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Von Enten und Menschen
An diesem Morgen kam Philipp schon früh bei Michi vorbei, weil er mit seinen Eltern Streit gehabt hatte. Die beiden spielten den ganzen Vormittag am Computer.
Kurz vor Mittag erschien Julius, von allen nur mehr Cäsar genannt, seit im Geschichtsunterricht Julius Cäsar durchgenommen wurde.
„Ist kein Bier mehr da?“, beschwerte er sich sofort.
Da trudelten Gunter und Alex ein und Michi schickte Gunter gleich in den Supermarkt.
Weil sie sich wegen des Mittagessens nicht einig werden konnten, bestellten sie einfach Pizza und Cäsar stopfte sich rasch den letzten Rest von Gunters Provinciale in den Mund, während dieser kurz auf der Toilette war.
Dann sahen sie sich einen Film mit dem Ex-Wrestler „The Rock“ an und Alex sprach unentwegt von „The Rocks“ muskulösem Körper, bis sich die anderen schon Blicke zuwarfen und Cäsar meinte: „Bist du schwul, oder was?“
Diese Frage blieb unbeantwortet, denn in diesem Moment kam Peter zur Tür herein. Peter berichtete gleich davon, wie er gestern ein Mädchen „klargemacht“ hatte. Alle nickten anerkennend: Ja, ja, der Peter, der hatte schon immer Erfolg bei den Frauen! Für die anderen galt dies jedoch nicht. Sie konnten bei diesem Thema kaum mal etwas berichten.
Um doch auch etwas dazu zu sagen, erzählte Alex von seiner Nachbarin, die er vor ein paar Tagen im Bikini im Garten beobachtet haben wollte.
Und Cäsar fragte Alex, ob er sich noch an Heidi, eine ehemalige Schulkollegin, erinnern könne. Dabei formte er mit seinen Händen Körbchen vor der Brust. Alex nickte, denn nun erinnerte er sich wieder an Heidi und weil es denn anderen genauso ging, nickten auch sie und alle lachten.
Nach längerer Diskussion entschieden sie, sich „Transformers“ anzusehen, doch keiner achtete besonders darauf. Sie hatten den Film schon so oft gesehen. Bereits nach kurzer Zeit schlug Alex vor ins Einkaufszentrum zu gehen und keiner hatte etwas dagegen. Mit Michi und Philipp war ohnehin nicht zu rechnen: Die beiden hatten auch während des Mittagessens die Spielekonsole kaum einmal aus den Händen gelegt. So verabschiedeten sie sich von ihnen und brachen auf.
Im letzten Stück des Weges durchquerten die vier einen Park. Plötzlich rief Alex: „Seht, die Alte dort!“ und lief voraus. Alle folgten ihm, obwohl sie noch nicht genau wussten, warum.
Die alte Frau kam nur sehr langsam voran. Sie ging am Stock und führte neben sich ein kleines Hündchen an der Leine. Die Burschen hatten sie im Nu eingeholt und gingen neben ihr her.
„Wen haben wir denn da?“, fragte Alex mit begeistertem Unterton.
„Eine heiße Biene“, setzte Cäsar fort, der, wie immer, am schnellsten begriff.
„Ein Victoria‘s Secret Model“, setzte Peter hinzu.
“Ist das Adriana Lima?”, fragte Cäsar und prustete los.
„Oh, ich glaube, ich bin verliebt!“, rief Alex und kniete sich mit einem Fuß vor die alte Frau auf den Weg, während er die Arme weit ausbreitete.
Alle lachten. Die alte Frau blickte Alex wütend an.
„Verschwinde, du Rüpel!“, sagte sie, doch Alex rührte sich nicht.
Da versetzte sie ihm mit dem Stock einen Schlag auf das Schienbein. Er schrie auf und sprang zur Seite.
„Euch werd’ ich’s zeigen“, sagte sie dann und ließ den Stock auf Cäsars Fuß niedersausen. Peter konnte ihrem Schlag gerade noch ausweichen, während Gunter vor ihrem kleinen Hündchen Reißaus nehmen musste, das knurrend auf ihn losgegangen war.
Wie aufgescheuchte Hühner stoben sie auseinander und beobachteten aus sicherer Entfernung, wie die alte Frau wieder ihres Weges ging.
„Was für ein Ungeheuer!“, rief Peter.
