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Vorabend einer Gerichtsverhandlung

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04.09.2015
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Vorabend einer Gerichtsverhandlung

„Der Trottel braucht net glauben, dass ich mir das einfach gefallen lass‘“.
Die Kellnerin bringt mein Bier – ich habe nur ein kleines bestellt. Die Gerichtsverhandlung findet morgen schon um acht Uhr statt. Obwohl das Lokal gut gefüllt ist, ist es gerade auffallend still. Ich beobachte den doppelten Schatten des Salzstreuers, der von den Strahlen der Abendsonne und der gedämpften künstlichen Beleuchtung erzeugt wird und versuche, mich an den Namen der Richterin zu erinnern, was mir nicht gelingt.
Der Mann auf dem Nebentisch fährt fort: „Mei Frau und ich, wir wohnen jetzt seit acht Jahren in der Wohnung. Wir warn nie mit der Miete im Rückstand“. Der andere Mann nickt und dämpft seine Zigarette aus. Sie glimmt trotzdem weiter und der Rauch zieht zu mir herüber. Auf dem Tisch der beiden stehen vier leere Gläser. Der erste Mann, er wird ungefähr fünfundvierzig Jahre alt sein, dreht sich um, winkt der Kellnerin und sieht mich an. Ich erwidere kurz seinen Blick und tue so, als hätte ich soeben eine Nachricht bekommen.
„Mein Schwager hat gsagt, ich soll mir auch einen Anwalt nehmen; aber wie ich den zahlen soll, hat er mir nicht verraten.“ Ich nehme einen Schluck von meinem Bier. Mein Arbeitskollege verspätet sich. Die Zigarette brennt immer noch im Aschenbecher.
„Wir hätten das schon wieder in Ordnung gebracht. Es is ja auch gar nix passiert. Und überhaupt hätte er sich selber darum kümmern müssen.“ Die Kellnerin bringt ein gefülltes Bierglas, stellt es auf den Tisch der beiden Männer und nimmt die vier leeren Gläser mit.
„Wie hätten wir außerdem wissen sollen, dass das Trumm nicht passt? Es war in gutem Zustand und dass die Leitungen das nicht aushalten, woher soll ich das wissen?“ Der andere Mann schlägt sein linkes Bein über sein rechtes Knie. „Naja, gefährlich war es halt wahrscheinlich schon. Aber dass der Vermieter gar net mit sich reden lässt, ist schon komisch. Er hätte den Boiler ja wirklich selber tauschen müssen. Du, ich muss jetzt gehen, wie schon gesagt, ich bin noch verabredet. Erzähl‘ mir morgen dann, wie es gelaufen ist.“

Obwohl Dienstag ist, sind heute mehr Menschen als sonst hier. Mittlerweile spielt wie üblich eine leise elektronische Hintergrundmusik, die zum rustikalen Charakter des Lokals nicht wirklich passt. Ich habe den Wirt einmal darauf angesprochen. Er hat gemeint, das würden heutzutage alle Restaurants in der Gegend am Abend so machen. An der Bar stehen zwei junge Frauen und werfen zwei Männern, die am anderen Nebentisch sitzen, verstohlene Blicke zu. Ich denke kurz an meine letzte Beziehung zurück, die nach nur drei Wochen in die Brüche gegangen ist.
Meine Gedanken wandern zur morgigen Verhandlung. Das Räumungsvorbringen habe ich schon vollständig erstattet und alle nötigen Dokumente vorgelegt. Der Fall ist rechtlich nicht besonders anspruchsvoll.

