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Wüstenmaus

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15.07.2002
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Wüstenmaus

Dies ist mein zweiter Versuch für eine Kurzgeschichte, dieses Mal hier im Bereich Science Fiction. Ich bin auf Eure Kritik gespannt...

Wüstenmaus

Verärgert legte Thomas Linmore das Phasen-Metameter auf den staubigen Boden, blinzelte dreimal kurz um seine Multivision-Brille zu deaktivieren und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hätte die verdammte Phasenspule nicht während des Transports den Geist aufgegeben, würde er jetzt nicht in dieser Wüste festsitzen. Andererseits war er froh, überhaupt noch am Leben zu sein, denn die Wahrscheinlichkeit während eines Transports den Ausfall einer Phasenspule heil zu überstehen, lag eigentlich bei Null. Entweder man würde beim unkontrollierten Phasenwechel in seine atomaren Bestandteile zerstäubt, oder man landete einige Kilometer unter der Erde oder einige Kilometer über der Erde. Das hatte man jedem Transportbegleiter nach der neuronalen Restrukturierung eingebläut. „Wenn während des Transports irgendwas ausfällt, seid ihr am Arsch! Darauf wette ich eins zu einer Milliarde!“, hatte der Supervisor im NERES Center zu ihnen gesagt. Seit dem einzigen Unfall 2121, bei dem ein Transport sein Ziel nicht erreicht hatte, war es nie wieder zu einem Zwischenfall gekommen und das war jetzt bereits fünfzehn Jahre her. Doch er, Thomas Linmore, hatte das verdammte Glück gehabt mitsamt seinem Transport, nur einen knappen halben Meter über dem Boden aufzutauchen. Eins zu einer Milliarde!

Alle Systeme eines Multiphasengenerators waren mehrfach redundant ausgelegt und wurden vor und nach jedem Transport mit aller erdenklichen Sorgfalt gewartet und getestet. Trotzdem hatte bei seinem Generator scheinbar das Kontrollsystem einer Spule komplett den Geist aufgegeben und jetzt saß er in dieser Wüste fest. Da beim Phasenwechsel während des Starts praktisch alle empfindliche Elektronik beschädigt wurde, hatte er kein Compad mitgenommen, also auch keine Chance Hilfe anzufordern. In alle Richtungen nichts als Steine, Sand und Staub. In der Ferne waren vereinzelt ein paar Dornbüsche zu entdecken, am Boden hier und da ein paar braune Grasbüschel, doch sonst nichts. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien die Luft über dem steinigen Boden zum Kochen zu bringen. Außer dem heißen Wind, der über die Ebene hinwegfegte war nichts zu hören. Er musste diese Spule einfach wieder zum Laufen bringen. Mit dreifachem Zwinkern aktivierte er das Reparatur-Hilfesystem der Brille und machte sich wieder auf die Suche nach der Ursache des Fehlers.

Die Wartungsanweisungen der Multivision-Brille hatten ihn auch eine Stunde später nicht weitergebracht. Er hatte jede erdenkliche Fehlerursache untersucht, hatte sich mit den eingeblendeten Schaltpläne und Anweisungen einmal komplett durchs ganze System gearbeitet, doch: nichts, gar nichts! Die Spule schien keine Steuersignale mehr zu bekommen. Warum, das hatte er bis jetzt nicht herausfinden können. Thomas Linmore zwängte sich unter einem Container hindurch und setzte sich im Schatten zweier anderer auf den Boden. Für Zwischenstopps war er nicht ausgerüstet, die waren nicht vorgesehen. Seine trockenen Lippen erinnerten ihn daran, dass er unbedingt etwas zu trinken brauchte. Die Ladung bestand aus dringend benötigten Impfstoffen, die er im Moment eines Augenblicks von Los Angeles nach Tokio hatte begleiten sollen. Er hatte keine Nahrung und kein Wasser dabei, nur zwei sündhaft teure Flaschen Wein, die er einem guten Freund mitzubringen versprochen und unter die Ladung geschmuggelt hatte. Also kramte er die beiden Flaschen aus einem Container hervor und schlug schweren Herzens den Hals einer der beiden ab. Als er die Flasche ausgetrunken hatte, fühlte er, dass er schon einen ganz schweren Kopf vom Wein hatte, legte sich zwischen den Containern in den Schatten und schlief rasch ein.

