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Von ihren Lippen
Die Welt ist gestorben, gestern abend. Es war kein besonderer Abend. Die Vögel flogen wohl durch die Luft, die Menschen verpesteten die selbige und im bekannten Dunst der Vergänglichkeit ging die Sonne unter, wie jeden Tag. Von alledem habe nichts mitbekommen. Ich war bei meiner Liebe. Was ich anfangs nicht wusste, was ich im Traum nicht geglaubt hätte: Es würden Tränen fließen, später am Abend. Meine Tränen. Dabei hatte ich mich den ganzen verdammten Tag auf diesen Abend gefreut. Ich würde bei ihr sein. Bei ihr, meiner Göttin, der unanfechtbaren Nummer eins in meinem Leben. Bei ihr, der keine und keiner das Wasser reichen kann. Ich fragte mich: Was würden wir wohl an diesem Abend zusammen unternehmen? Auf welche Weise würden wir uns an diesem Abend wohl lieben? Ihr Körper ist ein Elixier der Sinnlichkeit, der hemmungslosen Geilheit und meiner grenzenlosen Verliebtheit. Ihr Verstand ist ein Leuchtfeuer der Weisheit. Nein, ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Sie ist alles, was mir im Leben wirklich wichtig war. Ich bin ihr auf keine Weise ebenbürtig, konnte ihr nie das Wasser reichen. Und dennoch: Sie hat mich geliebt.
Hat sie mich geliebt? Ich will mich nicht quälen mit dieser Frage. Ich will mich nicht quälen, mit der Antwort auf diese Frage. Ich will mich nicht quälen mit den Geschehnissen der letzten Nacht, und habe doch einfach gar keine Wahl, denn unkontrollierbar wie ein schweres Erdbeben bricht es aus mir hervor: Sie hat mich sitzen lassen. Das ist die unsagbare Wahrheit, die mir den Atem stocken, die Augen rot werden und die Tränen fließen lässt bis ans Ende meiner Tage.
"Es ist aus", das waren ihre Wort. Ich konnte es erst nicht glauben. Scherzte sie etwa? Hatte sie den Verstand verloren? Dann blickte ich in ihr entschiedenes Gesicht, das mir nur eines zu sagen schien: "Verschwinde". Als ich verstanden hatte, brach ich zusammen. Seelisch. Ich spürte, wie all meine Muskeln zitterten, mein Herz aus dem Rhythmus geriet und meine Zukunft starb. Die Wahrheit ist: Sie hat mich gestern abend getötet.
Waren wir nicht alles für einander gewesen? Haben wir uns nicht wie verückt geliebt? Hatten wir denn keine gemeinsamen Träume und Wünsche? Ich habe immer nur von ihr geträumt. Heute weiß ich: In ihren Träumen hatte ich bestenfalls eine Nebenrolle. Und jetzt? Lebe ich? Noch immer? Ich frage nicht, weil ich sterben will. Aber alles scheint einfach vorbei zu sein, wie eine Geschichte, in der alles gesagt wurde, in der jedes zusätzliche Wort ein Wort zu viel wäre. Es gibt nichts mehr zu tun für mich, in dieser Welt. Mir wurde das Paradies gezeigt, nur um daraus wieder vertrieben zu werden.Ich werde immer an sie denken müssen, mein ganzes weiteres verdammtes Leben lang. Ich bin nie so glücklich gewesen, wie ich es mit ihr zusammen war, und ich werde es auch nie wieder sein. Das ist alles was ich sagen kann, an diesem Tag, der keiner zu sein scheint; an diesem Tag, an dem zwar die Sonne wieder aufgegangen ist und scheint, ihr Licht aber nicht bis in die Untiefen meiner Seele vorzudringen vermag. Heute weiß ich:
Nichts auf der Welt ist so schrecklich wie die Liebe.