Wüste
Ich kann micht nicht bewegen. Ich sehe nur das Blau des Himmels durch die Schlitze meiner Augenlider. Nicht einmal diese fühle ich mich noch imstande zu bewegen.
Mein Kopf liegt schwer im Sand. Mein trockener Hals schreit förmlich nach Wasser. Die Hitze drückt wie eine schwere Decke auf mich nieder. Ich spüre meinen Körper nicht mehr.
Weisse Flecken tanzen wild vor meinen Augen. Das sind die Halluzinazionen, die man hat, wenn man mitten in der Wüste liegt, und die Gehirnwindungen langsam zu schmoren beginnen.
...
„Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt über dem sudlichen Teil der Sahara. Geniessen sie die Aussicht über diese endlosen Sandweiten. Bedenken Sie, dass es dort unten über 50 Grad heiss ist. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Flug.“ Das Klicken, das folgte, hörte Robert genausowenig wie die ganze Ansprache des Piloten. Er sass nur da, den Ellenbogen auf der Armlehne aufgestützt, und schaute verträumt zum Fenster hinaus.
Weisser Sand, soweit das Auge reicht. Weiss, immer nur weiss. Wie monoton.
Der dunkle Punkt mitten in den weiten dieser trostlosen Wüste riss ihn aus seinen Tagträumen. Er kniff die Augen zusammen, um diese Erscheinung genauer zu mustern. Was zum Teufel war das?
pflumps !
Schneider, Roberts Bruder, atmete einen gewaltigen Luftzug der Erleichterung aus. Ausser beim Sex war es einem doch nirgends so wohl wie auf der Toilette, dachte er. Er genoss das angenehme Klima auf der Flugzeugtoilette und den ihm vertrauten Duft seiner Fäkalien. Er träumte noch ein Weilchen von seinen bevorstehenden Ferien in Südafrika, dann wischte er sich den Dreck vom Anus und drückte den Knopf für die Spülung. Ein lautes Zischen ertönte, und nach einem Augenblick des Druckabbaus wurde seine Scheisse mit einem gigantischen „Plopp“ aus dem Flugzeug befördert. Wie aus Erleichterung gurgelte die Toilette zufrieden.
...
Wie lange werde ich noch leben? Wann wird der letzte Tropfen des Wassers in mir vertrocknet sein? Wann wird nur noch das vertrocknete Leder meiner Haut meine Knochen bedecken?
Niemand wird mich entdecken. Ich werde vom Wüstensand, der sich jetz schon an meiner Seite aunzuhäufen scheint, zugedeckt sein.
Ich beobachte weiter die weissen Schwaden, die sich tänzelnd über mich lustig zu machen scheinen. Doch plötzlich sehe ich etwas, das nicht ins vertraute Bild passt. Was ist das?
Ein kleiner, schwarzer Punkt hat sich zu den weissen Gebilden hinzugesellt. Was zum Teufel ist das? Nun erkenne ich, dass dieser Punkt immer grösser wird. Wird das Ding genau auf mir landen? Eigentlich ist das egal, ich bin ja sowieso schon so gut wie tot.
...
„.. und nun zu den Nachrichten!“
Robert sass vor dem Fernseher, eine Bierdose in der linken, die Fernbedienung in der rechten Hand. Die Bräune seines Südafrikatrips war ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. Schneider, sein Bruder, sass neben ihm.
Sie waren inzwischen wieder zuhause.
Robert hatte sich die ganze Zeit den Kopf über diesen schwarzen, kleinen Fleck, mitten in der Wüste Afrikas zerbrochen, und dem Fernseher kaum Aufmerksamkeit geschenkt.
„...hat man einen grausigen, aber auch seltsamen Fund gemacht..“
Robert traute seinen Augen nicht. Da sah man eine ausgedorrte Leiche, mitten im Wüstensand. Ihr Kopf war bedeckt mit einer braunen Kruste, aus der weisse Stoffetzen hervorragten.
Robert und Schneider sahen einander an. Einen Augenblick später lachten sie wie Idioten.
[ 18.06.2002, 11:46: Beitrag editiert von: QuentinT ]