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Wärme

Oha

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16.05.2010
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Wärme

Frischer Schnee macht die Welt so wunderbar schön. Gleichmäßig strahlt sein Weiß von überall her. Was zuvor ein Chaos aus Eindrücken war – vielleicht ein felsiges brachliegendes Baugrundstück, vielleicht eine schlecht betonierte Straße mit Schlaglöchern und in allen Abstufungen von Grau, vielleicht eine Wiese, auf der noch einige Überreste herbstlich verfärbter Blätter vor sich hinrotteten, wird mit Schnee zu ein und derselben glänzenden Fläche. Man bleibt stehen und bewundert die Welt – ohne sich dessen bewusst zu sein – weil sie nun so einfach geworden ist. Weil man sie nicht mehr ordnen muss, denn die Natur hat es bereits für einen erledigt. Doch alles ist vergänglich. Auch die Kälte, auch der Schnee. Das Entscheidende ist jedoch nicht das Ende, sondern, dass durch die Vergänglichkeit jeder Zeitpunkt immer nur ein Moment des Übergangs ist. So auch gerade jetzt, als sich ein kleiner störrischer Junge auf die Straße setzt, weil er mit sich selbst gewettet hat, dass er der Kälte standhalten könne, so lange er will. Es ist der Moment, an dem die Schneehöhe nicht mehr eindeutig bestimmt werden kann. Die Straßen haben alles weiß verloren. Sie strahlen allenfalls noch, weil vereinzelt die Sonne vom Schmelzwasser reflektiert wird. An ihren Rändern türmen sich einige unregelmäßige Hügel aus brauner feuchter Masse. Im Durchschnitt fünf oder fünfzehn oder wer weiß schon wie viele Zentimeter hoch. Auf den Wiesen kommen die Herbstblätter wieder zum Vorschein und nur hier und da hat sich noch ein hauchdünner Klecks gerettet. Trotzdem ist es noch eisig, viel zu kalt für einen kleinen störrischen Jungen, der nicht mehr trägt, als Fleecejacke und Jeans.
Die Passanten sehen etwas verwirrt drein, wenn sie an ihm vorbeigehen. Aber eigentlich darf ja wohl jeder machen, was er will, oder nicht?, denken sich die meisten. Das ist auch das, was der kleine störrische Junge den wenigen besorgten Frauen, die sich um ihn kümmern wollen, sagt. „Nennt mich doch einfach 'der da'.“, motzt er sie an, wenn er nach seinem Namen gefragt wird und denkt sich, dass das doch nicht auszuhalten ist, wie alle einen immer bemuttern müssen. Außer seiner Mutter vielleicht, denn die hat ihn noch nicht gefunden.
Er will es schaffen, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang nicht zu frieren und es scheint ihm zu gelingen. Ganz entspannt sitzt er da und sobald ein Zittern seinen Körper zu durchdringen beginnt, wiederholt er sein Mantra „Es gibt keine Kälte. Du bist stark. Es gibt keine Kälte. Du bist stark.“ und beobachtet wie zur Bestätigung den Schnee beim Schmelzen. Mittlerweile sind ein paar Leute stehen geblieben, aber das interessiert ihn nicht – schließlich ist er störrisch und klein genug, um zu verstehen, dass die Menschen nicht dem Schlechten skeptisch gegenüberstehen, sondern dem, was sie nicht verstehen. Er selbst versteht sich auch nicht, aber das ist ihm egal, er will sich ja nur zeigen, dass er einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ohne zu frieren draußen verbringen kann. Und es scheint zu klappen. Die Nacht geht vorbei, er weiß zwar, dass es kalt ist, aber er verbietet seinem Körper, das zu fühlen. Punkt. Aus. Erfolg.
Der Morgen graut. Seine Mitschüler kommen auf dem Weg zum Unterricht an ihm vorbei. Sie grinsen ihn an und gehen weiter. Nur sein bester Freund Luca nicht. „Wow, hats geklappt?“, fragt er. Der kleine störrische Junge nickt. Er meint, er wisse schon gar nicht mehr, was frieren bedeute. Luca blickt auf seine Armbanduhr: „Noch drei Stunden“ - und setzt sich dazu. Er wird die ersten Schulstunden mit seinem Freund zusammen schwänzen. Das hat er noch nie gemacht, aber sein Freund sieht schon leicht bläulich aus und er hat mal gelernt, dass man in der Kälte enger zusammenrücken soll, damit man nicht friert. Also rutscht er ganz nah an den störrischen kleinen Jungen heran und reibt ihm ein wenig die Schultern, um ihn aufzuwärmen. Es scheint zu klappen. Da, wo sich die beiden berühren strömt Wärme durch den völlig ausgekühlten kleinen Jungen. 'Welch ein Gefühl.', denkt der sich und gibt zu, dass er es schön findet. Doch zugleich wird er auf einmal seiner Umgebung gewahr und überall da, wo ihm sein Freund keine Wärme spendet, bricht eine bitterkalte Woge auf ihn herein, als ob sich die vergangenen einundzwanzig Stunden nun auf einmal an ihm rächen wollten. „Es gibt keine Kälte. Du bist stark!“, brüllt er verzweifelt auf. Doch es klappt nicht. Bereits wenige Minuten später kann er es nicht mehr aushalten, springt auf und sprintet durch den Schneematsch in Richtung warmer Badewanne. Und so störrisch er auch ist, muss er sich doch eingestehen, dass er die Wette gegen sich selbst verloren hat.

