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Von bleichen Messern
„Ich würde eher sterben, als dass ich rede!“
„Ach komm, kleiner Mann. Ich bin nicht in der Stimmung, jemanden zu foltern.“
Ich übte ein wenig mehr Druck auf die Kehle des Mannes aus, gerade so, dass er noch Luft zum Sprechen bekam. Mein Messer war außer Reichweite, ich spürte die Kälte an meinem Knöchel; dann eben die Hände.
„Was hält dich auf?“, fragte ich und blickte dem Kerl in seine geröteten, dunklen Augen. Das wirkte immer, denn keiner blickt gerne in meine roten.
„Loyalität…“, krächzte er. Ich verstand nicht. Loyalität zu wem? Vielleicht hatte ich ein wenig zu fest gedrückt.
„Hör zu, kleiner Mann.“ Meine Augen waren nur noch wenige Zentimeter von seinen entfernt. „Dein Leben hängt davon ab, dass du sprichst. Und auch das deiner Söhne!“
Ich sah es in den Augen des Mannes, ein Flackern von Erleichterung. Wie konnte man nur so unvorsichtig mit Informationen umgehen?
„Töchter sind es also“, sagte ich und setzte das hämischste Grinsen auf, das mir möglich war. „Das macht die Sache ein wenig interessanter!“
„Bitte Herr…“
„Herr?“ Ich hatte einen Geduldsfaden, aber Bettelei ging mir auf den Geist. „Sehe ich aus wie ein Herr? Sag mir wie ich aussehe, Mann!“
Der Mann schluckte, ich spürte es an meiner Handfläche. Seine Augen waren weiter geöffnet als vorher. Väter sind so schwach, wenn es um ihre Töchter geht. Erbärmlich.
„A… al…“
Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass mein Griff ein wenig zu fest war, aber es fühlte sich so warm an, irgendwie angenehm.
„Albino!“, brachte er heraus, sein Kopf gerötet. Ich lächelte und lockerte für einen Augenblick den Griff. Ich hatte ihn dort, wo ich ihn haben wollte.
„Was sagt man denn in eurem Land über Albinos, Mann?“
Er hatte Angst, man sah es ihm an und trotzdem wollte er nicht reden; seit über zehn Minuten. Ich war enttäuscht von mir.
„Sie fressen Kinder, ihre Mütter waren Hexen, die die Sonne aus ihren Herzen gesaugt haben. Es sind Kinder der Nacht!“
„Man weiß viel über uns in eurem Land, Mann!“ Nicht ein einziges Mal wandte ich den Blick von seinen Augen ab. Ihn sah ihn schwach werden. „Kinder aber habe ich noch nie gegessen. Ich bevorzuge ältere Exemplare!“
Natürlich war das gelogen, ich bevorzugte damals Kaninchen, mit das Beste, was man auf dem Markt mal eben in seine Jacken stopfen konnte.
„Bitte Herr!“
„Herr? Herr?! Mein Gott, kleiner Mann, einmal erbärmlich werden sehe ich gerade noch ein, aber beim zweiten Mal ist es wirklich nicht mehr witzig. Welche Fragen habe ich dir gestellt, als du mit deinem jämmerlichen Kopf gegen die Mauer geschlagen bist?“
„Wer ist der Mörder der Königin? Wo ist er hin? Wer weiß etwas?“
„Und welche Antwort bekomme ich nun?“
Der Mann schwieg, ich sah wie seine Pupillen sich weiteten, pure Angst. Mein Griff wurde wieder ein wenig fester, sein Kopf ein wenig roter, mein Knie flog in seine Männlichkeit.
Er keuchte, der Schmerz verwandelte sein Gesicht in eine Fratze. „Meine Töchter, bitte…“
„Wer?“, fragte ich, „Wo?“
„Gasthaus zum guten Hirten“, schluchzte der Mann und sackte ein wenig zusammen, er hatte einen dunklen Fleck vorne an seiner Stoffhose.
„Warum macht ihr euch das Leben nur immer so schwer?“, fragte ich und ließ ihn los; er sank zu Boden.
„Deine Tochter ist übrigens hübsch, das rote Kleid gestern stand ihr unheimlich gut", scherzte ich.
Als ich in die Dunkelheit der Gassen zurückkehrte, hörte ich immer noch sein Gewimmer.
Gasthäuser waren noch nie mein Ding. Zu laut, zu voll und dauernd mit einer Kapuze rumsitzen war auch nicht gerade angenehm. Doch manchmal lässt sich so etwas einfach nicht vermeiden.
