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Vor Gericht
Hier bin ich also und warte. Mein Raumanzug hat eine integrierte Kühlung. Trotzdem schwitze ich. Auch das rhythmische Klopfen von allen Seiten, das zeitweise aufhört und wieder anschwillt, dämpft er kaum.
Normalerweise trauen die Leute den Angehörigen unserer Branche keine tiefschürfenden ethischen Überlegungen zu. Ich bin Waffenhändler von Beruf. Trotzdem habe ich auf der Reise in diese bestürzend fremdartige Welt viel über Gerechtigkeit nachgedacht ...
Weit unter mir sehe ich einen Menschen in einer Art Goldfischglas am Richterpult. Im fremden Licht dieses Planeten wirkt alles, als wäre man im Inneren von Götterspeise. Die Verhandlung wird gleich anfangen.
Der Angeklagte und der Verteidiger sitzen in einem großen rechteckigen Behälter. Es sind Männer mit unscheinbaren Gesichtern. Sie besprechen noch etwas. Ich kenne keinen von beiden. Nur den Richter in Perücke und glänzend schwarzer Robe, der jetzt aufsteht und den Beginn der Verhandlung verkündet: Den kenne ich. Wir waren lange Teil derselben Organisation und haben auf langen Flügen in primitiven Frachtschiffen buchstäblich in denselben Topf geschissen. Sein rotes Gesicht mit der langen Nase und den hervorquellenden Augen sieht immer noch aus wie die Visage eines Raufbolds. Heute urteilt er über einen anderen Menschen. Ich muss leider sagen, er war nie besonders schlau. Hier strahlt er Autorität aus.
Bumm-Badda-Bong-Bang-Bomm Bomm-Bomm ...
Es bedeutet: „Der Angeklagte Nikolai Poptodorow wird beschuldigt, einer GRUPPE eine große Menge Waffen verkauft zu haben und somit Beihilfe zu einem Massenmord an den Bewohnern unseres Planeten geleistet zu haben.“
(Stimmt nicht! Die Waffen haben ihre Empfänger nie erreicht. Die hiesige Regierung konnte sie, mitsamt des Lieferanten, abfangen. So gesehen war es nur versuchte Beihilfe zu einem Massenmord.)
Was genau eine GRUPPE ist, weiß ich nicht. Sicher etwas, das im Widerspruch zur herrschenden Ordnung steht und deshalb bekämpft werden muss.
Unser Chefanalytiker sagte mir, sie können die Prozesse in unserem Geist nach Belieben manipulieren, aus- und wieder einschalten. Weil der Mensch recht kompliziert ist, müssen sich dafür mindestens zehn von ihnen vereinigen. Dann können sie mit dem Bewusstsein herumspielen, wie wir mit Computern. Ich bin aber nicht sicher, ob er (schon, weil er meiner Meinung nach eine intrigante Ratte ist) mir die ganze Wahrheit erzählt hat.
Ein Mensch dem das geschieht, sollte merken, dass seine Erinnerung Lücken aufweist oder seine Ansichten den Gesetzen der Logik widersprechen - würde man glauben. Ist aber nicht so. Wir Menschen überschätzen uns selbst. Wir verteidigen unsere Ansichten mit Zähnen und Klauen. Egal was passiert. Das ist unser Verhängnis ...
Der Richter verzieht das Gesicht. Er sieht aus, als hätte ihn jemand aufgefordert, bittere Medizin zu schlucken. Er brummt: „Ich nehme schon an, Ihr Mandant kannte den Zweck der fraglichen Gegenstände, Bewohner dieses Planeten zu ermorden.“
„Oh, selbstverständlich!“
„Wie bitte?“
„Weil die abschreckende Wirkung von Waffen die Ordnung im Staat gewährleistet.“
Ich kann mich nicht erinnern, als Reisender im Dienste meiner Firma jemals bei einer offiziellen Stelle nicht willkommen gewesen zu sein. Alle haben sie den roten Teppich ausgerollt und begeistert zugehört, wenn ich von den technischen Finessen ihrer neuen Spielzeuge erzählte: „Hier müssen Sie das Magazin einlegen. Es enthält hundert mal hundert Projektile, abgeschossen nach quantenmechanisch abgestimmten Algorithmen, bis zu tausendmal pro Sekunde. So betätigen Sie den Sucher, der selbstständig das Ziel verfolgt ...“
Mit solchen Vorträgen erntet jeder Waffenhändler begeisterte Blicke aus Netz- und Stielaugen und am Ende reichen sie einem freudig Hände und Tentakel zum Abschluss des Geschäfts.