 

Hallo Oha,

der kleine, störrische Junge kommt leider zu oft vor. Suche dir Synonyme dafür.

Etwas unlogisch finde ich, dass du am Anfang sagst

weil er mit sich selbst gewettet hat, dass er der Kälte standhalten könne, so lange er will

und am Ende

Und so störrisch er auch ist, muss er sich doch eingestehen, dass er die Wette gegen sich selbst verloren hat.

Wieso hat er die Wette verloren? Er ist doch freiwillig aufgestanden und solange sitzengeblieben, wie er wollte, oder?

Fehler konnte ich in der Kürze der Zeit (ist schon spät) keine entdecken. Vielleicht ein paar Absätze einbauen, das macht es insgesamt leichter lesbar.

Der Anfang, bevor die Handlung beginnt, ist es mir etwas zu geschwätzig. Ich glaube weniger wäre hier mehr.

Obwohl mir die Geschichte nicht schlecht gefällt, gehört sie meiner Meinung nach nicht in die Rubrik Alltag, eher in Seltsam. Ein Alltagserlebnis sollte einen realistischen Ansatz haben und ein „kleiner, störrischer Junge“, der über Nacht, mehr als zwanzig Stunden, in der Kälte, mitten auf der Straße sitzt, ohne von Autos angefahren zu werden oder von einem einsichtigen Passanten, der neben dem Glotzen auch noch eine Gefühl für Mitmenschen hat, ins nächste warme Haus geschleppt zu werden, ist alles andere als realistisch. Als Satire ist es zu wenig pointiert und scharf.

Grüße

Resi26

 

Danke für die Rückmeldung,

dass der "kleine störrische Junge" häufiger vorkommt ist durchaus Absicht. Aber du hast Recht, ein paar Mal weniger würde dem Ganzen sicher guttun.
An der Formulierung mit der Wette kann auch noch was gemacht werden. So wie du zitierst ist das in der Tat unplausibel (auch wenn ich später mit "Er will es schaffen, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang nicht zu frieren und es scheint ihm zu gelingen." noch präzisiere. Vielleicht kommt hier "24 Stunden" rein). Bei der Wette geht es für mich insbesondere um die Differenz zwischen vernünftigem (oder sagen wir: Verstandesgelenkten) Wollen und affektivem Wollen. Von daher gefällt es mir auch, dass du darüber stolperst.

Das mit den Kategorien im Forum werde ich mir noch einmal genauer ansehen. Danke für den Hinweis. Klargestellt sei hier aber: Die Geschichte soll sicherlich keine Satire sein. Sie will nicht verhöhnen oä.

Grüße

 

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