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Von der Unendlichkeit der Möglichkeiten
„Und das ist genau was ich getan habe. Ich hab nicht mehr gefragt, ob er das echt so gemeint hat, ich mein, die Chance hat er verpasst. Braucht auch sein Maul gar nicht so weit aufreißen.“ Die Stimme hebt sich über den dichten Nebel aus Gesprächen, Alkoholdunst und Zigarettenrauch, selbstbewusst und überzeugt. Anerkennendes Raunen untermalt die Stimme und hebt sie weiter empor als sie fortfährt. „Und was macht er? Der sein Maul nicht weit genug aufreißen konnte? Was macht der? Na, nichts macht er. Sagt nichts, macht nichts, starrt mich nur blöde an. Sagt einfach nichts.“ Gelächter. „Debatte heißt das dann. Debatte, ich fass es nicht. Na, da kann sich die Truppe aber gleich mal in die Opposition verabschieden, wenn das ihre aufstrebenden Redner sein sollen Echt, ich sags euch, bei den Wahlen morgen stecken wir die sowas von in den Sack.“
Die Stimme gehört zu einem Typen mit hochgestelltem Polokragen, die Augen blitzen kampflustig aus seinem runden Jünglingsgesicht. Die Jungs gehören der Jugendvereinigung irgendeiner größeren Partei an, schätze ich. Konservativ, wenn ich mich nicht sehr irre. Möglicherweise auch irgendwas Sanft-Soziales, das gibt sich nicht viel. Die Stimme erhebt sich wieder, triumphierend. Es ist die Art Stimme, der man zuhören möchte, geschult im lauten Sprechen, im Gehört Werden, im Sicher Sein. Die Argumente sind nicht tadellos, aber man nimmt es gerne hin, weil die Stimme so überzeugt ist.
Meine Aufmerksamkeit schweift trotzdem ab. Ich nippe an meinem Wein. Vor Kurzem erst war eine andere Fraktion da. Bunter und weniger uniformiert in ihrer Kleidung. Aber die gleiche Art Sprecher, die gleiche Überzeugung, das gleiche Meinungsdiktat. Die Argumente ähnlich, nur die Seiten gegensätzlich. Ihre Ideale sind hier wie da in Stein gemeißelt. Das gilt natürlich nicht nur für die Politik:
Auch für Musik – hier Black Eyed Peas, da Kraftclub - , das richtige Smartphone, den einzigen Fußballklub. Das geilste Tablet. Die richtige Automarke, beziehungsweise die Überzeugung, dass man als Autofahrer ein gewissenloser Idiot ist, der den Benzinlobbies in die Hände spielt. Literatur spielt keine Rolle, es sei denn sie wäre entweder von Wirtschafts-Weisen oder Weltwirtschafts-Apokalyptikern geschrieben. Das sind erstaunlicherweise selten dieselben Personen.
Und alle bekommen sie glänzende Augen, wenn sie sich einig sind – und deshalb treffen sie sich ja. Debatte, hat der Polohemdler gesagt – aber Debatte wäre Diskussion, das anhören und verstehen wollen von anderen Standpunkten. Aber das will man nicht, sondern sich sicher sein. Recht haben. „Du lebst falsch“, habe ich neulich einen aus der bunten Fraktion einem Polohemdler vorwerfen hören. Natürlich, die moralische Komponente ist auf der linkeren Seite höher als auf der konservativeren. „Und du bist ein Träumer – das bringt dir doch nichts, wenn du dir so viele Gedanken machst. Das ist doch kindisch. Und fad.“ Die konservative Seite hat die besseren Hedonisten.
Substanzlose Variationen, keine echten Gegensätze. Manchmal hoffe ich noch auf Große Ideen, auf Ideale, auf Revolutionsromantik. Aber ich sehe ein, dass das alles zu anstrengend ist, wenn man mehr tun würde als sie nur zu twittern. Ich twittere nicht einmal.
Die Stimme ist einen Moment verstummt, und ich werfe einen Blick auf den Sprecher – er blinzelt mir gerade zu und schwenkt sein Bier in meine Richtung. Hmm. Ich bin ja wohl kaum sein Typ Frau: Ich trage zum Beispiel keine Perlenohrringe. Oder Ketten mit Herzchenanhänger. Ich lächle freundlich und mache mich innerlich über seine Tommy-Hilfiger-Schuhe lustig, bevor ich mich wieder abwende.
Ich nehme den letzten Schluck meines Weines und werde endlich von meiner Freundin erlöst, die sich einen Weg durch das Labyrinth an Leibern, abgewetzten Tischen und Barhockern bahnt. In den Händen hat sie mehr Wein, meiner rot und feurig, ihrer blass und schimmernd. Wir konnten uns nie einigen was Wein angeht. Wobei ich finde, dass Weißwein substanzlos ist und zu Perlenohrringen passt. Lebt sie eben auch falsch. Ich lächle sie an. Sie lässt sich schwungvoll auf ihrem Stuhl nieder. Wir prosten uns zu. „Hast du die Meute da hinten gesehen? Das ist auch wieder so ein typischer Münchner Haufen. Voll arrogant, hast du gehört, was der eine Typ über sozial schwache Familien gesagt hat? Ist echt der Hammer, bloß weil er mit nem goldenen Löffel im Mund geboren ist. Siehste ja schon an seinem Hemd. Lacoste.“ Ich nicke, runzele aber die Stirn. Ich bin auch aus München. Ich lebe nur um Exil. Und da sind die Menschen zwar weniger arrogant, dafür aber (noch) grantiger. Ansonsten – ansonsten haben sie nen anderen Fussballclub. Sonst gibt sich das nicht viel. Ich zucke mit den Schultern. „Die gibt’s bei uns auch.“ sage ich. „Ja, aber hier in München ist das schon so generell die Lebenseinstellung. Hier beruht alles nur auf Kohle und Verbindungen.“ Mag sein. Bei uns beruht alles auf dem Sparerprinzip und der Gemeinsamkeit der Clique. Variationen.