Im Jahr 2057 wurde von Harry Tsu, dem bedeutendsten Physiker des 21. Jahrhunderts, die Möglichkeit des überlichtschnellen Transports von Materie mittels Phasenwechsels vorausgesagt und 2079 hatte man die notwendigen Technologien entwickelt um den Phasenwechselfeld-Generator zu bauen. Danach versuchte man viele Jahre die Steuerung in den Griff zu bekommen, die notwendig war um den Transport an einem festgelegten Ort wieder auftauchen zu lassen. Doch alles vergebens, keiner der Versuchstransporte kam je an. Man vermutete, dass die zu Beginn des Transports auftretenden Phasenwechsel, Störungen in den empfindlichen Steuerchips hervorriefen. Auch der Versuch, Komponenten zu verwenden, die sich in der Raumfahrt als äußerst robust erwiesen hatten, war ein Fehlschlag.

Im Jahr 2094 hatte ein chinesisches Forscherteam dann überraschend Erfolg und der erste Versuchstransport gelang! Allerdings wurde die Steuerungsaufgabe nicht von einem Computer übernommen, sondern vom komplexesten natürlichen neuronalen Netzwerk: einem menschlichen Gehirn. Die Forscher hatten festgestellt, dass nur wenige, einfach aufgebaute elektronische Komponenten den Phasenwechsel überstanden und hatten deshalb einen Teil des Nervensystems eines Menschen so umstrukturiert, dass sie es zur Berechnung der Steuerungsparameter nutzen konnten ohne empfindliche Elektronik einsetzen zu müssen. Die Fachwelt war erstaunt darüber, hatte man doch geglaubt, dass ein lebendiges Wesen einen Transport mit Sicherheit nicht überstehen würde, denn Versuche mit Affen waren fehlgeschlagen. Doch das meschliche Nervensystem lies sich offenbar vom Phasenwechsel nicht beindrucken, im Gegenteil: Wechselwirkungen zwischen dem Phasenraum und dem Nervensystem vereinfachten die notwendigen Berechnungen. Das Gehirn im ersten Versuch gehörte Tian Hu, die damit zur ersten Transportbegleiterin in der Geschichte der Menscheit wurde. Von ihrem Ruhm hatte sie allerdings nicht viel, denn bereits wenige Monate später starb sie an den Folgen des Versuchs.

In den beiden Jahrzehnten danach wurden die Methoden zur neuronalen Restrukturierung (NERES) entscheidend verbessert und die Transportbegleiter der dritten Generation hatten an keinen Nebenwirkungen mehr zu leiden. Um die Ein- und Ausgaben am Nervensystem zu ermöglichen, wurden unter der Schädeldecke jedes Transportbegleiters Empfangs- und Sendemodule eingepflanzt, die mit einer Unzahl von Nerven verbunden waren und die während des Transports die Kommunikation zwischen den neuronalen Netzen und dem Kontrollsystem des Phasenwechselfeld-Generators sicherstellten. Um die Infektionsgefahr für die Transportbegleiter zu reduzieren, waren die Module auf keine direkte Verbindung nach außen angewiesen, sondern Energieversorgung und Datenaustausch geschahen drahtlos mittels Induktion und Funkübertragung.

Ein entscheidendes Problem aber blieb: nur die Nervensysteme sehr weniger Menschen waren für die NERES Behandlung geeignet. Bei der Mehrzahl der Menschen, war die durch die Behandlung erreichte neue neuronale Konfiguration nicht stabil und ihr Nervensystem lieferte nur wenige Stunden korrekte Ergebnisse, bevor es komplett zusammenbrach. Also musste man mit insgesamt etwa elftausend Transportbegleitern auskommen, bei denen die Ergebnisse der NERES Behandlung stabil waren. Diese hatten ein verdammt gutes Leben, denn das Geld floß nur so in Strömen.

Allerdings waren die zu tranportierende Last und auch die Entfernung beschränkt, denn die notwendige Energie stieg mit wachsendem Gewicht und wachsender Distanz zwischen Start- und Zielpunkt exponentiell an, deshalb wurden Multiphasentransporte nur für besondere Güter und zu besonderen Zwecken eingesetzt. Die Regierungen hatten sich 2107 in einem weltweiten Abkommen darüber geeinigt, dass jeder Transport von der Welttransportkomission genehmigt werden musste und die Privatnutzung von Transporten verboten war.

