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Von alten Hasen und jungen Gänsen
Alte Hasen, junge Gänse, kleine Japaner, Bobfahrer, die ins Eis beißen müssen, Rodlerinnen mit einer Menge Schneid und eine Reihe von Menschen, denen anscheinend grüne Farbe hinter den Ohren klebt. Dann gibt es noch den "Harry Potter der Sprungschanzen" – der junge Mann trägt 'ne Brille und hat auch noch Farbe hinter den Ohren – und Stilblüten werden in Delling gemessen.
Ich gucke Olympia. Eisschnelllauf, Eiskunstlauf, Eishockey, Eistanz. Und natürlich Bobfahren. Dabei lerne ich: Wir sind eine Wintersport-Nation. Wir sind Medaillen-Abzocker. Wir machen im Winter nichts weiter als an der frischen Luft rumzutoben. Oder stockbesoffen dabei zuzusehen.
Unsere Nation besteht aus Irren, die sich von Sprungschanzen stürzen, die wahlweise auf dem Bauch, dem Rücken oder in torpedo-förmigen Gefährten durch Bobbahnen rasen und auf brettartigen Vorrichtungen in Lichtgeschwindigkeit vereiste Berge hinab schießen. Oder - zuerst gefasst, dann bei völligem Kontrollverlust schreiend - Teekessel aus Metall über gefrorenes Wasser befördern, während zwei weitere Irre den wahrscheinlichsten Weg des Teekessels in einem Affenzahn wischen. Ich bin beeindruckt.
Besonders eine Sportart namens Biathlon regt mich etwa alle vier Jahre zum Nachdenken an. Um die Wette laufen – nachvollziehbar. Um die Wette zielen – auch OK, wenn es denn im Rahmen pazifistischer Veranstaltungen bleibt. Nur was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Biathlon ist für mich wie ein Marathon, bei dem man alle paar Kilometer anhält, um einen Hefezopf zu backen. Andererseits kann die Kombination zweier diametraler Fertigkeiten durchaus brauchbar sein. Sollte ich einmal in einer einsamen Hütte in Nord-Norwegen stranden und mir der Magen knurren, werde ich bestimmt denken: "Mensch, wenn ich jetzt Biathlonnen könnte!" Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ich denke: "Mensch, hätt' ich mir bloß 'nen Biathleten geangelt."
Oder sollten die Germaninnen den Wikingerinnen doch einmal den Krieg erklären, weil wir in ferner Zukunft die harte Lektion lernen werden, dass Knäckebrot dick macht, wenn man nur genug Butter darauf streicht, dann sollte ich gut im Biathlon sein. Denn dann könnte ich mich blitzschnell hinter Hochgebirgs-Tannen und Zweigen verstecken und den Wikingerinnen auflauern – im Liegen, im Stand und in der Hocke.
Nein, ich will jetzt nicht alle Sportarten auf ihren Nützlichkeitswert hin analysieren. Sport ist einfach schön, weil es den Menschen davon abhält, auf seinem Hintern zu sitzen und sich zu beklagen. Wer Sport treibt, ist erst einmal beschäftigt und geht mir nicht mit seinen Lamenti auf den Wecker. Denn Sportler sind nicht nur knackig, sondern auch ausgeglichen, zäh und erstaunlich nah am Wasser gebaut. Flennen, wenn sie die Medaille gewinnen, flennen, wenn sie beim Doppel-Lutz auf den Hintern fliegen, flennen, wenn sie die Medaille nicht gewinnen, flennen, wenn sie die Bobbahnbande entlang schlittern.
"Der Stress, der Stress", erklärt mir der verrunzelte Trainer, der zur Entspannung Pillen und Pils präferiert.
"10 Punkte!" schreit der Gott der Alliteration.
"Danke schön!" schreie ich zurück. "Krieg ich jetzt 'ne Goldmedaille?"
"Gibt's erst ab 30", knurrt er und entschwindet in einer Buchstabenwolke. Ich muss noch lange üben.
Sport ist pure Emotion. Das wußten auch die alten Griechen und dachten sich: "Mensch, das müssen wir irgendwie kanalisieren." Kann ja nicht angehen, dass der emotionsgesteuerte Plebs hier die Straßen rauf und runter rennt und wer weiß was anstellt. Also wurde um die Wette gerannt, geworfen und gehüpft. Und wer nicht mehr auf dem Boden Platz hatte, wurde in den Rängen gestapelt – Olympia war geboren.
Meine Mannschaft sind übrigens die über 30-Jährigen. Denn wir gelten als erfahren, wir alten Hasen. Erfahrung heißt, dass wir den Scheiß schon so oft mitgemacht haben, dass uns nichts mehr aus der Ruhe bringt. Ja, erfahren, das bin ich. Apropos - heute hat meine Mannschaft eine Silbermedaille erlegt. Mit 34. Und hat überhaupt nicht geheult. Ich hab ja nichts gegen's In-die-Kamera-Heulen. Nur verstehe ich die Leute dann immer so schlecht.
Videotext gecheckt. Salzsee live. Curling der Kerle, Curling der Weibchen, Slalom der Ski-Häschen und dann wieder Biathlon. Und Eishockey. Warum nicht? Eine Packung für meine Landsmänner. Arme Jungs. Aber die Amis sind mir sympathisch. Zwei 37-Jährige, alte Hasen, die wissen was sie tun.
Alt sehe ich mittlerweile auch aus. Und müde. Deshalb gehe ich jetzt ins Bett. Als Frau der Tat sozusagen. Ohne Schluss-Pointe. Man kann nicht alles haben. Und frau sowieso nicht.