Ich merke, dass ich selbst immer grantiger werde. Ich mag Graustufen. Ich hasse es, wenn Bilder aus schwarz und weiß und nichts dazwischen bestehen. Aber Graubrei?
Meine Freundin zieht eine Packung Zigaretten aus der Handtasche. „Hast du Feuer?“ Ich nicke und halte ihr die Flamme unter die Nase. Sie grinst mich an. „Hast du gesehen? Ich hab mir neue Schuhe gekauft.“ Sie zieht kräftig an ihrer Zigarette und bläst den Rauch seitlich davon in Richtung der konservativen Polohemdler. Sie kippt ihren Stuhl nach hinten bis sie an der Wand lehnt und stützt die Füße auf die Tischkante. Ihre Schuhe sind rot, mit ellenlangen Absätzen. „Der Hammer!“ erkläre ich, und finde das auch so. Solche wollte ich auch haben, nicht zwingend in rot, aber ich hab sie in schwarz gesehen. Sexy. „Sexy!“ ruft jemand durch den Kneipennebel. Die Stimme ist rauchig, könnte männlich oder weiblich sein. Sie dreht sich um und wirft dem Münchner Haufen ein kollektives Lächeln zu. „Vielleicht geben die uns ja einen aus.“ Ich nippe an meinem Wein. Ist nicht schlecht, der Wein. Kein Bordeaux, den trinke ich nicht. Ist nur ein Zusammenschnitt aus anderen Weinen, hab ich mal gehört.
Ein Zeitungshändler betritt die Kneipe. Er wedelt kurz mit seinem roten Käppi, so dass ich den Aufdruck der Zeitung nicht lesen kann. Könnte die Abendzeitung sein, oder der Merkur. TZ? Ich beachte ihn nicht weiter. Wenn er Blickkontakt herstellt, kommt er und will verkaufen, und dann hätte ich das Gefühl eine Zeitung kaufen zu müssen. Wer weiß wie viel er verdient – bestimmt nicht viel – und München ist teuer. Ich würde mich schlecht fühlen, keine zu kaufen. Also starre ich in mein Weinglas. Meine Freundin erzählt von einem Artikel in der Brigitte. Es geht um Frauen in Afghanistan, und ich denke automatisch an Burkas. Die Frauen dort können nicht aufbegehren gegen die Männerwelt, weil sie zwangsverheiratet werden, oder umgebracht, oder entstellt, wenn sie sich nicht fügen. Manche entscheiden sich trotzdem dazu und müssen fliehen. Andere Menschen fliehen auf Schlauchbooten aus ihrem Land – über endlose Meere, eng gedrängt, in dem vollen Wissen, dass sie ihre Lebensersparnisse für eine Karte in den wahrscheinlichen Tod aufgegeben haben. Und trotzdem haben sie diese Entscheidung getroffen.
Ich frage mich, wieso es so wenige Zeitungsverkäuferinnen gibt. Und Topmanagerinnen. Ich möchte beides nicht sein.
Inzwischen erzählt meine Freundin aus ihrem eigenen Leben. Von Stefan, den sie gut findet, der aber eine Freundin hat, mit der er aber nicht zusammenbleiben möchte, oder vielleicht doch, sie weiß es nicht genau. Sie will jetzt mal sehen wie das weitergeht. Und von Andreas, den sie seit Jahren kennt und mit dem sie eine On-and-Off Beziehung führt. Von Markus, der eine sichere Option währe, wie sie sagt, sehr bodenständig, und an einer klassischen Beziehung interessiert. Sie fürchtet sich aber ein bisschen davor, dass ihr Weg dan vorgezeichnet ist. Und sie erzählt von ihrem Job, in dem sie gerade mehrere Perspektiven für sich aufgetan hat. „Eine Win-Win-Situation, ich muss nur sehen, ob mir Marketing oder Sales besser gefällt“. Der Zeitungshändler hat uns erreicht, und meine Freundin kann es nicht lassen ihn anzusehen. Sofort springt der Pitch an, und hoffnungsvollen Auges preist er ihr die Vorzüge mehrerer Tageszeitungen an. Sie kauft am Ende eine Münchner Abendzeitung und sie Münchner SZ, respektive wegen des Klatschs und der Informationen über die Lage des Klimagipfels, der an diesem Wochenende stattfindet. „Wenn man schon die Wahl hat!“ strahlt sie mich an. Ich treffe auch eine Wahl: Ich winke dem Kellner mit meinem Weinglas und bestell mir noch einen guten Rioja. Shiraz macht die Lippen schneller blau.