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Voodoo und andere Missverständnisse
"Sie wissen ja, das ich am Montag nach London fliege und bei der Betriebsversammlung nicht anwesend sein kann", verrät er mir mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, während sich seine Blase in das Pinkelbecken entleert. - "Stellen abzubauen ist niemals schön, aber der Konzern sitzt mir nunmal im Nacken, da kann ich nichts machen. Ich bin mir sicher, dass Sie den Leuten die Situation schon ganz verständlich und plausibel rüberbringen werden. Sie sind doch mein Mann, Rick!"
Paulsen betätigt die Spülung und lässt seinen eingezogenen Schwanz zurück im Armani Anzug verschwinden. Dann klopft er mir mit der ungewaschenen ´Revolverhand´ kumpelhaft auf die Schulter und verschwindet durch die Tür hinaus zurück in sein gigantisches Büro.
Noch hat er gut Lachen; kann kurzfristig dubiose Termine in England festmachen, um sich vor seiner Verantwortung zu drücken. Er muss den Mitarbeitern aus der Produktion, die zum großen Teil schon mehr als zehn Jahre für die Firma arbeiten, schließlich nächste Woche nicht zu verstehen geben, das sie aufgrund grober Fehlentscheidungen im Management ab Februar auf der Straße stehen.
"Rick, Sie stammen doch aus Jamaika, Sie müssen sich doch bestens mit Armut auskennen. Nächste Woche fliegen Sie zu den BAYER-Werken in Kappstadt."
"Rick, wenn Sie den Auftrag vermasseln, drehe ich Ihnen mit der Kneifzange persönlich Rasta Zöpfe auf den Schädel."
"Rick, ich habe Sie nicht in den Vorstand befördert, damit Sie Ihren Karibik Hintern platt sitzen. Sowas können Sie da machen, wo Sie herkommen."
"Rick, Ihre Familie soll doch stolz auf Sie sein, oder? Dann bemühen Sie sich bitte, damit Ihre Mama auch weiterhin mit der Gewissheit einschlafen kann, das es zumindest einer aus der Sippe zu etwas gebracht hat."
"Hey Rick! Im ´FOCUS´ steht was über Voodoo und so´n Zeugs. Damit kennen Sie sich doch bestens aus! Soll ich Ihnen den Artikel hier lassen?"
Von all den erniedrigen Sprüchen, die ich mir von diesem Dreckskerl gefallen lassen musste, ist mir letzterer am symphatischsten.
Eigentlich wollte ich mein von langer Hand geplantes Vorhaben erst nach der Betriebsversammlung in die Tat umsetzen, aber wie das Schicksal nunmal hin und wieder spielt, ist Paulsen, dieser Schweinehund von einem Bastard, heute früher von seinem Außen-Meeting zurückgekehrt. Wahrscheinlich ist er bloß schnell zu seiner Schlampe gefahren, die dann aber keine Lust mehr auf ihn hatte, weil selbst sie bemerkt hat, was für ein Schwein er ist.
Oh du gnädige Fügung, du meinst es gut mit mir an diesem wundervollen Tag. Was für ein angenehmer Zufall, das wir uns hier auf der Toilette getroffen haben.
Ich lasse das dunkle Haar behutsam in mein kleines Plastiktütchen fallen. Hier ist es besser aufgehoben, als auf seinem Jackett.
Anschließend ziehe ich mich in meine Pause zurück; es gibt eine Menge zu erledigen in der nächsten halben Stunde.
Es ist kurz nach halb drei als ich, ohne höflicherweise zuvor angeklopft zu haben, die Bürotür aufstoße und in sein entsetztes, fettes Gesicht blicke. Hastig klickt Paulsen die gerade geöffnete Internetseite weg, von deren Inhalt ich gar nichts ahnen möchte.
"Rick! Haben Sie noch alle Sinne beisammen? Was soll diese gottverdammte Scheiße? Was halten Sie da in der Hand?"
"Das bist du. Ein geistiges Abbild von dir. Dein kleines Ich sozusagen", antworte ich, vor Erregung bebend.
