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Von der Schwierigkeit, ein schlechter Freund zu sein
Bisher habe ich immer angenommen ein Arschloch zu sein, sei einfach. Keine Rücksicht nehmen zu müssen, erschien mir als Befreiung der Reflektion über einen selbst und damit als das Ende von schlafraubenden Gedanken.
Die Wahrheit ist: Es schmerzt.
Zwei Uhr nachts, ich liege wach auf meinem Bett und lese jede Nachricht, die du heute geschrieben hast. Zweihundertvierunddreißig. Seit letzter Woche hebe ich nicht ab, wenn du anrufst, öffne nicht, wenn du an der Tür Sturm klingelst und beantworte keine einzige Nachricht, obwohl ich sie gelesen habe, was ich dich wissen lasse. Sogar auf Facebook beende ich unsere Freundschaft.
Gründlichkeit ist seit jeher meine Stärke gewiesen.
Deine leider Hartnäckigkeit.
Du sitzt auf meiner Fußmatte, mit den Rücken an die Tür gelehnt, wippst du leicht den Kopf zu der Musik, die du über deine Kopfhörer vernimmst. Es gibt keine Möglichkeit meine Wohnung zu betreten oder zu verlassen ohne über dich zu stolpern.
Ich schlucke.
Mir ist bewusst gewesen, dass eine Konfrontation erfolgen muss, dennoch fühle ich mich unvorbereitet. An dieser Begegnung hängt mein gesamter Plan.
Grimmig blicke ich dich an und mit einer kurzen Handbewegung deute ich dir zu verschwinden. Keine Worte - du bist sie nicht wert.
In Wahrheit befürchte ich, mich zu verraten.
Du wirkst unbeeindruckt, lässig, als hättest du alle Zeit der Welt, nimmst du deine Kopfhörer ab und stehst auf, so dass wir auf Augenhöhe sind.
„Was ist los?“
Anstatt zu antworten, versuche ich mich an dir vorbeizudrücken, um die Tür zu öffnen. Doch deine Hände bohren sich in meinen Arm. Ich bin stärker, das wissen wir beide, aber ich zögere und genau das ist mein Fehler. Ein Lächeln schleicht sich auf deine Lippen.
Trotzdem schubse ich dich gewaltvoll zur Seite, sehe nicht nach, ob ich dich verletzt habe, sondern flüchte in meine Wohnung.
Meine Hände zittern.
Nichts geschieht. Kein Klopfen, kein Sturmklingeln.
Habe ich dich ernsthaft verletzt? Es ist ein kräftiger Stoß gewesen, insofern im Rahmen des Möglichen, aber nicht im Bereich des Wahrscheinlichen. Trotzdem blicke ich durch den Türspion. Nur um sicher zu gehen.
Regungslos liegst du da.
Es kostet mich meine gesamte Kraft, nicht zu dir zu stürmen. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass dies einer deiner Tricks sein kann. Es ist eine Geduldsprobe. Wahrscheinlich. Vermutlich.
Mit jeder Sekunde werde ich unruhiger. Meine Fantasie malt sich aus, wie viel Pech innerhalb eines Sturzes erfolgen kann und was die daraus resultierenden Folgen sind.
Was ist schon wahrscheinlich?
Ich öffne die Tür und eile zu dir, während meine Hand bereits mein Handy aus der Hosentasche zieht, als du mir direkt in die Augen siehst. Erneut ein Lächeln.
„Können wir das Theater hiermit beenden?“
Natürlich, natürlich ist es eine Falle gewesen. Am liebsten hätte ich mich für meine eigene Dummheit selbst geohrfeigt.
„Ist es so schwer für dich zu akzeptieren, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will?“
Der Ärger über mich selbst, verleiht meiner Stimme den richtigen Ton.
„Ja.“
„Dann ist das dein Problem, nicht meins!“
„Wir können doch über alles reden. Sag mir einfach, was los ist.“
„Ich habe es satt. So satt.“
„Was? Was hast du satt? Rede mit mir!“
Deine Entschlossenheit zeigt, es ist noch nicht genug. Dein Vertrauen in mich, in unsere Freundschaft ist ungebrochen. Alles andere hätte ich auch als Betrug empfunden, gleichzeitig bedeutet es, dass ich weitergehen muss.
Lange habe ich über diesen Satz nachgedacht. Vor dem Spiegel habe ich ihn einstudiert, um ihn jetzt mit der nötigen Kälte aussprechen zu können.
„Ich halte deine Egozentrik nicht mehr aus. Wenn du nicht so sehr damit beschäftigt wärst dich selbst zu lieben, vielleicht wäre es dann möglich dich zu mögen. Mit sehr viel Glück sogar zu lieben.“
Deine Augen weiten sich und ich sehe es, sehe, wie irgendetwas in dir zerbricht.
Ich kenne dich besser als mich selbst, jede Angst, jeder Selbstzweifel, jeden Schmerz hast du mir anvertraut und es ist nicht fair das jetzt gegen dich zu verwenden. Nicht fair alte Wunden aufzureißen.
