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Von einer Frau, die auszog Leben zu retten
Ich schloss die Augen und umschloss Ellens Nase mit meinen Lippen. Sie schmeckte ein wenig schal und Desinfektionsmittel stach mir in die Nase. Bei dem Versuch Luft in sie hinein zu pusten, war lediglich ein leicht fiependes Geräusch zu hören, ihr Brustkorb hob sich allerding kein bisschen.
"Du musst das Kinn mehr nach hinten drücken, damit der Mund ganz geschlossen ist", wies mich der Erstehilferlehrer an und ich tat wie mir geheißen. Ich versuchte es wieder und wieder, drückte mal hier am Kinn, mal dort am Mund und endlich hatte ich es geschafft. Der Brustkorb der Puppe hob und senkte sich gleichmäßig. Ich fühlte mich gut dabei, fast als hätte ich einen echten, nun wieder belebten Menschen, vor mir. Ich dachte darüber nach, ob die Puppe wohl einen Mann der Hormone schluckte oder eine Frau mit sehr kleinen Brüsten darstellen sollte. Da sie Ellen hieß, wohl eher eine Frau.
"Sie können dann jetzt mit der Beatmung aufhören, eigentlich reicht zweimal, dann sollte die Herzmassage einsetzten", die Stimme des jungen Mannes klang leicht entnervt und hastig begann ich mit der Herzmassage.
Zwei Stunden später war der Kurs beendet. Angefüllt mit der Gewissheit, Menschenleben retten zu können, stieg ich in die U-Bahn. Ich betrachtete die Menschen um mich herum. Aus rein anatomischen Zwecken zog ich sie gedanklich aus und betrachtete ihre Rippen. Fuhr mit den Fingern ihren Brustkorb entlang, um den richtigen Punkt zu finden, an dem man die Herzmassage ansetzen sollte. Sah mir ihre Münder und Nasen an und kam zu dem demoralisierenden Schluss, dass ich einige Menschen lieber retten wollte, als andere.
Zuhaus angekommen, beschlichen mich erste Zweifel. Würde ich im Ernstfall wirklich alles richtig machen? Würde ich mich in zwei Monaten noch an das heute gelernte erinnern? Mir wurde bewusst, dass ich Übung brauchte und das es da draußen Menschen gab, denen ich das Leben retten konnte.
Frohen Mutes zog ich mir erneut meine Jacke an und dachte sogar daran eine Schere mit zu nehmen. Nur für den Fall, dass ich einen verunglückten Motorradfahrer finden würde, der noch einen altmodischen Helm, mit nicht mehr zulässigem Verschluss trug. Da aber nun der 11.11. war und ich mich in Köln befand, würde ich auch anderen Menschen helfen können. Gleichzeitig konnte ich noch Rettungssanitäter, die an diesem Tag sicherlich unterbelegt waren, entlasten.
Die U-Bahn war brechend voll. Hexen, Clowns und Menschen mit angemalten Gesichtern standen dicht an dicht. Hin und wieder stieg mir der Geruch von Achselschweiß und Alkoholika jedweder Art in die Nase. Am Heumarkt stieg ich aus. Direkt in die Masse der feiernden, lachenden, singenden und grölenden Menschen.
In einer Straße, die ein wenig abseits des größten Getummels lag, wurde ich fündig. In ungefähr hundert Meter Entfernung lag ein Mann auf der Straße. Ich eilte zu ihm und kniete mich auf den kalten Asphalt.
"Hallo, hallo sind sie wach?" Er gab keinen Ton von sich. Vorsichtig und vorschriftsmäßig ruckelte ich an seiner Schulter herum. Immer noch kein Lebenszeichen. Meine Hände zitterten ein wenig, als ich seinen Kopf nach hinten kippte. Da Speichel aus seinem Mund floss und der Geruch von hochprozentigem Schnaps in der Luft hing, entschied ich mich für die Nase. Fast musste ich würgen, als ich die kleinen Härchen im Inneren der Löcher sah. Ich schaffte es, meinen Ekel hinunter zu würgen. Dieser Mann brauchte meine Hilfe. Ich drückte das Kinn weiter nach oben, achtete darauf, dass sein Mund geschlossen blieb und holte Luft. Im letzten Moment fiel mir ein, dass es noch weitere Methoden gab, um festzustellen ob jemand wirklich das Bewusstsein verloren hatte. Ich legte meinen Zeige- und Mittelfinger auf seinen kräftigen Brustkorb und rief kräftig auf und ab. Ich spürte, wie sich die Haut über die darunterliegenden Knochen bewegte. Der Mann gab ein Stöhnen von sich.
"Was zum Teufel.." nuschelte er, schlug meine Hand beiseite und brachte sich schwerfällig in eine sitzende Position.
"Gott bin ich froh. Geht es ihnen gut? Ich dachte sie hätten das Bewusstsein verloren" lächelnd sah ich den fast tot gewesenen Mann an.
"Was willst du denn von mir", lallte er. Den agressiven Klang seiner Stimme schob ich dem Schock zu.
"Lass mich gefälligst in Ruhe und kümmere dich um deinen eigenen Dreck."
Er versuchte aufzustehen. Obwohl ich ihm gerade das Leben retten wollte, schien er mir nicht direkt wohlgesonnen zu sein. Mit der Erkenntnis, dass man es als guter Mensch nicht immer leicht hatte, suchte ich das Weite.
Zwei Straßen weiter sah ich ein Mädchen auf der Straße liegen. Ein Junge beugte sich über sie und redete wild auf sie ein. Schnellen Schrittens war ich sofort zur Stelle.
"Ich kann erste Hilfe, lassen sie mich mal", entschlossen schob ich den verdutzten vierzehnjährigen zur Seite.
"Hallo, kannst du mich hören?" Keine Antwort. Kurzerhand beschloss ich, die Schulterschüttelmethode auszulassen und direkt zu wirkungsvolleren Methoden zu greifen. Beherzt kniff ich dem jungen Mädchen in die Brustwarzen. Mit einem leichten Schrei wachte sie auf und griff sich an die Brust. Für einen kleinen Moment war ich enttäuscht, wieder nicht wiederbeleben zu können.
"Mark wer ist die Tusse? Die hat mich angegrabscht, die soll verschwinden" schrie das verwirrte Mädel und sah fordernd zu ihrem Freund.
"Sie hat gesagt sie könnte helfen. Ich konnte doch nicht wissen, dass sie so drauf ist", entschuldigend hob er die Arme und schwankte leicht. Er sah mich an und ein Funken Interesse stahl sich in seinen Blick. Peinlich berührt sah ich weg.
"Mach das du hier weg kommst du Schlampe", schrie das Mädchen mich an, nachdem sie sich wieder halbwegs berappelt hatte. Kurz checkte ich noch einmal die Lage, befand, dass die Situation unter Kontrolle war und überließ die beiden ihrem Schicksal.
Langsam wurde ich deprimiert. Ich hatte gedacht, dass Leben retten mehr Spaß machen würde. Schlurfenden Schrittes ging ich über die Straße und hing meinen Gedanken nach. Ich sah das Auto nicht. Es gab einen Knall, etwas tat mir weh und ich lag auf der Straße. Mit der Sicherheit, dass das Leben gerecht ist und dass mich jemand wiederbeleben würde, sank ich in meinen Körper ein und mein Bewusstein trübte sich mehr und mehr.