Das Gasthaus war klein, fast unauffällig, doch hörte man schon von draußen Musik und Geschrei vieler Männer. Betrunkener Männer. Ich zog die Kapuze weiter in mein Gesicht.
Lasst die Spiele beginnen, dachte ich und gab der Eingangstür einen Stoß. Die Hitze schlug in mein Gesicht. Ich schob mich durch Menschentrauben zur Theke und bestellte einen Krug Bier und den Platz in der Ecke. Der war zwar besetzt, doch rote Augen wirkten bei Wirten überraschenderweise ähnlich wie bei kleinen Männern in Gassen.
Wenn man nicht genau hinsah, konnte man meinen ich wäre ein Reisender. Ein müder und unfreundlicher, der keinen Kontakt zu anderen haben wollte. Schade, dass das wohl nur für nüchterne Zeitgenossen galt.
„Heh, Kapuzenmann!“, schallte es herüber, gerade als ich es mir bequem gemacht hatte. Natürlich antwortete ich nicht:
„Hältst dich wohl für was Besseres, häh?“
„Ich halte mich für einen müden Reisenden, ich will keinen Ärger mit euch. Lasst mir meinen Frieden und ich lasse euch euren.“
„Lass ihn Gerald“, sagte ein zweiter Mann gedämpft. Er hatte eine platte Nase und schielte was das Zeug hielt.
Ich hätte dem Kerl nicht so viel Vernunft zugetraut, doch er wandte sich ab und vertiefte sich wieder in ein Gespräch. Ich stellte meine Ohren auf, es musste etwas zu hören geben.
„Habt ihr das gehört?“, sagte eine dritte Stimme, „Die Huren im Westviertel haben Neuzugang. Wenn man jetzt schnell ist, bekommt man vielleicht eine Jungfer!“
„Ach Quatsch! Du erzählst einen Dreck oder schon mal ne Jungfer in ‘nem Puff gesehen?“
„Ich erzähl dir gleich ‘nen Dreck!“
„Ja? Dann kannste ja grad weitermachen wo du aufgehört hast.“ Die dritte Stimme stand auf, die Faust geballt, doch Plattnase hielt ihn zurück. Er schien mehr zu denken als der Rest zusammen.
„Es gehen Gerüchte um, die Königin sei gestorben“, sagte er stattdessen.
„Gestorben?“, sagte der Mann mit dem Namen Gerald, „Ermordet wurde sie! Vor den Augen des Königs. Soll ein Assassine gewesen sein. Durch das Fenster gehüpft und hat sie erstochen. Und dann isser wieder abgehaun, auf dem gleichen Weg.“
„Ich sag dir, das war en Vampir!“, behauptete die dritte Stimme. Ich nannte ihn liebenswürdig Matschbirne.
„Erzähl keinen Müll, das war ein Assassine. Jeder hasst die Königin, war nur ne Frage der Zeit!“, gab Gerald zurück.
„Ich habe gehört“, eröffnete Plattnase seine Meinung, „dass es der König selbst arrangiert hat!“
„Quatsch! Sonst hätte er ja wohl keinen Mann auf den Mörder angesetzt.“ Aha. Viel zu spät kam ich in ihr Gespräch für meinen Geschmack. Ich war gespannt was sie über mich erzählten.
„Ein Söldner ist es!“, sagte Gerald und sah in die Runde, „Soll weiße Haare haben wie Schnee. Son Alter kann bestimmt wenig ausrichten.“ Ich war gekränkt, Alter hatte mich noch nie jemand genannt!
„Du dämlicher Bock!“, sagte Matschbirne, „Das is‘n Albino. Es gehen Geschichten um, er frisst den Mörder auf.“
Matschbirne war erstens, dümmer als er aussah und zweitens, klüger als er wusste. Teilweise war seine Geschichte ja richtig.
„Ein Albino!“, lachte Gerald, „Du bist ja noch dümmer als ich dachte!“ Wieder musste Plattnase einschreiten.
„Na ja, er muss schon ziemlich gut sein, um den Mörder zu fangen. Hab gehört der soll hier gewesen sein und ist letzte Nacht abgehauen, keiner weiß wohin!“
„Hatte wohl Angst vorm Albino!“, sagte Plattnase.
Abgehauen… Ich seufzte und trank den letzten Schluck meines Bieres.