„Wie die gleich mit dem Stock zuschlägt!“, meinte Cäsar empört.
„Und dieses verfluchte Mistvieh braucht einen Beißkorb!“, schimpfte Gunter, noch immer etwas außer Atem.
Alex zog das Hosenbein hoch. Eine rote Stelle war bereits auf seinem Bein zu erkennen. „So eine alte Giftschlange“, schrie er wütend.
Neben Alex hatten zwei Enten zu schnattern begonnen. Sie plusterten sich auf und schwangen mit den Flügeln. Hinter den Tieren befand sich ein Teich, in dem sich noch weitere Enten tummelten.
Alex beachtete die beiden Enten zunächst nicht, doch bald ging ihm ihr Quaken auf die Nerven und er stampfte mit dem Fuß auf, um sie zu verscheuchen. Doch die Tiere zeigten keine Furcht.
„Verdammte, verfluchte Enten!“, rief er zornig. „Verschwindet!“ Nun wurden auch die anderen auf die Tiere aufmerksam und stimmten mit ein: „Verfluchte Viecher!“, „Scheiß Federvieh!“, „Wir drehen euch gleich den Hals um!“
Die Enten ließen sich von den Burschen jedoch kein bisschen einschüchtern und schnatterten bald noch lauter.
Schließlich warf Alex einen Stein in Richtung der beiden Tiere und verfehlte eines nur um Haaresbreite. „Seht!“, schrie Cäsar plötzlich. Er hielt einen großen, flachen Stein in Händen und holte in einer Drehbewegung aus. Dann schleuderte er ihn, im weiten Bogen, über die beiden Tiere hinweg in Richtung des kleinen Teiches. Der Stein begrub platschend eines der kleinen Entlein unter sich. Die Burschen verstummten und blickten sich an. Bis Alex losbrüllte: Er bog sich vor Lachen und irgendwann stimmten auch die anderen mit ein, obwohl, so lustig fanden sie es eigentlich nicht. „Denen haben wir es aber gezeigt!“, meinte Alex und klopfte Cäsar auf die Schulter. Damit schien diese Sache erledigt zu sein. Während Alex und Cäsar lachend vorausgingen, folgten die beiden anderen und sahen dabei ein paar Mal kleinlaut zum Teich hinüber.
Im Einkaufszentrum fuhren sie mit dem Lift gleich in den Gastronomiebereich. Vor dem Burger Restaurant fielen ihnen zwei Mädchen auf und sie schickten Peter voraus, der die beiden ansprach. Bald musste Peter jedoch gehen, weil er noch heute mit seinen Eltern über das Wochenende zu seiner Großmutter fuhr. Kurz darauf verabschiedete sich auch Gunter, der ohnehin die ganze Zeit nur wortlos danebengestanden war.
Alex rückte nun an Peters Stelle, doch Lisa schien von Alex nicht so angetan zu sein wie vorher von Peter und auch Cäsar ging bei Christina zusehends der Gesprächsstoff aus. Als er sie schließlich ungeduldig fragte, ob sie mit ihm etwas trinken gehen wolle, antwortete Christina, dass sie einen Freund habe und die beiden ließen die Burschen bald stehen.
„Dämliche Weiber!“, sagte Cäsar.
„Ja, aufgeblasene Bitches“, stimmte Alex zu.
Sie blickten sich um. Es war spät und viele Geschäfte begannen bereits zu schließen.
„Gehen wir auch“, sagte Alex und gähnte.
Vom Einkaufszentrum aus nahmen sie die Unterführung, die zurück in den Park führte. Es dunkelte bereits. Ein schwaches Licht flackerte zwischen den schmutzigen Betonwänden. Es stank nach Urin.
Plötzlich bemerkte Alex, einige Meter vor sich, die beiden Enten. Er blieb stehen und so wurde auch Cäsar auf die Tiere aufmerksam. Tier und Mensch musterten sich einen Augenblick aus der Entfernung, dann lachte Alex plötzlich wieder so übertrieben auf, wie vorhin, nachdem das kleine Entlein vom Stein getroffen worden war: „Die wollen sich wohl mit uns anlegen“, meinte er dann und war wieder ganz ernst. „Komm!“, sagte er zu Cäsar und sie gingen auf die beiden Enten zu. Im selben Moment setzten sich auch die beiden Tiere in ihre ihre Richtung in Bewegung.