, das Motorgeräusch wurde lauter, wieder schaltete es.
"Der fährt plötzlich von allein!" Jochen nahm die Hände vom Lenkrad, zog die Füße zu sich heran. Er fühlte sich ausgeliefert. Was lief hier plötzlich ab? Der Bus schien von außen Ferngesteuert zu sein, er war nicht mehr der Herr über den NEOPLAN
N 4016 Niederflur Normalbus, den er vorhin vom Kollegen der Spätschicht übernommen hatte. Da war er noch in Ordnung, doch jetzt...
"Der macht was er will!"
In der Leitung war es still geworden.
Irgendetwas hatte die Kontrolle übernommen, und der Bus beschleunigte noch immer, er raste über den weiten Radius des Straßenkreisels, bog plötzlich nach links ab und kam auf die Südtangente, die in Richtung Stadtautobahn führte. Dort hätte Jochen auch abbiegen müssen, doch der Bus schien auch ohne sein Zutun auszukommen. Hatte sich etwas verklemmt, drehte deswegen der Motor jetzt auf?
Aber das Lenkrad, was war damit? Der Bus fuhr sauber auf seiner Spur, selbst in Kurven schien er exakt den gleichen Abstand zur Bordsteinkante einzuhalten. Für Jochen war das kein Zufall. Der bus führte ein plötzliches Eigenleben.
Verzweifelt griff es noch einmal, doch er kam nicht gegen seinen Willen an.
Er drückte mit aller Kraft gegen, zerrte und riss, die Schweißperlen rannen ihm über das Gesicht, versuchte das Rad festzuhalten, doch die andere Kraft war stärker, bei jeder Drehung rutschte ihm das Hartgummi des Lenkrads heiß durch seine zugepressten Fäuste.
"Wo fährt der Bus jetzt?" kam es plötzlich mit einer anderen Stimme.
Jochen kannte sie nicht. In der Leitstelle mußte jetzt helle Aufregung herrschen.
"Auf der Stadtautobahn nach Süden! Verdammt, tut doch was!"
Jochen sah plötzlich Blaulicht, sah plötzlich, wie ihn zwei Streifenwagen überholten und sich vor ihn steuerten.
"Die Polizei müßte jetzt bei ihnen sein!"
Jochen bestätigte. Doch das alles war für ihn nur noch ein Alptraum.
"Die Funkverbindung reißt ab!" kam es, von statischen Störgeräuschen überlagert.
Im selben Moment klingelte auch schon Jochens Handy.
Hastig griff er nach hinten zu seinem Anorak, der über der Lehne des Fahrersessels hing, angelte mit zitternden Fingern das Gerät aus der Tasche.
Er ließ es beinahe fallen wie eine heiße Kartoffel, sein Finger fand den Knopf, mit letzter Anstrengung hielt er sich das Gerät ans Ohr.
"Ja" presste er hervor, völlig ausser Atem. Rebecca, seine Freundin? Wie würde er ihr erklären, in welcher Lage er steckte? Doch sie wußte, das er erst in 10 minuten an der Endhaltestelle war. Doch sie kannte seinen heutigen Fahrplan auswendig, um ihn nicht während der Fahrt zu stören. Sie wußte, wann er an einer Endhaltestelle war, und würde sich auch daran halten.
"Kommissar Bachmann hier von der Polizei! Spreche ich mit Jochen Kesten?"
Jochen bestätigte. Ein Stein viel ihm vom Herzen.
"Passen sie auf! Versuchen sie hinten die Bodenklappe vor der Heckbank zu öffnen und schneiden sie die Kabel durch, auch die Kraftstoffleitung, wenn sie rankommen. Aber vor allem alle Kabel! Das reicht schon! Haben sie ein Messer? Sie müssen den Bus zum Stehen bekommen! Wir können ihnen leider nur den Weg freiräumen!"
Hurra, die Kavalerie ist da, schoss es ihm durch den Kopf, während er den Dreikantschlüssel und sein Schweizer Messer aus der tasche zog.
"Habe ich!" antwortete Jochen.
Woher kannte Bachmann das? Warum war er selbst nicht schon auf diese Idee gekommen? Aber die Leitstelle hatte bestimmt einen Mechaniker aus dem Bett geklingelt, der Anweisungen weitergab. War er jetzt schon ein Fall für die Polizei? Aber warum eigentlich nicht, auch wenn sich Jochen keinen Reim darauf machen konnte, was selbst die Polizei gegen diesen Bus ausrichten konnte.
"Was, wenn das nicht klappt?" fragte Jochen, während er nach hinten ging.
Es war verrückt, völlig verückt, der Fahrer geht nach hinten, während der Bus herrenlos weiterfährt-
"Das wird klappen! Nun mach schon!" kam es schroff zurück.
Jochen bückte sich, während er von den hektischen Fahrbewegungen immer wieder gegen die Bänke gedrückt wurde.
Mühsam steckte er den Spezialschlüssel auf eine der vier Schrauben, die die Bodenplatte hielten. EIn paar Umdrehungen, und die Schraube war lose.
Er arbeitete schnell, der Alptraum mußte zu Ende gehen.
Nachher bin ich reif für den Psychiater.
Die Schrauben waren nun alle lose, und Jochen hebelte mit der Klinge des Taschenmessers die Platte hoch, griff in den Spalt und zog sie nach hinten weg.
