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Von der Liebe zum Teufel
Mit dem Fernglas stehe ich spät nachts am Fenster
und ich denk’, ich seh Gespenster.
Aber nein,
da ist tatsächlich ein
ganz und gar
glücklich’s Paar.
Nur in meiner Fantasie
kann ich so sein wie sie.
Es fühlt sich an, als wachte ich auf. Als zeige mir das Universum eine ganz neue Welt. Eine schöne. Eine bessere. Da steht sie an der Bar, und ich habe bisher nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber jetzt … jetzt verändert sie alles. Ihr Gesicht, gerahmt von braunem Haar und immer und immer wieder lacht sie auf und selbst durch den Techno-Bullshit, der den Raum verpestet, höre ich ihre Stimme, wie eine zarte Geige. Am liebsten würde ich hingehen, über ihre roten Wangen streicheln, sie an mich ziehen und sie küssen. Wenn nur ihr Anblick neue Gefilde öffnet, wie muss es dann erst sein, sie zu küssen?
Das Gefühl der Verliebtheit ist einem nur selten vergönnt, also weiß ich nicht, ob Du es kennst. Vielleicht wünscht Du es dir, und weil Du es nicht haben kannst, schenkst Du es mir. Und Du fühlst dich gefangen hinter dieser Seite, würdest am liebsten herüber kommen, zu mir, ich sein, fühlen, was ich fühle, sie sehen, ach wenn Du sie nur sehen könntest … Aber keine Angst. Der Schein trügt. In Wirklichkeit bist Du sicher, da wo Du bist. Hinter der Seite, in meinem Kopf — oder besser: Ich in deinem. Was mir jetzt bevorsteht, das ist mindestens genau so schlimm, wie die Verliebtheit schön ist. Denn jetzt – und ich kann nicht anders, ich werde getrieben – muss ich hingehen, sie ansprechen. Ich weiß nicht, wie sie heißt, dafür kenne ich ihre Augenfarbe. Und sie weiß nicht, dass es mich gibt. Aber egal. Dass ich sie hier treffe, das muss doch etwas bedeuten. Es muss einfach.
Oder?
Ich gehe zu ihr. Ich habe Angst, und wie, vor Zurückweisung, aber ich kann ihrer Schönheit nicht mehr entkommen. Sie hat mich gefangen genommen, und jetzt muss ich gleich mit ihr sprechen, jetzt bin ich gleich bei ihr …
»Hi«, sage ich. Und jetzt?
»Hi«, sagt sie und sieht mich fragend an. »Kennen wir uns?«
»Nein«, sage ich, und vielleicht sollte ich mehr sagen, aber ich kann sie nur anstarren.
»Okay?«, sagt sie, und ihr Blick wechselt von fragend zu scheel. Na los! Ich muss irgendetwas sagen.
»Aber ich kenne deine Augenfarbe.« Nein, nicht das. Jetzt denkt sie, ich bin vollkommen neben der Spur. Gleich schickt sie mich zum Teufel, wo ich hingehöre.
Aber sie lacht. »Du bist ja strange«, sagt sie und schließt die Augen. »Dann sag mal an.«
»Sie sind grün. Ist echt schön, sie passen zu deinen Haaren. Du siehst damit aus wie eine Waldnymphe.« Ich muss endlich still sein.
Sie öffnet ihre Lider und lächelt mich an. Ich glaube, mein Herz hat gerade kurz ausgesetzt.
»Du bist süß, danke«, sagt sie. »Wie heißt du denn?«
»Elliot.«
»Tahliah.«
»Das ist die spannendste Frage.«
»Was?«
»›Wie heißt du‹ ist die spannendste Frage, die es gibt.«
»Inwiefern?«
»Weil die Antwort anders ist als bei jeder anderen Frage. Ich kenne jetzt deinen Namen, weiß deshalb aber nicht mehr über dich als vorher. Und doch fasst dein Name alles zusammen, was du bist.«
Woher kommen nur diese Sätze?
Sie lacht wieder. »Richtiger Deepshit. Bist du Philosoph?«
»Nein, ich habe nur viel Zeit, nachzudenken.«
»Wieso denn das?«
»Na ja, wenn man die meiste Zeit alleine ist, beginnt man, mit sich selbst zu sprechen.« Du weißt, was ich meine.
Mit diesem Satz habe ich ihr das wunderbare Lächeln aus dem Gesicht gewischt. Jetzt sieht sie mich mit diesem mitleidigen Blick an. Als ob es so schlimm wäre, alleine zu sein. Als wollte sie mir sagen, dass mein Leben traurig ist. Wahrscheinlich so traurig, dass sie sich da nicht reinziehen lassen will. Jetzt aber, jetzt schickt sie mich wirklich zum Teufel.
»Ey, Tahliah.« Plötzlich steht ein riesiger Typ neben ihr und reißt sie aus unserer Konversation. »Yo«, sagt er zu mir und wendet sich wieder dem Meisterwerk zu. »Wir wollen jetzt los, kommst du?«
Das war’s dann wohl.
