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Von Angst und von Mut

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15.06.2018
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Von Angst und von Mut

Anfang Januar endete mein Weg an einer Klippe. Das war seltsam, weil ich gar nicht auf dem Weg zu dieser Klippe gewesen bin oder zu irgendeiner anderen. Es war aber auch nicht seltsam, weil mein Orientierungssinn, beziehungsweise dessen Abwesenheit mich selten an erwartete oder gar gewünschte Orte bringt.
Aber nun war ich eben hier. So breitete ich meine nicht allzu oft verwendete Picknickdecke aus, holte den Wein aus meinem Rucksack und genoss die Stille hier oben.
Nach den ersten Gläsern Wein wurde ich mutiger und setzte mich an den Rand der Klippe um die Aussicht zu genießen. Es war aufregend, hatte den Reiz des Gefährlichen ohne wirklich gefährlich zu sein.
Jedes Zeitgefühl war mir hier oben abhandengekommen, aber ich denke es war bereits Frühsommer als die Erde begann zu beben. Ich wusste nicht was passierte, aber ein gewaltiges Stück meiner Klippe begann den Abhang hinab zu rutschen. Unglücklicherweise, das Stück auf dem ich saß um die Aussicht zu genießen. Ich ruderte mit Armen und Beinen, schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Es war nichts zu machen, es ging bergab.
Glücklicherweise nicht sehr weit. Schon nach ein paar Metern, bekam ich den Stein eines kleinen Felsvorsprungs zu fassen und klammerte mich verzweifelt daran fest. Meine Augen hielt ich fest verschlossen, den Aufprall wieder und wieder im Kopf umherschwirrend.
Das war der Moment, in dem ich die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu retten. Es wäre anstrengend gewesen, aber ich hätte mich aus eigener Kraft hochziehen können. Sicher, ein paar Kratzer und Beulen wären zurückgeblieben, aber nichts Schlimmes. Ich hätte nicht mal ins Krankenhaus gemusst, keine offenen Wunden, keine gebrochenen Knochen. Aber ich konnte mich nicht bewegen, alles war wie eingefroren. Es war eine Kombination aus Angst und Neugier und Hoffnung. Angst natürlich der Schwerkraft wegen. Neugier und Hoffnung waren da, weil ich bis jetzt noch nicht ein einziges Mal den Boden habe sehen können. Ich saß monatelang an dieser Klippe, habe mich vornübergebeugt, dass Zirkusakrobaten schwindlig geworden wäre. Aber der Boden ist nie aufgetaucht. Also was war da unten?
Und so hing ich, wieder jeglichen Zeitgefühls beraubt, an diesem kleinen Felsvorsprung, in unsäglicher Höhe und bewegte mich keinen Zentimeter. Es muss schon Oktober gewesen sein, als mir die Kräfte ganz plötzlich schwanden. Kurz nach meinem Geburtstag merkte ich, wie meine Hände zu schwitzen begannen. Und auch wenn der Fels rau war, begann ich zu rutschen. So verlor ich den mehr oder weniger sicheren Halt und hing nun, mich mit nur einer Hand haltend an einer Klippe, deren Boden ich noch nie gesehen hatte.
Es war nun eine Frage der Zeit, dass meine Kraft mich verlassen würde. Der Moment, in dem ich mich hätte retten können war vergangen, ich war müde und ohne große Hoffnung, dass einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Und so war es eher Resignation und kein Mut, als ich meinen Griff um den warmen Stein lockerte.... und fiel.
Das war das erste Mal, dass ich den Boden sehen konnte. Er war unglaublich weit weg. Ich schloss die Augen und dachte in wilder Panik an nichts anderes als an die Verletzungen und Schmerzen die ein Aufprall aus einer solchen Höhe mit sich bringen würde.
Um das folgende wirklich verstehen zu können, sollte man wissen, dass das nicht mein erster Fall ist. Allerdings wohl der Erste dieser Art. Vorher waren es vielmehr kleine Hügel, von denen ich eher gerollt bin, mir ein paar blaue Flecke geholt habe, vielleicht mal ein paar geprellte Rippen oder einen verstauchten Fuß. Aber ich konnte danach aufstehen, mich schütteln wie ein nasser Hund und mein Leben weiterleben, immer im Hinterkopf, beim nächsten Mal ein bisschen vorsichtiger zu sein.
