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Vorhang auf

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20.12.2001
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Vorhang auf

Ein Raunen erobert den Saal, Frauen jubeln hysterisch und Plüschtiere gehen zu Boden.
Überall Blumen - jeder hat, bekommt oder nimmt welche – von oder für zu Hause.
Vorhang auf für die große Unterhaltung. Es ist wieder soweit.
Eltern halten ihre minderjährigen Töchter und Söhne zurück – Blitzlichtgewitter.
Vorhang auf für den Kindervorspielabend in der Musikschule!
Töne die man bis ins Mark zu fühlen glaubt, Rythmen, die sofort ins Blut gehen – oder auf das Herz. Stimmungswechsel garantiert, inklusive Panik.
Panik, Angst, Euphorie, Schwermütigkeit und Enttäuschung, daß das Geld zum Fenster rausgeworfen ist – Wut über die Unfähigkeit des kleinen Balgs und wieder Panik.
Immer wieder Panik. Tür zu, Flachmann auf!
Locker bleiben. Entspannen! Tief durchatmen, noch mal Glück gehabt.
Es spielt ja gar nicht das eigene Kind.
Da vorne, das ist nur Lukas. Flasche wieder zu.
Lukas hat keinen epileptischen Anfall – ihm geht es gut.
Er darf heute seine ältere Schwester mit Klanghölzern begleiten,
während sie das Tick-Tick-Tick-Lied am Klavier spielt.
Lukas Schwester ist 5 Jahre alt und beide sind virtuos.
Sie leben für die Musik - sagen zumindest ihre Eltern.
Bewundernswert, was Eltern alles in die Bitte des Kindes hinein interpretieren, wenn es nach einzelnen Notenblättern verlangt, weil es eigentlich nur auf der Rückseite malen will.
Das ist noch wahre Begeisterung, ganz ohne Alkohol oder Geld – eben jenseits der Arbeit oder Politik. Peinlich irgendwie. Flasche auf, was soll´s.
Ein Goldstück ist einmal mehr die Parademoderation der Lehrerin, die irgendwie immer Schubert, Schumann und Schimmel verwechselt – klingt eh alles irgendwie gleich gut und hat auch irgendwie alles mit dem Klavierspielen zu tun.
Das findet übrigens auch Johann Sebastian der in einem protzigen Rahmen über allem thront – thront und erduldet. Beethoven hätte wenigstens Grund zum Lächeln gehabt und die Leute sind vom Sockel. So ist dann erst mal Pause.
Nur noch eine halbe Stunde, sagt die Musikschullehrerin und alle älteren Männer machen erstaunt murmelnd auf intelektuell mit ihren verworrenen Bärten, bevor sie nach draußen gehen, um sich „einen anzulöten“ oder wenigstens „eine durchzuzieh´n“.
Es geht wieder los – schwammigen Blickes und entfernt schwummernder Akkustik fragen wir schnell noch mal nach einzelnen Notenblättern mit freien Rückseiten und lassen uns sogleich von den Berufsoptimisten eindecken.
Auftakt im Duett mit Überraschungsgast aus dem Publikum, dem ein Tamborin entgegengeflogen kommt, das er geschickt mit der Stirn auffängt.
Durch die Notenblätter hat man ein Stein im Brett bei der taktvollen Lehrerin. Vielleicht ist es aber auch der verwegene, kindstreue Silberblick, da man ordentlich knille ist.
Man bleibt verschont und zeichnet kreativ.
Lukas älteste Schwester spielt danach auf der Violine, die so herrlich verstimmt ist, daß dann auch gleich das Instrument Erbarmen zeigt und eine Seite reißen läßt.
Als dann nach zwei Stunden das eigene Kind spielt, verliert so manch einer die Fassung und manch anderer alles, an das er sich mit beiden Händen festkrallt, bevor er bei Aussetzen der Körperbeherrschung im Takt vom Stuhl gleitet, während man persönlich glücklich ist, sich schon bald nicht mehr an das Elend zu erinnern.
Zum Schluß werden alle noch mit einem Schlußlied beglückt, das die Zuschauer taktklatschend begleiten, wobei jeder kleine Künstler nochmals auf die Bühne gebeten wird. Der Applaus kurz vor der Bewußtlosigkeit ist dann Zeuge, das man der Spirituosenindustrie immer wieder auf die Beine hilft, wenn es heißt: Karl Moritz und Willibald Alexander und Annabell Magdalena und Christoph Felix und Elisabeth Marlene und Johann Sebastian und Lukas...

