Vorbild-Variationen
Am siebenten Tage ruhte Gott.
Kein Wunder, dass er sich ein wenig abgespannt fühlte. Aber er konnte mit dem guten Gefühl, wirklich etwas weiter gebracht zu haben, auf den gestrigen Tag, dem sechsten in seinem neuen Job, zurück blicken.
Er hatte zwar etwas später begonnen. Immerhin hatte er am Tag zuvor nicht weniger als die gesamte Tier- und Pflanzenwelt geschaffen. Mit einer Artenvielfalt, die auch noch nach Milliarden Jahren Rätsel aufgeben würde.
Das ging auch an die Substanz eines Gottes, also begann er am sechsten Tag sein Tagwerk erst gegen neun. Zunächst formte er nach seinem Vorbild aus Lehm den Adam und hauchte ihm eine Seele ein. Dann zeigte er seinem Ebenbild das Paradies. Adam bedankte sich artig und streifte umher. Bald hatte er seine Umgebung erforscht und sich mit dem Wichtigsten aus Flora und Fauna vertraut gemacht. Aber dann wurde ihm die Zeit lang. Es traf sich, dass er gerade an Gottes Thron vorbei kam. „Sprechstunden täglich von 16,00 bis 18,00 Uhr“ stand da auf einem Schild. Adam hatte zwar keine Uhr, aber er klopfte unbekümmert an das linke Thronbein. Und tatsächlich, Gott erschien. Und sogar ziemlich rasch. Wir können uns denken, wieso. Als Allwissender war ihm natürlich klar, dass Adam kommen würde.
Adam beklagte wortreich seine Langeweile und Gott versprach Abhilfe. Als Allwissender hatte er schon Skalpell, Knochensäge und Äther vorbereitet. Unter Bedachtnahme auf die gebotenen Hygienemaßnahmen nahm er Adam eine Rippe ab und schuf daraus Eva.
Auch ihr zeigte der Chef persönlich das Paradies und hielt sich übergebührlich lange bei den beiden berühmten Bäumen auf. Eva erklärte, die Instruktionen verstanden zu haben und sich auch danach richten zu wollen. Und obwohl Gott so seine Bedenken hatte, zog er sich zurück. Zwei Menschen an einem Tag zu schaffen und ihnen zwei Mal die ganze Welt zu erklären, das war schließlich genug, fand er.
Und so ruhte er also am siebenten Tag. Aber nach einer kleinen Weile erging es ihm wie seiner Schöpfung am Tage zuvor: Er langweilte sich. Irgendwie verständlich, denn Adam war immerhin sein Ebenbild. Und wenn der sich langweilte, musste dieses Feature auch im Schöpfer selbst stecken.
Leider hatte er niemanden, mit dem er über die Langeweile reden konnte, er musste wohl selbst für Zerstreuung sorgen. Er blickte sich um und sah, dass es gut war. Der Sündenfall fand ja erst wesentlich später statt, wie die Wissenschaft heute zu wissen glaubt.
Und wie er sich so umschaute, kam ihm eine tolle Idee, die über lange Zeit hin für Unterhaltung sorgen konnte. Er beschloss nicht weniger, als die Menschen, seine Ebenbilder, höchst unterschiedlich werden zu lassen.
Aus einem Grund, den er selber nicht hätte nennen können, führte er für die Menschen zunächst das Altern ein. Über die Jahre sollten sich an Seele, Geist und Körper seiner Kinder Änderungen einstellen.
Schön und Gut, höre ich Sie sagen. Aber bitte, woher hatte Gott eine Vorstellung von Jahren und Altern. Ihm selbst waren doch alle Zeiten eins, er war immer und ewig und gleichzeitig. Es gab für ihn kein Gestern, Heute oder Morgen und schon gar kein „in ein paar Jahren“. Sagen uns zumindest die Gelehrten. Ob sie uns dazu ein klärendes Wort schuldig geblieben waren oder sich vielleicht geirrt haben könnten? Wir wissen es nicht und es tut eigentlich auch nichts zur Sache.
Noch schnell einen Café latte und dann ging Gott ans Werk. Er begann ganz oben, bei den Haaren. Aus dem kräftigen Dunkelbraun sollte langsam ein helles Grau werden, das später in ein strahlendes Weiß überging. Das war doch was! Er schloss die Augen und sah in die Zukunft. Überall grau- und weißhaarige Frauen und Männer.
Aber die waren ja wieder alle gleich. Das mit dem unterschiedlich machen war gar nicht so einfach, fand er. Da musste er wohl noch einmal drüber gehen. Sicher. Aber nicht heute.