Damals, gefühlt vor einer Ewigkeit, bin ich es gewesen, der solange auf dich eingeredet hat, bis du den Worten keinen Glauben mehr schenkst. Wer wird es dieses Mal tun?
Abrupt windest du dich ab und hastest die Treppe hinunter.
An diesem Tag schreibst du mir keine Nachrichten mehr. Genauso wenig am Übernächsten, den Tag danach oder danach. Ich gewinne an Zuversicht unsere Freundschaft zerstört zu haben und auch wenn mir die Geschwindigkeit sehr gelegen kommt, schmerzt es dennoch zu wissen, wie einfach es am Ende gewesen ist.
Schritt Zwei wird einfacher werden, zumindest emotional. Vor mir liegen all meine Recherchematerialen und zum ersten Mal in meinem Leben erweist sich meine Krimileidenschaft als nützlich. Seine Schuld zu beweisen ist im Prinzip genauso wie sie zu vertuschen. Es klingt lediglich paradox.
„Beinahe hätte ich dir geglaubt.“
Mir fallen meine Einkäufe aus den Händen, als ich dich in meinem Wohnzimmer über meinen Plänen gebeugt sehe.
„Wie bist du reingekommen?“, frage ich und drehe mich sofort zur Tür, um nach Einbruchspuren zu suchen.
„Interessant, was du mir alles zutraust.“ Mit einem frechen Grinsen auf deinen Lippen wirfst du mir einen Schlüssel zu. Einen Schlüssel mit Schildkrötenanhänger, natürlich die Nachbarin. „Darauf hätte ich schon beim ersten Mal kommen sollen.“
Abwartend starre ich dich an. Darauf bin ich nicht vorbereitet.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Bitterkeit spricht aus deinen Worten. „Vertraust du mir so wenig?“
Nein! Nein, nein.
Heftig schüttele ich meinen Kopf, suche nach Erklärungen und scheitere. Jetzt, wo es keinen Sinn mehr ergibt den schlechten Freund zu spielen, schmerzt es mehr als zuvor. „Ich… Ich wollte dich nicht involvieren.“
Es reicht, wenn einer von uns für unsere Tat geradesteht. Doch für dich gibt es nur ganz oder gar nicht.
„Deswegen wirfst du mal eben eine Freundschaft fürs Leben weg?“ Wütend verschränkst du die Arme vor der Brust, ich habe tief getroffen.
„Ich hätte es dir später erklärt.“
„Wann?“
„Wenn ich wieder freigekommen wäre.“
Du lachst. Bebend. Laut. Verzweifelt.
„Du hättest mich jahrelang im Ungewissen gelassen?“
Fahrlässige Tötung hat nur eine maximal Strafe von fünf Jahren. Vermutlich wären es weniger geworden. Du solltest mich nicht im Gefängnis sehen. Ich wollte dir nicht die Möglichkeit geben mir zu folgen. Das alles liegt mir auf der Zunge, herauskommt nur eine Entschuldigung.
Traurig siehst du mich an und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass ich zu weit gegangen bin. Zu weit, in dem Sinne, dass unsere Freundschaft nicht mehr ist und nie wieder sein kann. Angst beschleicht mich, lähmt mich.
„Was genau war dein Plan?“
Ich schlucke, mit brüchiger Stimme vermag ich nur zu antworten. „Ich wollte Beweise fälschen, sodass sie auf mich deuteten. Und nur auf mich. Sobald die Polizei die gefunden hätte, hätte ich gestanden.“
„Hast du schon Spuren hinterlassen?“
Sachte schüttele ich den Kopf. Beklommen. Eventuell, ganz eventuell, wenn der Plan unumkehrbar gewesen wäre, hätte ich dich noch überzeugen können. Doch ich habe versagt.
„Also, können wir beide noch davon kommen?“
Ich nicke. Meine Brust schnürt sich zu, mein Versagen ist unabänderlich, allerdings meine Angst nicht. „Es tut mir Leid“, presse ich erneut hervor.
Wieder blickst du mich an, musterst mich und erkennst meine Sorgen. Du gehst auf mich zu, langsam, viel zu langsam. Als du endlich bei mir bist, ziehst du mich in deine Arme. Es ist deine Art zu sagen, dass alles wieder gut wird.
Haltsuchend drücke ich mich an dich.
Einige Minuten verharren wir ineinander.
„Du willst es wirklich durchziehen?“, flüsterst du, mich nicht loslassend.
„Ein Unschuldiger wird verdächtigt. Sie glauben sogar, dass er es absichtlich getan hat.“
Der Gedanke frisst mich auf, ich weiß nicht, wie die Polizei zu vollkommen falschen Schlüssen gekommen ist, aber ich weiß, dass er eine Familie hat. Kinder.
„Ich lass dich nicht gehen“, antwortest du. Dann löst du dich, sodass du mir in die Augen sehen kannst. „Zumindest nicht alleine.“
Ich schlucke, das ist der Grund, warum ich unsere Freundschaft beenden muss, will ich meinem Gewissen folgen. Denn wir beide wissen, am Ende bist du mir wichtiger.
Letztendlich ist es doch nicht so schwer ein Arschloch zu sein.