- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Von Dates und Buttermessern
Ich sitze am Frühstückstisch und starre auf meine Butter und das Messer, das darin feststeckt. Die Butter ist blassgelb und eiskalt. Wahrscheinlich ist sie noch nicht ganz aufgetaut. Das ist schlecht, denn gerade hat im Bad die Dusche aufgehört zu rauschen. Mein Date, das auf wundersame Weise heute Morgen immer noch da ist, wird also gleich frisch geduscht ins Wohnzimmer kommen. Und dann soll der Frühstückstisch perfekt sein. So perfekt wie sie, die gestern so unverhofft in mein Leben getreten ist wie eine frische Seebrise. Ich grinse und schüttle den Kopf. Dieser Gedanke ist selbst in meinem eigenen Kopf pathetisch.
Jetzt geht der Föhn an. Sie föhnt sich, in meinem Bad! Weil sie über Nacht hier war, bei mir, in meiner Wohnung! Ich grinse noch etwas breiter. Und mein Blick fällt wieder auf die verdammte Butter. Halbgefroren geht gar nicht, vor allem nicht auf den heißen, knusprig-luftigen Croissants, die ich aufgebacken habe. Das gibt ein krümeliges Croissant-Massaker! Vielleicht taut die Butter auf dem Fensterbrett in der Sonne? Das dauert zwar ein bisschen, aber ich könnte Evienne – Evienne, was für ein Name! – solange mit Kaffee ablenken? Irgendwo in meinem Hinterkopf räuspert sich mein Verstand und erklärt mir ungeduldig, dass ich zu viele Gedanken an Butter verschwende. Butter ist egal. Wichtig ist Evienne! Ich stelle die Butter trotzdem aufs Fensterbrett.
Als ich mich umdrehe, um den Kaffee einzuschenken, betritt sie den Raum gehüllt in ein Handtuch und eine Duftwolke Shower Gel for Men. Ich schaffe es gerade so, den Kaffee nicht zu verschütten. Sie strahlt mich an, und ich strahle sie an, und wir setzen uns verlegen an den Frühstückstisch. Das heißt, ich bin verlegen. Sie ist so selbstbewusst wie eine Katze, die gerade ihr Revier ausgeweitet hat, und streckt sich auch so. „Ich habe Frühstück gemacht, Evienne“, sage ich, und das ist nicht nur komplett überflüssig – das Frühstück steht gut sichtbar auf dem Tisch, und außer Evienne ist niemand im Raum – sondern klingt auch gestelzt, wie eine schlechte Übersetzung aus einer mexikanischen Daily Soap. Aber Evienne lächelt. Ihre Augen glitzern dabei, und nicht zum ersten Mal staune ich über die Farbe ihrer Augen. Blau. Nein, grün. Ach was, sturmgrau. Wellen und Spiegelungen und Wassergras.
Sie greift nach einem Croissant. Ich springe auf, hole die Butter aus der prallen Sonne und biete sie Evienne an. Sie zwinkert mir zu und betrachtet mit gehobener Augenbraue das Messer, das immer noch in der Butter steckt. „Ja, ich habe das Messer gleich benutzt“, sage ich verlegen. Ich habe gehofft, dass sie es merkt. Evienne und ich haben es gestern auf einem Flohmarkt gefunden. Sie hat darauf bestanden, dass ich es kaufe. Ich lege mir selbst ein Croissant auf den Teller und lange nach dem Messer. Der ganze Block Butter landet auf meinem Croissant, inklusive des neuen Buttermessers. Ich versuche, die Butter abzustreifen. Das Messer steckt. Eviennes beobachtender Blick brennt heiß auf meinen Händen. Ich räuspere mich verlegen und nehme ein anderes Messer, um eine Hebelwirkung zu erzeugen. Die Butter gibt nicht nach, das Messer steckt fest. „So was habe ich ja noch nicht gesehen“, sage ich mit brennenden Wangen. Evienne lacht und schüttelt den Kopf. „Nein, das hast du nicht“, sagt sie, und ihre Stimme klingt nach bronzenen Glocken und dem Widerhall in der Mitte eines Sees.
