- Beitritt
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Wüstenfahrt
WÜSTENFAHRT
„Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat...“ Caroll hatte ihren Kopf an das Fenster gelehnt und betrachtete sich in dem schmutzigen Seitenspiegel. „Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat...“ Dann sah sie rüber zu Arthur, der krampfhaft das Lenkrad umklammert hatte. „Arthur?“ Caroll schloß die Augen. „Wie lange noch?“
Arthur hustete und spukte dabei Blut aus. „Weiß nicht... ein paar Meilen noch.“ Er sah sie nicht an.
„Ein paar Meilen noch.“ flüsterte sie. Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat... Sie sah wieder in den Seitenspiegel. Die Flecken in ihrem Gesicht... Kleine rote Flecken. Wie bei Arthur. „Kitty Cat entd...“ Ein Hustenanfall unterbrach sie. Keuchend hielt sie sich eine Hand vor den Mund. Oh nein, dachte sie. „Es geht los.“ flüsterte sie und sah Arthur gequält an.
„Ja.“ antwortete er ihr. „Ein paar Meilen noch... Schlaf doch ein wenig.“
„Schlaf?“ Sie lehnte sich erneut an das Fenster. Schlaf... Und nie mehr aufwachen. Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat... Seit sie durch die Wüste fuhren, hatte sie diesen Reim im Kopf. „Woher nur...“ murmelte sie. „Weiß nicht, woher...“
Arthur sah sie kurz an und lächelte. Er streckte seinen rechten Arm zur Seite und berührte sie an der Schulter. „Schlaf, Caroll. Bald...“ Bald haben wir es hinter uns, dachte er und sah wieder auf die staubige Straße, auf der sie sich seit Stunden befanden. Langsam wurde es dunkel. Arthur hatte nicht vor, die Scheinwerfer einzuschalten.
Fliegende Gestalten mit verzerrten Fratzen auf langen Besen begleiteten sie. Arthur wußte, daß sie nicht real waren... daß sie nur in seinem Kopf existierten. Nicht einmal Caroll hatte sie gesehen. Wird sie noch früh genug, redete er sich ein. Aber im Grunde genommen war es ihm egal. Es hätten genau so gut Elefanten auf Fahrrädern sein können... Eine der Gestalten flog ganz dicht an ihn heran. „Ja, ich kann dich sehen.“ flüsterte Arthur. Obwohl es dich gar nicht gibt, fügte er in Gedanken dazu. Er sah aus dem Fenster. Die Gestalt grinste ihn an. „Was?“ Du bist nicht real...
„Arthur! Pass auf!“ zischte die Gestalt ihm zu.
„Was?“ Er sah wieder nach vorn. „Oh Scheiße!“ Er machte eine Vollbremsung und kam nur wenige Meter vor einem anderen Wagen zum Stehen. „Das gibt’s doch nicht...“ Arthur lehnte sich zitternd zurück. „Caroll?“ Er packte ihren Arm. „Caroll!“ Er sah wieder nach draußen. Die fliegenden Gestalten waren weg. Aber vor ihnen, mitten auf der Straße, stand ein Wagen. „Caroll, verdammt!“ Arthur schüttelte sie ein wenig. „Wach auf, Schatz.“
„Warum haben wir angehalten?“ fragte sie gähnend.
Er sah sie an. Ja, wenn Caroll einmal schlief, dann konnte sie nichts so leicht wieder wachbekommen. Nicht einmal eine Vollbremsung. „Da steht ein Wagen... vor uns auf der Straße.“ sagte er und deutete nach vorn.
Caroll richtete sich auf. „Oh.“
„Ja.“
„Was...“ Sie sah ihn fragend an. „Und?“
„Ich werde mir das mal ansehen.“ sagte er und wollte aussteigen.
Caroll hielt ihn zurück. „Nein, laß uns einfach weiterfahren. Es kostet nur Zeit.“
Arthur überlegte kurz. „Ich werde mir das mal ansehen.“ Dann stieg er aus.
