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Von der frühen Liebe zur späten Wahrheit!

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15.01.2003
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Von der frühen Liebe zur späten Wahrheit!

Von der frühen Liebe zur späten Wahrheit !

„Sehr verehrte Jubilare, sehr verehrte Gäste“ beginnt Großvater Horst mit leicht zitternder Stimme. „Wir sind heute zusammen gekommen, um diesen wunderbaren Tag mit Reiner und Irene gemeinsam zu feiern“ fährt er noch ein wenig holpernd fort. „25 Jahre befindet ihr Euch nun im Bund der Ehe. 25 Jahre der Liebe und Zuneigung, aber auch 25 bewegte Jahre mit allen Höhen und Tiefen …“ nun im festen Bariton.

Während er den Verlauf dieser –sagen wir ruhig- Durchnittsehe von Reiner und Irene in überschwenglichen Sätzen schildert, wandern Reiners und Irenes Blicke zu ihren geladenen Gästen, die aus Verwandten, Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden, teils auch Nichtfreunden bestehen. Nichtfreunde sind die Freunde, die durch einen der Ehepartner gehaßt werden. Ein wenig seltsam, aber die beiden legen wert auf diese Unterscheidung ihrer Bekannten, die das durchaus das eine oder andere mal zu spüren bekommen.

Gerade kreuzen sich Irenes Blicke mit denen ihres alten Schulfreundes und ihrer einzigen echten Jugendliebe Markus, einer der besten Schulfreunde von Reiner. Markus ist unmittelbar nach ihrer damaligen Verlobung ausgewandert. Durch einen Zufall hatte Johannes –ein weiterer Freund der Familie- seine Hompage entdeckt und im Zuge ihres Mailverkehrs erfuhr Markus von der Feier. So war er seit gut 10 Jahren wieder mal nach Deuschland heimgekehrt mit dem Ziel, „seine Irene“, wie er sie noch heute nennt, wiederzusehen.
„Was bin ich damals hingeschmolzen“ dachte sie sofort bei seinem Anblick. Nicht ein Fünkchen dieser aufregenden Zeit hat sie vergessen. Sie fühlte sich damals wie im Himmel. Für sie war es einfach eine unbeschreibliche Zeit, als sie mit 16 endlich den ersten Jungen „näher“ kennenlernte. Sie dachte damals schon, es würde sich nie einer der Jungs aus der Schule für sie interessieren. „Er war so einfühlsam, er drängte sie nicht, wie sie es von Ihrem Freundinnen immer wieder hörte“ kamen die Erinnerungen jetzt in ihr hoch.
„Sie war so zierlich, so leichtfüßig“ erinnerte auch er sich jetzt deutlich. „So hat sie sich kaum verändert, ein wenig reifer zwar, aber noch immer diese tolle Figur“ durchstreifte es ihn warm. Er haßte die damalige Rumprahlerei seiner Freunde über ihre ersten sexuellen Erlebnisse. In der Nähe seiner Irene spürte er auch immer so ein Prickeln, kaum zu beschreiben, aber doch so wunderbar. Doch er meinte, die erste Nacht mit ihr sollte etwas besonderes werden. Auf jeden Fall wollte er warten, bis sie beide so weit waren. Es sollte dieses einmalige unvergessliche Erlebnis werden, auf das sich wohl jeder verliebte Teenager in unzähligen Tagträumen vorbereitet …