Doch natürlich gab es, wo viel Geld floss, auch viele schwarze Schafe: Menschen die sich heimlich einer NERES unterzogen und ihre Fähigkeiten für dunkle Geschäfte anboten. Deshalb wurde einige Jahre später eine weltweite Generalverordnung beschlossen, die alle Regierungen verpflichteten jeden Bürger untersuchen zu lassen, ob bei ihm eine NERES stabile Ergebnisse liefern würde oder nicht. Bei einem positiven Ergebnis wurde die betroffene Person fortan streng überwacht, um illegale Transporte auszuschließen. Sie konnte sich frei entscheiden, ob sie weiterhin ihrem normalen Beruf nachgehen oder sich der NERES Behandlung unterziehen wollte. Natürlich entschieden sich praktisch alle für die Behandlung, so auch Thomas Linmore, der die Goldbarren damals schon vor seinen Augen hatte rotieren sehen.

Als Thomas Linmore wieder erwachte, war es kalt und dunkel. Überrascht stellte er fest, dass er den halben Tag verschlafen hatte. Er kroch wieder ins Freie. Der Wind, von dem er am Tag noch das Gefühl gehabt hatte, er wolle ihn in Brand stecken, so heiß war er gewesen, schien jetzt darum bemüht, ihn in einen Eisklotz zu verwandeln. Er musste den Fehler einfach finden, sonst würde morgen sein letzter Tag auf Erden gewesen sein. Entschlossen griff er zur Brille, aktivierte sie und ging nochmals das Fehlerprotokoll durch.

Stunden später, weit nach Mitternacht, riss er sich die Brille wütend vom Gesicht und schleuderte sie in die Dunkelheit. Kein einziger Hinweis darauf wo der Fehler liegen könnte, der ganze Generator schien in Ordnung zu sein und doch... Da kam ihm ein Gedanke. Er lief in die Dunkelheit um die Brille zu suchen und fluchte laut als er sie fast mit dem Fuss zertreten hätte. Er rannte zurück zum Transporter, setzte die Brille auf, rief mit einigen Handbewegungen die entsprechende Sektion im Kontrollprogramm auf und wartete. Augenblicke später hatte er Gewissheit. Drei seiner Com-Chips hatten den Geist aufgegeben oder es war sonst ein Fehler in seinen neuronalen Netzwerken aufgetreten. Auf jeden Fall wurden die Berechnungen nicht mehr vollständig ausgegeben. Das war also der Grund warum die Steuerung der Spule nicht mehr funktionierte: sie konnte nicht mehr funktionieren, weil sie keine Signale mehr erhielt.

Thomas Linmore blätterte verzweifelt in den Notfallprozeduren, doch für den Ausfall während eines Transports war nichts vorgesehen, denn dieser musste eigentlich immer tödlich enden. Und selbst wenn es eine Prozedur gegeben hätte, hätte diese nur ein Chirurg in einem Krankenhaus durchführen können. Der Wind legte sich für einen Moment und da hörte er ein leises Rascheln aus Richtung des Generators. Was war das? Er näherte sich mit der Multivision-Brille dem Generator und stellte auf Sonicview um. Auf dem Bereich des Brillenbilds wo auch das Kontrollmodul war, erschien ein kleines grünes Rechteck, das anzeigte, wo die Quelle des Geräusches lag. Er schaltete die Brille in den Suchmodus und wählte die Wärmebildansicht. Irgend ein kleines Tier hatte einen Weg aus der kalten, windigen Wüstennacht in das warme Kontrollmodul gefunden. Thomas Linmore musste trotz seiner Verzweiflung lächeln, er war also doch nicht ganz allein.

Im nächsten Moment hörte er, wie der Generator zu summen begann und der Transporter vor ihm verschwand. Thomas Linmore stand verdutzt in der Wüstennacht, um ihn herum nichts als Stille und eine Flasche kalifornischen Rotweins neben ihm am Boden.

Die Aufregung im Transportkontrollzentrum in Tokio war gross, als der Transport IX7W3 mit 15 Stunden, 25 Minuten und 3 Sekunden Verspätung eintraf. Es war ein grosses Glück, dass auf dem stark frequentierten Landebereich an der Stelle, an der der Transport auftauchte gerade nichts und niemand anderes stand. Ein Landekontrollteam stürmte auf den Transporter zu und stellte fest, dass kein Transportbegleiter anwesend war.

Leise und unbemerkt kroch die Mongolische Wüstenmaus aus dem Kontrollmodul, purzelte zu Boden und putzte sich Ihre Pfoten, die noch vom elektrischen Strom kribbelten, der gerade noch durch sie geflossen war. Die dunklen runden Augen erspähten einen nahen Schatten, der es wert schien, sich in seinem Schutz zu verstecken und die Wüstenmaus verschwand unter einem der vielen Container.