Die Platte war schwer, unten war sie mit Alufolie und Schaumwolle isoliert
Hitze schlug ihn entgegen, lauter, ohrenbetäubender Krach.
Dieselgeruch hing in der Luft, warmes Schmierfett.
Und jetzt sah er den Motor unter sich, die vielen schwarzen und grauen Kabel.
Hoffentlich bekomme ich keine gewischt.
Jochen schnitt das erste Kabel durch, es ging leicht durch die Isolierung, aber der Draht war eine harte Nuss. Doch er schaffte es.
Er lauschte, ob sich unter ihm etwas tat, aber er konnte nichts feststellen.
Schnell griff er sich das nächste Kabel, packte sich dann gleich ein ganzes Bündel, das er fassen konnte und schnitt sie durch.
Die Enden plumpsten wie geköpfte Schlangen zu Boden, doch der Motor lief noch immer. "Ich weiß, wie ich dich kriege!" Jochen spürte eine panische Verzweiflung, als er den dicken Kraftstoffschlauch fand, der aus der Pumpe zum Verteiler lief.
"Ich habe dein Herz gefunden, sieh nur her was ich damit mache! Wer ist hier der Boss?" Er packte den dicken Schlauch und zog die Schneide einmal ruckartig darunter hindurch. Das Messer war relativ neu, und die Klinge scharf.
Sofort spritzte ihm Diesel über die Hände und Arme, pumpte aus dem abgeschnittenen Stück heraus wie aus einer Aterie.
"Jetzt hab ich Dich! Wer ist hier der Boss?"
Der Kraftstoff spritzte in den Motorraum hinunter und troff über die Eingeweide des 290 PS MAN Dieselmotors hinunter auf die Straße.
Doch der Motor lief noch immer.
Da ist doch noch ein Rest im Motor, aber gleich... Jochen grinste.
Die Höllenfahrt würde gleich vorbei sein. Sie musste vorüber sein.
Doch Jochen ahnte nicht, wie sehr er sich täuschte.
"Sie verlieren Flüssigkeit! Haben sie es geschafft?" kam es aus dem Handy, das die ganze Zeit neben ihm gelegen hatte.
Er stand auf und sah nun hinter dem Bus einen weiteren Streifenwagen.
Vor dem Streifenwagen auf der Straße dunke Flecken, wie eine Blutspur.
"Ich bin direkt hinter ihnen!" sagte Bachmann.
Noch immer lief der Motor.
"Ich hab den Kraftstoffschlauch einmal gekappt!"
"Prima, dann hat sich das gleich erledigt. Der kommt gleich keinen Meter mehr weit!"
Jochen stand auf und schritt nach vorn.
Und dann sah er etwas vorn im Innenspiegel.
Eine Glatze mit ein paar schwarzen, lockigen Haaren darauf.
"Was zum..." Jochen rieb sich die Augen.
Doch die Gestalt am Steuer war noch immer da.
"Da sitzt einer am Steuer!"
Keine Antwort, nur ein Knistern in der Leitung.
Jochen ging mit schnellen Schritten nach vorn.
Und prallte entsetzt zurück.
Das Wesen am Steuer hatte kein Gesicht mehr.
Dort wo es war klafften zwei dunkle Augenhöhlen, unter der zu teigigen Flatschen verbackenen Haut klaffte der blanke Schädelknochen. Die Nase war bloß ein lose an einigen Sehnen herabhängender Knorpelfetzen, er konnte gelbliche Knochen sehen.
Der Lippenlose Mund entblößte eine Reihe gelber, spitzer Zähne, die wie halb umgestoßene Grabsteine aus dem Kiefer ragten.
Ein teuflisches Grinsen bleckte ihm entgegen.
Jochen stieß einen spitzen, hohen Schrei aus, fiel mit den Armen rudernd vor Schreck nach hinten. Das war zuviel für ihn.
"Steigen sie aus! Nun machen sie schon!" kam es plötzlich aus dem Handy in seinen völlig verwirrten Verstand geschossen.
Im selben Moment hörte er Schüsse, sah im Fenster einen Beamten mit seiner Dienstpistole auf die Reifen des Busses schießen. Sind die Wahnsinnig?
Ein Ruck ging durch das Gefährt, ohrenbetäubendes Schleifen von blankem Metall auf Asphalt. "Raus da, schnell!"
Die Karosserie setzte auf, das Fahrzeug wurde nach links weg gerissen.
Der Bus wurde langsamer, kam schließlich zum Stehen.
Erst jetzt reagierte er, seine Füße dirigierten ihn der Vordertür, seine Hände rissen den Tür Not -Hebel um, seine Schulter warf sich gegen die Tür, die unter seinem Gewicht aufklappte. Er plumpste wie ein nasser Sack auf den Asphalt, neben dem zum Stehen gekommenen Bus.
"Stehen sie auf, schnell hier herüber!" gellte die Stimme Bachmans.
Jochen rappelte sich auf und lief vorn über gebeugt auf den Streifenwagen zu, der mit offenen Türen weinige Meter vor ihm entfernt stand. Die Hadn eines Beasmten streckte sich ihm entgegen,
während aus der Richtung des Busses ein Zischen zu vernehmen war, als sich der zerschossene Reifen plötzlich wieder von selbst aufpumpte.
Der Motor heulte auf, und der besessene Linienbus setzte seine höllische Fahrt in den Sylvestermorgen fort.