„Prost!“ Der Mann am anderen Tisch hebt sein halbvolles Bierglas, beugt sich zu mir herüber und schaut mich mit einem verzerrten Grinsen an. Er ist offensichtlich schon etwas betrunken. „Zum Wohl!“ antworte ich und hebe mein Bierglas ebenfalls an. „Man hats nicht leicht, auf der Welt“, sagt er, halb zu seinem Bierglas, halb in meine Richtung, und stößt auf. „Morgen verlier‘ ich wahrscheinlich meine Wohnung. Und das nur, weil mein alter Boiler hin war und der neue Probleme gemacht hat.“ In Gedanken lese ich das Sachverständigengutachten, das von der Versicherung in Auftrag gegeben wurde und mir mein Mandant weitergeleitet hat. „Einbau eines Warmwasserspeichers mit einer Nutzleistung, die für die verlegten Leitungen nicht zulässig war“, wird dort unter der Überschrift „Zusammenfassung“ als Ursache für den Leitungsbrand angegeben. Verletzt wurde niemand, auch der Sachschaden hält sich in Grenzen. Aber eigenmächtiges Installieren elektrischer Großgeräte ohne Beauftragung eines Handwerkers wird von Vermietern selten toleriert.
„Das ist wirklich ziemliches Pech“, presse ich hervor. „Aber Sie finden sicher bald etwas Neues“. Ich schaue an ihm vorbei in Richtung eines Gemäldes, das wohl eine Gruppe Wallfahrer darstellen soll, und nehme noch einen Schluck Bier.
„Der Anwalt hat mir außerdem geschrieben, dass mir der Vermieter alle Sanierungskosten in Rechnung stellen wird. Dabei kommen wir jetzt schon gerade so mit‘m Geld aus. Eine neue Wohnung auf die Schnelle finden wird auch nicht so leicht. Immerhin sollt‘ sie ein eigenes Zimmer für unsere Tochter haben. Und zu weit weg von der Schule sollt‘s auch net sein. Die jetzige Wohnung war perfekt.“
Er stopft mehrere Unterlagen in eine schmutzige Aktentasche, die neben ihm auf dem Boden steht, während ich gedankenverloren in meinem Telefon durch die Termine für diese Woche blättere. „Darf ich mich rüber setzen?“ Er beginnt aufzustehen. „Bitte verstehen Sie das jetzt nicht falsch, aber ich warte auf einen Freund, der sollte jeden Moment kommen.“ Er nimmt wieder Platz. „Ok, wurscht, kein Problem.“

Die zwei Frauen von der Bar sitzen mittlerweile bei den beiden Männern am Nebentisch. Wie lange, weiß ich nicht. „Naja, manchmal geht’s bergab, dann dafür aber auch wieder bergauf“, sage ich in seine Richtung während ich mit einem Bierdeckel spiele. Er schnaubt verächtlich. „Sie haben gut reden, Sie arbeiten wahrscheinlich in einer Bank, so wie Sie aussehen und haben auch sicher irgendwo a nette Eigentumswohnung. Oder Haus am Stadtrand?“
„Eigentumswohnung, aber eher eine kleine. Ich habe lange darauf hin gespart.“ Warum habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen?
Mein Telefon vibriert. Diesmal bekomme ich wirklich eine Nachricht. Mein Arbeitskollege kommt nicht mehr, sein kleiner Sohn hat Fieber.
„Wie alt ist Ihre Tochter?“, frage ich.
„Sie wird in zwei Wochen elf“, antwortet er.
„Dann kommt sie bald in die Pubertät. Eine schwierige Phase“. Das sagen zumindest alle.
„Wir haben Glück mit ihr. Sie ist zwar sehr lebhaft, lernt aber brav und ist schon ziemlich selbstständig und verantwortungsbewusst.“
„Mhm“.
„Haben Sie auch Kinder?“
„Nein.“
„Aber eine Frau oder Freundin schon, oder?“
„Momentan auch nicht.“
„Sie arbeiten wohl sehr gerne, was?“ Er lacht kurz auf und ich bin mir nicht sicher, wie er die Frage gemeint hat.
„Ja, zur Zeit ist recht viel zu tun und es macht mir Spaß. Sehr abwechslungsreich und interessant, da hat man wenig Zeit für andere Dinge“, lüge ich.
Er schaut auf die Uhr, während ich mich daran zurückerinnere, dass ich selbst einmal gedacht hatte, zum jetzigen Zeitpunkt verheiratet zu sein und eine elfjährige Tochter zu haben.