»Nein, geht ihr nur«, sagt sie. »Ich möchte mich noch ein bisschen mit Elliot unterhalten.«
Mag sie mich wirklich oder hat sie ein Helfersyndrom? Ich habe ihr gerade gesagt, dass ich oft alleine bin, es wäre zynisch von ihr, mich jetzt hier stehen zu lassen. Ich würde es verstehen, aber das weiß sie nicht. Es wäre schön, würde sie bleiben, weil sie tatsächlich noch weiter mit mir sprechen möchte. Ich rechne mir da aber keine hohen Wahrscheinlichkeiten aus.
»’Kay«, sagt der Große und zieht ab.
»Also«, sagt sie. »Was willst du trinken?«
»Du musst nicht hierbleiben, wegen dem, was ich gesagt habe. Ich meine, ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, aber nicht, weil ich nicht alleine sein will, sondern weil ich gern mit dir zusammen sein möchte … also, ich meine, weil …«
Gott sei Dank. Sie bremst mich, indem sie mir den Zeigefinger auf den Mund legt.
»Du plapperst viel zu viel«, sagte sie und lächelt, was mir einen wunderbaren Schauer über den Rücken treibt.
Jetzt nimmt sie den Finger von meinem Mund und ersetzt ihn durch ihre Lippen. Die Welt verschwimmt, alles Schöne und Gute fließt durch mich hindurch. Ich muss aufpassen, dass ich nicht vor Überwältigung in Ohnmacht falle. Alles ist wie in Zeitlupe, und von mir aus könnte sie noch langsamer sein, denn ich will nie nie wieder aufhören, sie zu küssen. Ich will diesen Rausch nicht aufgeben, wenn du es nur fühlen könntest. Ich wünsche es dir.
»Du spürst das auch, oder?«, sagt sie sanft, und streichelt meinen Kopf.
»Ja.«
Sie schmunzelt. »Das passiert nicht jeden Tag. Wir laufen uns über den Weg und spüren beide sofort eine Verbindung. Das muss doch etwas bedeuten, oder?«
Hast Du ihr das verraten?
Wissen sie, dass ich hier oben stehe,
wie Gott ein Auge auf sie habe,
auf sie hinunter spähe?
Ja, die Liebe,
sie ist eine Gabe.
Die Frage ist,
ob ich sie habe.
Ich habe nicht auf Dich vergessen, ich war nur abgelenkt. Wir sind, nachdem Tahliahs Freunde gegangen waren, im Gespräch versunken und haben gelacht und getrunken. Dann wollten wir weiter ziehen und so wir aus dem Bar gegangen waren, hat es angefangen zu regnen. Ich habe befürchtet, das Wasser könnte unsere gute Laune wegspülen, aber im Gegenteil. Tahlia freute sich wie ein kleines Mädchen über den Wolkenbruch. Du hättest sie sehen sollen, sie begann zu tanzen mit der Leichtigkeit eines Blattes im Wind, und nachdem ich ihr einige Zeit verträumt und verliebt zugesehen hatte, forderte sie mich auf, mitzutanzen. Natürlich habe ich mich zuerst geweigert, aber es ist erstaunlich, wie überzeugend Tahliah sein kann.
Jetzt stehen wir bei einer Bushaltestelle, geschützt vom Regen, was völlig sinnlos ist, da wir bis auf die Knochen durchnässt sind. Aber irgendwie fühlt es sich an wie eine kleine Insel, die nur uns gehört. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen, im Hintergrund das Rauschen des Wassers.
»Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«, fragt sie und streicht über meinen klatschnassen Pullover.
»Bei dir«, sage ich. »Wie könnten meine Gedanken irgendwo anders sein, als bei dir?«
»Ich weiß auch nicht«, sagt sie beinahe traurig. »Du hast so ausgesehen, als würdest du dich mit jemandem unterhalten.«
Kann sie uns etwa hören?
»Elliot«, sagt sie, immer noch mit dieser nachdenklichen Stimme. »Wieso bist du alleine?«
»Was?«
»Du hast vorhin gesagt, dass du oft alleine bist. Wieso?«
»Ich … ich weiß nicht. Ich denke, ich bin wohl nicht so der Typ für Menschen.«
»Aber jeder braucht doch Menschen um sich.«
»Wer sagt das?«
Tahliah zuckt zurück. Verdammt, ich glaube, das war etwas zu scharf.
»Tut … tut mir Leid«, sage ich.
»Schon gut«, sagt sie, aber man sieht ihr an, dass nichts gut ist. Ich habe sie eingeschüchtert.
»Tut mir Leid«, wiederhole ich. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.
Sie wendet sich ab, schweigt in den Regen hinein. Wieso stellt sie solche Fragen? Wieso glaubt jeder mir sagen zu müssen, dass ich Leute um mich brauche? Das tue ich nicht. Zumindest nicht grundsätzlich.
»Weißt du«, fange ich an. Ich denke, ich bin derjenige, der das Schweigen brechen muss. »Natürlich brauche ich Menschen um mich. Aber keine beliebigen.«
Sie rührt sich nicht. Hilf mir! Ich will sie nicht verlieren, nicht schon jetzt.
