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Vorfreude ist wohl die beste Freude
Ruhig sitzt er am Bahnsteig, die Pfoten auf dem kalten Beton ausgestreckt. Der Blick umherschweifend – erst rechts dann links, hin und wieder nach oben, zu seinem Herrchen. Zu diesem ärmlich aussehenden, älteren Mann, der durch seinen dichten Bart an einer Zigarette zieht. Die Hundeleine hält er fest in der rechten Hand und den Rauch bläst er mehrmals gegen die Schnauze seines vierbeinigen Partners.
Wie auf Kommando springt der deutsche Schäferhund auf und lässt seinen Schwanz vor Freude wedeln. Der Zug ist schon zu sehen, signalisiert der Hund mit seinem unruhigen Verhalten. Er springt von Stelle zur Stelle, bewegt sich schon fast im Kreis und bellt mehrmals. „Vorfreude ist wohl die beste Freude“, flüstert der ältere Mann vor sich hin und lässt den Rest der Selbstgedrehten auf dem, mit Kaugummis überklebten, Boden ausbrennen.
Der Hund, dem jeder schon ein gewisses Alter ansehen kann und der Penner, wie ihn wohl Außenstehende beschreiben würden, warten geduldig bis jeder in den Zug einsteigt. Erst zum Schluss, betreten auch sie den Zug. Gleich im ersten Waggon rechts, bieten sich zwei Plätze an. Der Hund darf am Fenster sitzen, sein Besitzer am Rand. Der Zug fährt los und der Hund, der die Aufregung nicht zügeln kann, bellt. Zwar nur einmal und leise, doch es scheint wohl jeder der Passagiere im Umkreis gehört zu haben.
Die ältere Dame von nebenan, die offensichtlich beim Lesen, einer offenbar wichtigen Frauenzeitschrift, gestört wurde, kann sich ein verächtliches Kopfschüttel nicht verkneifen und lässt ihren richtenden Blick zu erst über den Hund und dann über den Mann, mit dem leicht verdreckten beigefarbenen Trenchcoat , umherziehen.
Der Hund, fasziniert vom Daumenkino ähnelnden Fensterausblick, aus dem sehr schnell fahrenden Zug, sitzt ganz brav und genießt seinen warmen Platz auf den Sitzen der Deutschen Bahn. Ein Mann nicht älter als 30, mit einem frisch rasierten Gesicht und einer tadellosen und offenbar sehr gut gepflegten Uniform, stört die Ruhe der beiden sonderbaren Zugreisenden. „Der Hund gehört aber nicht auf den Sitz!“, sagt der Kontrolleur und betont seine Aussage mit einer Handgeste, die man als unkontrollierte Links-Rechts-Zuckung bezeichnen könnte, es fehlt nur noch das Geräusch eines Autoblinkers denkt sich der Hundebesitzer. „Er gehört auf den Boden“, bekräftigt der Kontrolleur nochmal und geht einige Schritte weiter.
Der vollbärtige Hundebesitzer, mit dem beigefarbenen Trenchcoat, einer teilweise zerrissenen blauen Jeans und schwarzen Schuhen mit einer dicken Sohle, gibt klein bei und schickt den Hund mit einer kurzen Handbewegung auf den kalten Boden. „Der Hund bellt ständig und stört uns“, sagt die ältere Zeitschriften-Dame.
„Ich höre ihn nicht bellen“, entgegnet der Kontrolleur. Die Frau etwa 60 Jahre alt, fuchtelt ganz aufgeregt mit den Händen, als ob sie Fliegen verscheuchen würde und hetzt gegen den Hund: „Vorhin hat er gar nicht mehr aufgehört zu bellen und er stinkt!“ - „Darf ich Ihre Fahrkarte sehen“, kontert der Kontrolleur souverän und die Frau setzt sich wieder hin.
Der Kontrolleur zieht weiter und die Frau sichtlich enttäuscht und weiterhin aufgeregt über den Hund und seinen Besitzer, spricht ihren Sitznachbarn mit flüsternder Stimme an: „Riechst du das? Den Penner und seinem dreckigen Hund.“ - „Ich riech nichts“, antwortet der ältere Mann, der offenbar ihr Ehegatte zu sein scheint. „Dann riech genauer hin.“
„Was ist ihr Problem?“, schreit eine innere Stimme des Hundebesitzers, doch er verkneift es sich im letzten Augenblick. „Ich finde Penner und Hunde sollten nicht mit uns im Zug fahren dürfen“, sagt die Frau, für jeden der Passagiere nicht überhörbar. „Wieso gibt es eigentlich keine dritte Klasse?“, fügt sie hinterher. Mehrere Passagiere pflichten der Frau bei und wild entschlossen, holt sie nochmal den Kontrolleur.
„Die anderen Reisenden fühlen sich gestört. Ich würde Sie leider bitten im Türbereich zu warten“, sagt der mit der Situation, sichtlich überforderte Kontrolleur zum Hundebesitzer. Der Hund spürt die Wut seines Herrn und fängt an mit den Zähnen zu knirschen und zu bellen. Der Kontrolleur und die daneben stehende Frau treten einen Schritt zurück. „Beruhigen Sie Ihren Hund bitte, oder Sie müssen den Zug vorzeitig verlassen“, droht der Kontrolleur und richtet dabei seinen Zeigefinger auf den Hund.
Der Vierbeiner springt in Richtung des Kontrolleurs und die Situation eskaliert. Die Menschen fangen an zu schreien und zu kreischen, als sie einen Finger mit einer massiven Blutlache auf dem Boden sehen. Die sonderbaren Gefährten verlassen den Zug beim nächsten Halt, wo schon die Polizei und ein Notarzt warten.
Der Zug fährt weiter und erreicht die Endstation. Alle steigen aus und verlassen den Bahnhof. Vor dem inzwischen leeren Zug, steht und wartet eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand. „Wo sind sie?“, fragt der kleine Junge mit einer blauen Regenjacke und einer Friseur die für gewöhnlich als Pilzkopf bezeichnet wird. „Sie kommen wohl nicht“, entgegnet die Mutter enttäuscht, streicht dem Jungen durch die Haare und fügt hinterher: „Komm mit! Ich kauf dir was Süßes.“