Durch die halb geöffnete Tür des Lokals dringt der Lärm des Folgetonhorns eines Polizeiautos. Er passt auf seltsame Art und Weise zur elektronischen Hintergrundmusik. Auf fast jedem Tisch wird geraucht, die Luft ist verbraucht und stickig.
„Kampflos werd‘ ich meine Wohnung aber sicher net hergeben. Der Vermieter wird das morgen schon sehen. Wenn er überhaupt kommt und net nur seinen Anwalt hinschickt. Ich hab‘ mit jemandem vom Mieterschutzverband gesprochen und die haben auch gemeint, die Sache ist net so klar.“
„Kann ich nachvollziehen.“ Kann ich das? Ich weiß es nicht.
„Meine Frau wird morgen auch dort sein und aussagen. Mal schaun, vielleicht hat der Richter ja ein Einsehen oder es findet sich sonst eine Lösung.“
„Richterin“, rutscht es mir beinahe heraus. „Positiv denken und auf das Beste hoffen, mehr kann man eh nicht tun“, antworte ich stattdessen. Mein Mandant hat klar gesagt, dass er an einer vergleichsweisen Regelung nicht interessiert ist, sondern den Mieter aus der Wohnung haben will. Er wird morgen nicht kommen.
„Ich hab‘ schon überlegt, unsere Tochter auch mitzunehmen, um ein bisschen auf die Tränendrüse zu drücken.“ Er lacht wieder. „Das war mir dann aber doch zu blöd. Außerdem will ich sie mit den Sachen nicht jetzt schon belasten, das wird sowieso noch unangenehm genug.“ Er trinkt sein Bier aus.
„Ja, das ist sicher vernünftig. So eine Gerichtsatmosphäre kann für Kinder wahrscheinlich schon unangenehm sein.“ Ich muss spontan an meine Ausbildungszeit beim Familiengericht denken und daran, dass sich Kinder dort normalerweise besser benehmen, als die Erwachsenen.
„Gut, ich muss dann gehen. Hat mich gefreut, vielleicht sieht man sich mal wieder.“ Er steht auf und gibt mir die Hand. Sie ist fettig und klebrig. Vermutlich hat er vor einiger Zeit etwas mit den Fingern gegessen.
„Ja, mal schauen, ich bin öfter hier. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Es ist ehrlich gemeint.

Die Frauen und Männer vom Nebentisch sind gegangen. Nun sitzen dort zwei ältere Herren und unterhalten sich über Politik. Mein Blick schweift durch das Lokal und bleibt bei einer eigenwilligen Skulptur hängen, die über der Bar zwischen zwei Flaschen steht und vermutlich einen Fuchs oder Wolf darstellen soll. Sie ist mir bisher noch nie aufgefallen. Ich nehme mir vor, den Wirt einmal danach zu fragen.
„Das kann doch nicht wahr sein“. Die Kellnerin steht schimpfend beim Nachbartisch. „Jetzt ist auch noch der zweite gegangen, ohne zu bezahlen.“ Sie nimmt das leere Glas vom Tisch. „Das ist schon in Ordnung“, sage ich, „das war ein Freund von mir, ich zahle später für ihn mit“. Die Kellnerin wirft mir einen ungläubigen Blick zu. „Na dann ist es ja gut“. Ich bleibe noch eine Weile sitzen und betrachte den Salzstreuer, der mittlerweile nur noch einen einzelnen Schatten wirft. Eine junge Frau stößt beim Vorbeigehen an meinen Tisch und entschuldigt sich, ohne mich anzusehen. Mir fällt der Name der Richterin zum Teil wieder ein. Seltsamerweise nur der Vorname.

 

Hey Odradek

Ich mach hier mal den Anfang :)

Also, zu deiner Geschichte: Die Idee, diese Banalität aufzugreifen, finde ich eigentlich gut. Daraus entstehen zwei Perspektiven, die sehr gegensätzlich sind. Einerseits ist irgendwie alles sehr emotionslos erzählt, fast berichtartig (wie ein Plädoyer). Andererseits passt gerade das gut zur Geschichte, da das lyrische ich (Du? :) ) ja ein Jurist/Anwalt ist, aus dessen Perspektive erzählt wird. Ich muss dir ehrlich sagen, dass ich anfangs etwas verwirrt war. Die ersten paar Abschnitte lang dachte ich, dass der Ich-Erzähler über diesen Vorfall erzählt und er es ist, der die Wohnung möglicherweise verlieren wird. Das passierte wohl durch den allerersten Satz, den ich automatisch mit derjenigen Person assoziiert habe, der in der Geschichte ein Bier gebracht wird, da dies die erste Handlung ist. Vielleicht könnte man das noch etwas klarer abgrenzen? Oder vielleicht bin ich auch nur etwas auf dem Schlauch gestanden ... :D