 

Hallo Tränenlicht!

Interessante Satire, durch die vielen kurzen Sätze flott zu lesen.
Dass einiges übertrieben wirkt, ist wohl beabsichtigt.

Erinnert mich ein wenig an die "Mini-Playbackshow", wo auch (durch den eigentlichen Willen der Eltern?) die Kinder auf der Bühne stehen, irgendwelche nachgesungenen Lieder von sich geben und am Ende denken alle Wunder, was sie geleistet haben.
Nur mit dem Unterschied, dass hier im Hintergrund kein Tonband läuft, sondern alles live gespielt wird.

Naja, so ganz der Meinung, in der es um deine Geschichte geht, bin ich nicht, da es sicherlich nicht einfach ist, vor Publikum etwas an einem Instrument vorzuspielen (eigene Erfahrung von mir, wenn auch schon länger her), aber es ist auch schon etwas Wahres an der Geschichte dran.
Du hast alles halt sehr überzogen dargestellt (Plüschtiere, Blumen und so) aber auch das zeichnet eine gute Satire aus.

Insgesamt ist der Text nach meiner Meinung ganz gut gelungen.

Viele Grüße,
Michael

 

Hallo Tränenlicht,

nicht schlecht gemacht. Teils sehr gut überzogen, teils finde ich deine Wortwahl nicht so zündend, aber da ist auch viel Geschmackssache dabei.
An manchen Stellen hätte ich noch mehr überzogen und verfremdet und wesentlich bissigere Worte gewählt.

Ansonsten nette kleine Milieustudie über das Treiben der "Wunderkinder".

Ich fühlte mich übrigens sofort in meine Jugendzeit zurückversetzt. Da fand auch einmal im Jahr so eine schreckliche Veranstaltung der Musikschule, in der ich Gitarrenunterricht für klassische Gitarre nahm, statt. Ich habe das immer gehaßt wie die Pest, und jedesmal gelitten wie ein Hund, weil ich meinen Eltern ja keine Schande machen wollte. *würg*
Wenn ich es so recht bedenke, solltest du vielleicht noch einen kleinen zweiten Teil schreiben, aber nunmehr aus der Sicht eines Kindes oder der Kinder, was die auszustehen haben, bei diesem Blödsinn. Vor allen Dingen wenn's mal schief gegangen ist.

Gruß lakita

 

Wenn man den Alkohol rausläßt, ist es eigentlich nicht so überzogen, wie man vielleicht glaubt.
Es gba Plüschtiere, Blumen sowieso und einige Mütter neigen dazu ihre Kinder hysterisch zu umjubeln.
Im ganzen ist der Text für eine Lesung konstruiert, bei der die wahrhaft schönen Wortkunststückchen meistens zu kurz kommen, da der Leser durch die Akkustik in der wahrnehmung beeinflußt ist.

 

Hi Tränenlicht,

deine Satire hat mir sehr gut gefallen. Du hast einen sauberen, klaren Stil, der die Geschichte angenehm lesen läßt.
Auch dein Sarkasmus gefällt mir. Der Plot, die Idee und die Umsetzung sind gut gewählt und überzeugen.
Insgesamt eine der besten Satiren, die ich seit langem hier gelesen habe. Deshalb kommt sie in die Forenempfehlung.

so long, pandora

 

Hi Tränenlicht!

Ich kenne das! Wenn dann das unfähige Blag überhaupt nichts mehr kann, und auch der Tick-Tick-Song schon vorgetragen wurde, dann gibt es "Klangexperimente". Moderne Musik, bei der nicht mehr feststellbar ist, ob korrekt vorgetragen wird (was dann auch egal ist). Faszination heuchelnd, lehnt sich das Alt-68er-Pädagogenpublikum zurück, um sich an dem "tollen Engagement" der in die Musikschule geprügelten kleinen Cedrics, Marvins, Maltes, Torbens, Dustins, Patricks... zu erfreuen.

Du siehst, es interessiert mich nur der Inhalt. Eine gute Satire. Vielleicht etwas besser strukturieren, etwas mehr ausführen, mehr Details? Ach, paßt schon.

 

Ähm.. eine Frage... haben die aufgezählten Namen eine bestimmte Bedeutung (in Bezug auf die Aussage deines Postings)? :confused:

 

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