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Wachstums-Sparen!
Wachstums-Sparen !
Irgendwie hatte sich meine Frau sehr zu Herzen genommen, was sie von früh bis abends in allen Medien auf die eine oder andere Art zu sehen, hören oder lesen bekam:
„Hörst du! Jetzt ist es so weit! Es muss radikal gespart werden, sonst droht der Untergang des gesamten Landes!”, rief sie aus der Küche.
Ein Übriges hatte wohl die Kampagne „Geiz ist geil!” des Einzelhandels geleistet.
Aber ausschlaggebend für die folgenden Ereignisse war wohl doch eher, der sinnschwere Videoclip:
„Du bist Deutschland!“
Wenn du, also ich oder eben Sie, Deutschland sind, dann betrifft es einen ja schon irgendwie doch, wenn das Land so kurz vor dem Abgrund steht.
„Siehste!”, sagte meine Frau.
„Und darum machen wir jetzt auch mit!”
Kurz schreckte ich von meinem, trotz Anerkennung der Emanzipation, doch immer noch heiß geliebten Sofa hoch, bekam jedoch nur ein mageres:
„Was?”, über die Lippen.
Hätte ich nur einmal besser hingehört als sonst.
Aber so nahm alles seinen Lauf.
Etwas seltsam fand ich es schon als zum Abendbrot, statt einer Halbliterbierflasche, nur eine 0,33 Liter-Miniflasche auf dem Tisch stand.
Aber da ahnte ich noch nichts.
Es hätte mir auffallen sollen!
Später bemerkte ich im Schlafzimmer, dass es ungewöhnlich kühl war.
Nun gut, es war Oktober und da kann es schon mal etwas kälter sein, überlegte ich. Der Gedanke, dass wir eine Heizung besitzen, die sich automatisch der Temperatur anpasst, blitzte kurz in mir auf — aber im nächsten Moment schlossen sich schon meine Augen und ich war tief eingeschlafen.
Am darauf folgenden Tag gab es plötzlich früh kein warmes Wasser — das stieß mir dann doch erheblich auf — ist die Heizung etwa defekt?
„Du bist doch kein Warmduscher?!”, zwitscherte meine Frau.
Na, wer will das schon sein, aber so ein bisschen warmes Wasser — man ist doch schließlich keine zwanzig mehr!
Ich begann etwas zu ahnen, am Frühstückstisch wurde es dann grausame Gewissheit!
Es gab keinen Kaffee — aber den hatten wir immer getrunken, sogar als wir noch Osten waren — immer!
Jeden Tag! — und jetzt —, was war das da in der Tasse? Kräutertee?
„Selbst gesammelt!“, kam es von der gegenüberliegenden Seite des Frühstückstisches und nach einem verständnislosen Blick meinerseits, zur weiteren Erklärung:
„Auf einer Wiese!”
Brötchen gab es natürlich auch nicht — zu teuer —,
Knäckebrotscheiben — staubtrocken lagen im vergewaltigten Brötchenkorb.
”Da reicht eine Packung eine ganze Woche!”, musste ich mir sagen lassen.
Mein Hinweis auf den armen Bäcker und seine Verkäuferin, die nun ihre Brötchen nicht mehr an uns verkaufen könnten, half nicht.
„Alle müssen Opfer bringen, wenn Deutschland spart!”, erhielt ich zur Antwort.
Ich konnte nur noch fragen:
”Wer denn noch alles, um Himmels willen?”
„Der Tankstellenpächter, der Kinobesitzer, die Wasserwerke, mein Friseur, die Kneipe an der Ecke, die Handelsketten, die Reisebüros!”, zählte meine Frau auf.
Um überhaupt etwas zu sagen, stotterte ich als Ergänzung zu ihrer Liste: ”Unser Autohändler?”
Nach zwei Jahren zäher innerfamiliärer Verhandlungen hatten wir nämlich kurz vor dem Kauf eines neuen Autos mit riesigem Rabatt und sensorgesteuertem, beleuchteten Handschuhfach gestanden.
„Der etwa auch?”
„Der auch!”, erwiderte meine Frau und ich bemerkte so ein Leuchten in ihren Augen wie es in einem Film, die Schauspielerin der Jèanne d`Arc, kurz vor der letzten Schlacht zur Rettung Frankreichs zur Schau gestellt hatte.
Deshalb murmelte ich nur noch etwas von:
„Kurzarbeit in Wolfsburg!”, trottete dann aber brav zur Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs, denn die Autoschlüssel hatte sie natürlich auch eingezogen,
- wegen des Tankstellenpächters!
„Etwas Bewegung tut dir auch mal wieder gut!”, rief meine Frau mir noch hinterher.
Zum Glück verkniff sie sich den leidigen Hinweis auf die Umwelt, die dadurch geschont werden würde und die langsamere Abtaugeschwindigkeit der Gletscher in den Alpen sowie die direkt an der Existenz der Gletscher hängenden Arbeitsplätze der Skilehrer.