Ich hatte das Gefühl, dass du von dir selbst erzählst (obwohl ich dich ja nicht kenne, aus deinem Profil jedoch hervorgeht, dass du Jurist bist). Deshalb wirkt das Ganze auf mich etwas "frustriert" - das ist jetzt vielleicht das falsche Wort. Ich hätte gern irgendwo eine wirkliche Emotion des Ich-Erzählers gesehen. Bis zum Schluss bleibt für mich alles wie ein belangloser Tagebucheintrag eines einsamen Workaholics. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, was du mit dem letzten Satz sagen möchtest - vielleicht, dass er mit der Richterin eine Affäre hat/hatte? :)

Whatever - die Idee passt für mich. Bisschen mehr Gefühl, bisschen mehr Reibung bräuchte es aber für meinen Geschmack.

Herzlich, nevermind

 

Hallo und vielen Dank erstmal!

Einerseits ist irgendwie alles sehr emotionslos erzählt, fast berichtartig (wie ein Plädoyer). Andererseits passt gerade das gut zur Geschichte, da das lyrische ich (Du? :) ) ja ein Jurist/Anwalt ist, aus dessen Perspektive erzählt wird.
Das war Absicht, wobei es weniger das "juristische" Element war, sondern ich versucht habe, die Abstumpfung des Ich-Erzählers stilistisch einzufangen, der seinen Beruf nicht wirklich mag und in Beziehungen bislang gescheitert ist. Er ist zum Ausdruck von echten Gefühlen - auch innerlich gegenüber sich selbst - nicht mehr wirklich fähig und nimmt sein Leben großteils beobachtend-distanziert wahr.

Ich hatte das Gefühl, dass du von dir selbst erzählst (obwohl ich dich ja nicht kenne, aus deinem Profil jedoch hervorgeht, dass du Jurist bist). Deshalb wirkt das Ganze auf mich etwas "frustriert" - das ist jetzt vielleicht das falsche Wort.
Ok, da muss ich doch einhaken, damit das keinen falschen Eindruck erweckt ;) Ja, ich bin Jurist - und nein, die Geschichte ist definitiv nicht autobiografisch. Schon allein deshalb, weil ich wesentlich jünger bin, als der Ich-Erzähler und ich auch in einer anderen Branche tätig bin. Von meiner Ausbildungszeit und der Erfahrung mit "frustrierten" Juristen bin ich aber sicherlich beeinflusst, ja.

Ich hätte gern irgendwo eine wirkliche Emotion des Ich-Erzählers gesehen. Bis zum Schluss bleibt für mich alles wie ein belangloser Tagebucheintrag eines einsamen Workaholics.
Das nehme ich gerne auf und werde mir überlegen, wie ich das umschreiben könnte. Der emotionale Punkt ist (bzw hätte sein sollen), dass der Ich-Erzähler sich letztlich mit einem zufällig getroffenen Gasthausbesucher, der sein Problem "objektiv" betrachtet sogar selbst verschuldet hat, mehr identifizieren und hier mehr mitfühlen kann, als mit seiner eigenen Mandantschaft. Warum? Weil ihm selbst eine gesicherte Beziehung fehlt, die ihm emotionalen Rückhalt geben könnte. Oder so ähnlich.

Hallo Odradek (Kafka-Fan?)
Ja, ein großer :)

Durch die stimmige Beschreibung der Atmosphäre und der Sprechweise der Leute hatte ich das Gefühl, dabei zu sein.

Freut mich, Danke für Deinen Beitrag.

 

Hallo Odradek, das ist eine sehr gut geschrieben Geschichte, die mir gefallen hat. Die Dialoge sind dir wunderbar gelungen, ich konnte den Dialekt geradezu hören, ich bin in Bayern aufgewachsen.
Das Thema ist nicht besonders interessant und es gehört einiges Talent dazu, aus dieser Alltäglichkeit eine Geschichte zu schreiben, die den Leser mit einbezieht. Das ist dir gelungen. Prima!

Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo Ordarek,

auch mir hat die Geschichte gefallen. Die Gegenüberstellung des finanziell gut gestellten, ledigen Workaholics(?), der im Angesicht des Familienvaters, der jeden Cent ein paar Mal umdrehen muss (und seinen Boiler selber einbaut deshalb).
Eine nachvollziehbare, authentische Situation, bei der man schnell ins Klisché (ja, der eine arbeitet eben nur, der andere ist eben der etwas finanziell und intellektuell weniger begüterte Familienvater) abrutscht, allerdings hast du ein paar Kniffe drin, die genau das verhindern:

„Eigentumswohnung, aber eher eine kleine. Ich habe lange darauf hin gespart.“ Warum habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen?

Er schaut auf die Uhr, während ich an die Zeit zurückdenke, als ich mir sicher war, zum jetzigen Zeitpunkt selbst verheiratet zu sein und eine elfjährige Tochter zu haben.

Allerdings gibt's immer wieder Fallen, in die man da tappen kann. Wie an dieser Stelle, so gut sie für den Inhalt auch ist, aber stell dir mal vor: Wie lange braucht man, um auf die Uhr zu schauen? (3 Sekunden?). Und in dieser extrem kurzen Zeitspanne wird der Ich-Erzähler nostalgisch und lässt eine ganze Lebensphase (wie das hier anklingt) vor seinem geistigen Auge revue passieren?
Klingt etwas erzwungen.
Eleganter wäre es, wenn du einfach schreibst: "Ja, es gab mal eine Zeit, in der dachte ich, ich sei in seinem Alter auch schon verheiratet mit elfjährigem Kind" oder ähnliches.

Aber an den oben genannten Stellen wollt ich dir aufzeigen: Das sind so die Kniffe, mit denen man nicht Gefähr läuft, dass es wie ein "belangloser Tagebucheintrag eines Workaholics" klingt. Das ist das Pferd (wo wie bei Kafka sind ... So gestaltet man die Manege), auf das man setzen kann.

Mir ging es wie nevermind: Am Anfang war mir nicht klar, dass er die Gegenseite in spe reden hört ... Das ist etwas schwammig (ich bin extra zweimal drüber). Das würd ich, nach ein der zwei Tagen Pause, einfach nochmal durchlesen und überarbeiten, dann hat man meistens einen anderen Blick drauf und erkennt, wo die Schwachstellen sind.

Auch vom Dialekt war ich nicht ganz überzeugt. Außer, dass er ab und zu mal "net" sagt statt "nicht", klingt das doch alles zu hochdeutsch und ich "Kauf's" dir nicht so ganz ab.
Ein Beispiel:

„Wir hätten das schon wieder in Ordnung gebracht. Es is ja auch gar nix passiert. Und überhaupt hätte er sich selber darum kümmern müssen.“

Eher: "Wir hätten des scho' wieder in Ordnung bracht. Is ja auch nix passiert. Überhaupt hätt' der sich selber drum kümmern müss'n."

Trotz der Abstumpfung klingt da doch noch ganz viel durch - Frustration?
Nur eines hab ich nicht so verstanden: Warum versucht der Knabe sich so krampfhaft an den Namen der Richterin zu erinnern? Ich meine, es tut diesbezüglich warscheinlich viel zur Sache, ob das jetzt ne Nette oder ein Besen ist, kann das sein? Dann würd' ich das noch ein bisschen ausführen, sonst sind das so einzelne Brocken, die der Leser hat und die er gar nicht würdigen kann, weil deine Intention nicht klar wird.

Viele Grüße
Tell

 

Die Gegenüberstellung des finanziell gut gestellten, ledigen Workaholics(?),
Wobei mir an sich wichtig war, dass der Ich-Erzähler ein Workaholic „aus der Not heraus“ ist, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er „lügt“, als er von seinem Beruf erzählt. Viele Workaholics arbeiten ja tatsächlich gerne und identifizieren sich sehr mit ihrer Arbeit (gerade im juristischen Betrieb) – das ist beim Ich-Erzähler nicht so, bzw. soll eigentlich nicht so sein.