Nur war das hier und jetzt ein komplett anderes Kaliber. Es war kein sanfter Hügel, ich würde danach nicht einfach aufstehen und im schlimmsten Fall ein paar Tage humpeln. Konnte man nach einem solchen Fall überhaupt je wieder gehen? Oder sich bewegen?
Ich weiß nicht, ob mich bei all diesen Gedanken meine Angst fest im Griff hatte oder ob sie der Auslöser dieser Gedanken gewesen ist, aber nachdem ich einige Minuten gefallen bin, ohne zerschmettert am Boden aufzuschlagen, öffnete ich die Augen.
Der Boden war nicht wirklich nähergekommen, also würde das hier wohl noch eine Weile dauern. Ich sah mich erstmals wirklich um und plötzlich war alle Angst verschwunden. Ich denke nicht, dass ich beschreiben kann, was ich sah, aber um es einfach zu machen, sage ich es war Alles, die gesamte Welt und sie lag mir buchstäblich zu Füßen.
Das war das erste Mal, dass sowas wie Hoffnung in mir aufkam, dass ich diesen Fall überstehen konnte. Die Tatsache, dass der Boden noch immer dieselbe Entfernung hatte, half natürlich.
Ich genoss die Aussicht, hörte das Rauschen in meinen Ohren, fühlte mich befreit und hätte glücklicher nicht sein können. All diese Eindrücke, die zu verarbeiten es wohl ein ganzes Leben brauchen würde, stürmten auf mich ein. Das türkisblau des Meeres, der fast schneeweiße Strand auf der einen Seite, das dunkle Grün dichter Wälder, die sich wie ein Teppich über die Welt ausbreiteten auf einer anderen. Da waren Berge, höher als ich sie mir hätte vorstellen können, mit ihren schneebedeckten Kuppen und überall Menschen. Ich konnte sie sehen, blieb aber für sie unbemerkt, war ich doch viel zu weit entfernt von allem.
Und dann war die Angst wieder da. Sie kam nicht langsam und leise oder mit Kapfschrei angestürmt, sondern war einfach da, mich komplett ausfüllend und einnehmend. Ich wusste nicht, wie lang dieser Fall dauern wird und was die Konsequenzen waren, aber im Leben konnte ein solcher Sturz nicht gut ausgehen. Also rollte ich mich zusammen, so gut es eben geht in meiner Situation, spüre, wie sich jeder Muskel in meinem Körper verkrampft, so dass es weh tut und mit Hilfe dieser allumfassenden Panik, erwachen die buntesten Bilder in meinem Kopf zum Leben. Obwohl bunt hier das unpassendste Wort ist, dass man verwenden kann. Die Bilder erinnern an Alpträume, die man als Kind hatte. Von Monstern unter dem Bett und Hexen vor dem Fenster. Nur das es hier nicht um alberne Fantasiegestalten einer vierjährigen geht, sondern um mein Leben.
Ich weiß, dass ich jeden Moment auf dem Boden aufschlagen werde, auf dem Boden aufschlagen muss. Seit einer Ewigkeit stürze ich und es kann nur noch eine Frage der Zeit sein.
Nur als ich zum Boden schaue, ist dieser noch genauso weit entfernt wie damals, als ich noch in Sicherheit auf meiner Picknickdecke saß und Wein trank. Bloß das hier die Aussicht um so vieles besser war. Oder nein, es war nicht nur die Aussicht. Wenn ich alle Kraft aufbiete und die Angst in den Hintergrund dränge, merke ich, dass auch das Gefühl hier ein ganz anderes ist, als das auf der sicheren Decke. Ich fühle mich frei und groß, stark und unabhängig. In diesen Momenten weiß ich, dass das Beben der Erde und mein dadurch verursachter Fall, das Beste ist, was mir passieren konnte. Das ich eine Möglichkeit bekommen habe, die so vielleicht einzigartig ist.
Seit meinem Sturz von der Klippe ist schon viel Zeit vergangen. Zumindest glaube ich das, denn ich konnte am Boden, der mir mal näher und mal weiter entfernt vorkommt, den Wechsel der Jahreszeiten beobachten.
Ich lebe in einem ständigen Wechsel aus purem Erstaunen und vollkommenden Glück, aber auch unerträglicher, schwarzer Angst und Bewegungsunfähigkeit. Es fühlt sich an, als würde in meinem Körper oder vielmehr in meinem Kopf ein erbitterter Kampf geführt werden. Ein Krieg zwischen Angst und Verstand, Realität und Einbildung, Hoffnung und Aussichtslosigkeit.