Verlegen versuche ich mein Glück auf‘s Neue. Das Messer steckt. Unfassbar! Ich muss ja vor Evienne aussehen wie ein Schwächling, oder ein Idiot, oder beides. „Entschuldige, ist es okay, wenn ich meine Hände benutze?“, frage ich. In Eviennes Augen blitzt das pure Vergnügen. Eindrücke aus der Nacht drängen sich mir auf. Mir wird heiß. Besser, ich konzentriere mich auf meine Aufgabe. Ich packe das Messer mit der einen und die Butter mit der anderen Hand und ziehe. Evienne schüttelt den Kopf und lächelt liebevoll. Das Messer bewegt sich nicht. Ich lasse die Hände sinken. Evienne nimmt sie in ihre eigenen und schaut mich mit ihren wundervollen Augen an. Augen wie Seen, Augen wie Nebel über den Hügeln.
„Wenn das Messer steckt, steckt es, und du wirst es auch nicht herausziehen können. Derjenige, der das kann, ist noch gar nicht geboren.“
„Ich … entschuldige, was?“ Ich suche in ihren Augen nach einem Augenzwinkern. Nach einem Witz, den ich nicht verstehe. Stattdessen starre ich in zwei kalte, klare Seen, glatt und freundlich an der Oberfläche und unergründlich in ihrer Tiefe. Ich blinzle und frage mich, wann ich so poetisch geworden bin. Was hat Evienne gesagt?
Endlich begreife ich, und lache unsicher. Ja, klar, Excalibur, nur der Auserwählte kann das Schwert aus dem Stein ziehen. Sie muss meine erschöpfende Sammlung an Sagen entdeckt haben. Nibelungen, die Edda, Arthus, Cu Chulaínn, ich liebe sie alle. „Dann suchen wir besser mal nach dem künftigen König von England, wenn wir unsere Croissants mit Butter essen wollen“, versuche ich an ihren Witz anzuknöpfen. Evienne schaut mich weiter lächelnd an, aber ich bilde mir ein, dass ihr Blick etwas mitleidig geworden ist. Sie schüttelt den Kopf.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du das Messer in einen Block Butter steckst … In eine Butter! Das glauben meine Mädels mir niemals!“ Sie lacht lauthals, und ihre Haare wirbeln dabei um ihren Kopf, als ob ein Sturm durch den Raum fegt. „Das ist echt der Knaller, ich meine, Ninivehs Messer steckt in einem Eichenholztisch, aber Butter!“, fährt sie fort. Langsam frage ich mich, ob ich gestern zu viel getrunken habe oder ob mir diese doch völlig fremde Frau Drogen untergejubelt hat. Oder selbst völlig drauf ist. Ich habe aber noch von keinem Rauschmittel gehört, von dem einem die Haare in nichtexistenten Stürmen herumwirbeln. Ich ziehe noch einmal halbherzig an dem Messer. Nichts passiert.
„Wer ist Niniveh?“, frage ich. Es ist die einzige halbwegs rationale Frage, die mir einfällt. Evienne wischt sich die Lachtränen aus den Augen und setzt eine ernstere Mine auf.
„Ich hätte es dir früher sagen sollen, Marlon, aber ich war gestern Abend … abgelenkt.“ Diesmal werden wir beide ein wenig rot. Aber Evienne fängt sich schnell.
„Bist du bereit?“, fragt sie, und natürlich bin ich nicht bereit, ich wüsste ja nicht einmal, wofür. Ich nicke trotzdem, und diesmal rauscht ein Sturm durch mein Wohnzimmer, der nicht nur Eviennes Haare durchsondern Bilder von der Wand reißt, Zeitungen herumwirbelt und meine Sammlung von Kleinartefakten aus dem englischen Frühmittelalter auf dem Boden verteilt. Ich habe das Gefühl, meine ganze Wohnung gerät in Bewegung – mit Ausnahme des Buttermessers, das steckt weiter fest in der Butter und rührt sich nicht.
„Schau mich an!“, befiehlt Evienne, und ich schaue sie an. Ich bin völlig panisch und total fasziniert. Evienne ist nicht mehr mein Date in Handtuch und Männerduft. Sie ist eine Göttin aus Wasser und Nebel, sie riecht nach Sturm und Gras und Regen. „Mein Name ist Evienne, und er ist Niniveh, Viviane und Nimue. Ich bin die Dame vom See, und ich trage viele Namen.“
Ja, offensichtlich. Ich weiß nicht, ob ich nur verwirrt bin oder auch ein bisschen enttäuscht. Ich meine, es ist noch keine Viertelstunde her, dass sie sich die Haare geföhnt hat, mit meinem Föhn, und jetzt ist sie so eine Art Seegöttin und verwüstet mit einem selbstgemachten Sturm mein Wohnzimmer. Feines Date. Scheinbar ist meine Gemütslage gut auf meinem Gesicht zu erkennen, denn Evienne hält in ihrer großen Offenbarungsrede inne. Sogar ihre Haare beruhigen sich.