Vorsichtig näherte sich Arthur dem anderen Wagen. Er sah in einiger Entfernung die fliegenden Gestalten. „Geht weg! Verschwindet!“ Jetzt konnte er erkennen, daß sich noch jemand im Wagen befand. „Hallo?“ rief er. Die Gestalten waren weg. Er lächelte kurz. Dann machte er zwei schnelle Schritte und öffnete die Fahrertür.
„Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat...“ Caroll kaute nervös an ihren Fingernägeln. Arthur hatte die Fahrertür geöffnet und dann einen Schritt nach hinten getan. Was geht da vor? Kitty Cat entdeckt die Hex... Was ist da in dem Wagen? Menschen? Tote Menschen? Caroll sah, wie Arthur sich auf den Knien abstützte und sich übergab. Oh Gott... Sie machte die Tür auf und stieg trotz ihrer Angst aus. „Arthur?“ Er hob einen Arm. „Bleib im Wagen, Caroll!“ hörte sie ihn rufen. Sie nickte und stieg wieder ein. Arthur hielt sich die Hand vor sein Gesicht und beugte sich in den Wagen hinein. „Nicht doch...“ flüsterte Caroll. Was tut er da? Warum tut er das? Arthur schlug die Tür des anderen Wagens wieder zu und kam zu ihr zurück. In seinen Händen hatte er etwas... Was ist das? Dann erkannte Caroll es. „Eine Zeitung...“
Arthur stieg wieder ein und startete. „Sieh nicht hin, Schatz.“ sagte Arthur, während er den Wagen am anderen vorbeilenkte. „Sieh nicht...“ Zu spät. „Ja.“ Mehr konnte er nicht sagen, als er Carolls entsetzen Gesichtsausdruck sah. „Ja....“ Und so werden wir auch bald aussehen. Vor ihm flog eine Gestalt mit einer verzerrten Fratze auf einem langen Besen. Hallo, dachte Arthur. Schön, daß du auch da bist.
Sie waren die ganze Nacht durchgefahren. Arthur hatte kein Auge zugetan... er war auch nicht besonders müde. Caroll hingegen... Er lächelte. Sie hat diese Gesichter von den Leuten im Wagen gesehen, dachte er. Und trotzdem war sie eingeschlafen. Als es hell wurde, hielt er an. Ob ich sie wecken soll? Er schüttelte den Kopf. „Schlaf noch ein bißchen, Schatz.“ Er nahm die Zeitung von der Rückbank. „17. März...“ murmelte er. Vor vier Tagen. Auf der Titelseite stand mit dicken fetten Buchstaben ‚Seuche breitet sich aus!‘. Oh ja, dachte Arthur. In der Tat. Er hörte, wie Caroll leise hustete. Mal sehen... „Ah...“
...Sperrzonen im Norden und Westen des Landes... Lager nur für Typ A und AB-Negativ... staatliche Zeugnisse erforderlich... Ausnahmezustand seit 15. März...
„Scheiße.“ fluchte Arthur und warf die Zeitung weg. Er stieg aus dem Wagen und sah sich um. Wüste. Endlose Wüste. Und vor ihm eine endlose Straße. Schmutzig... staubig. Dann erwachte Caroll. Er stieg wieder in den Wagen. „Wie geht es dir?“
„Ich hab geträumt.“ sagte sie knapp.
„Und was?“ Sag es nicht, ich weiß es bereits...
„So komische Sachen... Seltsame Gestalten...“
Arthur unterbrach sie. „... mit verzerrten Fratzen auf langen Besen...“
„Woher?“ Erstaunt sah sie ihn an.
„Ich kann sie auch sehen. Sogar am Tag.“ Er nickte. „Vergiss es. Okay?“
Caroll zuckte mit den Schultern. „Was ist mit der Zeitung?“
Er winkte ab. „Da steht nichts drin, was für uns wichtig wäre.“ Lüge... Du bist ein Lügner. „Glaub mir, bald haben wir es geschafft.“ Sie lächelte. „Ich hatte auch nur angehalten, weil ich pinkeln mußte. Was ist mit dir?“
„Nein...“
Arthur hustete. „Laß uns weiterfahren.“
Caroll kurbelte das Fenster herunter. Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat... „Arthur?“
„Ja.“ Er drehte sich zu ihr um. „Caroll?“ Wußte sie, daß er...
