Mitglied
- Beitritt
- 19.10.2021
- Beiträge
- 6
Vor und hinter Gittern
Vor und hinter Gittern
5:34 Uhr und der Tag verspricht wie gefühlt jeder andere zu werden, seit dem ich im Gefängnis arbeite. Hauptsächlich befinde ich mich in der Untersuchungshaft. Für viele Menschen ein Unding sich freiwillig mit Mördern, Vergewaltigern und so weiter zu umgeben. Doch mir macht es Spaß.
Vor allem, da ich mich heute mit Lukas Deron im Dienst befinde. Ein eher hagerer Typ, in meinem alter, blass und mit roten leicht fettigen Haaren. Dennoch, ich mag ihn, da er mich meistens in Ruhe lässt und meine Entscheidungen nicht in Frage stellt.
Ich koche mir einen Kaffee, setze mich am Schreibtisch und überprüfe meine E-Mails. „Angriff auf Bedienstete, Angriff auf Bedienstete, Körperliche Auseinandersetzung, Bedrohung von Bediensteten, Beleidigung von Bediensteten“. Ohne überhaupt den Inhalt dieser E-Mail zu lesen lösche ich diese wieder. Manchmal wünsche ich mir, dass mich solche E-Mail überraschen würden und überlege, wie der erste Angriff auf mich damals war.
Herr Ham. Ein bulliger und großer Typ. Er ist damals überall in der JVA negativ aufgefallen und wurde wegen diversen Angriffe gegen Kollegen und Mitgefangenen in mein Hafthaus verlegt. Mein damaliger Spannmann auf der Abteilung, Herr Kleindt, und ich hatten Herr Ham einige zeitlang auch gut unter Kontrolle. Wir zeigten ihm, dass wir ihm nichts Böses wollten und nach viel Entgegenkommen war er dann auch in der Lage sich freundlich zu bedanken, oder auch Späßchen mit uns zu machen. Doch eines Morgens bei der Frühkostausgabe stürmte er ohne Vorwarnung aus seinem Haftraum heraus. Voller Wut schlug er mit einer Metalschüssel gegen eine Haftraumtür. „Er hat die ganze Nacht viel zu laut Musik Gehört!“ brüllte er und schlug weiterhin gegen die Tür. Bei dem Versuch Herr Ham durch beruhigendes Einreden zu besänftigen, kanalisierte er seine Wut auf uns. Herr Kleindt trat er in die Rippen, wodurch diese durch ein lautes Knacken brachen. Ich hingegen konnte ihn dank langjähriger Judokentnissen zu Boden bringen. Meine kaum nennenswerten Blessuren waren schnell verheilt, doch Herr Kleindt hab ich seit dem nicht mehr gesehen. Mein Bereichsleiter deutete eine Dienstunfähigkeit wegen seiner Psyche an, doch ich fand es respektlos weiter nachzuforschen.
Ein lautes Poltern an einer Tür reist mich aus meinen Gedanken. „Heute ist es besonders Schlimm“, nuschelt Deron und wirkt noch blasser als zuvor. Da unsere Dienstvorschriften es uns verbieten vor dem offiziellen Dienstbeginn die Türen alleine zu öffnen, krame ich aus meiner Hosentasche eine Packung Zigaretten „Gauloises“. „Wolltest du nicht aufhören?“ fragt mich Deron. Als ich antworte, ist meine Stimme so rau und mürrisch wie immer, obwohl ich dies nicht beabsichtige. „Ja, und jedesmal wenn ich einen Toten abhängen kann, hat er praktisch schon das Feuer für mich in der Hand“. Deron scheint durch meine Antwort sichtlich betroffen zu sein, aber das muss der Junge abhaben können. Leider.
Ich verlasse das Büro und gehe auf den Freistundenhof, um mir eine zu rauchen.
Die ersten Gefangenen stehen am Gitter und tun mir das Rauchen gleich. Einige von ihnen grüßen Freundlich, andere blickten eher düster oder verschlafen. Deron gesellt sich zu mir. Mit einiger Überwindung murmel ich:„Sorry, ich hab´s nicht so gemeint“. Ich schlage ihm freundschaftlich auf die Schulter und er scheint froh darüber zu wirken. Doch als das Nächste knallen an der Tür zu vernehmen ist, wirkt sein Gesicht bleich und erschrocken wie eh und je.