Beide überlegten sie jetzt für sich „Warum sind wir damals nicht zusammengeblieben, wir haben uns doch ewige Treue geschwört?“ Doch auch bei diesem jungen Paar spielte das Schicksal einen Streich. Junge Liebe ist doch so zart besaitet, so verletztlich.
Markus wurde zum Armeedienst in die NVA eingezogen. So einfühlsam er gegenüber Irene war, so starrköpfig und ohne jegliches Feingefühl ging er vor, wenn er Ungerechtigkeit sah. Keine drei Wochen dauerte es, da wurde ein Kamerad systematisch schickaniert. In einer nebligen Nacht streckte er den verantwortlichen Hauptmann mit zwei Fausthieben nieder … dafür bekam er 6 Monate Militärgefängnis. Irenes Briefe erreichten ihn zwar, seine wurden aber nie versendet. Auch Schikane zwar, er konnte sich aber nicht wehren. Ihre Briefe wurden immer fragender. Sie wußte zwar um die Strafe, aber auf die irrwitzige Idee, dass seine Briefe nicht weitergegeben worden sind, kam sie damals nicht und Besuche waren nicht erlaubt. So mußte er voller Verzweiflung mit ansehen, wie sie sich am Ende gekränkt von ihm abwendete. Ihren Abschiedsbrief erhielt er nach 4 Monaten, 8 Wochen vor der Entlassung aus dem Gefängnis. Es war nur ein erklärender Monolog.

In dieser Zeit kümmerte sich Reiner um Irene. Er wußte zwar ebenfalls um die Strafe seines alten Schulfreundes, wäre aber auch nie auf die Idee gekommen, dass Markus voller Verzweiflung und hilflos das Ende seiner Liebe zu Irene mit anssehen mußte. Rainer, Schwarm aller Mädchen, kümmerte sich anfangs noch aus Verpflichtung gegenüber seinem Freund um Irene, die sich oft bei ihm ausweinte. Markus Eltern, die zensierte Briefe von ihrem Sohn erhielten, verstanden sein Verhalten auch nicht. Irene wurde mit keiner Silbe erwähnt. Seine Briefe wurden solange nicht verschickt, bis sein Wille gebrochen war und seine Zeilen dann nur belangloses Zeug für seine Eltern enthielten. Das war die einfache aber grausame Erziehungsmethode, die schon bei so vielen Streithähnen vor ihm funktioniert hatte. Man würde ihn schon willfähig machen …

Irgendwann, als das Trösten schon der Eroberung gewichen war, gab sich Irene den unaufhörlichen Versuchen Ihres zukünftigen Mannes hin. So unvorbereitet sie war, kam alles wie es kommen mußte. Sie wurde schwanger, Reiner machte aus der Not eine Tugend und es folgte der Heiratsantrag.

Markus erfuhr alles über die Briefe seiner Eltern. Nachdem er aus dem Militärdienst entlassen worden war, besuchte er heimlich noch einmal seine Eltern und ging dann Richtung Ural in die damalige Sowjetunion zur Erdölförderung. Er brach mit seiner kompletten Vergangenheit. Reiner und Irene hatten sich gerade verlobt. Natürlich zog Großvater Horst –Irenes Vater- eine abweichende Darstellung darüber vor, wie sich die Eheleute kenenngelernt hatten.

Die ganzen Jahre hatte Markus seine Irene nicht vergessen, er hatte sie lediglich verdrängt. Eine normale Beziehung brachte er nicht zustande, alle Versuche scheiterten. Unbewußt wurde jede Frau in seinem Leben mit Irene verglichen, keine konnte ihr nur annähernd das Wasser reichen, die ganzen 25 Jahre nicht.

Nun standen sie zu fortgeschrittener Stunde etwas abseits, nachdem sie den ganzen Abend wie von Geisterhand geführt, kaum von einander gewichen waren. Er erzählte von seinen Erlebnissen am Ural und später in der Taiga. Heute lebt er in Estland direkt an der Ostsee. Seine unzähligen Versuche mit der Frauenwelt schilderte er so facettenreich, dass Irene die Tränen vor Lachen in den Augen standen. Sie erzählte dann vollkommen von sich selbst überrascht, was sie noch keinem Mann und auch nicht ihrer besten Freundin berichtet hatte. Doch in seiner Nähe spürte sie sofort dieses überwältigende Vertrauen, was sie damals verloren hatte. In allen Einzelheiten kam jetzt diese ganze Schrecklichkeit aus ihr heraus. Sie berichtete von den unzähligen Affären ihres Mannes und dieser Demütigung. Die ganzen Jahre hatte sie der Kinder wegen immer wieder zu ihrer Ehe zurückgefunden, jetzt war sie unfähig zu flüchten. Als alles raus war, fühlte sie sich um Jahre jünger, dazu kam dieser einnehmende Blick Ihrer Jugendliebe.