„Wenn wir da sind. Ich meine, wir werden dort nicht die einzigen sein.“
„Werden wir bestimmt nicht, ja.“
„Wir haben nichts bei uns. Keine Papiere, gar nichts. Und lumpige vierzig Dollar und zwei Kanister Benzin... Kekse... Wasser...“
Arthur kratzte sich am Arm. „Na, besser als nichts. Es wird reichen. Vertrau mir.“
„Kann ich das?“
„Ja. Und jetzt laß uns weiterfahren.“ Arthur sah in den Rückspiegel. Fliegende Gestalten mit verzerrten Fratzen auf langen Besen. Geht weg! Dann fuhr er los. Ob Caroll sie auch gesehen hatte?
Unterwegs waren sie an mehreren Autowracks vorbeigekommen. Immerhin hatte Arthur so noch einen ganzen vollen Kanister Benzin zusammenkratzen können. Weitere zwei Tage Fahrt waren möglich. Er war froh, daß sie Carolls Wagen genommen hatten. Wenig Verbrauch... sehr wenig.
„Arthur?“ rief Caroll.
Er machte den Hosenstall zu und ging zurück zum Wagen. „Was ist?“
„Siehst du sie?“ Caroll zeigte hinter ihn. „Da hinten.“
Arthur drehte sich um. Die Sonne blendete ihn. „Wo?“
„Da... da hinten. Fünfhundert Meter ungefähr...“
Fliegende Gestalten mit verzerrten Fratzen auf langen Besen. „Ja.“ Er hustete. Jetzt sehen wir sie also beide. „Begleiterscheinungen, Schatz. Du kannst sie sehen, ich kann sie sehen... jeder wird sie wohl sehen können.“ Er stieg ein. „Und du mußt wirklich nicht?“
„Nein.“ Caroll schüttelte den Kopf. „Erstaunlich, oder?“
„Hm.“ Er sagte nichts dazu. „Nur noch ein paar Meilen.“
Caroll schloß die Augen und lehnte sich an das Fenster. „Das sagst du jeden Tag...“ Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat... Verdammt, woher kennst du das nur?
„Arthur!“ zischte der Elefant auf dem Fahhrad.
Caroll schlief, ab und zu leise hustend... Arthur sah stur gerade aus. „Was willst du?“
„Arthur!“
„Geh weg...“ Du bist nicht real... nicht real... nicht real...
„Du Lügner!“ Der Elefant fuhr davon. Sekunden später fuhr er direkt vor ihm auf der Straße. „Fährst in die falsche Richtung... mit Absicht... Lügner... falsche Richtung... Absicht... Lügner...“
„Ich tue das Richtige!“ flüsterte Arthur.
„Nein... bieg jetzt ab... nach links... fünf Meilen... dann bist du kein Lügner mehr! Tue dort das Richtige...Jetzt...“
Arthur bog links ab. Der Elefant verschwand. Bin ich dich endlich los, dachte Arthur. „Fünf Meilen...“
Er stand am Rand der Schlucht und sah hinunter. Arthur schätzte die Tiefe auf dreihundert... vielleicht dreihunderfünfzig Meter. „Das ist doch krank.“ sagte Arthur kopfschüttelnd. „Scheiße.“ Aber der Elefant hatte Recht gehabt. „Keine Lügen mehr... nie mehr.“ Zulange hatte er Caroll belogen, was die Seuche betraf. Er ging zurück zum Wagen und stieg ein. Sie schläft immer noch, stellte er fest. Er sah sie an. „Caroll?“ Sie bewegte sich etwas. „Wir sind da.“ Dann machte er die Tür zu und fuhr langsam auf den Rand der Schlucht zu...
Als der Wagen in die Tiefe stürzte, flogen Gestalten mit verzerrten Fratzen auf langen Besen um den Wagen herum. Keine Lügen mehr, dachte Arthur. Kitty Cat entdeckt die Hex... die Hex entdeckt Kitty Cat... Mit einem Lächeln starb Arthur, während Caroll schlief um nie wieder aufzuwachen...
ENDE
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13.02.2002
[Beitrag editiert von: Poncher am 14.02.2002 um 13:57]