Ich versuche Deron ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. „Keine Sorge Kleiner, der beruhigt sich wieder und wenn nicht, kümmer ich mich darum“. Ich nehme einen letzen Zug meiner Zigarette und betrete wieder das Hafthaus. Herr Körns Wahnvorstellungen scheinen heute tatsächlich sehr schlimm zu sein. Ich vernehme das Zerbersten von Porzellan und panische Schreie „Ihr bekommt den Chip aus meinen Kopf niemals raus! Und ich weiß auch, dass ihr für die Stasi arbeitet. Mich bekommt ihr nie!“
Deron schüttelt unverständlich den Kopf „Woher nimmt er diese Halluzinationen? Und wie kann man psychisch nur so am Arsch sein?“ „Wahnvorstellungen, keine Halluzinationen. Den Unterschied lernst du später auf der Vollzugsschule. Und da lernst du auch, dass so mancher Kollege auch nicht mehr die gesündeste Psyche hat“. Er mustert mich fragend, doch ich schaue ihn nur stillschweigend an. „Deron, bitte schließ doch schonmal die Gefangenen heraus, die heute für das Essenverteilen zuständig sind“. Seufzend nimmt sich Deron seine Liste und geht los.
Ich gehe zurück in das Büro und nehme mir die Medikamentenliste und fange an, die Schatullen zu sortieren. Mein PNG klingelt. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die neuen PNGs, also Personennotrufgeräte, eine Telefonfunktionen haben. „Wozniak“ melde ich mich. „Kommt das gepolter aus deinem Hafthaus?“ kratzt die Stimme meines Bereichsleiter. „Erstmal guten Morgen Herr Salen“. „Hm ja, guten Morgen. Und?“ „Ja, kommt es, Herr Körn, wie immer“ sage ich staccatohaft. Ich höre von der anderen Seite ein genervtes Schnaufen. „Ihr Jungs packt es allein, oder? Ich habe keinen, den ich euch zur Hilfe schicken kann“. Ohne meine Antwort abzuwarten legt er auch schon auf.
Ich gehe zum Computer und drucke ein paar Mandals zum ausmalen aus. Deron, welcher grad in das Büro zurück kommt, schaut mich fragend an. „Warum druckst du Mandals aus?“ „Herr Körn“ gebe ich knapp als Antwort. „Warum druckst du für so einen Penner Mandals aus? Der hat es doch schonmal gar nicht verdient! Erst greift er mich an, dann zerlegt er seinen Haftraum und dann puderst du ihm den Arsch?“ Deron wirkt sichtlich ungehalten und sogar die Bleiche seines Gesicht nimmt einen sehr roten Ton an. „Deron“, stöhne ich „glaubst du wirklich, dass jemand mit einer Schizophrenie aus persönlichen Gründen angreift? Außerdem solltest du professionell genug mit der Lage umgehen können, um deine eigene Wut im Zaum zu halten“. Er scheint mit der Antwort nicht wirklich zufrieden zu sein. Ich kann es aber auch verstehen. Er arbeitet erst seit kurzem hier und das einzige Mal, als er mit Herr Körn Kontakt hatte war, als dieser ihn angriff.
„Deron, er scheint jetzt wieder ruhig zu sein. Komm mit, dann verstehst du es“.
Man merkt ihm sein Unbehagen an, dennoch willigt er mit einem kurzen Nicken ein. Ich stehe auf und bitte Deron die Tabletten mitzunehmen. Die Inhaftierten für die Kostverteilung sind auch bereits fertig vorbereitet. Haftraum 106. Um sicher zugehen, dass Herr Körn sich tatsächlich beruhigt hat, werfe ich einen Blick durch die Klappe seiner Haftraumtür. Er sitzt auf dem Bett und scheint seine Aufmerksamkeit auf seine Hände gerichtet zu haben. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und mit einem lauten widerwilligen Knacken öffnet sich die Tür. „Guten Morgen Herr Körn“ begrüßte ich ihn ungewohnt freundlich. „Herr Wozniak“. Herr Körns Stimme klingt heiser und gleicht mehr einem Flüstern. „Ich weiß nicht was… es ist schon wieder passiert. Es tut mir so Leid…“. Die Tränen in seinem Auge verraten mir, dass er es aufrichtig meint. „Herr Körn, alles gut“ versuche ich ihn aufzumuntern. „Wir verteilen das Essen und in der Zwischenzeit können Sie schonmal die Scherben beseitigen“. Ich deute auf den zerbrochenen Klodeckel. „Wie sieht es denn mit Ihrer Hand aus? Haben Sie sich verletzt?“ Herr Körn betrachtet die kleine Schnittwunde in seiner Handfläche. Er lächelt „Nein, nein, schon gut Herr Wozniak. Das ist nichts Schlimmes, aber vielen Dank“. Die Schnittverletzung scheint tatsächlich nur sehr oberflächlich zu sein, dennoch werde ich dem Sanitätsdienst später Bescheid geben, damit er sich das anschaut. „Herr Körn, ich habe Ihnen wieder Mandals mitgebracht, über die freuen Sie sich doch immer so“. Ein strahlen huscht über das Gesicht des kleinen Mannes, der vor mir steht. Deron, der sich eher versteckt hielt tritt nun langsam näher an das Geschehen ran. „Oh, Hallo Herr Beamter. Sie sind doch der freundliche Herr von letztens, oder?“ Deron sieht nun sichtlich verwundert aus. „Sie haben mich doch angegriffen“ stellt er mit erregter und zugleich verwirrter Stimme fest. Nun wieder sehr betroffen, sengt Herr Körn seinen Blick. „Das tut mir Leid, ich hoffe, dass das nicht mehr vor kommt“.