 

Hallo @Midi und willkommen hier!

Ich hatte zunächst Schwierigkeiten mit deinem Text, weil ich nicht wusste, wie ich ihn einordnen soll. Du hast ihn unter "Alltag" getagged, und ich konnte erstmal nichts Alltägliches darin sehen, habe mich gefragt, was das sein soll, wo der Autor mich hinführen will. Ich fand's schon interessant, hatte aber keine Ahnung, ob es jetzt lustig sein soll, weil dein Erzähler das Geschehen so distanziert betrachtet, oder surreal, philosophisch, nur ein Traum, keine Ahnung.

Am Schluss klärt sich für mich dann einiges auf. Ich habe den Eindruck, die Person ist nach einem schweren Sturz gelähmt, fällt - im wahrsten Sinne - in ein immer tieferes Loch, aber kommt nie wirklich unten an, weil sie sich zwischendrin immer wieder hochzieht. Der Fall beschreibt ihre Gefühle über ihren Zustand.
Wenn ich damit richtig liege, fände ich die Gesamtidee toll, nur lüftet sich das Geheimnis zu spät für mich, vorher mäander ich durch den Text und weiß nicht, wo es hingehen soll.
Das ist schade, denn ich finde die Idee die Gefühle des Prots anhand eines surrealen Szenarios eigentlich gut, aber ich denke, du könntest schon ein paar Hinweise im Text verstecken, dem Prot ein wenig mehr Kontur geben, denn ich weiß gar nichts über ihn, nur, dass er oft irgendwo landet, wo er eigentlich nicht hinwollte. Es könnten z.B. wichtige Ereignisse seines Lebens vor seinem inneren Auge vorbeiziehen, während er fällt, dann wüsste ich ein bisschen mehr über ihn. Vielleicht Ereignisse, die schon darauf hinweisen, dass das irgendwann passiert. So, wie es jetzt ist, kapier ich erstmal gar nichts.

Ein paar Textstellen sind mir aufgefallen:

"Unglücklicherweise das Stück, auf dem ich saß."
Der ganze Satz drumrum klingt sehr kompliziert. Ich würde ihn ganz weglassen und das schon im Satz vorher klarmachen.

"Natürlich der Schwerkraft wegen."
Das war eine der Stellen, wo ich gar nicht wusste, was das eigentlich für ein Text ist. Es geht fast ins Komische, soll aber nicht komisch sein, denke ich. Wieso nimmt die Prota das so distanziert wahr, denke ich. Wenn man das Ende kennt, kann ich mir denken, warum, aber so weiß ich erstmal nicht, was mir hier erzählt werden soll.

" ... dass einigermaßen unbeschadet zu überstehen." = das, denn es bezieht sich auf das Geschehen.

"Um das folgende wirklich verstehen zu können ..." = Folgende. Und ich habe leider schon vorher nichts verstanden.

"Kapfschrei" = Kampfschrei

"... alberne Fantasiegestalten". Ich würde " alberne" weglassen, das klingt so abwertend, zumal ich eben bis hierhin auch nicht den Eindruck habe, mich in der Realität zu befinden.

Mit den Kommas bin ich selbst oft unsicher, aber ich denke, einige fehlen hier, vielleicht widmet sich dem ja noch jemand ansers.

Insgesamt fand ich den Anfang und das Ende gut. Der Mittelteil müsste mMn noch vertieft werden, die Figur mehr ausgebaut, so dass ich nicht erst so spät ahne, worauf es hinausläuft. ( Falls meine Interpretation richtig ist.)

Wenn du den Mittelteil noch ausbaust, könnte die Geschichte richtig gut werden, denke ich.

Viele Grüße,
Chai

 

Hallo, Mindi

Und willkommen bei den Wortkriegern!

Dein erster Satz zieht mich total rein. Also, die ersten beiden.

Anfang Januar endete mein Weg an einer Klippe. Das war seltsam, weil ich gar nicht auf dem Weg zu dieser Klippe gewesen bin oder zu irgendeiner anderen.

Wunderbar. Und auch das habe ich extrem gefeiert:

Jedes Zeitgefühl war mir hier oben abhandengekommen, aber ich denke[,] es war bereits Frühsommer[,] als die Erde begann zu beben.