„Man hat aber noch gesehen wie er in eine Sackgasse gerannt war. Dort ist er einfach verschwunden!“
Das war endlich eine brauchbare Information. Ich ließ ein paar Münzen auf den Tisch fallen und erhob mich. Als ich an den Männern vorbei ging, zog ich meine Kapuze zurück und zwinkerte ihnen zu. Diese Blicke retten einfach immer meinen Tag!
Eine Sackgasse zu finden war nicht wirklich schwer, doch eine Sackgasse zu finden, in der man sich in Luft auflösen konnte war da schon schwieriger. Um das Gasthaus herum waren vier Sackgassen. Zwei fielen flach, da sie von Mauern umgeben waren, die kein Mann erklimmen konnte, da war ich mir sicher.
Die dritte war ebenfalls nicht die gesuchte, denn außer einem jungen Paar, das Pferd und Reiter spielte war nichts Besonderes zu sehen. Ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, dem Jungen Mut zu zusprechen und ihm aufmunternd zuzuzwinkern. Man tut eben was man kann.
Die vierte Sackgasse war schon interessanter. Ich zählte drei Hauseingänge, alle drei ohne Schlüssel unüberwindbar und ich sah einen Kanaldeckel. Fluchtmöglichkeiten, die in den Armenvierteln und Vororten nicht dagewesen wären. Ich lächelte, das war genauso wie ich mir das vorgestellt hatte.
„Dreh dich um, Bastard!“
Wer auch immer in meinem Rücken stand sollte wissen, dass Bastard nicht mein favorisierter Titel war. Und Befehle nahm ich auch sehr ungern an. Meine Neugier war jedoch stärker als mein Stolz.
„Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“, fragte ich und legte ein süffisantes Lächeln auf.
„Für wie viel hat der König dich gekauft Bastard?“
„Drei warme Mahlzeiten und den Schoß deiner Mutter!“, fauchte ich. Das saß.
Die Gestalt im Schatten zog seine Waffe und kam auf mich zu. Dumm und Fehler Nummer eins.
„Ich würde es nicht versuchen, mein Freund“, versuchte ich ihn zu warnen.
Er hob sein Schwert über den Kopf wie ein Zweihänder. Dümmer und Fehler Nummer zwei.
Ich ging in die Knie und griff in meinen Stiefel. Die Gestalt wurde nicht langsamer und fing an zu rennen. Am Dümmsten und Fehler Nummer drei.
Das kleine Messer sauste durch die Luft und bohrte sich über seiner Kniescheibe in sein Bein. Er fiel um wie ein Sack.
„Verdammt!“, schrie er und wand sich auf dem Rücken. Ich drückte ihm meine Hand auf den Mund.
„Kein Wort!“ Gleiche Taktik wie eh und je. Die roten Augen taten ihr Übriges.
„Ich gebe dir die Chance zu leben, mein Freund. Aber ich habe Bedingungen. Erstens: Wenn mein Handschuh deinen Mund verlässt, sagst du drei Dinge. Deinen Namen, warum du mich gesucht hast und wer dich beauftragt hat. Zweitens: Wenn du lügst, bist du tot. Drittens: Wenn du schreist, bist du tot. Viertens: Wenn du schweigst, bist du tot. Verstanden?“
Ein Nicken. Es war ein junger Mann, kaum zwanzig Sommer hatte er erlebt, seine Augen flehten um Gnade und Mitleid.
Ich hob meine Hand sanft von seinem Mund und nickte aufmuntern, ein väterliches Lächeln aufsetzend.
„Tom. Ich sollte dich töten. Der Mörder der Königin.“ Ich war beeindruckt, er war der erste der sich an alle Abmachungen hielt.
„Warum tötet er mich nicht selbst?“
„Ich weiß nicht.“
Ich lehnte mich nach vorne und zog das Messer aus dem Bein. „Stillhalten.“
Der Junge hielt durch, sein Kiefer war hart wie Stein, so biss er die Zähne zusammen. Ich war immer mehr beeindruckt.
„Kannst du dein Bein bewegen?“
„Ja.“
„Gut, dann steh auf!“
Gerade als er auf sein gesundes Bein kam, raste mein Messer durch die Luft. Ich schob den Kanaldeckel zur Seite und verschwand mitsamt dem Leichnam in die Dunkelheit.
Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Schwärze. Alles was ich hörte war das Wasser um meine Füße und die Ratten. Ich war mir irgendwie sicher, dass ich hier fündig werden würde, die Wache draußen war zu auffällig.