»Die meisten Leute strengen mich an«, sage ich. »Selbst Leute, die mir nahe stehen, die ich mag, es wird mit der Zeit mühsamer für mich, zu interagieren. Nicht weil sie mir auf die Nerven gehen oder so. Es liegt an mir, ich kann … ich kann meine Gedanken nicht so lange zusammenhalten. Es ist so schwierig, mich auf andere zu konzentrieren, an Gesprächen teilzunehmen. Aber bei dir …«
Jetzt hättest Du mich beinahe verraten. Es ist zu früh, ihr so etwas zu sagen. Vielleicht würde sie mir nicht glauben.
Sie blickt über ihre Schulter. Verdammt, ich befürchte, sie will wissen, was ich sagen wollte.
»Was ist bei mir?«
Ich starre sie an. Sag etwas. Na los doch. Bitte.
»Ach egal.«
»Nein«, sagt sie und wendet sich mir wieder zu. Ihre Haare beginnen an den Spitzen zu trockenen und kräuseln sich ein wenig. Sie sieht süß aus mit den wilden Haaren. Ich frage mich, ob sie eigentlich Locken hätte, oder ob das nur daran liegt, dass …
»Elliot!«, ruft sie. »Du driftest schon wieder ab. Nun sag schon, was du sagen wolltest.«
»Es ist nicht wichtig«, sage ich.
»Natürlich ist es das. Sag es, oder ich gehe.«
Ich seufze. Das ist emotionale Erpressung.
»Bei dir habe ich das nicht«, sage ich.
Sie sieht mich fragend an. Ich muss wohl weiter sprechen.
»Du strengst mich nicht an, nicht eine Sekunde. Oft, wenn andere reden, wird das von meinen Gedanken übertönt. Wenn du sprichst, dann höre ich nur dich. Und statt in meinem Kopf, verliere ich mich in deiner Stimme. Ich weiß auch nicht, aber du gibst mir etwas, was mir noch niemand gegeben hat.«
Sie geht auf mich zu, sieht mir tief in die Augen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Sie legt ihre Hand wieder auf meine Brust.
»Du faszinierst mich«, sagt sie. »Alles, was du sagst, klingt so traurig. Aber es macht dich nicht traurig. Es macht dich … zu dem, was du bist.«
Muss ich jetzt wieder etwas sagen?
»Ich …«
»Nein, sprich jetzt nicht«, sagt sie und drückt mir wieder den Finger auf den Mund. »Komm schon, lass uns zu mir gehen.«
Ich sitze hier im Kerzenschein,
mit einem Glas voll blutrot Wein.
Ich kann mich nicht wehren,
den Teufel muss ich ehren,
denn nur er kann mich lehren
in ihre Seelen zu sehen,
ihre Leiber zu quälen
ihre Herzen zu stehlen.
Zart haucht Tahliah Luft auf meinen Hals. Sie ist eingeschlafen, ihren Arm um meine Brust geschlungen. Sie hält mich fest, als wollte sie nicht, dass ich sie je wieder verlasse. Als sei sie ein Kind und ich ihr Kuscheltier, ohne das sie keine Ruhe findet. Ich liebe sie und damit ist sie verdammt. Sag mir, wieso kann ich nicht so sein wie alle anderen? Warum entreißt Du mir mein Glück jedes Mal, obwohl es mich festhält?
Ich streiche mit meiner Hand über ihre. Haut wie Seide. Aber sie muss weg, ich muss sie ablegen. Ich packe sie sanft am Handgelenk, lege ihren Arm auf ihre Seite und steige so leise wie möglich aus dem Bett. Es ist Zeit, sie zu verlassen. Sie hat mich nicht verdient. Nein, nein. Sie hat meine Liebe nicht verdient. Sie würde ihr nur Schmerz bringen. Leid. Unglück. Das trage ich in mir und das gebe ich weiter. So war es schon immer. Nein. Sie soll jemanden haben, der ihrer Seele ebenbürtig ist. Jemanden, der sie nicht zerstört.
Wie konnte ich nur so ein Dummkopf sein? Wäre ich nur nie zu ihr gegangen, hätte ich sie nie angesprochen. Warum hast Du mich dazu getrieben? Warum habe ich mich hinreißen lassen? Jetzt, wo sie sich tatsächlich für mich interessiert, sehe ich, welch Egoist ich war. Aber ich darf kein Egoist sein, sie hat das nicht verdient. Ja, sie wird morgen aufwachen und nicht wissen, wieso ich sie verlassen habe. Und sie wird traurig sein, denn ich spüre, dass sie mich auch liebt. Aber besser ich gehe jetzt als später. Denn diese Wunde wird heilen. Würde ich bei ihr bleiben, wäre das ihr Ende.
Ich suche meine Kleider zusammen, die am Boden verstreut sind, ziehe mich an und werfe einen letzten Blick auf sie. Auf meine Nymphe. Auf meine Liebe. Wenn sie schläft, ist sie noch viel schöner. Sie gibt mir das Gefühl, dass die ganze Welt in Frieden lebt.
Aber in mir ist kein Frieden.
»Ich beschütze dich«, flüstere ich und gehe. Ich gehe zum Teufel. Wo ich hingehöre.