Ich verabschiede mich von Herr Körn und schließe die schwere Haftraumtür wieder. Das restliche Verteilen des Frühstücks war wie immer. Man kam kurz in ein paar nette Smalltalks, wurde mal freundlich, mal weniger freundlich gegrüßt, aber alles ohne besondere Vorkommnisse. Legentlich Herr Piotros macht seinen Unmut darüber bekannt, dass er mit der Methadon Abdosierung nicht zurecht kommt.
Als Deron und ich zurück im Büro sind, beantworte ich ihm seine unausgesprochene Frage. „Herr Körn leidet unter einer Schizophrenie“. Vorschnell unterbricht mich Deron „Also ist er mal die eine Person, dann die andere“. „Nein“, fahre ich fort „Dies nennt man Multiple Persöhnlichkeitsstörung, beziehungsweise eine dissoziative Störung. Aber so oder so“ sage ich, setze mich auf meinen Stuhl und schaue Deron eindringlich in die Augen. „Egal was die Gefangenen haben. Viele haben Störungen oder sind unter so unvorstellbaren Verhältnissen groß geworden, dass dies nachhaltig ihr Leben beeinträchtigt. Unsere Rolle ist es zwar für Schutz und Sicherheit zu sorgen, ja, auch die Inhaftierten zu sanktionieren, doch nimm diese Arbeit hier nie zu persönlich“. Deron schaut mich skeptisch an und setzt zum widersprechen an. „Aber du machst es doch auch nicht. Wie oft ziehst du über Gefangene her, Vor allem über den letzten, den du tot aufgefunden hast?“.
Ich schmunzle. „Deron. Was du hier lernen muss ist bitter, aber irgendwo auch essenziell für unsere Arbeit“. Ich sinke ein wenig tiefer in meinem Bürostuhl und lege die Füße auf dem Tisch. „Es klingt vielleicht für viele unverständlich, doch schwarzer Galgenhumor ist absolut wichtig. Wenn du dem ganzen einen netteren Namen geben willst, dann nenn es Seelenreinigung. Es ist egal, ob du angegriffen wirst, bedroht oder ob du jemanden tot auffindest. Es geht früher oder später auf deine Psyche“. Derons Mine ändert sich zu einem interessierten Ausdruck. „Ich weiß nicht warum, aber im Knast gibt es ein stillschweigendes Gesetz“. Zu meinem Bedauern ist es wirklich so. „Wenn du in eine belastende Situation kommst, wird von dir erwartet, dass du funktionierst. Und auch danach, behalte deine Emotionen für dich, bis du zuhause bist“. Nun wirkt er etwas erschrocken, aber ihm fehlen wohl die passenden Worte. „Jeder der nicht in irgendeiner Form Seelenreinigung betreibt, scheidet früher oder später aus dem Dienst aus“.
Nach einigen Minuten des Schweigens und Nachdenkens meldet sich Deron wieder zu Wort. „Und was hat das jetzt mit den Gefangenen zu tun?“
„Deron, wenn du psychischkranke Menschen aus Furcht, Unsicherheit oder persönlichem fertig machst, dann bist du entweder Charakterschwach, oder für diesen Beruf ungeeignet. Diese Menschen können nichts dafür, also hilf ihnen. Und dann wirst du auch merken, dass das viel erfüllender ist, als jemanden fertig zu machen“.
Erneutes Schweigen setzt ein und Deron und ich arbeiten ohne viel Gerede nebeneinander her. „Der Knast“ breche ich das Schweigen nach einiger Zeit „ist für psychisch kranke nicht förderlich. Weder für die Inhaftierten, noch für uns Beamte“. Ich greife in meine Tasche und hole einen Streifen Tabletten raus und nehme eine davon ein. Deron fängt an zu grinsen und versucht zu scherzen „Bist du jetzt auch psychisch krank?“ „Ja“, antworte ich und sein grinsen verschwindet abrupt. „Aber ich sehe es als nichts schlimmes an, eher im Gegenteil. Aber das erkläre ich dir ein anderes Mal.“