Jochen sah ihn noch an einer Kreuzung abbiegen.
Er hatte Straßenkarten auswendig lernen müßen.
Und er wußte nun auch, das der Bus zum Königsplatz wollte.
Dort wo auch seine Freundin war, wo sie alle waren.
Martinshörner und Blaulichter verfolgten den Bus.
Und Jochen begann zu beten...

 

Hi,

bevor ich etwas zur Geschichte sage, hier die kleinen Fehler die mir aufgefallen sind:

Jochen hupte erschrocken .Der
Leuten aus ihrer Clique, und hundertprozentik würde
hundertprozentig
Der Bus fuhr durch sich auflösende Menschenmengen, die jetzt außerhalb des Stadtzentrums zurück in ihre Wohnungen gingen, weil es doch etwas kühl ist.
War statt ist am Ende währe richtig.
DerBus war wieder leer
Gleich würde er in die Schaufensterfront rammen
Punkt am Ende fehlt.

Na ja alle hab ich nicht gefunden, aber es sind ja keine weltbewegenden Fehler. ;)

Nun zum Inhalt. Das der Abend ein böses Ende nimmt ahnte ich als die Linie 013 erwähnt wurde.
Trotzdem ist die Handlung so spannend das ich die Geschichte in einem Rutsch lesen konnte, ohne mich zwingen zu müssen. :)
Dein Stil ist also recht gut und auch der Handlungsaufbau ist logisch und nicht etwa verdreht.
Fazit: winzige Fehler, gute Geschichte, weiter so :thumbsup:

Gaspode der zum Glück nicht so aussieht :bib:

 

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