„Du weißt, was das heißt?“, fragt sie, ihre Stirn gerunzelt. Das ärgert mich ein bisschen. Woher soll ich das wissen? Ich habe einfach keine Erfahrung mit Göttinnen. Ihrem Gesicht nach sollte ich es aber wissen, und ich habe immer noch ein bisschen Angst vor ihr. Ich überlege also.
Die Namen, die sie herausposaunt hat, als ob man sie kennen müsste – sie kommen mir schon vage bekannt vor. Sie kommen in unterschiedlichen Versionen der Artussage vor.
Mir kommt ein Gedanke, der so absurd ist, dass ich ihn gleich wieder vergessen will. Aber er steckt fest in meinem Hirn, so fest wie das verflixte Messer in der Butter.
„Evienne, wenn du mir sagen willst, dass du DIE Dame vom See bist …" Die Hüterin von Avalon. Die dafür gesorgt hat, dass Arturs Schwert Excalibur in den Stein kam, und es nach seinem Tod im See versenkt hat. Evienne nickt ermutigend.
Das bringt mich auf die Palme.
„Ja, klar!“, rufe ich aufgebracht. Und aufgebracht bin ich, weil ich ganz offensichtlich den Verstand verloren habe. Aber auch, weil der Beweis in Form eines verwüsteten Wohnzimmers unbestreitbar vor meinen Augen liegt. Was wiederum bedeutet, dass das legendäre Schwert Excalibur jetzt ein Buttermesser ist. Ein Buttermesser, verdammt nochmal! Das ist einfach nicht richtig. Anklagend zeige ich auf das Messer. Die romantischste Sage der Welt, reduziert auf meinen Frühstückstisch.
Evienne seufzt. Sie ist jetzt wieder ganz Frau. Das Handtuch ist ein bisschen verrutscht, und ich kann nicht anders, als hinüber zu schielen. Sie nimmt wieder meine Hand.
„Es tut mir leid, Marlon, aber so ist es eben. Die Artussage ist noch nicht zu Ende, sie hat sozusagen ein ungeplantes Sequel. Da mussten wir improvisieren.“ Ich sehe wahrscheinlich so ratlos aus, wie ich mich fühle. Ratlos und desillusioniert. Ich seufze und schau auf meinen perfekt gedeckten Frühstückstisch. Die Croissants sind schon in sich zusammengefallen.
Evienne hebt zu einer Erklärung an. „Du weißt doch, das es heißt, das Artus wiederkommen wird, wenn England in Gefahr schwebt?“ Ich nicke. So steht es schließlich geschrieben, und ich mag auch diesen Film mit Keira Kneightly und diesem kantigen Kerl.
„Diese Rückkehr war eigentlich nie geplant“, sagt Evienne beschämt.
„Was meinst du, das war nie geplant?“ frage ich resigniert.
„Naja, das war nur so dahingesagt. Was man eben sagt. Happy End, happily ever after und so. Keiner hat damit gerechnet, dass Artus wirklich nochmal gebraucht wird.“ Sie verstummt, zuckt die Schultern und beißt endlich in ein Croissant. „Artus ist natürlich tot, der kommt nicht wieder. Aber du siehst ja, was los ist auf der Welt, und speziell in England.“ Evienne sagt England, wie andere Leute Sauron sagen würden, oder Gargamel. Ihr ganzes Gesicht sieht dabei aus, als hätte sie eine Zitrone im Mund. „Und es hat sich herausgestellt, dass, wenn ein magisches Wesen eine solche Aussage trifft, es dann wohl auch Wort halten muss. Keine Ausreden." Ich nicke weise. Klingt logisch. Ich meine, wenn man sich auf das Wort von sagenhaften Mythengestalten nicht mehr verlassen kann, worauf ist dann überhaupt noch Verlass? Ein hysterisches Kichern bahnt sich den Weg in meinen Hals, aber ich schlucke es herunter. Ich habe die Hoffnung auf ein fortgesetztes Date mit diesem wundervollen und schrecklichen Wesen noch nicht ganz aufgegeben.
