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Von Helden und Tagträumern

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15.12.2003
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Von Helden und Tagträumern

Wenn Helden siegen

Wenn Helden siegen

Held war 35 und mit vollem Namen hieß er Thadäus Held. Dafür hasste er seine Eltern. Eigentlich fand nur er seinen Namen schlimm; die anderen beiden Jungens aus der Held-Familie hießen Peter und Ferdinand. Sie beneideten ihn. Alle waren in den 60ern zur Welt gekommen, damals waren solche Namen einfach schwer in Mode. In ihren wilden Teenie-Jahren waren die Brüder Held unter klangvollen Namen, wie Tad oder Pete bekannt. Mittlerweile nannte man sie aber stets bei ihren richtigen Namen, was ihr Ego doch wieder etwas schrumpfen ließ.

Thadäus ging zur Arbeit. Das Parkhaus, in dem sein Jaguar stand, lag etwa 200 Meter von seinem Apartment mit Dachbalkon entfernt. Held liebte sein Auto und es waren für ihn die schönsten zwei Sekunden eines jeden Tages, wenn er das kurze, krächzende Geräusch des anspringenden Motors hören durfte, das dann von dem kraftvollen, hämmernden Geräusch des laufenden Motors abgelöst wurde. Auch heute war ihm dieser so wunderbare Moment vergönnt.
Er verließ das Parkhaus und fuhr am Bahnhof vorbei in das Viertel, in dem seine Kanzlei stand. Held war ein sehr bekannter Anwalt in seiner Stadt. Man könnte sogar sagen, dass er der beste war. Nur die Reichsten und Bekanntesten Leute gingen bei ihm ein und aus.
Doch trotz des Reichtums und des Erfolges, zweifelte Thadäus seit einiger Zeit an sich. Er fing an, alles was er erreicht hatte, in Frage zu stellen und wusste nicht mehr, ob er wirklich den richtigen Weg gegangen war. Der Gedanke, dass die letzten harten 15 Jahre des Studiums und eiserner Arbeit, der Aufbau der Kanzlei und letztendlich ihre Leitung, ihn am Ende nicht mehr erfüllten, trieb ihn regelrecht in den Wahnsinn. Als Held durch das moderne Foyer seiner Kanzlei schritt, fühlte er sich heute nicht mehr so würdevoll und charismatisch, wie früher einmal. Und als er die Treppe zu seinem Büro hinaufstieg, freute er sich nicht mehr so sehr auf die interessanten Leute und die vielen, illegalen Machenschaften, in die seine Klienten verstrickt waren; wenigstens einige davon.

