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Würfel
Einmal fand ich einen Würfel. Er lag einfach auf der Straße. Links und rechts blickend, hoffend oder fürchtend seinen Besitzer zu entdecken hob ich ihn auf. Holz, der Würfel war aus Holz. Die Kantenlänge betrug etwa fünf, sechs ... vielleicht auch sechseinhalb Zentimeter. Ich betrachtete ihn im Licht. Da waren ganz eindeutig Kratzer auf den Oberflächen, er hatte einiges durchgemacht. Abschätzend hielt ich ihn in der Hand. Er wog nicht besonders viel, zumindest weniger als ich es erwartet hätte. Bei genauerem Hinsehen bekam ich den Eindruck, der Würfel sei unvollkommen. Manche Kanten länger als andere. Das verwarf ich aber wieder. Ich warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Und warf ihn wieder in die Luft, diesmal aber so, dass er in eine Drehbewegung versetzt wurde. Ich fing ihn wieder auf, etwas unsicherer als das erste Mal. Wieso hatte ich diesen Holzwürfel gefunden ? War das Schicksal ? Gedanken fluteten mein Bewußtsein. Ich stellte mir vor, dieser Würfel beherberge ein ganzes Universum. Unzählige Galaxien, Sonnensysteme, Planeten, Intelligenzen, eine eigene Zeit. Wäre dann aber eine Kugel nicht viel geeigneter ? Die Vollkommenheit der Schöpfung, nein, Vollkommenheit ist falsch: das allumfassende der Schöpfung benötigt als Form eine Kugel. Alles andere wäre undenkbar. Wieso hatte ich eigentlich einen Würfel und keine Kugel gefunden ? Schicksal, eindeutig. Neuer Gedanke, der Würfel beherbergt einen Teil von mir. Dinge, die ich verloren oder verlernt oder vergessen habe. Ein abgesplittertes Fragment meiner selbst, nun wiedergefunden und darauf wartend in das Ganze eingefügt zu werden. Ich betrachtete sorgfältig was ich in meinen Händen hielt.
Ich stellte fest, es war ein Würfel.