Vor zwei Jahren
Es ist mal wieder einer dieser Tage an dem alles über ihr zusammen zu brechen scheint.
Ärger im Büro, Stress mit der Freundin – ein Tag wie sie ihn gar nicht mag.
Immer an diesen Tagen wird sie erinnert, bricht die perfekt ausgearbeitete Selbstillusion in ihrem Kopf zusammen, wie ein Kartenhaus nach einem plötzlichen Windstoß.
Heute ist es zwei Jahre her, sie erinnert sich genau an den Tag, der ihr Leben komplett verändert hatte.
Als der Arzt ihr sagte, dass sie schwanger sei, brach eine Welt in ihr zusammen.
Gerade von ihrem Freund getrennt, zuhause ausgezogen, um endlich frei zu sein. Sie erinnert sich genau, wie ihre Mutter weinte als sie ging...diesen Tag würde sie nie in ihrem Leben vergessen.
Für eine Abtreibung war es zu spät, aber wie sollte ihr Leben weitergehen.
Heute ist es zwei Jahre her, dass ein plötzlicher körperbetäubender Schmerz ihren Körper durchfuhr.
Die Geburt ihres Kindes kündigte sich an. In ihrer Verzweiflung und ihrer Angst der drohenden Worte ihrer Mutter und ihrer Freunde, wenn sie es ihnen erzählt hätte bekam sie ihr Kind allein zuhause.
Zerreißende Schmerzen hatte sie, doch sie brachte einen gesunden Jungen zur Welt.
Sie wickelte das kleine Knäuel von Mensch in eine Decke und lief durch die Straßen. Sie war verzweifelt, wusste nicht wohin, hatte keine Idee für einen Ausweg.
Heute sitzt sie wieder an dieser Stelle im Park, beobachtet die Kinder beim Spielen und weint.
Heimlich und leise, denn keiner kennt den Grund.
Plötzlich rollt zu ihren Füßen ein kleiner blauer Ball, sie schießt ihn einem kleinen blonden Jungen zurück, der freudenstrahlend winkt.
In diesem Moment kehrt die Erinnerung zurück, sie ist lückenhaft, denn viel weiß sie nicht mehr von der Nacht in der sie durch die Straßen irrte auf der Suche nach einem Ausweg für ihre Situation.
Die einzige klare Erinnerung ist die, dass plötzlich eine Idee in ihren Kopf schoss, sie ging zu dem haus, in dem sie ihre Kindheit verlebt hatte.
Sie legte das friedlich ruhende Baby auf die Türschwelle, Tränen rollten über ihr Wangen, als sie ihrem Kind einen kleinen Kuss gab und ihm die Worte zuflüsterte: „Hier wirst Du es gut haben...für uns zwei gibt es keine Zukunft...ich liebe Dich.“
Auch heute noch verspürt sie ein Zittern, wenn sie an diese Situation zurückdenkt, ein zittern wie sie damals in ihren Händen spürte, als sie den Klingelknopf drückte.
Aus sicherer Entfernung beobachtete sie wie ihre Mutter die Tür öffnete, erschrocken zu allen Seiten schaute, aber das kleine Wesen zärtlich an ihre Brust drückte.
Dann lief sie davon.
In keiner Zeitung der nächsten Tage war von einer egoistischen Rabenmutter zu lesen oder einer hilflosen armen Frau, die ihr eigenes Kind nachts vor einer Haustür abgelegt hatte.
Heute ist es zwei Jahre her und sie wusste, was zu tun war.
Sie konnte nicht weiter mit diesem Gedanken leben, nicht zu wissen, was aus ihrem Baby geworden war.
Sie stand auf und obwohl ihre Beine zitterten, ging sie den Weg zu dem Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte.
[ 07.06.2002, 17:56: Beitrag editiert von: Babsi ]