Epilog

Eine abschließende Untersuchung brachte kein Ergebnis. Die Ursache des Verschwindens von Thomas Linmore konnte von der Komission nie geklärt werden.
Das verspätete Eintreffen ohne einen Transportbegleiter hätte technisch unmöglich sein müssen. Musste es doch bedeuten, dass der Transport einen Zwischenstop eingelegt hatte, dort verweilt war und dann ohne Transportbegleiter und somit ohne Steuerung weitergereist war.

 

Hi.

Eine schöne Geschichte, mit einem ziemlich überraschenden Ende. Der Anfang ist vielleicht etwas zäh. Bis man versteht worum es eigentlich geht muss man sich schon etwas überreden weiter zu lesen (Phasen-Metameter, Multivision-Brille, Phasenspule, Phasenwechsel, NERES Center,...), aber die Theorie über diese Transporttechnik ist recht anschaulich erklärt. Der Schreibstil ist insgesamt auch sehr angenehm zu lesen. :cool:

Einige Fragen bleiben offen:
Du sprichst im Zusammenhang mit dieser Gehirnbehandlung von defekten Com-Chips, die nur ein Chirurg reparieren könnte. Wie kommt die Maus an diese Dinger? :dozey:

Und wenn nur "wenige, einfach aufgebaute elektronische Komponenten den Phasenwechsel überstanden", leidet dann die transportierte Ware da nicht zu sehr?? ;) :D

Zur Grammatik kann ich nichts definitives sagen (hab da Schwächen :aua: ) aber mir ist in der Richtung nichts fehlerhaftes aufgefallen.

Gruß, bd

 

Hallo asgard,

abgesehen davon, dass der Text arg mit Technogebabbel angefüllt ist - meiner Meinung nach zu sehr -, dass die eigentliche Handlung nur nebenbei abläuft - meiner Meinung nach zu nebenbei (und vor allem zu unvorbereitet), kommt mir die Sache mit den Phasenschiffen, die Güter von einem Punkt auf der Erde zu einem anderen transportieren, verdammt bekannt vor. Das muss aber wirklich Jahre sein. Kannst du da meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?

Anmerkung für die Moderatoren: Nein, ich unterstelle asgard keinen Ideenklau! Die Geschichte, an die ich glaube mich zu erinnern, hatte (abgesehen von den Phasenschiffen) einen ganz anderen Inhalt (wenn ich mich richtig erinnere).

Klaus

 

Hi braindrain,

dass wohl etwas viel Technikkram in die Geschichte reingeraten ist gebe ich zu... Da ich das aber spannend finde, ist mir natuerlich nicht aufgefallen, dass jemand anderes dabei vielleicht einschlaeft... Werde ueberlegen, wie ich dem Ganzen etwas mehr Klarheit geben kann...

Du sprichst im Zusammenhang mit dieser Gehirnbehandlung von defekten Com-Chips, die nur ein Chirurg reparieren könnte. Wie kommt die Maus an diese Dinger?
Ok, ich hatte das Ende der Geschichte umgeschrieben und dabei ist mir ein wichtiger Absatz gekommen: die Wuestenmaus ist ueberraschenderweise eine Spezies, die keine Chips braucht, sondern, entsprechende Naehe zum Steuermodul vorausgesetzt, direkt Signale aufnehmen und senden kann... Aber nachdem ja niemand mehr die Maus sieht, konnte ich schlecht, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen angeben... :)

Und wenn nur "wenige, einfach aufgebaute elektronische Komponenten den Phasenwechsel überstanden", leidet dann die transportierte Ware da nicht zu sehr??
Das ist natuerlich war... Hmm... Kann man halt nur andere Gueter transportieren. ;)

Grammatischwaechen ich auch hab :aua: ;)

Danke fuer die Kritik...

Hi sternenkratzer,

Ok, mit dem Technogebabbel stimme ich Dir zu, wahrscheinlich muesste man fuer diese Menge Details eine laengere Story schreiben... Wie schon oben gesagt, ich ueberlege ob und wie ich die Story aendern kann.

Also die Sache mit den Phasenschiffen, so wie ich sie hier dargelegt habe, habe ich mir frei ausgedacht. Ich kann mich auch nicht erinnern, das so in dieser Art schon gelesen zu haben, aber es gibt zum Thema "schneller Transport" natuerlich viele, viele - oft aehnliche - Ideen in Stories. Habe aber nicht abgekupfert! Sollte zufaellig jemand die von Dir erwaehnte Story kennen, waere ich auch neugierig darauf...

Goeran

 

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