"Sind Sie jetzt total übergeschnappt? Ich wusste von Anfang an, dass Sie nur Ärger machen würden. Es kostet mich nicht mehr als fünf Minuten und Sie sind raus hier."
Oh ja, er hat Angst, wird fast panisch. Was er wohl jetzt denkt? Ob ich ihn absteche, oder gar den Kopf abreiße? Hmmm...was für ein verlockender Gedanke.
"Bitte, Rick. Ich habe keine Ahnung was in Sie gefahren ist, aber vergessen wir diese Situation hier doch ganz einfach und Sie gehen wieder, in Ordnung? Dann ist alles wie vorher, ich gebe mein Wort darauf."
Ha! Als wenn sein Wort tatsächlich etwas wert wäre. Er hat mein Messer in der anderen Hand entdeckt und wird immer nervöser.
"Weisst du", fange ich an zu sprechen, "der Artikel im ´FOCUS´ damals war ganz nett, aber eines wollt ihr Europäer einfach nicht lernen. Weisst du was es ist?"
"Hör zu Rick. Wir können doch über alles reden...", stammelt er.
"Ich verrate es dir. Voodoo Puppen werden nicht mit Nadeln bearbeitet. Ich habe keine Ahnung, wer mit diesem Schwachsinn angefangen hat, aber Messer eignen sich dafür viel vorzüglicher."
"Hey, es gibt keinen Grund..."
"Ich werde dich nicht lange quälen, obwohl ich es gerne täte, aber viel besser gefällt mir der Gedanke, dich einfach tot auf den Boden plumpsen zu sehen; du abstoßendes Arschloch!"
"Rick!"
Ich steche zu, zerfetze fast die ganze Puppe in meiner Wut.
Jetzt wirst du sterben.
...
"Hören Sie doch bitte Rick. Wir regeln das alles ganz zivilisiert."
Was? Er lebt noch?
"Los...fall um!", brülle ich.
"Rick, Sie sind doch nicht dumm. Es gibt keinen Grund, auszuflippen, bitte."
Ein Toupee! Oh Gott, doch wohl nicht etwa aus echtem Menschenhaar? Dann habe ich gerade jemand unschuldigen unter die Erde gebracht. Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich bin ein Mörder.
"Rick, bitte Rick, Rick..." - Ich kann dieses Gewinsel nicht mehr hören. Irgendjemand anderes ist jetzt tot, was habe ich bloß getan?
Ich muss hier raus. Einfach nur nach hause. Es gibt keine Zeugen. Alleine kann er mich nicht kündigen. Die Anderen müssen ihr Okay geben; die Situation ist peinlich, aber überschaubar.
"Rick!", ruft Paulsen mir hinterher. Was habe ich nur getan? Ich hätte nicht so überstürzt handeln dürfen.
Die Autobahn ist voll, aber meine Gedanken schweifen bloß noch um das Geschehene. Wäre er doch nicht früher zurückgekommen. Vielleicht hätte ich sein Haar dann genauer unter die Lupe genommen, gemerkt, das es nicht sein eigenes ist.
Als ich von der A46 in Richtung Essen abbiege und mich auf der Hauptstraße einfädele, erkenne ich einen LKW auf der Gegenfahrbahn. Soll ich einfach nur das Steuer verreißen und mich selbst bestrafen? Was, wenn der Fahrer dann auch umkommt? Ein weiteres Leben, das ich auf dem Gewissen hätte.
Nein, ich steh das durch. Mein ganzes Leben lang bin ich hart gewesen, habe immer nur einstecken müssen; weshalb nicht auch jetzt?
Mit zitternden Händen schließe ich die Tür auf.
Sei ganz entspannt, lass dir nichts anmerken
"Schatz? Meine kleine süße Esmeralda, wo bist du?"
Klappt doch ganz gut.
Als ich ins Wohnzimmer komme, sehe ich sie starr auf dem Boden liegen.
Das Chatfenster hatte sie nicht mehr weggeklickt.