Von den vielfältigen Leiden eines modernen Rauchers
Einer der Gründe, warum ich nie in den Vereinigten Staaten leben könnte, ist die Raucherdiskriminierung. Zumal jetzt, wo Lucky Luke als letzter aufrechter Nikotin-Cowboy zum Graskauer geworden ist.
Dabei sehe ich durchaus ein, daß man als Raucher gewisse Höflichkeitsregeln zu beachten hat. Ich kann es ja selbst nicht ausstehen pausenlos eingenebelt zu werden. Aber jedes Mal, wenn ich mir eine Zigarette anzünden will, als Staatsfeind N° 1 betrachtet zu werden, geht mir dann doch zu weit. Was ist es da für eine Erleichterung die Grenze nach Kanada zu überschreiten, jenem Land, in dem ein kleines Häufchen tapferer Genussmenschen dem geballten Gesundheitswahn der US-Bürger die Überzeugung entgegensetzt, daß der Drink am Abend mit Zigarette einfach doppelt so gut ist.
Allerdings muß man als Raucher nicht nach Amerika fliegen, um zu merken, daß man sich mehr und mehr auf verlorenem Posten befindet. In Freiburg, der selbsternannten Ökohauptstadt Deutschlands, ist diese Form der freiwilligen Selbstvergiftung schon lange „out“ – wenn, dann nuckelt man höchstens mal an einem Joint. So kommt es, daß man stundenlang durch die Universität gehen kann, einst Hochburg kettenrauchender Weltverbesserer, ohne jemanden zu finden, den man anschnorren kann, oder, sollte das gelungen sein, weil der Betroffene sich gerade zur Abstinenz bekehren ließ und das letzte Päckchen verschenkt, ein Feuerzeug zu finden. Gibt es etwas Frustrierenderes, als sich im Besitz einer hart erkämpften Zigarette zu befinden und sie dann nicht anstecken zu können ?
Nur in der Chirurgie ist noch alles im Reinen – da wird die für das Putzen des Operationssaales nötige Pause weiterhin in Zigarettenlängen angegeben. Und dann gibt es natürlich noch das Büro meines Profs., ein letztes verqualmtes Refugium, das zu stürmen die Gesundheitsapostel nicht gewagt haben, im hauseigenen Jargon besser bekannt als „die Räucherkammer“. Ein Versuchslabor, das der Frage nachgeht wie lange der Mensch auch bei einem Luftsauerstoffanteil im Negativbereich noch konstruktiv denken kann. Manchmal kommt mir der Verdacht, daß Prof. Sievers und ich nur aufgrund unserer gemeinsamen Nikotinsucht gut miteinander auskommen – instinktiv wissen wir, daß wir als Angehörige einer aussterbenden Rasse zusammenhalten müssen.
Immer wieder werde ich vorwurfsvoll gefragt: „Du bist Ärztin und rauchst ?“
Darauf gibt es nur eine akzeptable Antwort: „Wenn ich von zwei schlechten Angewohnheiten eine aufgeben müsste, dann die Medizin.“ Was langfristig auch die meiner Gesundheit zuträglichere Entscheidung wäre.
Darüber hinaus erzieht das Rauchen. Raucher lernen zum Beispiel früh Prioritäten zu setzen. Als ich mich eines Tages mit Tina und Ellen im Hochschwarzwald verirrte und wir damit rechnen mussten, die Nacht im Freien zu verbringen, kontrollierte Tina als erstes wie viel Wasser wir übrig hatten – und Ellen und ich die verbleibenden Zigaretten. Wir kamen auf fünf, was weitere Diskussionen bezüglich des Procederes überflüssig machte. Eine Nacht lang mitten im Wald zu sitzen hätte uns nicht so viel ausgemacht – aber ohne Zigaretten ?
Am schlimmsten ist für uns Süchtige das Fliegen. In einem Bericht im Radio hörte ich, daß einige Passagiere auf Nichtraucherlangstreckenflügen unter solchen Entzugserschei-nungen leiden, daß sie Sitznachbarn und Crewmitglieder anreifen. So weit ist es mit mir noch nicht gekommen, aber manchmal lag der Gedanke schon nahe. Zumal wenn sich die Lage nicht einmal nach der Landung verbessert.
Im Transitbereich des Bangkoker Flughafens zum Beispiel müssen sich alle Raucher in winzigen, sauerstofflosen Glaskästen zusammenfinden, um ihre Umwelt nicht zu belästigen. Das hat viele Vorteile. Zum einen ist es kostengünstig, denn wenn man die Türe öffnet, kann man sich das Anzünden der eigenen Zigarette sparen – das Nikotin-Luft-Ungleichgewicht ist mehr, als die geteerteste Lunge verträgt. Zum zweiten macht man eine Reihe neuer Bekanntschaften, während man sich im Nebel zu einem freien Platz vortastet. Ungefähr so habe ich mir immer einen Darkroom in einer Schwulenbar vorgestellt. Und wenn man in das nächste Flugzeug steigt, stinkt man so unerträglich, daß niemand den freien Sitz nebenan mit Beschlag belegt. Leid tut mir eigentlich nur das Reinigungspersonal, das das Aquarium in regelmäßigen Abständen (wahrscheinlich mit Gasmasken) betreten muß, um die Leichen derjenigen zu entsorgen, die es nicht mehr bis zum Ausgang geschafft haben.
Ein echter Schock war für mich allerdings der Mailänder Flughafen Malpensa. Ausgerechnet in Italien, der Heimat lässiger Raucher und gutgekleideter Bonvivants, dem Herkunftsland der Alitalia, deren Stewardessen sich gerne mal heimlich in der Bordküche eine anzünden und dort – wie ich dankenswerter Weise erleben durfte – auch Passagiere auf Entzug mit typisch italienischer Herzlichkeit willkommen heißen, ausgerechnet hier gibt es einen internationalen Flughafen mit striktem Rauchverbot. Keine verschämt in eine Ecke abgedrängten Aschenbecher, keine ausgewiesenen Quarantänezonen für qualmende Außenseiter, nur ein paar selenlose Schilder, die dem gemarterten Transkontinentalreisenden furchtbare Strafen androhen, sollte er schwach werden. Aber Gott sei Dank haben sich die Italiener noch nie um wie auch immer geartete Vorgaben gekümmert und so finden sich selbst hier noch einige aufrechte Streiter, die demonstrativ paffend ihre Bürgerrechte verteidigen. Meistens stehen sie dabei direkt unter einem der Verbotsschilder.
Bleibt die Frage – wie lange noch ? Wie lange werden wir Verfemten die Tatsache ignorieren können, daß die Gesellschaft uns nicht will ? Ich sehe es kommen: einige Charakterschwache werden dem Druck von außen nicht Stand halten und zu fanatischen Nikotinfeinden konvertieren, andere werden Opfer von Lungenkrebs und der Rest wandert in die arabische Welt ab, Paradies aller Raucher dieser Erde und letzte Hoffnung der tabakproduzierenden Länder. Und dann wird eine weitere jahrtausendealte, kulturprägende Rasse vom Antlitz unserer Erde verschwunden sein, der stolze, einst allgegenwärtige homo fumans europeensis. Friede seiner Asche !