Das Klopfen geht mir auf die Nerven. Es wird lauter. Mein Übersetzungsprogramm interpretiert es als: „Einspruch!“
Das ist der Auftakt zu gemessen ausgeworfenen Sätzen des Anklägers:
„In wenigen Kulturen muss ein Staat töten, um bestehen zu können. In der Geschichte dieses Planeten war es bisher nicht nötig. Sie können nicht für Ihren Mandanten in Anspruch nehmen, im guten Glauben überzeugt gewesen zu sein, eine Ordnungsmacht zu beliefern. Schon dass er versucht hat, das Geschäft geheim zu halten, spricht für ein Merkmal der Angehörigen Ihrer Spezies, wenn sie schuldig geworden sind: das sogenannte Schlechte Gewissen.“
Obwohl der Verteidiger sich redlich bemüht, hat er zehn Minuten später einen toten Punkt erreicht. Der Prozess ist längst als Farce erkennbar. Eigentlich ist es egal, was er noch sagt. Er könnte versuchen, zu behaupten, die ganze Angelegenheit sei:
a) das Werk eines Anderen
b) eine böswillige Fehlinterpretation
c) nur ein dummes Missverständnis
Er versucht es halbherzig mit einer Kombination aller drei Varianten.
Gegen das Urteil, das sich schon abzeichnet, sind seine Argumente etwa so wirkungsvoll wie ein schwarzer Herrenschirm gegen einen Meteoritenregen.
Endlich hämmert der Richter auf das Pult. Wir anwesenden Menschen müssen aufstehen. Ich stehe ohnehin schon seit einer Stunde hier herum. Der Schweiß läuft mir die Beine hinunter. Kein gutes Gefühl!
Ich versuche, mir die Gedankengänge des Richters vorzustellen und frage mich, auf welcher Basis er seine Entscheidung trifft, wo es doch keine Gesetze gibt. Es scheint reine Willkür zu sein: Er kann jede Strafe verkünden, die ihm richtig erscheint. Er könnte den Angeklagten sogar gehen lassen.
Aber er sagt: „Im Namen der Regierung dieser Welt, für die es in meiner Sprache noch keine Bezeichnung gibt, verkünde ich das Urteil: Der Angeklagte ist der Beihilfe zum Massenmord schuldig. Er wird von einem mit dem Erzeugnis seiner Firma bewaffneten Schützen aus tausend Metern Entfernung eine Minute lang unter Feuer genommen. Es steht ihm frei, davonzulaufen oder gegen das Urteil Berufung einzulegen. Die Sitzung ist geschlossen.“
Jetzt sitzt er noch am Richterpult, der arme Kerl! Er weiß nicht, dass er selbst es war, der eine oppositionelle Gruppe mit Waffen beliefern wollte. Der Mann auf dem Platz des Angeklagten war nur ein Schauspieler. Wir werden mit demselben Schiff zur nächsten Raumstation fliegen. Der arme Kerl wird nicht einmal sagen können, das Urteil sei durch Grausamkeit oder Unkenntnis zustande gekommen: Alle relevanten Fakten wurden ja aus seinem eigenen Geist extrahiert. Ein paar Stunden wird es vielleicht noch dauern, bis die Blockaden in seinem Geist sich auflösen.
Mit einem Gefühl der Beklemmung gehe ich zu dem Fahrzeug, das mich zum Raumschiff bringen wird. Ich habe schon jetzt genug gesehen, um den Bericht an die strategische Planungsabteilung unserer Firma zu verfassen.