„Warum hast Du Dich damals von mir abgewendet?“ fragte sie nun fast beiläufig. Als er ihr von seinen einsamen Qualen erzählte und von seinen Gefühlen, nachdem er von ihrer neuen Liebe hörte, sah man im Mondlicht nur diesen zum Schrei aufgerissenen Mund. Doch diese Warheit war so grausam, dass sie keine Silbe hervorbrachte. Es war der stumme Schrei des Entsetzens, 25 verlorene Jahre, 25 Jahre der Demütigung zogen in Sekundenbruchteilen an ihr vorbei.

„Markus, Markus, es ist nicht wahr, es darf nicht wahr sein!“. Doch sein Blick ruhte freundlich auf ihrem Gesicht und seine Stimme klang entschlossen. „Irene, ein altes Sprichwort sagt: Du bist nur Dir und der Wahrheit verpflichtet. Die Warheit kennst Du nun. Ich habe nicht das Recht und die Macht über Deine Zukunft zu richten und flehen werde ich auch nicht. Es ist die Liebe zu Dir, die mich heute zurückgeführt hat. Johannes hat mir in einigen Mails über Reiner´s Frauengeschichten berichtet. Er hat Deine Liebe nicht mehr verdient, ich wollte nur, dass Du alles weißt. Die ganzen Jahre habe ich immer an Dich gedacht, gemeint, dass Du glücklich bist. Mein Erscheinen sollte Dein Glück nicht zerstören. Doch was für ein Glück war das denn die letzten 25 Jahre! Du bist eine starke Frau, hast 2 Kinder groß gezogen, eine Ehe zusammen gehalten. Ich kann Dir nur Aufrichtigkeit, ein ländliches Leben und eine Liebe bieten, die in 2 ½ Jahrzehnten so gereift ist, dass sie für mindestens zwei weitere Leben reichen wird. Mehr will ich nicht versprechen, nur eins noch. Ich verzehr mich nach Dir, dass ich bald wahnsinnig werde, doch ich möchte mehr als nur die erste Nacht mit Dir, auf die ich nun bald 30 Jahre warte. Ich möchte jede Nacht mit Dir oder keine. Mein Flugzeug nach Tallin startet morgen 17.15 ab Berlin Tegel, ich habe 2 Tickets und plane nicht die nächsten Jahre nach Deutschland zurückzukehren.“ haucht ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwindet grußlos im Dunkel.

Irene saß nun seit einigen Momenten zusammengekauert und ausdruckslos auf dem Rasen ihres wunderbaren Eigenheimgrundstückes, am Rande der Feier zu ihrer Silbernen Hochzeit mit Nichtfreunden, Freuden, Arbeitskollegen, Nachbarn und Verwandten. Über ihre Wangen laufen heiße und kalte Tränen, sie hat soeben die schwerste Entscheidung ihres bis heute freudlosen Ehelebens getroffen. Ihr Blick streift Reiner ein letztes Mal, als er gerade von seinen jungen Arbeitskolleginnen angehimmelt wird, und sieht dann dem Dunkel nach. „Was bringen mir die nächsten 25 Jahre?“ fragt sie gen Mond und steht entschlossen auf …

St.L.
(29.01.2003)

 

Hallo erstmal,

ich finde die Idee der Story sehr nett, auch die Erzählweise ist über weite Strecken recht hübsch gelungen. Es ist schade, dass es einige Ungereimtheiten gibt, vor allem die Zeitwahl. Es ist schon OK, in der Gegenwart zu schreiben und Rückblenden im Imperfekt, aber es sollte konsequent durchgehalten werden (ist aber leicht zu korrigieren oder?)

Stilistisch würde ich mir streckenweise ein klein wenig Straffung wünschen. Gelungen finde ich hingegen den Schluss, wo die Zuspitzung auf die rasche Entscheidung für eine so radikale Veränderung ihre Wandlung, ihren Entschluss, ihre Befreiung schön unterstreicht.

Ich würde vorschlagen, schau noch einmal drüber, die Geschichte ist es wert.

 

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