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Von Fliegen (ver)lernen
Vom fliegen (ver)lernen
Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Da standst du. Du bist einfach da gestanden und hast mich mit deinen großen Augen angesehen. Ich frage mich heute noch, was du in genau diesem Moment gedacht hast. Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du einfach da gestanden bist und mich angesehen hast? Vielleicht hast du an gar nichts gedacht. Ich werde es nie erfahren. Es ist dieser verdammt kurze Moment, diese erste flüchtige Begegnung, die mich selbst nach Jahren noch zum Nachdenken bringt. Ich will es einfach wissen. Was hast du zu diesem Zeitpunkt gedacht?
Jetzt gehen wir getrennte Wege. Du da ich hier. Ich weiß nicht wie es dir geht. Ich weiß nicht was du so machst. Ich weiß nichts mehr von dir. Wie sieht dein Leben wohl gerade aus? Keiner von uns wollte, dass es so kommt. Und trotzdem ist es so gekommen. Wir konnten nichts dagegen tun. Wir mussten es einfach so hinnehmen. Wir mussten das Beste daraus machen. Man hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen.
Für mich ist damals eine Welt zusammen gebrochen. Eine Welt die ich bis heute vermisse. Und das schlimmste daran war immer noch, dass ich wusste, dass ich dich nie wieder sehen werde. Nie wieder.
Wie soll man sich verhalten, wenn man weiß, dass man jemanden, der einem alles bedeutet, gerade zum letzten Mal sieht. Die Tatsache, dass ich dir nicht sagen konnte warum ich gehe, hat mir das Ganze nicht gerade leichter gemacht.
Ich hab dich in den Arm genommen und bin zusammen gebrochen und du wusstest nicht was los war. Du warst so ahnungslos. Ich hab mich voller Tränen an dich gelehnt und alles was ich zu dir sagte war, das ich jetzt gehen muss. Nur vier kleine Wörter: „ich muss jetzt gehen“. Und ich bin mir bis heute sicher, dass du nicht ein einziges davon verstanden hast. Dann hab ich mich umgedreht und bin einfach gegangen. Einfach so, wortlos. Ich bin für immer gegangen und habe dich zurück gelassen. Dich einfach im Stich gelassen. Ich wusste für mich gab es kein zurück.
Zwei wundervolle Jahre hast du mir geschenkt. Zwei Jahre, die mich geprägt haben. Zwei Jahre voller Abenteuer, Vertrauen, Spaß und Freundschaft. Vor allem Freundschaft. Ich hab so viel von dir gelernt. Du hast mir beigebracht, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Du hast mir so viel gezeigt. Gezeigt wie wunderschön Dinge sind, die einem auf den ersten Blick als normal erscheinen. Wenn ich bei dir war hab ich mich sicher gefühlt. Nahezu unverwundbar. Ich wusste immer ganz genau, dass du mich beschützt. Du wärst für mich gestorben.
Wenn es mir schlecht ging, hast du es jedes Mal hinbekommen, dass ich mit einem Lächeln nachhause fahre. Du warst der große Traum eines einsamen, zwölf jährigen Mädchens, der endlich in Erfüllung ging. Mein großer Traum, von dem ich nie geglaubt habe, dass er je wahr werden würde. Doch plötzlich warst du da. Und hast mich aus dem tiefen Loch geholt, in das ich gefallen bin. Die Wolken verschwanden und der Himmel war klar. Der Weg war frei. Frei für uns.
Andere mögen uns als verrückt und leichtsinnig bezeichnet haben. Vielleicht waren wir das ja auch. Zwei verrückte auf dem Weg in die Freiheit. Auf der Flucht vor sämtlichen Regeln, die uns das Leben erschwerten. Vor dem nervigen Alltag. Vor den Hausaufgaben und sämtlichen anderen Pflichten.
Wenn man mich suchte, wusste man genau wo man mich finden würde. Ich war mal wieder mit dir die Welt erkunden.
Ich denke gerne an diese Zeit zurück. All die schönen Erinnerungen an unsere Ausflüge und die vielen Stunden in denen ich einfach nur neben dir auf der Wiese Saß und in den Himmel geschaut habe. Du warst immer für mich da und hast meine Kindheit zu dem gemacht was sie war. Hast mich zu dem gemacht, was ich bin. Dafür bin ich dir sehr dankbar, und ich hoffe dass es dir da gut geht, wo du jetzt gerade bist.
Es verging kein Tag, an dem ich nicht an dich denken musste, denn das einzige was mir blieb, waren ein paar Fotos und die Erinnerungen. Schöne Erinnerungen, die ich auch heute noch gerne mit anderen teile.
Ich erzähle gerne von dir. Von allem was wir erlebt haben. Von dem Jungen Indianermädchen und ihrem Zauberpferd, welches ihr das Fliegen lehrte.
Irgendwann kommt der Tag, an dem ich aufhören werde mich zu fragen, was du damals bei unserer ersten Begegnung gedacht hast. Doch ich werde nie aufhören mich zu fragen, wie es dir wohl geht.
Denn du warst mein erstes Pferd.