Evienne fährt fort: „Wir müssen jedenfalls sehr schnell Ersatz für Artus finden. Aber eine Person alleine – es gibt heute einfach keine Männer mehr, wie Artus einer war!“ Eifersucht sticht mich. Aber bevor ich zu einer spitzen Bemerkung ausholen kann, erklärt Evienne: „Deshalb haben wir uns aufgeteilt. Von uns Damen gab es ja immer schon viele. Niniveh, Nimue, Vivienne, Evienne, das sind schon auch Namen, aber auch so eine Art …“
Ich unterbreche sie, um auch einmal etwas zu sagen, und ihr zu zeigen, dass ich ein guter Zuhörer bin: „... vielleicht so eine Art Berufsbezeichnung?“ Evienne sieht mich mit so etwas wie Stolz in den Augen an und streichelt mir über das Gesicht. Das gefällt mir. Vielleicht wird doch noch alles gut.
„Und Excalibur haben wir eingeschmolzen ...“, fährt sie fort.
„Eingeschmolzen!“, höre ich mich entsetzt brüllen. Das ist unhöflich von mir, aber ich kann nicht anders. Egal, wie seegrün Eviennes Augen sind. Ein Zauberschwert einschmelzen!
„… eingeschmolzen und aufgeteilt. In kleinere, weniger auffälligere Stücke“, fährt Evienne unbeeindruckt fort. Sie meint das Buttermesser. Ich balle meine Fäuste, aber Evienne spricht bereits weiter. „Wir haben euch Merlins ..."
"Ich heiße Marlon", werfe ich mit der ganzen angestauten Wut über diese absurde Situation ein. Evienne wirkt etwas irritiert, dass ich sie unterbrochen habe. Das ist jetzt wohl etwas, womit Göttinen wenig Erfahrung haben, denke ich voller kleinlicher Genugtuung. Evienne lernt jedenfalls schnell und sagt: "Entschuldige bitte, ich meine euch Nachfahren von Merlin. Wir nennen euch Merlins. Das ist liebevoll gemeint." Sie hält einen Moment inne um zu prüfen, ob ich damit zufrieden bin. Bin ich. Was bleibt mir auch übrig?
"Wir haben euch ausfindig gemacht, damit ihr jeweils einen Bruchteil des Schwertes so positioniert, dass nur die künftigen Artuse sie finden können, und dann werden wir wissen, wer, also welches Team aus Menschen, England retten kann. Sobald die Zeit reif ist. Wenn sie geboren werden.“ Ich überlege. Da lässt sich vielleicht doch noch etwas Pathos herauskitzeln. Auch wenn “Artuseauf keinen Fall ein legitimer Plural von Artus ist. Und trotz der Tatsache, dass ein Teil Excaliburs in meiner Frühstücksbutter steckt.
„Ein bisschen wie die Avengers?“, frage ich hoffnungsvoll. „Ja, naja. Vielleicht?“, sagt Evienne etwas zweifelnd. „So ähnlich. Weniger Aliens. Keine Robotermänner. Hoffentlich nichts wie Infinity War. Aber so Ähnlich.“
Wir sitzen etwas betreten am Frühstückstisch. „Tja“, sage ich und streiche mir Marmelade aufs Croissant. Der ganze Wirbel und das Aufdecken meines wahren Ichs haben mich wirklich sehr hungrig gemacht. Und eigentlich ist der Butteranteil in Croissants hoch genug. Ich beiße ab und sinniere darüber, wie seltsam meine Welt gerade geworden ist. Ich frage Evienne, ob ich als Nachfahre Merlins zaubern kann. Ein bisschen, sagt Evienne. Aber ich glaube, sie sagt das nur, damit ich nicht traurig bin. Ich glaube, sie mag mich. Ich schenke ihr Kaffee ein. Sie hat immer noch nur dieses ziemlich kurze Handtuch an. Und Göttin hin oder her, sie ist immerhin über Nacht bei mir geblieben. Ich lächle sie glücklich an.
„Marlon, wegen der Butter…“, sagt Evienne und lacht mit blitzenden Augen zurück. Ach ja, die Butter. Ich stehe auf und packe den Butterblock samt Messer in das Gefrierfach.
„Soll ja nicht ranzig werden, bis er kommt, der Retter Englands, oder?“ Evienne seufzt und grinst gleichzeitig.
Wenn sie hierbleibt, bis er kommt, dann soll er sich ruhig noch Zeit lassen.