Meine Hand streifte über die feuchte Wand zu meiner Rechten. Bis jetzt hatte ich keine Kreuzung verpasst. Zumindest auf dieser Seite.
Die Dunkelheit machte bald den Schemen und Schatten Platz, die meine Augen sahen als sie sich an den Untergrund gewöhnt hatten. Ich sah Licht dort, wo Löcher in den Deckeln der Kanäle waren und ich sah die Löcher in den Wänden, bei denen ich vorsichtig sein musste, denn eine Dusche war mir hier ein wenig unangenehm. Ich wusste, dass Abwasserkanäle wie ein Labyrinth waren und ich hatte auch wenig Hoffnung, dass mein Weg der richtige war, bis ich in einer Sackgasse stand.
Der Rückweg war schwierig, hatte ich doch kaum Orientierungspunkte, doch irgendetwas musste es geben, dass mich leiten konnte. Ich war entnervt, als ich unter dem Deckel stand aus dem ich gekommen war. Ich erkannte ihn an der Leiche, die darunter lag. Ich drehte mich im Kreis und sah nur graue Wände und gluckerndes Wasser. Es musste irgendetwas geben.
Ich durchsuchte den Jungen nach Karten, Plänen oder ähnlichem, wurde aber nicht fündig.
„Irgendwann muss ich vielleicht doch noch zu einem Gott beten!“, sagte ich zu mir und blickte demütig nach oben. Ich stutzte, es war zu dämlich!
Unter dem Kanaldeckel war ein Pfeil, mit roter Farbe gemalt, unsichtbar gewesen für mich, musste ich doch das Gewicht des Jungen hieven. Der Deckel war verdreht, er zeigte auf eine Wand. An dieser Stelle gab es nur zwei Wege. Dieses Mal nahm ich den Anderen.
Jeder Deckel unter dem ich vorbei kam hatte diesen Pfeil und immer gab es Wege zur Auswahl. Mir wurde klar, dass es bloß ein Zeichen war, keine Richtung. Sah ich das Zeichen, war ich auf dem richtigen Pfad.
Fünfzehn Deckel lief ich ab, Umwege ausgeschlossen, als ich Licht am Ende des Weges sah. Ich lief langsamer, bedacht darauf so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Das war mein Zielort, und an einem Zielort war auch meist die Zielperson.
Ich schielte um eine Ecke, aus der das Licht schien und sah eine Person an einem Tisch. Die schwarzen, welligen Haare fielen ihm in die Augen. Er hatte ein Bein über das andere gelegt, er wartete auf mich.
Ich richtete mich auf und trat um die Ecke. Seine Miene blieb starr wie Stein.
„Ich musste deinen Handlanger töten“, sagte ich.
„Erst traumatisierst du meinen Informanten und jetzt das! Warum tust du so etwas? Er war ein guter Junge!“
„Meine Klinge war vergiftet. Ich ersparte ihm Schlimmeres. Er ging auf mich los!“
Der Mörder stand auf, kam um den Tisch herum, er spielte mit einem Messer.
„Wer schickt einen Albino, um mich aus dem Leben zu nehmen?“, sagte er.
„Dein König!“
„Mein König?“, der Mörder lachte, „Was bezahlt denn mein König für meinen Tod?“
Ich blieb stehen und blickte ihn an. Er legte das Messer auf den Tisch und kam zu mir herüber, immer näher.
Als er direkt vor mir stand, blickte er mir ihn die Augen, sie waren grasgrün.
„Vierhundert Goldstücke“, sagte ich, „Zu viel, dafür, dass du dich so einfach hast finden lassen.“
Sein Blick war eisig. Ich blickte ihn an und er blickte zurück. Keiner bewegte sich, es war ein Lauern vor dem großen Sprung, vor dem Angriff.
Er lachte natürlich als Erster.
„Mein Gott, Vierhundert im Voraus? Was ist das, ein König oder ein Narr?“
„Ein Narr, würde ich sagen!“ Ich warf den Beutel grinsend zu ihm herüber, die Goldstücke klirrten, als er ihn fing.
„Ich war aber auch enttäuscht, Sylas. Zwei Nächte brauchst du, um dieses billige Versteck zu finden?“
Ich grinste. Er hatte es wieder geschafft, und er war am Leben. Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht ein wenig stolz gewesen war.
„Na los, wir sind noch lange nicht fertig, Bruder. Jetzt bin ich an der Reihe“, sagte ich, als ich in die Dunkelheit zurück trat.