So verstehe ich ganz langsam, ohne zu sehr verwirrt zu werden, auf eine charmante, unaufgeregte Art, dass das hier kein echtes Picknick an einer Klippe ist, sondern eine Art … Wie soll ich sagen? … Gleichnis? Ich finde es auch wunderbar, dass Du dieses Bild niemals verlässt. Sehr, sehr großartige Idee, und diese kleinen Skurrilitäten besonders zu Anfang sind echte Hingucker.

In den ersten Sätzen dachte ich auch noch, dass die Form super ist. Da habe ich mich aber geirrt. Deshalb kommt hier jetzt erstmal ein Haufen Zeichensetzung. :chaosqueen:

Nach den ersten Gläsern Wein wurde ich mutiger und setzte mich an den Rand der Klippe um die Aussicht zu genießen.

Erstmal Komma vor „um“. Und dann muss ich sagen, dass ich das mit den „ersten Gläsern Wein“ echt abgefahren finde. Also, mir reichen zwei zum Beduseltwerden, und ich würde auch nie so eine ganze Flasche alleine trinken. Rätselhaft.

Es war aufregend, hatte den Reiz des Gefährlichen ohne wirklich gefährlich zu sein.

Komma vor „ohne“.

Jedes Zeitgefühl war mir hier oben abhandengekommen, aber ich denke es war bereits Frühsommer als die Erde begann zu beben.

Komma vor „es“ und vor „als“. Und ich würde eher „zu beben begann“ schreiben.

Ich wusste nicht was passierte, aber ein gewaltiges Stück meiner Klippe begann den Abhang hinab zu rutschen.

Komma vor „was“, Komma vor „den“.

Unglücklicherweise, das Stück auf dem ich saß um die Aussicht zu genießen.

Komma weg vor „das“, dafür Komma vor „auf“ und vor „um“.

Glücklicherweise nicht sehr weit.

Unglückliche Wiederholung mit „unglücklicherweise“ im Absatz davor. Vielleicht fällt Dir was Besseres ein.

Schon nach ein paar Metern, bekam ich den Stein eines kleinen Felsvorsprungs zu fassen und klammerte mich verzweifelt daran fest.

Komma weg vor „bekam“. Das „verzweifelt“ würde ich streichen, hat für mich keinen Mehrwert. Sich an etwas festzuklammern, zeigt das in meinen Augen ausreichend. Wenn sie sich jetzt „glücklich“ an einen Felsen klammern würde, dann wäre das was Erwähnenswertes.

Meine Augen hielt ich fest verschlossen, den Aufprall wieder und wieder im Kopf umherschwirrend.

Augen hält man „geschlossen“ und nicht „verschlossen“. Bei Letzterem sehe ich Deine Prota mit Nadel und Faden hantieren, urgs. Und das mit dem Aufprall ist eine gute Gelegenheit, um auf „Show, don’t tell“ hinzuweisen, einen der wichtigsten, vielleicht sogar den wichtigsten, Grundsatz des Schreibens. Ich werde, nachdem ich mit den Details durchgegangen bin, unten im Kommentar darauf eingehen, in Ordnung?

Das war der Moment, in dem ich die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu retten. Es wäre anstrengend gewesen, aber ich hätte mich aus eigener Kraft hochziehen können. Sicher, ein paar Kratzer und Beulen wären zurückgeblieben, aber nichts Schlimmes. Ich hätte nicht mal ins Krankenhaus gemusst, keine offenen Wunden, keine gebrochenen Knochen.

Dieser Konjunktiv-Absatz gefällt mir gar nicht. Ich weiß nicht, wie man das raffinierter machen könnte, ich würde eher dazu tendieren, ihn zu streichen. Das ist fast wie eine Rückblende, nur noch viel verschwurbelter. Bietet eine Menge Möglichkeit, ins Tell zu fallen, unanschaulich zu werden.

Ich saß monatelang an dieser Klippe, habe mich vornübergebeugt, dass Zirkusakrobaten schwindlig geworden wäre. Aber der Boden ist nie aufgetaucht. Also was war da unten?

Wieso dieser plötzliche Zeitenwechsel. Präteritum, Perfekt, mehr Perfekt, dann wieder Präteritum.

Es war nun eine Frage der Zeit, dass meine Kraft mich verlassen würde.

„bis“ statt „dass“, würde ich vorschlagen.

Der Moment, in dem ich mich hätte retten können war vergangen, ich war müde und ohne große Hoffnung, dass einigermaßen unbeschadet zu überstehen.