Wo sie Recht hat, hat sie Recht!
Die Jeans zwacken schon irgendwie und wenn ich weiter so wenig zu Fuß unterwegs bin, werde ich mir wohl bald neue Hosen, eine Nummer größer kaufen müssen.
Oder ob das die Konjunktur in Asien gefährdet und ich doch nicht so viel laufen sollte?
Das sind schon Probleme in einer globalen Welt!
Hat nicht unser Nachbar gerade asiatische Aktien gekauft?
Will ich denn wirklich hinter meinem Gartenzaun ein schwermütiges Gesicht sehen, weil seine Wertpapiere ins bodenlose Nichts abgestürzt sind und das alles nur, weil ich statt Auto zu fahren laufe und mangels übermäßiger Gewichtszunahme keine komplett neue Garderobe kaufen muss?
Derartig geistig gerüstet, kehrte ich am Abend frohen Mutes nach Hause zurück, in der festen Absicht dem haushaltpolitischen Spar – Wahnsinn ein Ende zu bereiten.
Meine Frau hatte Kerzen auf den Tisch gestellt!
Natürlich blieb das Licht aus!
Leute! Kerzen!
Es war doch nicht Weihnachten!
Mit allem Möglichen hatte ich gerechnet. Doch sie meinte nur:
„Schön romantisch — was? “
Diesmal ersparte sie mir nicht, einem umfangreichen, wirtschaftswissenschaftlich - ökologisch begründeten Diskurs, über die Notwendigkeit der globalen Stromersparnis folgen zu müssen.
Der zweistündige Vortrag ließe sich in dem Satz zusammenfassen:
„Deutschland hat sich zur Senkung des Schadstoffausstoßes CO2 verpflichtet. Wenn alle Strom sparen, werden weniger fossile Brennstoffe verfeuert und unsere Atmosphäre wird sauberer.“
Eine CD mit Musik aus der Zeit, da die Haare noch etwas länger getragen wurden, erklang derweilen aus der Musikanlage.
Welch eine Stromvergeudung!
Sie hätte ja auch Flöte spielen können!
„Du hast doch nichts gegen die Kerzen?”
, fragte sie noch — in dem Tonfall, der keinerlei Widerspruch zulässt.
Also sagte ich nur:
„Ja — schön romantisch und die Nordseeküste wird nun garantiert auch nicht mehr den steigenden Weltmeeren zum Opfer fallen!“
Zum Abendbrot gab es wieder Kräutertee, - den selbst gesammelten von der Wiese
- wie in Friesland!
Wenn dieser Tag ein Mittwoch gewesen wäre, hätte nun ein mittlerer Krieg in unserem Wohnzimmer begonnen, wegen des Fernsehens.
Mittwoch ist doch Fußball!
So jedoch fügte ich mich, ohne weitere Versuche irgendeines Widerstandes, in das mir zugedachte Schicksal. Scheinheilig hatte mich meine Frau in der Zwischenzeit nämlich gefragt, wann ich denn das letzte Mal ein Buch gelesen hätte.
Sie ahnen es schon — bereits vor dem Abendbrot war von ihr, in heimtückischer Art und Weise, die Fernbedienung des Fernsehers vorsorglich versteckt worden!
Jawohl, es war eine längere Zeit her mit dem Bücherlesen.
Aber muss deshalb gleich die Bildungsdiktatur eingeführt werden?
Und überhaupt, das Fernsehen hat doch auch einen Bildungsauftrag!
Sieht man doch, z.B.: „Du bist Deutschland!”, oder?
Vielleicht war das jetzt gerade das falsche Beispiel?!
Aber in meiner Situation: frierend, ohne das kleinste Bier, zum Fußgänger degradiert und vom Fernsehen abgenabelt!
Da kann man schon schwere Halluzinationen bekommen!
Das sollte mir eine Lehre sein!
Ich nahm mir vor, mein Schicksal unbedingt wieder in die eigenen Hände zu bringen.
Bis zum Mittwoch verblieb schließlich noch etwas Zeit!
Es ist doch wirklich erstaunlich, wohin es führen kann, wenn man sich keine eigene Meinung mehr bildet.
„Ich werde etwas lesen!”, sagte ich laut zu meiner Frau.
„Aber nur, wenn wir morgen über deinen Sparkurs diskutieren!“
Erstaunt ob des schnellen Nachgebens schaute sie zu mir herüber.
Im Stillen dachte ich noch:
„Erhard hilf!”
Da fragte sie auch schon:
„Was liest du denn da?”
„Ach nichts Besonderes, wie immer so eine utopische Geschichte,
„ Zurück in die Zukunft”, log ich.
Dann blätterte ich leise die erste Seite meines
Buches um —
„Ludwig Erhard — Wohlstand für alle“.