Die heiße schwarzhaarige Frau, die an dem Schreibtisch des Vorraumes seines Büros saß, hieß Frau Blinetti und war seine Sekretärin. Sie begrüßte ihn, wie immer mit einem erotischen Lächeln und einem "Guten Morgen, Dr. Held". Dr. Held antwortete heute nicht.
In seinem Büro ließ er sich in seinen Drehsessel fallen und lehnte sich erst einmal zurück und entspannte. Dann raffte er sich aber doch auf, einen Blick in seinen Terminkalender zu werfen. Er öffnete das lederne, kleine Buch mit dem "Held und Partner"-Emblem vorne drauf und blätterte zum Donnerstag. "9.30: Herr Bläuner", stand da. Bläuner war der Chef des größten Chemiekonzerns der Stadt. Gestern hatte er wegen einer Sache mit Studenten angerufen, die mit seiner Methode, Restflüssigkeiten seiner Produkte abzuleiten, nicht ganz einverstanden waren. Es war ein Routinefall. Bläuner war in letzter Zeit Helds häufigster Gast in seiner Kanzlei geworden. Vielleicht war das mit ein Grund, warum er seinen Job in letzter Zeit nicht mehr so liebte. Thädäus atmete tief durch und genoss die letzten Minuten der Ruhe vor dem Termin mit dem unsympathischen Konzernleiter.
Ihm sollte keine lange Ruhepause vergönnt sein. Schon nach wenigen Sekunden der Entspannung hörte er aus dem Vorraum seine Sekretärin sprechen. Er wusste, was das bedeutete. Herr Bläuner, sein "Lieblingsklient" war eingetroffen.
Es klopfte an der Tür und bevor Thadäus herein rufen konnte, trampelte der übergewichtige Großunternehmer in sein Büro und streckte ihm seine aufgequollene, weiße Hand entgegen." Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Held", wünschte ihm der riesige Mann. Offensichtlich war Bläuner gut gelaunt. Thadäus war es nicht. Vielleicht kannte er den Koloss einfach so gut, dass man ihn gar nicht mehr mögen konnte. Ihm schwirrten so viele Hassgedanken gegenüber dem Fleischberg im Kopf herum, dass er sich kurz sammeln musste, bevor er wie gewohnt, den freundlichen, dynamischen Kanzleileiter mimen konnte. Vielleicht wollte er es auch gar nicht. Hatte Held plötzlich die Kraft verloren? Er verwarf den Gedanken wieder und sah den Unternehmer prüfend an.
"Guten Morgen, Herr Bläuner. Meine Sekretärin hat mich bereits über ihr...", Held zögerte. "...Problem informiert."
Wenn er Bläuner schon nicht mochte, so wollte er wenigstens ein bisschen mit ihm spielen, dachte Thadäus bei sich und entschied sich, einige der schauspielerischen Tricks, die er sich in seiner Karriere als Anwalt angeeignet hatte, anzuwenden. Es war Strafe genug für den erfolgreichen Juristen, dass er überhaupt mit der schmierigen Person verkehren musste. Er brauchte irgendetwas, wo er seine Aggressionen los werden konnte.
"Wie ich gehört habe, sind einige der Studenten der örtlichen Universität nicht sehr erbaut über ihre Einstellung zum Umweltschutz", ging Thadäus weiter auf Bläuner ein.
Dieser suchte sich gerade offensichtlich Worte zusammen, die seine Geschichte halbwegs entschärfen würden. Schließlich fing er etwas verunsichert an, den Sachverhalt zu erklären.
"Nun. Es ist so, dass diese Biologiestudenten mich schon immer gerne als rüchsichtslosen Konzerntyrannen beschimpft haben. Meine Firma ist auch immer schon das Lieblingsziel ihrer Demonstrationen gewesen. Deswegen machen sie auch immer mich als erstes für irgendwelche Umweltverschmutzungen verantwortlich." Bläuner zögerte, weil ihn Held mit seinem starr auf ihn gerichteten Blick fast verrückt werden ließ.
"Sehen sie, Herr Held. Diese verdammten Naturschützer wollen mir die Verseuchung eines Baches im Gröhnerwald anhängen." fuhr Bläuner fort.
Anhängen? Wäre Held der Richter in dem bevorstehenden Prozess, hätte er sein Urteil längst entschieden. Thadäus begann, langsam und nachdenklich mit dem Kopf zu nicken und sah dem Konzernchef forschend in die Augen. Dieser wandte den Blick ab. Der junge Anwalt konnte diesen Menschen einfach nicht mehr ertragen, doch er bedeutete gutes Geld. Vielleicht würde er sich besser fühlen, wenn er einmal sein Geld vergaß, von dem er eh genügend hatte. Er focht einen inneren Kampf aus, dessen Ausgang schnell feststand, als er die jämmerliche Gestalt noche eine Weile ansah.
Thadäus drehte seinen Bürosessel zum Fenster und wippte mit seinem linken Bein auf und ab, so dass Bläuner nur noch das Knie des Anwalts seitlich hinter dem Sessel heraushopsen sah. Der Kanzleichef wusste, dass es den Unternehmer wahnsinnig machen würde.
"Wissen sie, Herr Bläuner. Es gibt da einen nicht ganz nebensächlichen Aspekt, der meine Entscheidung in diesem Fall sehr stark beeinflussen könnte," sagte Held langsam, immer noch mit dem Rücken zu dem Großunternehmer gewandt. Dieser saß nur da, wie ein Ölgötze und starrte hilflos auf das hopsende Knie, das hinter dem umgedrehten Stuhl zum Vorschein kam. Als er sich endlich wieder umgedreht hatte, bat Bläuner ihn mit einer hilfesuchenden Geste fortzufahren. Dieser fand den Anblick des Großunternehmers, der im Moment aussah, wie ein Erstklässler, der sich am liebsten am Oberschenkel seiner Mami festgeklammert hätte, aufs Äußerste belustigend. Er hatte so gar keine Ähnlichkeit mehr mit dem spießigen Kotzbrocken, den er sonst darstellte. Nachdem der Kanzleileiter den dicken Kerl eine Weile apathisch angesehen hatte, um ihn völlig konfus zu machen, antwortete er kurz angebunden, jedoch ausdrucksstark und niederschmetternd für die Person, an die seine Worte gerichtet waren.
"Ich glaube ihnen nicht ein einziges Wort", sagte Held ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken oder sonst irgendetwas außer dem Mund zu bewegen. Völlig ruhig, arrogant und herablassend sprach Thadäus die Worte aus, die sein Gegenüber gerade in einen hilfloses, kleines Säugetier verwandelten. Ihm gefiel das Spiel mit dem Waschbären.
Bläuner war auf solche Worte des Anwalts nicht gefasst gewesen. Er war auf einen Routinetermin mit seinem Anwalt vorbereitet, der doch eigentlich immer genauso korrupt gewesen war, wie er selbst. Niemals hätte er solche Vorwürfe aus seinem Munde erwartet. Nun war der riesige Mann völlig in die Defensive gedrängt. Held hingegen blieb völlig ruhig sitzen und ließ seinen marternden Blick weiterhin auf Bläuner ruhen, welcher anscheinend gerade ansetzte etwas zu sagen.
"Und," er schluckte, "wie kommen sie zu diesem Schluss?" Offenbar hatte der übergewichtige Riese noch nicht realisiert, dass Held gerade entschieden hatte, die Arbeit mit dem zwielichtigen Konzernleiter hier und jetzt zu beenden. Thadäus hatte diesen Entschluss eigentlich schon gefasst, als Bläuner die Geschichte mit den Hippies und ihm als Sündenbock erzählte. Nicht länger wollte der junge Anwalt diese Ignoranz in seinem Hause dulden. Es war für Held nach fünfzehn Jahren endlich einmal wieder der Tag gekommen, an dem er seine eigenen Interessen, vor die des anderen Held, nämlich die des Anwalts stellte. Diesen hässlichen, oberflächlichen Großunternehmer loszuwerden war eine seiner Interessen. Ein unerklärliches Glücksgefühl stieg in dem jungen Mann auf. Es war das warme, euphorische Gefühl, das man spürt, wenn man einen richtigen Sieg errungen hat. Plötzlich wurde Thadäus klar, dass er die letzte Zeit nur zu Gunsten der Kanzlei gesiegt hatte. Er selbst, hatte dabei aber einfach zu oft verloren. Das musste sich hier und jetzt ändern.
"Wissen sie," antwortete Held nach kurzem Schweigen, "es ist nicht einfach, jemandem Glauben zu schenken, der innerhalb von drei Jahren sechs Mal wegen der gleichen Straftat angezeigt wird. Haben sie denn vielleicht schon einmal daran gedacht, nach fünf Prozessen wegen illegaler Giftmüllentsorgungen, ihre ätzenden Abwässer nicht mehr in irgendwelche Seen oder Bäche zu leiten. Oder dachten sie vielleicht schon einmal daran, wie jeder andere Mensch auch, ihre verdammten Steuern zu zahlen. Die Antwort kennen sie, Bläuner. Sie lautet: NEIN"
Dieser antwortete nicht. Stattdessen saß der Riese nur da, auf seinem schwarzen Lederstuhl mit silbern glänzenden Stahlbeinen und sah den triumphierenden Anwalt fassungslos an. Seine gute Laune, die er mit zum Termin brachte, war verflogen. Er ähnelte ein wenig einem Wasserspeier. Einem ziemlich dicken noch dazu. Bläuner gab also keinen sehr würdevollen Anblick ab, wie er so völlig niedergeredet da saß. Heute hatte er wohl verloren.
"Und deswegen sehe ich in unserer Zusammenarbeit keinen Sinn mehr. Sie entschuldigen mich? Ich habe zu tun." Damit beendete Held das Gespräch und bat den stumm gewordenen Unternehmer zur Tür, bevor er das Brett vor dem Gesicht wegnahm, das Held ihm dorthin gedonnert hatte und wütend wurde. Die Sekretärin sah dem Riesen etwas verwundert nach, weil dieser nach nur fünf Minuten wieder das Büro ihres Chefs verließ. Ihr Chef hingegen blickte dem Geldsack zufrieden hinterher.
Thadäus ließ sich währenddessen gemütlich in seinen Sessel fallen und genoss die Ruhe. Er hatte gerade seinen häufigsten Klienten herausgeekelt und wohl eine Menge Geld verloren, dass er in Zukunft erhalten hätte. Aber er gewann an diesem Tag dafür auch sehr viel, das wusste er.
Er drückte auf den kleinen blauen Knopf an seiner Freisprechanlage. "Frau Blinetti, sagen sie bitte alle meine Termine für heute ab. Ich bin ...krank. Danke" sprach er in das Gerät. "...und frei." dachte er für sich. Dann erhob er sich und nahm seinen Mantel. Held brauchte dringend frische Luft.