Komma vor „war“ und „das“ statt „dass“.

Und so war es eher Resignation und kein Mut, als ich meinen Griff um den warmen Stein lockerte.... und fiel.

Wenn Du den Satz und nicht das Wort abbrichst, kommt vor den drei Punkten ein Komma. Außerdem setzt Du entweder einen Punkt oder drei. Niemals zwei oder mehr Punkte. Hier machst Du aber vier. Das ist … nein. Mach das nicht.

Ich schloss die Augen und dachte in wilder Panik an nichts anderes als an die Verletzungen und Schmerzen die ein Aufprall aus einer solchen Höhe mit sich bringen würde.

Komma vor „die“.

Ich werde jetzt aufhören, die Zeichensetzung zu korrigieren, weil mich der Text tatsächlich mehr interessiert. Bitte gehe da nochmal sorgfältig rüber. Es sind nicht unglaublich viele Fehler (es geht viel, viel schlimmer), aber leider sehe ich auch kein bestimmtes Fehlermuster. Es fehlen einfach alle fünf Sätze mal ein paar Kommata. Also bitte, sorgfältig durcharbeiten, vielleicht die Zeichensetzungsregeln nochmal zur Gemüte führen, Vertraute drüberlesen lassen oder so.^

Um das folgende wirklich verstehen zu können, sollte man wissen, dass das nicht mein erster Fall ist.

Aber Rechtschreibung noch. „Folgende“ wird groß geschrieben.

Sie kam nicht langsam und leise oder mit Kapfschrei angestürmt, sondern war einfach da, mich komplett ausfüllend und einnehmend.

„Kampfschrei“ statt „Kapfschrei“. Tipp: Rechtschreibprüfung aktivieren.

Also rollte ich mich zusammen, so gut es eben geht[,] in meiner Situation, spüre, wie sich jeder Muskel in meinem Körper verkrampft, so dass es weh tut[,] und mit Hilfe dieser allumfassenden Panik[] erwachen die buntesten Bilder in meinem Kopf zum Leben.

Hier wechselst Du plötzlich ins Präsens. Der Sinn dieses Zeitenwechsels erschließt sich mir nicht. Vorsicht und Konzentration beim Schreiben!

Das ich eine Möglichkeit bekommen habe, die so vielleicht einzigartig ist.

„Dass“ statt „das“. Sagt mir mein Rechtschreibprogramm auch. Also … Auch drauf hören, ne? Dafür sind die ja da.

So, hier der versprochene Block zum Thema „Show, don’t tell“. Ich werde im Folgenden einfach Sätze sammeln, die sehr tellig sind, und Dir danach erklären, was das bedeutet. Alles klar? Los geht’s!

Es war eine Kombination aus Angst und Neugier und Hoffnung. Angst natürlich der Schwerkraft wegen. Neugier und Hoffnung waren da, weil ich bis jetzt noch nicht ein einziges Mal den Boden habe sehen können.
Der Moment, in dem ich mich hätte retten können[,] war vergangen, ich war müde und ohne große Hoffnung, das einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Und so war es eher Resignation und kein Mut, als ich meinen Griff um den warmen Stein lockerte[ ][.]... und fiel.

Ich schloss die Augen und dachte in wilder Panik an nichts anderes als an die Verletzungen und Schmerzen die ein Aufprall aus einer solchen Höhe mit sich bringen würde.
Ich weiß nicht, ob mich bei all diesen Gedanken meine Angst fest im Griff hatte oder ob sie der Auslöser dieser Gedanken gewesen ist, aber nachdem ich einige Minuten gefallen bin, ohne zerschmettert am Boden aufzuschlagen, öffnete ich die Augen.
Ich sah mich erstmals wirklich um und plötzlich war alle Angst verschwunden.
Das war das erste Mal, dass sowas wie Hoffnung in mir aufkam, dass ich diesen Fall überstehen konnte. Die Tatsache, dass der Boden noch immer dieselbe Entfernung hatte, half natürlich.
Und dann war die Angst wieder da. Sie kam nicht langsam und leise oder mit Ka[m]pfschrei angestürmt, sondern war einfach da, mich komplett ausfüllend und einnehmend. Ich wusste nicht, wie lang dieser Fall dauern wird und was die Konsequenzen waren, aber im Leben konnte ein solcher Sturz nicht gut ausgehen.