Und in dieser extrem kurzen Zeitspanne wird der Ich-Erzähler nostalgisch und lässt eine ganze Lebensphase (wie das hier anklingt) vor seinem geistigen Auge revue passieren?
Klingt etwas erzwungen.
Eleganter wäre es, wenn du einfach schreibst: "Ja, es gab mal eine Zeit, in der dachte ich, ich sei in seinem Alter auch schon verheiratet mit elfjährigem Kind" oder ähnliches.
Völlig berechtigte Kritik, ich wollte genau letzteres sagen – er denkt einfach „kurz“ zurück an hoffnungsfrohere Zeiten, nicht mehr, nicht weniger.

Auch vom Dialekt war ich nicht ganz überzeugt. Außer, dass er ab und zu mal "net" sagt statt "nicht", klingt das doch alles zu hochdeutsch und ich "Kauf's" dir nicht so ganz ab. […]
Eher: "Wir hätten des scho' wieder in Ordnung bracht. Is ja auch nix passiert. Überhaupt hätt' der sich selber drum kümmern müss'n."
Witzig, so ähnlich hatte ich es in der Ursprungsfassung und war mir nicht sicher, wie viel Dialekt so eine kurze Geschichte „verträgt“. Zusatzinfo: Ich bin Österreicher vom Land, dh. wenn ich das „richtig“ in die Umgangssprache meiner Heimat umschreibe, wird’s ein Fremdsprachentext :P
Ich habe aber schon befürchtet, dass es möglicherweise weniger authentisch wird, werde ich definitiv ändern.

Nur eines hab ich nicht so verstanden: Warum versucht der Knabe sich so krampfhaft an den Namen der Richterin zu erinnern?
Das ist mir möglicherweise nicht ganz geglückt. Es sollte einfach ein weiterer Mosaikstein sein in der Darstellung der Distanzierung des Ich-Erzählers zu seiner professionellen Arbeitsumgebung. Zuerst fällt ihm der Name überhaupt nicht ein, dann zuletzt nur der Vorname, das „persönlichere“, wenn man so will. Ein professioneller Anwalt weiß selbstverständlich die Namen der Verhandlungsleiter und wenn überhaupt vergisst er den Vornamen. Ich wollte aber auch eine Geschichte schreiben, wo manche Sachen zum nachdenken anregen, ohne aufgelöst zu werden - dass die Intention also nicht 100% "klar" ist, damit hätte ich an sich kein wirkliches Problem.

 

Hallo Ordarek,

Noch zwei kurze Dinge: Was ich sehr gelungen fand (was du auch mit den Stellen, die ich sm yanfang aufgezeigt hab hezeugt hast) war dieses Workaholic-wider-Willen. Dass bewirkt beim Leser, dass er sich Gedanken macht, wieso der Erzähler jetzt tut, was er eben tut. War inhaltlich sehr "feinfühlig" und der Grund, weshalb mich dein Text auch überzeugt hat.

Zim Dialekt: Also, ich wage mal zu behaupten, dass du da ruhigen Gewissens mehr einbauen kannst. Oder ganz weglassen, aber so halb hat eben immer das Problem, dass es dann gestellt (oder auf neudeutsch: gestaged) wirkt. Ich denke, selbst wenn du hier in deine österreichische Dialektkiste greifst, versteht man das (wenn auch nicht Wort für Wort, aber so erweitert man seinen Horizont ja auch, wenn man sich dann drüber Gedanken macht ;)). Aber vll bin ich da nicht repräsentativ, ich mag österreichisch nämlich einfach.

Zu dem Namen der Richterin: Japp, stimmt, man muss so das richtige Maß erwischen zwischen man bringt seine Intention zum Ausdruck und man lässt den Leser spekulieren. wie viel dann spekuliert wird und wie viel nicht verstanden/erkannt, hängt natürlich auch vom Leser ab. Mit dem Workaholic-wider-willen zum Beispiel wars meiner Meinung nach das richtige Maß. Bei der Richterin hat für mich noch ein Quäntchen gefehlt, vor allem, wenn ich jetzt sehe, was du dir da für Gedanken drum gemacht hast (wirklich ein guter Einfall, der wieder von Feingefühl zeugt, finde ich) und es ist schade, wenn ich den verpasse, das wird nämlich dann auch deiner Kreativität nicht gerecht. Verstehst du, was ich meine? (Sry, es ist spät, Tell müde und tippe auch auf dem ipad ...)
Liebe Grüße
Tell

 

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