ENDE

 

Hallo Don und herzlich willkommen. :)

Deine Geschichte ist flüssig geschrieben und liest sich ganz gut.
In manchen Formulierungen bist Du etwas theatralisch für meinen Geschmack. Beispiel.

" Oder dachten sie vielleicht schon einmal daran, wie jeder andere Mensch auch, ihre verdammten Steuern zu zahlen. Die Antwort kennen sie, Bläuner. Sie lautet: NEIN" - kommt mir persönlich vor, wei etwas auswendiggelerntes, zweks Wirkung...

Ansonsten finde ich Deine Geschichte auch thematisch gut. Ein Anwalt, der einen Fall nicht übernimmt, weil er weiß, dass der Klient Dreck am Stecken hat.
Ich habe mir überlegt, ob cih die Geschichte noch besser fände, wäre Bläuner Held sympatisch. Dann wäre es nämlich eine reine Gewissensentscheidung, so spielt die Antipatie eine große Rolle. Aber vermutlich wäre es dann ein zimelich moralsaurer Text, da ist es so besser. :)
Insgesamt ganz guter Einstieg!

schöne Grüße
Anne

 

Herzlichen Glückwunsch, sie sind mein erster Leser!

Freut mich, dass dich meine Geschichte halbwegs unterhalten hat, Anne. Ich habe hier versucht, einen Ausschnitt aus einem längeren Text in eine Kurzgeschichte umzuarbeiten, da ich die Thematik recht reizvoll finde. Dass es mir halbwegs gelungen ist, freut mich natürlich sehr. Ich werde mir die Sache mit den zu theatralischen Passagen zu Herzen nehmen. Vielleicht ändere ich die Geschichte noch ein wenig.

Danke für die konstruktive Kritik.

DonDaumen

 

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