So, das reicht wohl erstmal an Beispielen für tellige Stellen. Oh, der muss noch. Mega-tellig:

Es fühlt sich an, als würde in meinem Körper oder vielmehr in meinem Kopf ein erbitterter Kampf geführt werden. Ein Krieg zwischen Angst und Verstand, Realität und Einbildung, Hoffnung und Aussichtslosigkeit.

So, was ist Tell? Warum bevorzugen wir Show? Also, was Du an den von mir rausgepickten Stellen siehst, ist, dass man sie nicht sehen kann. Sie werden nicht gezeigt, sondern nur erzählt. Ich war müde und hatte keine Hoffnung. Was siehst Du? Du als Autorin (ich nehme mal an, dass Du eine Frau bist, korrigiere mich, wenn ich mich irre) weißt das vielleicht. Und natürlich sollst Du Deinen Leser/inne/n nicht vorkauen, was sie zu sehen haben. Aber was Du willst, ist, dass sie mitfühlen.

Nehmen wir als Beispiel Angst. Das kommt sehr oft vor. Deine Prota hat sehr oft Angst. Das sagst Du so. Als ich anfing, hier zu schreiben, habe ich auch immer die Gefühle herausgearbeitet und diese benannt, wie Du es tust. Aber tatsächlich leiten wir alle unsere Informationen über das Erleben, die Gedanken und Emotionen anderer Leute aus dem Verhalten dieser Leute ab. Wir können anderen ja nur, wie man so schön sagt, „vor die Stirn gucken“. Obwohl wir aber nur vor die Stirn gucken können, sind wir in der Lage, mitzufühlen. Obwohl ein Kind, das hingefallen ist und furchtbar weint, nicht aller Welt zuruft, dass es traurig ist, haben wir Mitleid mit ihm.

Genauso funktioniert das mit dem „Show, don’t tell“. Du willst Mitgefühl in den Leser/innen wecken, sie mit reinziehen. Das machst Du nicht, indem Du sagst: „Da ist ein trauriges Kind.“ Das berührt mich gar nicht. Ich weiß halt nur, dass das Kind traurig ist, aber ich erlebe nichts, sehe nichts. Wenn Du aber sagst: „Ein Kind wirft sich auf den Boden, schmießt sein rotes Schäufelchen von sich. Es holt tief Luft. Es atmet nicht wieder aus, und dann kommen raue Laute tief aus seiner Kehle.“ Boah. Also, das habe ich mir jetzt kurzfristig aus der Nase gezogen, aber ich glaube, Du verstehst meinen Punkt. Obwohl ich nicht gesagt habe, dass das Kind traurig ist, fühlst Du total mit, willst, dass es atmet, nicht weint, wieder aufsteht, weiterspielt.

Ich würde Dir für den Anfang raten: Benenne keine Gefühle in Geschichten. Ich denke, wenn man erfahrener ist, kann man sich da wieder rantrauen. Aber betrachte das als Challenge. Nicht sagen, wie sich jemand fühlt. Zeigen, wie jemand sich fühlt. Es so zeigen, dass der/die Leser/in selbst denken kann: „Mein Gott, diese furchtbare Angst.“ Besser ist natürlich, die Leser/innen denken gar nicht, sondern fühlen Angst.

Es geht hier v.a. um Anschaulichkeit. Was Du schreibst, müssen die Leser/innen vor ihrem inneren Auge sehen können. Sie müssen es fühlen können. Du hilfst ihnen dabei nicht, indem Du ihnen Deine Analyse der Gefühlswelt Deiner Prota aufzwingst. Eine Freundin von mir meinte gestern, man muss so schreiben, dass man sich ein Bild vorstellt, keine Worte. Und dann versucht, die Worte zu finden, die diesem Bild gerecht werden. Um genau dieses Bild auch in die Köpfe Deiner Leser/innen zu pflanzen. Schreiben beginnt also nicht beim Wort. Es beginnt beim Bild.

Also, ich hoffe, das war verständlich. Ich habe selbst ewig gebraucht, um das zu kapieren, deshalb gebe ich mir sehr viel Mühe dabei, es zu erklären. Wenn es aber Fragen gibt, zögere nicht, sie zu stellen. Wenn man das mal verstanden hat, dann eröffnet sich einem eine komplett neue Welt. Auch ich bin gerade erst dabei, sie zu entdecken, also … Es ist wundervoll, und wenn man sich darauf einlässt, lernt man jeden Tag etwas Neues. ;) Liebe Wortkrieger, falls es was zu ergänzen oder zu berichtigen gibt, bitte immer her damit (psst, Mindi, hier sind ein paar Leute dabei, die wirklich sehr gut darin sind, Dinge zu erklären und auf den Punkt zu bringen).

Ich finde außerdem in der Geschichte den Ausdruck häufig etwas missglückt, umständlich, umgangssprachlich, nicht ausgereift. Ich würde Dir empfehlen, die Geschichte nicht nur von der Zeichensetzung her zu korrigieren, sondern auch den Sätzen eine einfachere und zugleich prägnantere Form zu geben. Du klingst oft sehr Schulessaymäßig, also extrem analytisch, aber nicht ausgefeilt. Für so ein Essay hat man ja häufig nur 90 Minuten, für eine Geschichte nehme ich persönlich mir meistens ungefähr einen Monat (das ist kein Maßstab, ich denke, die meisten Leute schreiben schneller und überarbeiten nicht so lange, und das ist wahrscheinlich auch eine Schwäche von mir, also bitte nicht danach richten). Aber ein bisschen Polishing könnte der Text gebrauchen. Beispielstelle:

Das [T]ürkisblau des Meeres, der fast schneeweiße Strand auf der einen Seite, das dunkle Grün dichter Wälder, die sich wie ein Teppich über die Welt ausbreiteten[,] auf einer anderen.

Hier, dass Du das Land mit verschiedenen Seiten beschreibst, finde ich unschön. Ich würde das auch in mehrere Sätze aufteilen und etwas kürzen (Stichwort Prägnanz), z.B.

Das Türkisblau des Meeres, der schneeweiße Strand. Als ich den Blick weiterwandern ließ, das dunkle Grün dichter Wälder, ausgebreitet wie ein Teppich über der Welt.

So was hat Dein Text an vielen Stellen nötig. Lese ihn mal laut, würde ich vorschlagen, dann fallen Dir bestimmt so ein paar nicht ganz gerade Sätze und umständliche Konstruktionen auf.

Insgesamt kann ich aber mein Lob vom Anfang wiederholen: Du bleibst stringent bei Deinem Bild, und inhaltlich habe ich nichts zu meckern. Jetzt braucht der Text nur weniger analytisches Tell, sondern mehr gezeigte Emotionen und natürlich ein wenig Politur. Make it work!

Tellige Grüße,
Maria

 

Hallo und vielen lieben Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt meine Geschichte zu lesen. Danke natürlich auch, für das ausführliche Feedback. Ich werde die Geschichte zeitnah überarbeiten und dann nochmal reinstellen.

 

Hallo Mindi,

danke dir dafür, dass du diese Geschichte geteilt hast. Ich finde die Idee spannend und toll, dass du bei dem Bild bleibst. So kann man die Geschichte als eine Art Gleichnis lesen, was mir sehr gefällt.

Leider haben mich einige formale Sachen immer mal wieder aus dem Lesefluss gerissen. Dazu hat TeddyMaria schon viel gesagt, ich schließe mich meiner Namensvetterin an, was die formalen Dinge betrifft. Vor allem die Tempus-Wechsel, die unklar bleiben, haben mich aus der Geschichte rausgeholt.

Auch das "zu viel tell, zu wenig show" empfinde ich ähnlich. Die Geschichte würde meiner Meinung nach davon profitieren, wenn vieles eher durch die Handlung klar würde, als so offen erzählt zu werden. Denn so fühle ich mich als Leser ab und an behandelt, als wäre ich zu blöd um selbst auf Dinge zu schließen.

Insgesamt würde ich dir raten, die Geschichte sowohl auf formale Sachen hin zu korrigieren, als auch noch einmal durchzugehen und zu schauen, was du zeigen kannst, statt es explizit zu sagen.

Viele liebe Grüße,
Maria

 

Hallo Mindi,
vielen Dank für diese Geschichte. Eines hast Du geschafft: mich ratlos zu machen ;)
Und das im positiven Sinne. Ich konnte zunächst nicht einordnen, warum so viel Zeit vergehen muss, dachte mir dann aber, dass es ein Gleichnis auf das Leben ist.
Schön wäre es, wenn du es noch etwas plastischer beschreibst, dazu kamen oben ja schon hinweise.
Beste Grüße
Rosi

 

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